Leitsatz (amtlich)
Hebt das FA während des finanzgerichtlichen Verfahrens einen vom Kläger mit dem Verjährungseinwand angefochtenen Steuerbescheid auf, weil es nunmehr der Meinung ist, daß die Steuer wegen des Eingreifens einer Befreiungsvorschrift mit Nachversteuerungsvorbehalt noch nicht entstanden sei, und erklären die Beteiligten die Hauptsache für erledigt, so fehlt für einen Antrag des Klägers auf Feststellung, daß der aufgehobene Steuerbescheid wegen Verjährung rechtswidrig gewesen sei, deshalb ein berechtigtes Interesse, weil das FG wegen der in dem Aufhebungsbescheid enthaltenen materiell vorläufigen Freistellung von der Steuer an einem Ausspruch, daß die Steuer verjährt sei, gehindert wäre.
Normenkette
FGO §§ 68, 100 Abs. 1 S. 4
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches FG |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) erwarb mit notariellem Vertrag vom 27. Juni 1972 ein Grundstück in A. Er beantragte Grunderwerbsteuerbefreiung nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 des schleswig-holsteinischen Grunderwerbsteuerbefreiungsgesetzes i. d. F. vom 28. Juni 1962 - GrESWG - (BStBl II 1962, 163) mit der Erklärung, hierauf Wohnungen in dem vom Gesetz geforderten Maß, im übrigen Gewerberäume erstellen zu wollen. Das Grundstück war im Flächennutzungsplan der Gemeinde als gewerbliche Baufläche ausgewiesen. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) stellte den Erwerb zunächst, wie beantragt, steuerfrei; nachdem er später zur Ansicht gekommen war, daß die Bebauungsabsicht objektiv nicht verwirklicht werden könnte, setzte er durch Steuerbescheid vom 6. Januar 1978 gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) Grunderwerbsteuer fest.
Der Einspruch blieb erfolglos. Nach Klageerhebung kehrte das FA zu seiner ursprünglichen Beurteilung zurück und erklärte durch Bescheid vom 29. Januar 1979, es hebe den Steuerbescheid vom 6. Januar 1978 "ersatzlos auf, weil die Steuerschuld . . . noch nicht entstanden" sei; es erklärte den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt.
Zusammen mit seiner Erledigungserklärung macht der Kläger geltend, er habe ein berechtigtes Interesse an der Feststellung, daß der Grunderwerbsteuerbescheid rechtswidrig gewesen sei, weil die Steuer im Zeitpunkt ihrer Festsetzung verjährt gewesen sei, also entgegen der Auffassung des FA auch nicht mehr habe entstehen können. Er müsse damit rechnen, daß das FA zu einem späteren Zeitpunkt erneut Grunderwerbsteuer festsetzen werde.
Das Finanzgericht (FG) verneinte ein berechtigtes Interesse gemäß § 100 Abs. 1 Satz 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) und wies die Klage ab. Die gerichtliche Feststellung habe nicht die vom Kläger erstrebte Wirkung, daß damit über den Grund der Rechtswidrigkeit verbindlich entschieden werde. Die Feststellung habe gegenüber der Aufhebung nur subsidiären Charakter. Bei der Aufhebung des Steuerbescheides hätte das Gericht es dahingestellt sein lassen können, ob eine Steuerschuld nicht entstanden sei, oder ob sie verjährt gewesen wäre.
Die Revision stützt der Kläger darauf, daß im Fall des Obsiegens in der Hauptsache für die Auslegung der Urteilsformel Tatbestand und Entscheidungsgründe, insbesondere auch der in Bezug genommene Parteivortrag heranzuziehen seien. Die Bindung des FA trete dadurch nicht nur hinsichtlich der Urteilsformel, sondern auch hinsichtlich der Gründe ein. Damit würden Gegenstand und Umfang der Rechtskraft auch mit Wirkung für ein späteres Verfahren festgestellt. Das beklagte FA habe noch am Tage der Aufhebung des angefochtenen Steuerbescheides neue Maßnahmen für die Durchsetzung des vermeintlichen Steueranspruchs eingeleitet.
