Entscheidungsstichwort (Thema)
Verletzung der Aufklärungspflicht
Leitsatz (NV)
1. Übergehen unter Beweis gestellten entscheidungserheblichen Vortrags stellt sich als Verfahrensmangel dar. Dessen Bejahung im finanzgerichtlichen Beschluß über die Zulassung der Revision ist jedoch für das Revisionsgericht nicht bindend.
2. Unzulässigkeit vorweggenommener Beweiswürdigung.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 118 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), deren Alleingesellschafterin die Firma K in der Schweiz ist, ließ in der Zeit von Juli 1985 bis etwa August/September 1986 Wirk- und Strickwaren sowie Oberbekleidung aus Fernost zum freien Verkehr abfertigen, die nach Entwürfen von K hergestellt worden waren. Aufgrund einer Außenprüfung durch das beklagte und revisionsbeklagte Hauptzollamt (HZA) wurde festgestellt, daß die Klägerin bei der Ermittlung des Zollwerts zu berücksichtigende Versicherungs- und Entwurfkosten nicht angemeldet hatte. Das HZA erhob dieserhalb Zoll in Höhe von ... DM nach, wobei es die Entwurfkosten unter Berücksichtigung einer zwischen K und der Klägerin getroffenen Vereinbarung über die Vergütung (für "styling") mit 8 % des Gesamtrechnungsbetrages ansetzte. Gegen den durch Einspruchsentscheidung vom 25. August 1989 bestätigten Steueränderungsbescheid vom 8. Juni 1988 brachte die Klägerin mit ihrer Klage unter Beweisantritt vor, die Vergütung beziehe sich ungeachtet ihrer Bezeichnung zur Hälfte nicht auf "styling", sondern gelte insoweit die Gesamttätigkeit der K ab; die Bescheide seien aufzuheben, soweit mehr als ... DM Zoll nachgefordert würden.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Es führte aus, die Zahlungen der Klägerin an K in Höhe von 8 % des Gesamtrechnungsbetrages seien zum Zollwert gehörende Entwurfkosten. Aus dem zugrundeliegenden Vertrag sei nicht ersichtlich, daß die Vergütung auch die übrigen Leistungen der K für die Klägerin abdecken sollte. Soweit die Klägerin sich auf eine abweichende mündliche Vereinbarung berufe, habe sie den dafür erforderlichen Nachweis der tatsächlichen Kosten der K nicht erbracht. Die eingereichten Unterlagen seien nicht nachprüfbar und damit nicht zum Nachweis geeignet.
Gegen dieses Urteil richtet sich die vom FG zugelassene Revision der Klägerin, mit der mangelnde Sachaufklärung, Verletzung des Amtsermittlungsgrundsatzes und Versagung des rechtlichen Gehörs gerügt werden. Das FG habe übersehen, daß sich der Beweisantritt der Klägerin nicht auf die Darstellung der Kostenaufteilung zwischen "styling" und sonstigen Leistungen der K, sondern auf die Abgeltung -- auch -- aller übrigen Arbeiten durch das Honorar bezogen habe, und den entscheidungserheblichen Beweis über eine entsprechende mündliche Vereinbarung nicht erhoben (Vernehmung der Zeugen A und B). Die Vorlage der von der Vorinstanz angeführten Unterlagen diene nur als Hilfsmittel zur Unterstützung des Klagevortrags, daß die mündliche Vereinbarung nicht nur getroffen worden, sondern auch vor dem tatsächlichen wirtschaftlichen Hintergrund gerechtfertigt sei.
Hinsichtlich der Unterlagen habe das FG den erforderlichen Hinweis darauf unterlassen, daß diese nicht prüfungsfähig seien. Die diesbezügliche Begründung in der Vorentscheidung habe die Klägerin überrascht; sie hätte nicht damit rechnen können, daß das Urteil maßgeblich auf die Nichtvorlage "prüffähiger Unterlagen" gestützt werden würde.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das HZA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Es trägt vor, das Vorbringen der Klägerin bestätigende Zeugenaussagen wären angesichts der schriftlichen Vereinbarung nicht ausreichend und nicht entscheidungserheblich. Prozeßentscheidend sei vielmehr die vom FG rechtsfehlerfrei verneinte Frage, ob die Klägerin prüffähige Unterlagen der K darüber vorgelegt habe, daß die der Klägerin berechneten Entwicklungskosten tatsächlich zur Hälfte für nicht zollwertrechtlich zu berücksichtigende Leistungen aufgewandt worden seien.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Die Verfahrensrüge, die Vorinstanz habe unter Beweis gestellten entscheidungserheblichen Vortrag der Klägerin übergangen und dadurch die Aufklärungspflicht (§ 76 Abs. 1 FGO) verletzt, greift durch. Auf die weiteren Verfahrensrügen der Klägerin braucht nicht eingegangen zu werden.
