Leitsatz (amtlich)
Die Einstellung von Prüfungshandlungen einschließlich der Ablehnung der Schlußbesprechung stellt einen Verwaltungsakt mit unmittelbarer Wirkung gegen den Steuerpflichtigen dar, für den ihm der Beschwerdeweg nach § 230 Abs. 1 AO offensteht.
Normenkette
AO §§ 230-231; BpO (St) § 14 Nr. 1 S. 1
Tatbestand
Der Steuerpflichtige betreibt eine Maschinenfabrik. Mit Verfügung vom 20. März 1970 ordnete der Beklagte und Revisionskläger zu 1. (FA) bei dem Steuerpflichtigen eine Betriebsprüfung an, die von der Großbetriebsprüfungsstelle B ab 15. September 1970 durchgeführt wurde. Die Prüfung erstreckte sich auf die Jahre 1965 bis 1967 und wurde durch Verfügung des FA vom 14. September 1970 auf das Jahr 1968 erweitert. Zwischen den beteiligten Dienststellen der Finanzverwaltung und dem Steuerpflichtigen bestand Einverständnis darüber, streitig gebliebene Tatbestände aus der vorangegangenen Prüfung zu behandeln. Im Zuge der Prüfung hielt es die Prüfungsstelle für notwendig, Prüfungsfragen schriftlich zu stellen und die Beantwortung in schriftlicher Form anzufordern. Eine entsprechende Übereinkunft wurde mit dem Steuerpflichtigen getroffen. Die Prüfung wurde mehrmals unterbrochen, was dem Steuerpflichtigen Gelegenheit gab, Auskünfte und Antworten auf von den Prüfern gestellte Fragen vorzubereiten und bereits gestellte Fragen zu beantworten und als nicht ausreichend angesehene Auskünfte zu ergänzen.
Bei der Wiederaufnahme der Prüfung ergab sich jeweils, daß entgegen den Auflagen der Prüfer zahlreiche Fragen bis dahin unbeantwortet oder bis dahin nur unvollständig beantwortet waren. Im Einvernehmen mit dem FA teilte die Großbetriebsprüfungsstelle dem Steuerpflichtigen mit Schreiben vom 16. Februar 1971 mit, daß sie ihre Prüfungshandlungen im Betrieb einstelle und die Durchführung einer Schlußbesprechung ablehne.
Der Steuerpflichtige wandte sich hiergegen mit der Beschwerde, die die OFD durch Entscheidung vom 21. Mai 1971 als unzulässig zurückwies. Die OFD vertrat hierbei die Auffassung, daß die umstrittene Mitteilung der Großbetriebsprüfungsstelle keine Verfügung enthalte, die mit der Beschwerde angefochten werden könne.
Die hiergegen vom Steuerpflichtigen erhobene Klage hatte insofern Erfolg, als das FG die Beschwerde gegen die Beendigung der Betriebsprüfung für zulässig hielt. Einer Entscheidung zur Sache enthielt sich das FG mit Rücksicht darauf, daß es nicht eigenes Ermessen an Stelle des Ermessens der Verwaltungsbehörden setzen dürfe. Es sei vielmehr Sache der dem Verfahren beigetretenen OFD, als Beschwerdebehörde darüber zu entscheiden, ob die Verfügung über die Beendigung der Betriebsprüfung sich innerhalb des der Verwaltung eingeräumten Ermessensspielraums gehalten habe.
Das FG ging im wesentlichen davon aus, daß die Entscheidung über die vorzeitige Beendigung der Betriebsprüfung nicht lediglich ein innerdienstlicher Vorgang sei, sondern ein Verwaltungsakt, der das Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde regele und nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben zu treffen sei. Zwar habe der Steuerpflichtige keinen Rechtsanspruch auf die Durchführung einer Betriebsprüfung, wohl aber auf fehlerfreie Ermessensausübung, die auch bei vorzeitiger Beendigung einer Betriebsprüfung zu beachten sei.
Entscheidungsgründe
Die Revisionen des FA und der OFD, mit denen die Zulässigkeit des Beschwerdewegs sowie Rechtsschutzinteresse des Steuerpflichtigen bestritten werden, können keinen Erfolg haben.
Die Revisionen sind zulässig.
Der Wert des Streitgegenstandes übersteigt zumindest die in § 115 Abs. 1 FGO vorgesehene Grenze von 1 000 DM.