Das FA ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Klägers ist unbegründet.
Der Senat folgt dem FG im Ergebnis, allerdings nicht mit der Begründung, daß der vom Kläger gestellte auf § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO gestützte Feststellungsantrag unzulässig ist.
Mit dem Eingang der Erledigungserklärungen der Beteiligten beim FG fand das Klageverfahren in der Hauptsache sein Ende; das Gericht hat keine Möglichkeit nachzuprüfen, ob die Hauptsache tatsächlich erledigt ist (ständige Rechtsprechung; vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 8. August 1974 IV R 131/73, BFHE 113, 175, 177, BStBl II 1974, 749). In derartigen Fällen ist zwar ggf. ein Feststellungsantrag im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO möglich. Voraussetzung ist jedoch, daß der Kläger ein berechtigtes Interesse an dieser Feststellung hat. Das ist für den vorliegenden Fall zu verneinen.
Das Vorliegen eines berechtigten Interesses hätte allenfalls dann bejaht werden können, wenn eine gerichtliche Feststellung denkbar gewesen wäre, daß der Steuerbescheid vom 6. Januar 1978 deshalb rechtswidrig gewesen sei, weil in diesem Zeitpunkt die Verjährung der Steuer bereits eingetreten gewesen sei. Eine solche Feststellung war dem FG jedoch versagt. Das FG hätte bei einer Entscheidung den Bescheid vom 29. Januar 1979 zu beachten gehabt, der nicht nur eine Aufhebung des Steuerbescheides vom 6. Januar 1978 beinhaltete, sondern auch eine materiell vorläufige Freistellung von der Grunderwerbsteuer. Dies folgt aus dem Grundsatz, daß bestehende Verwaltungsakte, auch wenn sie rechtswidrig sein sollten, so lange zu beachten sind, als sie nicht (ggf. aufgrund einer Anfechtungsklage) aufgehoben worden sind. Solange der Bescheid vom 29. Januar 1979 Bestand hat, hindert seine Tatbestandswirkung jedes Gericht an der Feststellung, daß die Steuer entgegen diesem Bescheid bereits im Zeitpunkt des Erwerbes des Grundstücks entstanden, inzwischen aber infolge Eintritts der Verjährung erloschen sei.
Hätte der Kläger danach das mit seinem Feststellungsantrag angestrebte Ziel, die Klärung der Verjährungsfrage, nicht erreichen können, so fehlt es an einem berechtigten Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des aufgehobenen Steuerbescheides vom 6. Januar 1978.
Der Kläger war gleichwohl nicht schutzlos. Er hätte z. B. auf die Erledigungserklärung verzichten und statt dessen den Bescheid vom 29. Januar 1979 zum Gegenstand des Klageverfahrens machen können (§ 68 FGO). Er hätte sodann diesen Bescheid mit der Behauptung bekämpfen können, es sei nicht die materiell vorläufige Freistellung von der Grunderwerbsteuer wegen Verwirklichung eines Steuerbefreiungstatbestandes geboten, sondern die ersatzlose Aufhebung des Steuerbescheides vom 6. Januar 1978 wegen Verjährung der im Erwerbszeitpunkt entstandenen Grunderwerbsteuer. Außerdem hätte er auch die Möglichkeit gehabt, den Bescheid vom 29. Januar 1979 mit dem zulässigen Rechtsbehelf (Einspruch oder Sprungklage) anzufechten und ihn mit den dargelegten Argumenten zu bekämpfen. Ein dritter Weg, nämlich die Klärung der Verjährungsfrage durch einen Feststellungsantrag im Sinne des § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zu erreichen, steht dem Kläger nicht zur Verfügung (vgl. auch § 41 Abs. 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 74257 |
BStBl II 1982, 405 |
BFHE 1982, 237 |