Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Erfordernis der Verständlichkeit eines mittels weitgehender Bezugnahmen abgefaßten Urteilstatbestandes
Leitsatz (NV)
1. Gibt der Tatbestand eines angefochtenen Urteils einschließlich der in Bezug genommenen Schriftstücke den zum Verständnis seines Inhalts erforderlichen Sach- und Streitstand nicht hinreichend wieder, so bildet die Entscheidung keine Grundlage für deren sachliche Nachprüfung durch das Revisionsgericht. Das angefochtene Urteil kann dann auch ohne diesbezügliche Rüge aufgehoben werden.
2. Verweist ein Urteil hinsichtlich umfangreicher Vertragsbündel global auf einen Aktenband und merkt es hierzu an, diese Unterlagen seien mit den in einem Urteil des BFH beurteilten "weitestgehend identisch", reicht diese Bezugnahme schon deswegen nicht aus, weil nicht erkennbar ist, inwieweit die Streitstoffe jenes und des nunmehr vorliegenden Verfahrens nicht übereinstimmen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, hinsichtlich der zu beurteilenden Verträge Fassungsvergleiche anzustellen.
3. Bezwecken die Beteiligten mit dem Vortrag neuer Tatsachen und mit umfangreichen Beweisanträgen eine gegenüber einem in einer gleichgelagerten Sache ergangenen Urteil günstigere Beurteilung durch das FG, ist dieser Vortrag "maßgeblicher Sach- und Streitstand" i. S. des § 105 Abs. 3 Satz 1 FGO, der im Tatbestand des Urteils dargestellt werden muß.
Normenkette
FGO § 105 Abs. 2 Nr. 4, Abs. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) sind Gesellschafter des S-Fonds. Gesellschaftszweck ist die Vergabe von Darlehen nach § 17 des Berlinförderungsgesetzes (BerlinFG). Geschäftsführungsbefugt ist der Kläger zu 1, der zugleich Geschäftsführer der in die Vergabe der Darlehen als Treuhänderin eingeschalteten X-GmbH ist. Bis auf den Kläger zu 1 beteiligten sich alle Mitglieder des S-Fonds zugleich an dem T- Fonds. Von den Beteiligungen an dem "Kombi-Fonds" entfielen 5 v. H. des Zeichnungsbetrages auf den S-Fonds und die restlichen 95 v. H. auf den T-Fonds.
Der S-Fonds vergab in den Streitjahren 1982 und 1983 zwei Darlehen von jeweils ... DM an die A-KG und die B-KG, zwei sog. Objektgesellschaften, die wie die X-GmbH zur Z-Gruppe gehören. Die Mittel für diese Darlehen wurden bis auf den geringen Eigenanteil über die H-Bank refinanziert. Während die Kläger insoweit geltend machen, sie seien Vertragspartner der H-Bank, sieht der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) die Treuhänderin deswegen als Darlehensnehmerin der Refinanzierungskredite an, weil die Kläger wegen der weitgehenden Haftungsfreistellung im Verhältnis zur X-GmbH kein eigenes wirtschaftliches Risiko getragen hätten. Im übrigen hält es das FA für unangemessen, daß der S-Fonds die zur Darlehensgewährung bestimmten Beträge nicht dem eigenen T-Fonds, sondern anderen zur Z-Gruppe gehörenden Objektgesellschaften überlassen habe. Der T-Fonds habe deshalb einen Teil seines Kreditbedarfs bei einem anderen Fonds decken müssen, der ebenfalls zur Z- Gruppe gehört.
Das FA gewährte im Einspruchsverfahren die beantragte Vergünstigung nur in Höhe des vom Kläger zu 1 dem S-Fonds zur Ver fügung gestellten Eigenanteils von ... DM (jeweils 1982 und 1983). Soweit es im Einspruchsverfahren die X-GmbH hinzugezogen und dieser die Vergünstigung in Höhe der Fremdmittel von jeweils ... DM (1982 und 1983) zuerkannt hatte, hat das FA auf die Klage der Treuhänderin die Anerkennung zurückgenommen.
Das Finanzgericht (FG) hat die hiergegen gerichtete Klage als unbegründet abgewiesen.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügen die Kläger Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie machen vor allem geltend:
Zur personellen Zurechnung der Darlehensaufnahme habe das FG zu Unrecht angenommen, die Refinanzierungsdarlehen seien von der X-GmbH im eigenen Namen und auch auf eigene Rechnung aufgenommen worden. Insoweit beruhe das Urteil auf einer mangelhaften Sachaufklärung; jedenfalls hätte das FG von Amts wegen die näheren Umstände des Abschlusses der Verträge über die Refinanzierungsdarlehen aufklären müssen.
