Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer/Lohnsteuer/Kirchensteuer Verfahrensrecht/Abgabenordnung
Leitsatz (amtlich)
Betreibt ein Ehegatte, der mit dem anderen Ehegatten durch einen an die gemeinsame Anschrift ergangenen einheitlichen Bescheid zur Einkommensteuer zusammen veranlagt worden ist, unter Vorlage des gemeinsamen Bescheids die Erstattung überzahlter Einkommensteuer, so kann die Finanzkasse im allgemeinen davon ausgehen, daß er kraft eigenen Rechts oder mit Wissen und Wollen des anderen erstattungsberechtigten Ehegatten handelt.
Normenkette
EStG § 47 Abs. 3; AO §§ 150, 153, 210 Abs. 2
Tatbestand
Streitig ist, ob der Bgin. für den Veranlagungszeitraum 1956 überzahlte Einkommensteuer gemäß den §§ 150, 153 AO zu erstatten ist oder ob eine Erstattung deshalb nicht in Betracht kommt, weil der zu erstattende Betrag von der Finanzkasse bereits an den früheren Ehemann der Bgin. mit befreiender Wirkung ausgezahlt worden ist.
Die Bgin. ist für den Veranlagungszeitraum 1956 wie für vorangegangene Veranlagungszeiträume mit ihrem Ehemann A. B., von dem sie seit Januar 1958 geschieden ist, zusammen veranlagt worden. Bei den während dieser Ehe erzielten Einkünften handelt es sich - von einem ganz unwesentlichen Betrag im Veranlagungszeitraum 1949 abgesehen - um Mieteinkünfte, Lohneinkünfte und insbesondere um gewerbliche Einkünfte der Bgin. Die gewerblichen Einkünfte stammen aus ihrer Beteiligung als Kommanditistin. Dieser Sachverhalt ergibt sich eindeutig aus den bei den Akten befindlichen Arbeitgeberbescheinigungen und hinsichtlich der gewerblichen Einkünfte aus den finanzamtlichen Mitteilungen über die im Verfahren nach § 215 Abs. 2 AO getroffenen einheitlichen Feststellungen. Die steuerlichen Interessen der Eheleute sind stets und ausschließlich von der KG wahrgenommen worden. Diese Gesellschaft hat auch laufend die festgesetzten Einkommensteuern bzw. die Vorauszahlungen auf diese Steuern geleistet. Aus einem bei den Einkommensteuerakten befindlichen Vermerk des Finanzamts ergibt sich, daß die Gesellschaft auch für ihre anderen Gesellschafter laufend Einkommensteuerzahlungen geleistet hat. Einem bei den Akten des Finanzgerichts befindlichen Schreiben dieser Gesellschaft an das Finanzamt ist weiter zu entnehmen, daß sie die überweisung einer für die Bgin. bereits früher geleisteten Einkommensteuerüberzahlung auf das Postscheckkonto der Gesellschaft beantragt hat.
Die Einkommensteuererklärungen - auch die Einkommensteuererklärung 1956 - wurden von der Gesellschaft unter Mitwirkung eines Wirtschaftsprüfers erstellt und allein von ihr unterzeichnet.
Die Eheleute wohnten, solange sie verheiratet waren, in M., "X-Straße 3". Nach der im Januar 1958 vollzogenen Scheidung verzog die Bgin. nach M., D-Straße, ihr geschiedener Ehemann nach M., "X-Straße 5", dem Nachbargrundstück des bisherigen gemeinsamen Wohnorts der Eheleute. Dieser Sachverhalt, d. h. Scheidung und Wohnortwechsel, war aus der von der Gesellschaft im August 1958 eingereichten Einkommensteuererklärung 1956 nicht ersichtlich. Die Erklärung enthielt vielmehr folgende sich auf die Eheleute A. und F. B. beziehenden Angaben: Wohnort: M., "X-Straße". Familienstand: verheiratet seit 16. 6. 1949. Da dem Finanzamt bis zur Bekanntgabe des im Oktober 1958 zur Post gegebenen Steuerbescheids auch sonst nichts über Scheidung und Wohnungswechsel der Eheleute bekanntgeworden war, sah es die Voraussetzungen für den Erlaß eines einheitlichen Steuerbescheids im Sinne des § 210 Abs. 2 AO an beide Ehegatten unter ihrer bisherigen gemeinsamen Anschrift für gegeben an. Demgemäß richtete es den Steuerbescheid an: "Herrn und Frau B., M., X-Straße 3". Der Bescheid wurde dem geschiedenen Ehemann der Bgin. in seine neue Wohnung "X-Straße 5" zugestellt. Dieser erwirkte nunmehr unter Vorlage des Steuerbescheids, daß der überzahlte Betrag von der Finanzkasse an ihn, d. h. auf das von ihm benannte Konto, überwiesen wurde. Die Bgin. erhielt davon durch ein Schreiben Kenntnis, das ihr früherer Ehemann unter Beifügung des Einkommensteuerbescheids 1956 an die KG richtete.
