Entscheidungsstichwort (Thema)
Benutzung eines Einfamilienhauses zu anderen als zu Wohnzwecken
Leitsatz (NV)
1. Fehler i. S. des § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG ist jede objektive Unrichtigkeit. Die Vorschrift bezieht sich danach auch auf solche Rechtsfehler, die nach § 177 AO 1977 nicht Anlaß einer Änderung sind, sondern nur im Wege der Saldierung bei Änderung aus anderen Gründen berichtigt werden können.
2. Eine dem Begriff des Einfamilienhauses entgegenstehende Mitbenutzung des Wohngrundstücks zu anderen als zu Wohnzwecken muß nach außen in der Weise hervortreten, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt.
Normenkette
AO 1977 § 177; BewG 1965 § 22 Abs. 3 S. 1, § 75 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 5 S. 4
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin ist Eigentümerin eines 1835 qm großen Grundstücks. Auf diesem hat sie ein eingeschossiges Wohngebäude mit ausgebautem Dachgeschoß und mit einem daran anschließenden eingeschossigen Anbau mit Flachdach errichtet. Dieser wird vom Ehemann der Klägerin als Arztpraxis genutzt. Am äußeren östlichen Ende des Anbaues befindet sich eine Garage. Das eingeschossige Wohnhaus mit ausgebautem Dachgeschoß enthält außerdem noch einen Raum mit 16,49 qm, der freiberuflich als Büroraum genutzt wird. Wohnhaus und Praxis haben jeweils einen eigenen Eingang. Der Eingang zur Arztpraxis befindet sich an der Auffahrt zur Garage. Vor der Praxis befinden sich vier Pkw-Abstellplätze sowie ein Fahrradständer. Die Wohnfläche beträgt nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) 156,07 qm, die freiberuflich genutzte Fläche 146,04 qm. Zwischen der Wohnung und den Praxisräumen befindet sich eine Durchgangstür. Auch von der Terrasse aus kann eines der Sprechzimmer durch eine Tür erreicht werden. Der umbaute Raum des Wohnhauses beträgt 1263,4 cbm, der der Praxis 506,48 cbm und der der Garage 65,46 cbm.
Mit Wert- und Artfortschreibungsbescheid auf den 1. Januar 1983 vom 12. April 1983 stellte das Finanzamt (FA) den Einheitswert auf . . . DM und die Grundstücksart Einfamilienhaus fest. Dieser Bescheid wurde nicht angefochten.
Mit Schreiben vom 28. August 1984 beantragte die Klägerin, auf den 1. Januar 1984 die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück festzustellen. Diesen Antrag lehnte das FA mit Bescheid vom 2. Oktober 1984 ab. Der Einspruch blieb erfolglos.
Die Klage, mit der die Klägerin begehrt, das FA unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids und der ihn bestätigenden Einspruchsentscheidung zu verpflichten, auf den 1. Januar 1984 im Wege der Fortschreibung die Grundstücksart gemischtgenutztes Grundstück festzustellen, hat das FG abgewiesen.
Mit der Revision verfolgt die Klägerin das Klagebegehren weiter. Sie rügt Verletzung von § 22 Abs. 3 des Bewertungsgesetzes (BewG) sowie von § 76 der Finanzgerichtsordnung (FGO). In bezug auf den gerügten Verfahrensmangel führt die Klägerin aus, das FG habe nicht aufgeklärt, ob ihr Begehren auf Artfortschreibung nicht aus § 22 Abs. 2 BewG begründet sei. Wenngleich sie mit der Klage eine Verpflichtung des FA zur fehlerbeseitigenden Artfortschreibung erstrebt hätte, habe sie jedoch nicht allein auf § 22 Abs. 3 BewG verwiesen, weshalb ihr Begehren auch auf § 22 Abs. 2 BewG gestützt sei. Da die Einspruchsentscheidung klarstelle, daß gegenüber der Feststellung auf den 1. Januar 1983 Änderungen in der Flächennutzung zu berücksichtigen seien, komme eine Artfortschreibung wegen Änderung der Verhältnisse in Betracht. Die diesbezügliche Aufklärung von Amts wegen durch das FG habe sich diesem aufgrund der Einspruchsentscheidung des FA sowie dessen Einlassung im Klageverfahren (Schriftsatz vom 17. Juli 1985) aufdrängen müssen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Zwar ergeben die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils eine Verletzung des bestehenden Rechts, doch stellt sich die Entscheidung selbst aber aus anderen Gründen als richtig dar (§ 126 Abs. 4 FGO).