Auch soweit das FG seine Entscheidung auf das Vorliegen eines Gestaltungsmißbrauchs gestützt habe, seien mangelnde Sachverhaltsaufklärung und Verletzung materiellen Rechts zu rügen.
Die Kläger beantragen, das Urteil des FG sowie die Bescheide über die gesonderte und einheitliche Feststellung der Einkünfte für 1982 und 1983 vom 27. November 1986 und 27. April 1990 in der Form der hierzu ergangenen Einspruchsentscheidungen vom 30. April und 15. Oktober 1993 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat schon aus anderen als den geltend gemachten Gründen Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des FG-Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Das Urteil des FG entspricht nicht den Mindestanforderungen, die an seinen Inhalt gestellt werden müssen. Es fehlt an der hinreichenden Darstellung des Tatbestandes (§ 105 Abs. 2 Nr. 4 und Abs. 3 FGO).
1. Nach § 105 Abs. 3 Satz 1 FGO ist der Sach- und Streitstand unter Hervorhebung der gestellten Anträge "seinem wesentlichen Inhalt nach gedrängt darzustellen". "Wegen der Einzelheiten" soll auf Schriftsätze, Protokolle und andere Unterlagen verwiesen werden, soweit sich aus ihnen der Sach- und Streitstand ausreichend ergibt.
Nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. September 1989 VII R 61/87 (BFHE 158, 13, BStBl II 1989, 979, m. w. N.) muß der Tatbestand eines Urteils in sich verständlich sein. Die Darstellung muß ein knapp gehaltenes, klares, vollständiges und in sich abgeschlossenes Bild des Streitstoffes in logischer Folge und unter Hervorhebung der Anträge der Beteiligten enthalten. Verweisungen auf Schriftstücke sind zulässig, aber nur wegen der Einzel heiten (§ 105 Abs. 3 Satz 2 FGO). Entscheidungserhebliche tatsächliche Feststellungen können durch die Bezugnahme nicht ersetzt werden (BFH-Urteil vom 14. Mai 1992 V R 96/90, BFHE 168, 306, BStBl II 1992, 1040). Gibt der Tatbestand eines angefochtenen Urteils einschließlich der in Bezug genommenen Schriftstücke den zum Verständnis seines Inhalts erforderlichen Sach- und Streitstand nicht hinreichend wieder, so bildet die Entscheidung keine Grundlage für deren sachliche Nachprüfung durch das Revisionsgericht (BFH-Urteil vom 21. Januar 1981 I R 153/77, BFHE 133, 33, 35, BStBl II 1981, 517, 518). Das angefochtene Urteil kann dann auch ohne diesbezügliche Rüge aufgehoben werden.
2. Der Tatbestand des FG-Urteils erfüllt diese Voraussetzungen nicht. Aufgrund der zu knappen Wiedergabe des Tatbestandes des angefochtenen Urteils ist die Begründung nicht hinreichend nachvollziehbar und überprüfbar.
a) Das FG hat zwar hinsichtlich der umfangreichen Vertragsbündel global auf die in Bd. II der FG-Akten abgehefteten Verträge Bezug genommen und hierzu angemerkt, diese Unterlagen seien mit den im Senats urteil vom 28. November 1990 X R 109/89 (BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327) beurteilten "weitestgehend identisch". Diese Bezugnahme reicht aber schon deswegen nicht aus, weil nicht erkennbar ist, inwieweit die Streitstoffe jenes und des vorliegenden Verfahrens nicht übereinstimmen. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, z. B. hinsichtlich der zu beurteilenden Verträge Fassungsvergleiche anzustellen. Fehlte es etwa insoweit an der Identität, hätte das FG darlegen müssen, welche die für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits maßgeblichen Vertragsklauseln sind und ob und ggf. in welcher Hinsicht diese sich von jenen Vertragsinhalten unterscheiden, die in früheren Verfahren Gegenstand von Revisionsentscheidungen waren.
