Leitsatz (amtlich)
Die Vorschriften über die Verpflichtung einer GmbH zur Einbehaltung und Abführung der Lohnkirchensteuer ihrer Arbeitnehmer und ihre Inanspruchnahme im Haftungswege bei Verletzung dieser Pflichten in § 1 Abs. 2 und 5 des Hamburgischen Gesetzes über den Kirchensteuer-Abzug vom Arbeitslohn vom 18. Januar 1965 - KiStAbzugsG - (Hamburgisches Gesetz- und Verordnungsblatt I 1965, 3, BStBl II 1965, 29) i. V. m. § 38 Abs. 3 EStG verstoßen nicht gegen das Grundgesetz.
Normenkette
GG Art. 1-4, 12, 14, 140; Weimarer Reichsverfassung Art. 137; KiStAbzugsG § 1 Abs. 2, 5
Verfahrensgang
FG Hamburg (Urteil vom 23.02.1973; Aktenzeichen I 65/71) |
Nachgehend
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, hat für die Zeit vom 1. Januar bis zum 31. Juli 1970 die Lohnkirchensteuer ihrer Arbeitnehmer von insgesamt 1 209,25 DM nicht einbehalten und nicht an den Beklagten und Revisionsbeklagten (FA) abgeführt, weil sie der Meinung ist, daß der Zwang zur Mitwirkung beim Einzug der Lohnkirchensteuer gegen Art. 12 Abs. 2 und gegen Art. 1 bis 4 GG verstoße. Gegen den Lohnkirchensteuer-Haftungsbescheid vom 31. August 1970, mit dem das FA die GmbH als Haftende nach § 38 Abs. 3 EStG und § 1 Abs. 5 des Gesetzes über den Kirchensteuer-Abzug vom Arbeitslohn vom 18. Januar 1965 - KiSt-AbzugsG - (Hamburgisches GVBl I 1965, 3, BStBl II 1965, 29) in Anspruch nahm, legte die GmbH Einspruch ein, den das FA zurückwies.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das FG hielt die Belastung der Arbeitgeber mit der Einziehung der Lohnkirchensteuer für verfassungsgemäß.
Mit der Revision rügt die Klägerin Verletzung der Art. 1 bis 3, 12, 14 und 140 GG i. V. m. Art. 136 f. der Weimarer Reichsverfassung. Sie trägt u. a. vor: Die Verfassungsmäßigkeit der Mitwirkungsverpflichtung der Arbeitgeber beim Lohnsteuereinzug werde nicht bestritten. Mit den Verhältnissen beim Lohnsteuereinzug sei der Lohnkirchensteuereinzug jedoch nicht zu vergleichen. Die Abwälzung der dem Staat gegenüber den Kirchen obliegenden Verpflichtungen auf die Arbeitgeber sei nicht verfassungskonform. Arbeitgeber erfüllten insoweit weder eine Fürsorgepflicht gegenüber ihren Arbeitnehmern noch eine Aufgabe des Allgemeinwohls. Denn eine etwaige Verminderung des Kirchensteueraufkommens würde nicht die Allgemeinheit, sondern die Kirchen treffen, deren Interesse nicht mit dem Gemeinwohl gleichgesetzt werden könne. Zudem zögen zahlreiche Kirchengemeinden und freien Religionsgemeinschaften ihre Abgaben ohne Inanspruchnahme des Staates und der Arbeitgeber ein. Ein unvereinbarer Widerspruch liege darin, daß der Hamburger Staat, der für seine Tätigkeit eine Pauschalgebühr von 4 v. H. des Kirchensteueraufkommens erhalte, die Arbeitgeber ohne Entgelt heranziehe. Das Neutralitätsgebot werde verletzt, soweit der Staat über die seiner unmittelbaren Verfügungsgewalt unterliegenden Verwaltungsmittel hinausgreife und private Gruppen gegen ihren Willen zur Erfüllung der von ihm den Kirchen gegenüber übernommenen Pflichten heranziehe.
Entscheidungsgründe
Die Revision der GmbH ist nicht begründet.
Zutreffend hat die Vorinstanz den Finanzrechtsweg für gegeben erachtet (§ 5 des Gesetzes zur Ausführung der Finanzgerichtsordnung vom 17. Dezember 1965 - Hamburgisches GVBl I 1965, 225 -, i. V. m. § 33 Abs. 1 Nr. 4 FGO).
Die Revisibilität des § 1 KiStAbzugsG i. V. m. § 38 Abs. 3 EStG ist gegeben. Dies ergibt sich sowohl aus § 1 Abs. 1 Nr. 5 des Hamburgischen Gesetzes über die Anwendung der Reichsabgabenordnung und anderer Abgabengesetze vom 13. April 1962 (Hamburgisches GVBl I 1962, 105) i. d. F. des Gesetzes vom 17. Dezember 1965 (a. a. O.) - vgl. Urteil des BFH vom 20. Oktober 1972 VI R 56/69, BFHE 107, 349, BStBl II 1973, 170 - als auch aus § 1 Abs. 5 Satz 1 KiStAbzugsG. Die letztere Vorschrift sieht vor, daß die Vorschriften über das Verfahren bei der Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer und über die Haftung des Arbeitgebers beim Kirchensteuerabzug vom Arbeitslohn entsprechend gelten. Zu den entsprechend anwendbaren Vorschriften gehört auch § 118 Abs. 1 Satz 1 FGO, der bei Verletzung von Bundesrecht ohne Einschränkung die Nachprüfbarkeit im Revisionsverfahren vorschreibt.