Für die Entscheidung über die Klage kommt es darauf an, inwieweit bei der Nacherhebung gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -- AblEG -- L 197/1) außer den Versicherungskosten (Art. 8 Abs. 1 Buchst. e, i der Zollwertverordnung -- ZWVO -- 1980), hinsichtlich derer nicht gestritten wird, weitere Zuschläge zum Zollwert nach Art. 3 ZWVO 1980 (Transaktionswert) berücksichtigt werden durften. In Betracht zu ziehen sind von den Zurechnungen, die Art. 8 ZWVO 1980 (vg. dessen Absatz 3) erschöpfend aufzählt, im Streitfall allein Zuschläge nach Art. 8 Abs. 1 Buchst. b, iv ZWVO 1980. Hinzuzurechnen ist insoweit der nicht im gezahlten oder zu zahlenden Preis enthaltene (anteilige) Wert außerhalb der Gemeinschaft erarbeiteter, für die Herstellung der eingeführten Waren notwendiger Entwürfe, die unmittelbar oder mittelbar vom Käufer unentgeltlich oder zu ermäßigten Preisen für die Verwendung im Zusammenhang mit der Herstellung und dem Verkauf zur Ausfuhr der zu bewertenden Waren geliefert wurden. Hierunter fallen auch Leistungen, die auf Kosten des Käufers, also mittelbar, erbracht werden (Zepf, Wertverzollung, 4. Aufl., ZWVO 1980 Art. 8 Anm. 3.5.1, 3.2.5). Daß der Wert der in der Schweiz erarbeiteten, über K den Lieferanten in Fernost zur Verfügung gestellten Entwürfe hier zu berücksichtigen ist, wird von der Klägerin nicht in Zweifel gezogen. Gestritten wird lediglich über die Höhe des Ansatzes.
Das FG hat insoweit die in der schriftlichen Vereinbarung zwischen der Klägerin und K vorgesehene Vergütung von 8 % für "styling"-Arbeiten -- voll -- zugrunde gelegt. Auf die von der Klägerin behauptete mündliche Abrede -- 8 % für die "Gesamttätigkeit" der K, davon nur 4 % für Entwurfkosten (Klagevortrag in Verbindung mit dem Vorbringen im Einspruchsverfahren) -- ist das FG lediglich im Zusammenhang mit der Frage eingegangen, inwieweit bei K tatsächlich "andere" etwa von der Klägerin zu vergütende Kosten entstanden sein könnten (was für nicht nachgewiesen erachtet worden ist). Damit wird der Vortrag der Klägerin nicht in ausreichendem Maße berücksichtigt.
Der von der Klägerin ordnungsgemäß gerügte Verfahrensmangel ist sonach gegeben. Auf ihm beruht die Vorentscheidung (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO), wie deren Gründe zeigen. Die Frage, ob bei gerügten Verfahrensfehlern bereits die Möglichkeit genügt, daß das FG ohne die Rechtsverletzung zu einem anderen Ergebnis gekommen wäre (so Gräber/Ruban, FGO 3. Aufl. 1993, § 118 Anm. 26 m. N.; anders Tipke/Kruse, AO/FGO, 15. Aufl., FGO § 118 Tz. 33), stellt sich nicht. Unerheblich ist, daß das FG in seinem die Revision zulassenden Beschluß selbst ausgeführt hat, es habe "den erheblichen Vortrag der Klägerin, hinsichtlich der Entwurfkosten habe sie eine mündliche Vereinbarung mit ihrer Muttergesellschaft getroffen, zu Unrecht übergangen und die angebotenen Beweise nicht erhoben" (vgl. -- für die Zulassung der Revision -- Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Anm. 34).
Die Ursächlichkeit der Rechtsverletzung kann nicht mit der Erwägung bezweifelt werden, angesichts des Wortlauts der schriftlichen Vereinbarung könnte durch Zeugenaussagen nichts Gegenteiliges nachgewiesen werden. Der Zeugenbeweis ist möglich, eine Vorwegnahme der Beweiswürdigung wäre unzulässig (z. B. Bundesfinanzhof, Urteil vom 21. Januar 1993 XI R 35/92, BFH/NV 1993, 671 f. a. E.; Gräber/von Groll, a.a.O., § 76 Anm. 26 m. N.). Das gilt auch, wenn es sich bei den Zeugen A und B um die Geschäftsführer der Klägerin bzw. der K handelt.
Die Vorentscheidung kann hiernach keinen Bestand haben. Das FG wird, soweit noch gestritten wird (Entwurfkosten; vgl. zu deren Ansatz auch Anlage I Zu Art. 8 Abs. 1 Buchst. b, iv ZWVO 1980, Nr. 2 Satz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1494/80 der Kommission vom 11. Juni 1980, ABlEG L 154/3), Beweis über die Frage erheben müssen, ob K und die Klägerin bereits in dem hier maßgebenden Einfuhrzeitraum übereinstimmend unter "styling" die Gesamttätigkeit der K verstanden (falsa demonstratio) bzw. mündlich die von der Klägerin behauptete Aufteilung -- nur 4 % für Entwurfkosten -- vereinbart hatten, und unter Berücksichtigung der dabei gewonnenen Erkenntnisse neu zu entscheiden haben.
Fundstellen