b) Die Kläger bezweckten mit dem vorliegenden Rechtsstreit, insbesondere durch Vortrag neuer Tatsachen ihrem rechtlichen Begehren zum Erfolg zu verhelfen. In diesem Zusammenhang haben sie umfangreiche Beweisanträge gestellt, die insofern i. S. des § 105 Abs. 3 Satz 1 FGO maßgeblicher "Sach- und Streitstand" des Ausgangsverfahrens waren und deren Quintessenz im Urteilstatbestand dargestellt werden mußte. Dieser prozessualen Pflicht durfte sich das FG nicht mit der allgemeinen Bezugnahme auf die "Beweisanträge Bl. 6 ff. der Streit akten" und mit dem wertenden Hinweis entledigen, diese Anträge enthielten "keinen Tatsachenkern". Ersichtlich haben die Kläger auf die Rechtsausführungen des erkennenden Senats in ganz oder teilweise gleichgelagerten früheren Verfahren vor allem mit dem tatsächlichen Vorbringen reagiert, die schriftlichen Verträge gäben "die Rechte und Pflichten nicht wie erklärt wieder" und die H-Bank sei "nur bereit gewesen, die Finanzierungskredite direkt an den Fonds (= die GbR) zu vergeben".
Auf der Grundlage der vom Senat in seinem Urteil in BFHE 163, 264, BStBl II 1991, 327 vertretenen Auffassung ist auch der Tatsachenvortrag erheblich, die X-GmbH habe die Darlehen an die Objektgesellschaft "in offener Stellvertretung für die Kläger selbst vergeben". Mit diesem Vortrag befaßt sich auch das FG in anderem Zusammenhang und stellt damit seine Wertung, die Beweisanträge enthielten keinen Tatsachenkern, selbst in Frage.
c) Das FG-Urteil mußte deshalb auch ohne diesbezügliche Revisionsrüge aufgehoben werden. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen.
3. Der Senat weist zur weiteren Förderung des Verfahrens auf folgende Gesichtspunkte hin:
a) Der Vortrag der Kläger läßt offen, ob und auf welcher Rechtsgrundlage eine vom Treuhand- und Gesellschaftsvertrag abweichende -- weil die unmittelbare Haftung der Kläger gegenüber der H-Bank begründende -- Refinanzierung zivilrechtlich hätte wirksam werden können. Der Kläger zu 1 hat, so trägt die Revision vor, "die Vorgehensweise der H-Bank" -- nämlich die Vergabe der Finanzierungskredite direkt an den Fonds -- "als geschäftsführender Gesellschafter ... gegenüber dem Darlehensfonds gelten lassen". Es ist indes nichts dazu vorgetragen worden, daß er hierzu befugt gewesen wäre. Er konnte -- ein Handeln in fremdem Namen unterstellt -- die übrigen Mitglieder des S- Fonds GbR nicht aus eigenem Recht gegenüber der H-Bank zu einer Rückzahlung der Refinanzierungsdarlehen verpflichten; er bedurfte insoweit der Zustimmung der Kläger. Diese ist nach deren eigener Darlegung jedenfalls nicht zeitnah zum rechtsgeschäftlichen Geschehen erteilt worden. Die Kläger hatten es hiernach in der Hand, durch eine Verweigerung der Zustimmung die wirtschaftlichen Folgen einer Darlehensaufnahme zu Lasten des Klägers zu 1 oder der X-GmbH von sich abzuwenden.
Im übrigen haben die Kläger nicht substantiiert -- unter Angabe von Ort und Zeit entsprechender Erklärungen -- dargetan, daß sie einer Aufnahme der Darlehen -- und zwar ohne jegliche Haftungsbeschränkung -- zugestimmt oder sie nachträglich genehmigt hätten (§§ 182 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs). Sie haben nicht behauptet, sie hätten zeitnah zu den Streitjahren 1982 und 1983 ihr Einverständnis mit einem Darlehensvertrag erklärt, der ihnen schriftlich nicht vorlag und ihrem ausdrücklich niedergelegten Willen einer Haftungsbeschränkung widersprach.
b) Sollte es sich so verhalten, daß es im vorliegenden Rechtsstreit um Rechtsfragen geht, über die der BFH bereits in einem Pa rallelverfahren entschieden hat, hat das FG im Regelfall keinen Grund, die Revision zuzulassen. Läßt es gleichwohl die Revision zu, können sich hieran die Fragen knüpfen, ob dies offensichtlich gesetzwidrig ist und welche verfahrensrechtlichen Folgerungen sich hieraus ergeben.
Fundstellen
Haufe-Index 421658 |
BFH/NV 1997, 295 |