Die Inanspruchnahme der GmbH im Haftungswege nach § 1 Abs. 2 und 5 KiStAbzugsG i. V. m. § 38 Abs. 3 EStG 1969 verstößt nicht gegen das Grundgesetz. Der Senat hat im Urteil vom 4. Juli 1975 VI R 173/72 (BFHE 116, 485, BStBl II 1975, 839) ausgeführt, daß die Religionsgemeinschaften, welche Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, nach Art. 137 Abs. 6 der Weimarer Reichsverfassung, der durch Art. 140 GG Bestandteil des Grundgesetzes geworden ist, "auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten" berechtigt sind, nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen Steuern zu erheben und daß bei sinngemäßer Auslegung auf der Grundlage des geltenden Steuerrechts hierunter die Erhebung der Kirchensteuer in Anknüpfung an die Einkommensteuer zu verstehen sei. Er hat in diesem Urteil seine bereits im Urteil vom 28. Februar 1969 VI R 163/67 (BFHE 95, 310, BStBl II 1969, 419) dargelegte Auffassung bestätigt, daß die Erhebung der Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer mit dem Grundgesetz vereinbar ist, und hat ferner auf den Beschluß des BVerfG vom 20. April 1966 1 BvR 16/66 (BStBl I 1966, 694) hingewiesen, in dem auch das BVerfG die Verfassungsmäßigkeit der Verknüpfung von Einkommensteuer und Kirchensteuer bejaht hat. Im Urteil VI R 173/72 ist des weiteren ausgeführt, daß die Lohnsteuer lediglich eine Erhebungsform der Einkommensteuer sei und daß es keinem Zweifel unterliege, daß auch die Erhebung von Kirchensteuer als Zuschlag zur Lohnsteuer, also auch im Lohnsteuerabzugsverfahren durch den Arbeitgeber, verfassungsgemäß sei. Zur weiteren Begründung hat der Senat in diesem Urteil auf mehrere, die Verfassungsmäßigkeit der Kirchensteuerabzugspflicht bejahende nicht veröffentlichte Beschlüsse hingewiesen, gegen die Verfassungsbeschwerde erhoben war, die ein Dreierausschuß des BVerfG nicht zur Entscheidung angenommen hat. Der Senat hält an seiner Auffassung auch im Streitfall fest.
Soweit die Klägerin eine Beschränkung der Berufsausübung (Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG) und eine Beeinträchtigung ihres Eigentumsrechts (Art. 14 Abs. 1 GG) behauptet, liegt schon deshalb keine Grundrechtsverletzung vor, weil die Eingriffe durch Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 der Weimarer Reichsverfassung gedeckt werden. Die Vorschriften des Grundgesetzes stehen nebeneinander und müssen, soweit sie sich berühren, sinnvollerweise ausgelegt werden. In diesem Sinne enthält Art. 140 GG auch eine Einschränkung der weiteren von der Klägerin bezeichneten Artikel sowie des Art. 4 Abs. 1 GG, wie der Senat bereits im Urteil VIR 173/72 ausgeführt hat. Gegen die Einschaltung des Arbeitgebers in die Einbehaltung der Lohnkirchensteuer und seine Haftbarmachung dafür durch landesgesetzliche Regelung können hiernach grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken nicht vorgebracht werden.
Auch die Einzelheiten dieser Regelung lassen Grundrechtsverstöße nicht erkennen. Denn die landesrechtlichen hamburgischen Vorschriften schließen sich uneingeschränkt an die bundesrechtlichen Vorschriften über die Lohnsteuerpflichten und die Lohnsteuerhaftung des Arbeitgebers an. Diese Vorschriften sind auch nach Auffassung der Klägerin nicht verfassungswidrig. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die vom Landesgesetzgeber getroffene Regelung (z. B. die Unentgeltlichkeit der Arbeitgeberpflichten und der Arbeitgeberhaftung) die beste oder gerechteste Lösung war. Auch wenn dies nicht der Fall sein sollte, ist jedenfalls das Grundgesetz nicht verletzt worden; denn z. B. auch für die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer und die Haftung dafür wird den Arbeitgebern ein Entgelt nicht gezahlt. Die Verpflichtung des Arbeitgebers in beiden Fällen ist Ausfluß des öffentlich-rechtlichen Verhältnisses zwischen Staat und Staatsbürger. Aus diesen Gründen ist auch insoweit eine Verletzung des Grundgesetzes nicht erkennbar.
Fundstellen
Haufe-Index 71705 |
BStBl II 1976, 104 |
BFHE 1976, 338 |