Sie ist der Meinung, daß ihr früherer Ehemann nicht berechtigt gewesen sei, kraft eigenen Rechts über die Erstattungsforderung durch Einziehung zu verfügen, da die überzahlten Beträge ausschließlich aus ihren Einkünften von der KG für sie an die Finanzkasse entrichtet worden seien, die Erstattungsforderung mithin allein ihr zustehe. Sie habe ihren früheren Ehemann auch nicht zur Empfangnahme des Erstattungsbetrags bevollmächtigt; die Finanzkasse habe also ihr gegenüber auch nicht mit befreiender Wirkung den zu erstattenden Betrag an diesen leisten können.
Auf die nach erfolglosem Erstattungsantrag und nach erfolglosem Einspruch von der Bgin. eingelegte Berufung hat das Finanzgericht durch Vernehmung der Bgin. und ihres früheren Ehemanns für erwiesen angesehen und demgemäß festgestellt, daß die überzahlten Beträge von der KG ausschließlich für ihre Gesellschafterin - die Bgin. - aus deren Mitteln auf das für die Zusammenveranlagungsgemeinschaft in Betracht kommende Steuerkonto überwiesen worden sind. Es hat ferner für erwiesen angesehen, daß die Bgin. ihren früheren Ehemann weder zur Einziehung des zu erstattenden Betrags ermächtigt noch ihm ihren Anspruch abgetreten hat.
Das Finanzgericht hat deshalb der Berufung stattgegeben und unter Aufhebung des Ablehnungsbescheids des Finanzamts sowie seiner Einspruchsentscheidung ausgesprochen, daß der Bgin. der überzahlte Betrag zu erstatten sei. Die Entscheidung wurde im wesentlichen wie folgt begründet:
Die Bgin. habe nach dem festgestellten und auch für das Finanzamt jederzeit erkennbaren Sachverhalt die zu erstattenden Beträge durch die von ihr bevollmächtigte KG ausschließlich aus ihren eigenen Mitteln an die Finanzkasse entrichtet. Sie habe mit den von ihr geleisteten Steuerzahlungen in erster Linie ihre eigene Steuerschuld getilgt. Die Tatsache, daß die Zahlungen nach § 7 Abs. 4 Satz 1 des Steueranpassungsgesetzes (StAnpG) auch ihrem früheren Ehemann als Gesamtschuldner zustatten gekommen seien, bedeute nicht, daß dieser - als Gesamtgläubiger oder nach Bruchteilen - Anspruch auf die überzahlten Beträge erheben könne. Wenn bei überweisung der Steuern gelegentlich auch der Ehemann als Steuerschuldner bezeichnet worden sei, so besage das nichts gegen die alleinige Erstattungsberechtigung der Bgin.; denn der bei manchen Finanzämtern gebräuchlichen übung entsprechend werde mit dem Namen des Ehemanns lediglich die Zusammenveranlagungsgemeinschaft als solche bezeichnet. Die Bgin. habe nichts getan, unterlassen oder geduldet, was das Finanzamt im Sinne einer stillschweigenden Bevollmächtigung ihres früheren Ehemanns hätte auffassen können oder hätte auffassen müssen. Die Angaben in der Einkommensteuererklärung "zur Person und Familie" seien richtig. Sie entsprächen den Verhältnissen im Veranlagungszeitraum 1956. Mangels eigenhändiger Unterschrift durch die Eheleute gelte die Steuererklärung als nicht abgegeben. Das Finanzamt hätte die Erklärung zur Unterzeichnung durch die Ehegatten zurückgeben müssen. Aus einer rechtlich nicht bestehenden Erklärung aber könne das Finanzamt keine rechtlichen Folgerungen ziehen. Die Vorlage des Steuerbescheids allein genüge jedenfalls nicht zur Annahme einer Empfangsberechtigung des den Erstattungsantrag stellenden früheren Ehemanns der Bgin. Das Finanzamt sei in jedem Falle - mit oder ohne Kenntnis der Scheidung - zur Nachprüfung der Empfangsberechtigung verpflichtet gewesen.
