Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesamtergebnis des Verfahrens
Leitsatz (NV)
Das FG darf sein Urteil nicht auf Tatsachen stützen, die weder den Akten zu entnehmen noch mündlich vorgetragen worden sind.
Normenkette
FGO § 96 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) betrieb in den Jahren 1982 bis 1986 (Streitjahre) ein Geschäft. Sie hatte Umsatzsteuerrückstände von … DM (einschließlich Nebenabgaben). Außerdem bestanden Einkommensteuerrückstände von … DM (einschließlich Säumniszuschlägen) aus Steuerfestsetzungen über die Zusammenveranlagung mit ihrem Ehemann.
Am 14. November 1996 erklärte die Klägerin dem Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt ―FA―) an Amtsstelle, sie gehe keiner Erwerbstätigkeit mehr nach, ihr Ehemann sei seit Anfang 1996 arbeitslos und es sei nicht mehr damit zu rechnen, daß die Steuerrückstände getilgt würden. Das FA stellte ihr einen Erlaß der Steuerschulden in Aussicht, wenn sie eine Zahlung von … DM leiste. Daraufhin zahlte der Steuerberater der Klägerin an das FA per Verrechnungsscheck … DM, die vereinbarungsgemäß mit … DM auf die rückständige Umsatzsteuer der Klägerin verbucht wurden. Sodann erließ das FA mit Bescheid vom 26. November 1996 die Steuerschulden.
Nachdem das FA erfahren hatte, daß die Klägerin mit ihrem Ehemann durch notariellen Kaufvertrag vom 15. November 1996 ein mit einem Wohngebäude bebautes Grundstück zum Preis von 280 000 DM gekauft hatte, widerrief es den Erlaß durch Bescheid vom 8. Januar 1997 gemäß § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO 1977). Der Einspruch blieb erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) hob die Widerrufsverfügung auf, weil ein Widerrufsgrund nicht gegeben sei. Es führte zur Begründung aus, nach § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 könne ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründe, nur dann zurückgenommen werden, wenn ihn der Begünstigte durch Angaben bewirkt habe, die in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gewesen seien. Daß die Klägerin am 14. November 1996 unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht habe, sei nicht ersichtlich. Die fehlende Mitteilung über den bevorstehenden Grundstückskauf rechtfertige keine Zurücknahme. Durch den Hauserwerb sei keine Änderung der Vermögenssituation der Klägerin bzw. ihrer Familie eingetreten. Denn das Grundstück sei vollständig mit Hilfe von Fremdmitteln erworben worden. Deshalb habe sich die Vermögenssituation der Klägerin nicht geändert. Demzufolge sei der Grundstückserwerb für die Frage der Erlaßsituation nicht entscheidungserheblich.
Nicht wesentlich i.S. von § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO 1977 sei auch, ob die Klägerin im Anschluß an den Erwerb des Grundstücks die steuerliche Förderung nach dem Eigenheimzulagengesetz in Anspruch nehme. Einerseits sei diese Inanspruchnahme nicht zwingend. Zum anderen diene die Eigenheimzulage der Förderung familiengerechten Wohnens im eigenen Wohneigentum. Dieser Förderungszweck würde tangiert, wenn ein in die Zukunft gerichteter Anspruch auch auf die Eigenheimzulage dem Erlaß von Steuern aus persönlichen Gründen entgegenstünde.
Dagegen hat das FA die vom Senat zugelassene Revision eingelegt. Es rügt Verletzung von § 96 Abs. 1 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das FG sei bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß der Vater der Klägerin für den Hauskauf 50 000 DM darlehensweise zur Verfügung habe stellen sollen. Daß dieser Betrag der Klägerin darlehensweise von ihrem Vater überlassen worden sei, und nicht etwa geschenkt worden sei, lasse sich den Akten nicht entnehmen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet; das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG hat ―nach seiner Rechtsauffassung― entscheidungserhebliche Tatsachen nicht aufgeklärt und damit gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
Das FG ist bei seiner Entscheidung davon ausgegangen, daß der Vater der Klägerin den zur Verfügung gestellten Betrag von 50 000 DM nur darlehensweise hingegeben habe. Wie jedoch das FA zutreffend vorgetragen hat, ist ein derartiger Sachverhalt den Akten nicht zu entnehmen und kann auch nicht mündlich vorgetragen sein, weil eine mündliche Verhandlung nicht stattgefunden hat. Hierin liegt ein Verstoß gegen § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO, der zur Zurückverweisung der Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG führt.
Zur weiteren Begründung verweist der Senat auf das Urteil des III. Senats des Bundesfinanzhofs vom 23. März 1999 III R 46/98, das in dem Parallelverfahren des Ehemanns der Klägerin ergangen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 154699 |
BFH/NV 1999, 1615 |