Sowohl im Beschwerdeverfahren wie auch im Klageverfahren wurde der Streitwert auf 1 500 DM festgesetzt. Der Senat hält diesen Streitwert auch für die Revisionen zumindest für gegeben. Bei Betrieben der Größenordnung des Steuerpflichtigen (Großbetrieb und Umsatz 1967 von rd. 8. Mio DM und mit Gewinn 1967 von rd. 600 000 DM) haben Prüfungshandlungen der Finanzbehörden in der Regel erhebliches Gewicht. Bei Betrieben dieser Größenordnung ist auch mit größeren steuerlichen Auswirkungen der Prüfung zu rechnen. Mit der erstrebten Fortsetzung der Betriebsprüfung will der Steuerpflichtige erreichen, daß die vom FA aus der von diesem behaupteten Verletzung der Mitwirkungspflicht gezogenen erheblichen steuerlichen Folgerungen nicht zum Zuge kommen. In Anbetracht dieser Umstände übersteigt der Wert des Streitgegenstandes auch für die Revisionen nach Auffassung des Senats die in § 115 Abs. 1 FGO vorgesehene Mindestgrenze von 1 000 DM.
Die Revisionen sind jedoch nicht begründet.
Mit der Vorinstanz geht der Senat davon aus, daß die im Einvernehmen mit dem FA erfolgte Mitteilung der Großbetriebsprüfungsstelle vom 15. Februar 1971 eine Verfügung darstellt, gegen die gemäß § 230 AO die Beschwerde gegeben ist. Es ist zweifelhaft, ob, wie die Vorinstanz meint, in der fraglichen Mitteilung die Ankündigung der formellen Beendigung der Betriebsprüfung zu sehen ist. Im Schrifttum ist diese Frage umstritten. So wird vereinzelt die Auffassung vertreten, daß die Betriebsprüfung mit ihrem tatsächlichen Ablauf oder der Schlußbesprechung endet (vgl. Kuntze-Hatnick, Betriebsprüfung und Schlußbesprechung, S. 18 ff.). Demgegenüber wird im Zusammenhang mit der Möglichkeit des Wiederauflebens einer strafbefreienden Selbstanzeige nach § 395 Abs. 1 i. V. mit Abs. 2 Nr. 1 AO die Meinung vertreten, daß eine steuerliche Betriebsprüfung erst dann als abgeschlossen gelte, wenn das FA die aufgrund der Betriebsprüfung erlassenen Bescheide abgesandt oder den Prüfungsvorgang wegen Ergebnislosigkeit zu den Akten geschrieben habe (vgl. § 15 Abs. 3 BpO(St)); Franzen-Gast, Steuerstrafrecht, 1969, § 395 AO Randnummer 113 ff.). Schröder-Delhey (Betriebsprüfungsordnung, § 15 Anm. 10 S. 284) halten die Betriebsprüfung erst mit der Rechtskraft der Bescheide für beendet. Diese Frage kann jedoch im Streitfall dahingestellt bleiben. Der Senat hält die Einstellung von Prüfungshandlungen, insbesondere die Ablehnung einer Schlußbesprechung, in ihrer Wirkung für den Steuerpflichtigen für so gewichtig, daß dies in der Wirkung einem vorzeitigen Abbruch der Betriebsprüfung gleichkommt und daher hinsichtlich der Beschwerdefähigkeit im Sinne von § 230 AO nicht anders als eine Beendigung der Betriebsprüfung zu beurteilen ist.