1. Das FG hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, eine fehlerbeseitigende Fortschreibung i. S. des § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG setze voraus, daß ein klarliegender einwandfrei feststellbarer Fehler vorliege. Dies sei zu verneinen, denn sowohl die Klägerin als auch das FA hätten für ihre Rechtsauffassung hinsichtlich der zutreffenden Artfeststellung jeweils gute Gründe. Diese Ausführungen halten der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand.
Nach § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG in der für den streitigen Stichtag geltenden Fassung findet eine Artfortschreibung auch zur Beseitigung eines Fehlers der letzten Feststellung statt. Wie schon im Senatsurteil vom 16. September 1987 II R 178/85 (BFHE 151, 8, BStBl II 1988, 174) ausgesprochen, bezieht sich der Fehlerbegriff des § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG auf alle Rechtsfehler und damit auch auf solche, die nach § 177 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht Anlaß einer Änderung sein, sondern nur im Wege der Saldierung bei Änderung aus anderen Gründen berichtigt werden können. Denn die in § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG getroffene Regelung ist eng mit der Dauerwirkung der nach dem BewG festzustellenden Einheitswerte verknüpft und läßt außerhalb der abgabenrechtlichen Korrekturvorschriften die Berichtigung von Fehlern zu dem in § 22 Abs. 4 Satz 3 BewG genannten Stichtag zu. In seiner Entscheidung vom 29. November 1989 II R 53/87 (BFHE 159, 215, BStBl II 1990, 149) hat der Senat unter Aufgabe der Entscheidung des früher für die Einheitsbewertung zuständigen III. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 31. Juli 1981 III R 127/79 (BFHE 134, 164, BStBl II 1982, 6) dann ausdrücklich ausgesprochen, daß Fehler i. S. des § 22 Abs. 3 Satz 1 BewG jede objektive Unrichtigkeit sei. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf den Inhalt dieser Entscheidung Bezug genommen.
2. Die Entscheidung des FG selbst erweist sich jedoch deshalb als richtig, weil dem FA bei der Feststellung der Grundstücksart Einfamilienhaus auf den 1. Januar 1983 kein Fehler unterlaufen ist, und zwar selbst dann nicht, wenn davon auszugehen wäre, daß es den Wohnzwecken dienenden räumlichen Anteil ursprünglich zu hoch angenommen hätte, so daß sich die Ablehnung des Fortschreibungsbegehrens als rechtmäßig darstellt.
Wohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nrn. 1, 3 bis 5, Abs. 2, 4 bis 6 BewG) sind dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - Wohnzwecken dienen. Die Art der Wohngrundstücke wird ausgehend von der Anzahl der Wohnungen bestimmt: Wohngrundstücke mit nur einer Wohnung sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke mit nur zwei Wohnungen sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Erst wenn ein Wohngrundstück weder ein Einfamilienhaus noch ein Zweifamilienhaus ist, stellt sich kraft des entsprechenden Vorbehalts in § 75 Abs. 2 bzw. 4 BewG die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (vgl. Senatsurteil vom 9. November 1988 II R 61/87, BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136).
Wird ein Wohngrundstück, das - wie im Streitfall - nur eine Wohnung enthält, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt, so gilt es (auch dann) als Einfamilienhaus, wenn durch diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG). Das Gesetz bietet damit zwei Abgrenzungskriterien, nämlich zum einen den Begriff der ,,Mitbenutzung" und zum anderen die dadurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus.