Dagegen richtet sich die Rb. des Vorstehers des Finanzamts, mit der er geltend macht: Zwar sei nach § 60 Abs. 1 Satz 2 EStDV 1956/1957 im Falle gemeinsamer Erklärung der Ehegatten die Einkommensteuererklärung von den Ehegatten eigenhändig zu unterzeichnen. Daraus folge aber - in übereinstimmung mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs I 108/54 U vom 14. Februar 1956 (BStBl 1956 III S. 97, Slg. Bd. 62 S. 263) - kein allgemeiner Grundsatz, daß nicht unterschriebene Erklärungen unwirksam seien. Wenn die KG in der Steuererklärung - wie es richtig gewesen wäre - den neuen Wohnsitz der Bgin. angegeben hätte, wäre der Steuerbescheid dorthin gerichtet worden und damit in die Hände der Bgin. gelangt. Die insoweit unrichtige Erklärung habe dazu geführt, daß der geschiedene Ehemann den Steuerbescheid der Finanzkasse habe vorlegen und dadurch den Anschein der Vollmacht habe erwecken können. Es sei zu berücksichtigen, daß es sich bei der von der Finanzkasse als bevollmächtigt angesehenen Person nicht um einen "Dritten", sondern um den mit der Bgin. zusammen veranlagten früheren Ehemann gehandelt habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb. ist begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur Zurückweisung der Berufung der Bgin.
Die rechtlichen Erwägungen des Vorstehers des Finanzamts laufen im Ergebnis zunächst darauf hinaus, daß die Finanzkasse bei bestehender Ehe und Zusammenveranlagung durch einheitlichen, an die gemeinsame Anschrift der Ehegatten gerichteten Steuerbescheid davon ausgehen kann, daß der die Erstattung unter Vorlage des gemeinsamen Steuerbescheids betreibende Ehegatte - wenn nicht kraft eigenen Rechts - mit Wissen und Wollen des anderen erstattungsberechtigten Ehegatten handelt. Dem ist zuzustimmen. Die Vorinstanz und die Bgin. verkennen mit ihrer gegenteiligen Auffassung den der gesetzlichen Regelung des § 210 Abs. 2 AO innewohnenden Grundgedanken sowie die sich daraus ergebenden weiteren Folgerungen. Das Gesetz nimmt - von dem Tatbestand einer geordneten Ehe ausgehend - als gegeben an, daß der gemeinsame Einkommensteuerbescheid mit seiner Zustellung an die gemeinsame Anschrift der Ehegatten zur Kenntnis beider Ehegatten gelangt, so daß jeder Ehegatte von diesem Zeitpunkt an die sich aus dem Bescheid für ihn ergebenden Folgerungen ziehen und entsprechend handeln kann. Es ist demgemäß nach dieser gesetzlichen Regelung und der ihr zugrunde liegenden Vorstellung auch davon auszugehen, daß beispielsweise die erstattungsberechtigte Ehefrau mit Zustellung des Einkommensteuerbescheids Kenntnis von dem ihr zustehenden Erstattungsanspruch erlangt hat. Von dieser Sachlage aber ist die Finanzkasse hier bei überweisung des zu erstattenden Betrags ausgegangen. Sie hat offensichtlich angenommen, daß die Erstattung vom Ehemann kraft eigenen Rechts oder aber für die Ehefrau mit deren Wissen und Wollen betrieben werde. Sie konnte das um so eher annehmen, als zwischen der Bekanntgabe des Steuerbescheids und der überweisung des Erstattungsbetrags rund ein Monat lag, ohne daß von der Ehefrau ein Antrag gestellt wurde. Diese Erwägungen, von denen sich die Finanzkasse hat leiten lassen, müssen nach dem Gesetz als vertretbar angesehen werden. Sie standen auch nicht im Widerspruch mit der Vollmacht, die beide Ehegatten der KG erteilt hatten; denn diese Vollmacht umfaßt nicht das Recht der Gesellschaft, für die Ehegatten - insbesondere für die Ehefrau, ihre Gesellschafterin - Erstattungsbeträge in Empfang zu nehmen. Weder ihre Fassung "Wir ... erteilen hierdurch der Firma ... K.-G., für alle zu veranlagenden Steuern die Vollmacht" noch ihre spätere praktische Handhabung zwingen zu einer derartigen Deutung (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs IV 317/57 U vom 24. März 1960, BStBl 1960 III S. 241, Slg. Bd. 70 S. 650).