Der vorzeitige Abbruch von Prüfungshandlungen stellt auch nicht nur einen innerdienstlichen Vorgang, sondern einen darüber hinausgehenden Verwaltungsakt dar, der maßgeblich und unmittelbar in das Steuerrechtsverhältnis zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde eingreift und der nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung der Grundsätze von Treu und Glauben zu treffen ist. Für einen derartigen Verwaltungsakt ist wesentlich, daß er einen gestaltenden Einzeleingriff in ein Rechtsverhältnis vornimmt oder eine solche Gestaltung ablehnt. Der Verwaltungsakt muß einen konkreten Einzelfall regeln oder gestalten. Verwaltungsakte sind deshalb alle einseitigen Akte einer Verwaltungsbehörde, von welchen eine unmittelbare rechtliche Wirkung ausgeht (vgl. Eyermann-Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 12 ff. zu § 42). In diesem Sinne entspricht es ständiger Rechtsprechung des BFH, daß die Entscheidung über die Anordnung einer Betriebsprüfung ein Verwaltungsakt ist, der nach billigem Ermessen zu erlassen ist. Denn durch die Prüfung wird unmittelbar in die Rechtsstellung des Steuerpflichtigen eingegriffen (vgl. BFH-Beschluß vom 13. Februar 1968 Gr. S. 5/67, BFHE 91, 351 [359, 360], BStBl II 1968, 365; Maassen, FR 1970, 229 [230]; Offerhaus, Der Steuerberater 1970 S. 24 [25] li. Sp.). Nichts anderes kann für die tatsächliche Durchführung der Betriebsprüfung selbst gelten. Im Einklang hiermit hält der I. Senat in seiner Entscheidung vom 28. Februar 1961 I 234/60 (HFR 1961, 134) es für einen Verstoß gegen Treu und Glauben, wenn der Prüfer eine bereits begonnene Betriebsprüfung nur deshalb abbricht, weil er die Aufdeckung neuer Tatsachen zugunsten des Steuerpflichtigen vermeiden will. Dieser ist insoweit durch die Betriebsprüfung in seinen Rechten verletzt. Überträgt man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall, so spricht für die Zulässigkeit des Beschwerdewegs allein schon, daß durch den Abbruch der Betriebsprüfung, die eine Ablehnung der in der BpO(St) vorgesehenen Gestaltung der Betriebsprüfung in sich schließt, eine unmittelbare Regelung zwischen dem Steuerpflichtigen und der Finanzbehörde getroffen wird. Diese nimmt dem Steuerpflichtigen zumindest die Möglichkeit, im weiteren Verlauf der Prüfung, insbesondere in einer Schlußbesprechung, offene Streitpunkte im Einvernehmen mit dem FA zwecks Meidung von Rechtsmitteln abschließend zu regeln. Gerade letztere aber sieht § 14 Nr. 1 Satz 1 BpO(St) für die Finanzverwaltung bindend vor. Eine Schlußbesprechung kann danach nur entfallen, wenn keine Änderung der Besteuerungsgrundlagen und der Steuerbescheide zu erwarten ist oder der Steuerpflichtige auf eine Schlußbesprechung ausdrücklich verzichtet. Keine dieser Voraussetzungen für die Nichtabhaltung einer Schlußbesprechung liegt hier vor. Wenn auch die Vorschriften der BpO(St) keine die Steuergerichte bindenden Rechtsnormen enthalten, so eröffnet zumindest ihre ermessensfehlerhafte Nichteinhaltung durch die Finanzbehörden dem davon betroffenen Steuerpflichtigen den Beschwerdeweg nach § 230 AO. Es ist keinesfalls so, daß - wie die OFD in ihrer Beschwerdeentscheidung meint - der Abschluß der Prüfung lediglich ein tatsächliches Verhalten der Finanzbehörde darstelle, durch das lediglich zukünftige Maßnahmen der Verwaltung, nämlich der steuerlichen Auswirkung der getroffenen Feststellungen in berichtigten Steuerbescheiden vorbereitet werden sollen. Der vorzeitige Abbruch der Prüfungshandlungen einschließlich der Ablehnung der Schlußbesprechung stellt vielmehr einen Verwaltungsakt mit unmittelbarer Wirkung gegen den Steuerpflichtigen dar, für den ihm der Beschwerdeweg nach § 230 Abs. 1 AO offensteht (so auch Tipke-Kruse, Reichsabgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, Kommentar, Anm. 25 zu § 16 AO).
Das FA kann sich auch nicht darauf berufen, daß das Begehren des Steuerpflichtigen im Streitfall auch deshalb nicht zulässig sei, weil es ihm an einem Rechtsschutzinteresse gemäß § 231 AO, § 40 Abs. 2 FGO fehle. Wie bereits ausgeführt, ist der Steuerpflichtige durch den vorzeitigen Abbruch der Betriebsprüfung unter Umständen schon deshalb in seinen Rechten verletzt, weil er daran gehindert ist, möglicherweise eine ihm günstigere Ausgangsposition für die Veranlagung zu erreichen. Dies aber genügt für die Annahme eines schutzwürdigen Interesses des Steuerpflichtigen an der Ausschöpfung des Beschwerdewegs und der sich daran anschließenden Rechtsmittel (§ 231 Abs. 1 AO, § 40 Abs. 1 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 70445 |
BStBl II 1973, 542 |
BFHE 1973, 1 |