,,Mitbenutzung" i. S. des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt (vgl. BFH in BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136).
Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt, da die Mitbenutzung die Nutzung zu Wohnzwecken selbst dann nicht überwiegt, wenn der im Wohnbereich liegende Büroraum fälschlich (vgl. dazu Senat in BFHE 155, 128, BStBl II 1989, 135) den freiberuflich genutzten Räumen zugerechnet wurde.
Ein Grundstück, das derart zu anderen als Wohnzwecken mitbenutzt wird, gilt nur dann nicht als Einfamilienhaus, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Diese Frage ist in erster Linie nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt werden. Dabei beeinträchtigt die freiberufliche Mitbenutzung in der Regel die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus weniger stark als eine Mitbenutzung zu gewerblichen Zwecken (BFH-Urteil vom 9. Oktober 1985 II R 249/81, BFHE 145, 232, 234, BStBl II 1986, 172). Da der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinne ein durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff ist (vgl. Senatsurteile vom 5. Februar 1986 II R 31/85, BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448, sowie in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136), kann nicht von einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Daraus folgt, daß eine dem Begriff des Einfamilienhauses entgegenstehende Mitbenutzung des Wohngrundstücks zu anderen als Wohnzwecken nach außen in der Weise hervortreten muß, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund tritt.
Das ist nach den Feststellungen des FG nicht der Fall. Zwar ist der Baukörper nicht einheitlich gestaltet, sondern weist unterschiedliche Geschoßhöhen und Dachformen auf. Dieser Umstand steht der Eigenart eines Einfamilienhauses nicht entgegen (vgl. BFH-Urteil vom 27. Mai 1970 III R 65/68, BFHE 99, 493, 496, BStBl II 1970, 678). Dabei ist zu berücksichtigen, daß der Flachdachanbau, so wie er sich aus den vom FG in Bezug genommenen Photographien darstellt, nicht für sich auf eine eindeutige gewerbliche oder freiberufliche, die Eigenart des Wohngrundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigende Nutzung schließen läßt (vgl. BFH-Urteil vom 20. April 1988 II R 198/85, BFH/NV 1989, 216). Soweit das FG ausgeführt hat, die Lage des Grundstücks im Umfeld, wie sie sich aus den von ihm in Bezug genommenen Photographien zeigt, könne in gewisser Hinsicht auf eine wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus sprechen, verkennt es, daß der bewertungsrechtliche Begriff des Einfamilienhauses als Rechtsbegriff mit Gültigkeit für das gesamte Bewertungsgebiet (vgl. Senat in BFHE 146, 170, BStBl II 1986, 446) nicht von solchen Gegebenheiten abhängig ist. Dasselbe gilt für den von ihm angesprochenen Umfang des Patientenverkehrs.
3. Die Rüge, das FG habe gegen die ihm obliegende Verpflichtung zur Amtsermittlung verstoßen, ist nicht schlüssig erhoben, denn die Klägerin hat nicht ausgeführt, daß die unterlassenen Feststellungen dazu geführt hätten, tatsächliche Änderungen festzustellen, die zu einer Artfortschreibung hätten führen müssen. Allein der Hinweis, das FA sei bei Erlaß des Artfortschreibungsbescheids offenbar von einem anderen Verhältnis zwischen dem räumlichen Umfang der freiberuflichen Mitbenutzung und der Wohnnutzung ausgegangen, rechtfertigt nicht für sich die Artfortschreibung, solange nicht die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken überwiegt. Daß das FG aufgrund der als unterlassen gerügten Feststellungen zu diesem Ergebnis hätte gelangen können, hat selbst die Klägerin nicht ausgeführt.
Fundstellen
Haufe-Index 418077 |
BFH/NV 1992, 642 |