Hiernach kommt es entscheidend darauf an, ob das Finanzamt die Voraussetzungen für den Erlaß eines einheitlichen Einkommensteuerbescheids im Sinne des § 210 Abs. 2 AO für gegeben erachten konnte und ob dies - wie der Vorsteher des Finanzamts meint - von der Bgin. bzw. von der von ihr bevollmächtigten KG zu vertreten ist. Das ist zu bejahen. Die Folgerungen, die die Vorinstanz aus dem Fehlen der Unterschrift der Eheleute zieht, sind rechtlich unzutreffend. Es ist zwar richtig, daß nach den seit dem Veranlagungszeitraum 1953 geltenden Durchführungsvorschriften zum Einkommensteuergesetz die eigenhändige Unterschrift des Steuerpflichtigen gefordert wird, um ihm die Bedeutung seiner Steuererklärung als seiner persönlichen Wissenserklärung eindringlich vor Augen zu stellen. Es kann aber in übereinstimmung mit dem genannten Urteil des Bundesfinanzhofs I 108/54 U vom 14. Februar 1956 (a. a. O.) aus dieser Regelung kein allgemeiner Grundsatz hergeleitet werden, daß nicht oder nicht eigenhändig unterschriebene Erklärungen als rechtlich bedeutungslos anzusehen wären. Das wäre schon im Hinblick auf eine etwaige strafrechtliche Verantwortung nicht vertretbar. Das Finanzamt hat sich seit Jahren mit der Unterschrift der bevollmächtigten Gesellschaft begnügt, weil es nach der gegebenen Sachlage keinen Zweifel an der Richtigkeit der Erklärungen zu haben brauchte. Es erscheint nicht angängig, daß die Bgin. nun aus diesem seit jeher geübten Verfahren Folgerungen in ihrem Sinne zieht.
Die in der Einkommensteuererklärung 1956 enthaltenen Angaben zur Person und zur Familie waren - wenn nicht schon hinsichtlich des Familienstandes, so doch jedenfalls hinsichtlich des Wohnorts - unrichtig, wobei es unerheblich ist, ob diese Unrichtigkeit allein von der bevollmächtigten Gesellschaft verschuldet ist oder ob sie auf mangelhafter Information durch die Bgin. beruht. Bei zutreffender Wohnungsangabe wären getrennte Bescheide oder wäre nach den Ausführungen des Vorstehers des Finanzamts sogar im Hinblick auf die gegebene Sachlage nur ein Bescheid an die Bgin. ergangen. Diese hätte dann die Erstattungsforderung geltend machen können, über die sie nach den gegebenen Umständen selbst bei bestehender Ehe und bei ehemännlichem Verwaltungsrecht allein verfügungsberechtigt war.
Nach den besonderen Umständen des Falles stand jedenfalls dem Finanzamt der Rechtsschein im Sinne seiner Auffassung zur Seite. Es konnte darauf vertrauen, daß die Voraussetzungen für den Erlaß und die Bekanntgabe eines einheitlichen Bescheids an eine gemeinsame Anschrift bei bestehender Ehe gegeben seien und daß der Ehemann der Bgin., wenn nicht kraft ergangenen Rechts, so doch mit deren Wissen und Wollen handelte. Dieses Vertrauen erkennt der Senat als schutzwürdig an.
Fundstellen
Haufe-Index 410292 |
BStBl III 1962, 139 |
BFHE 1962, 366 |
BFHE 74, 366 |