Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung als Einfamilienhaus trotz gewerblicher Mitbenutzung
Leitsatz (NV)
1. Für die Bestimmung des Flächenverhältnisses der Nutzung zu Wohnzwecken und der Nutzung zu anderen Zwecken sind auch nicht in der Wohnflächenberechnung enthaltene Zubehörräume oder Nebenräume einzubeziehen, wenn sich die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken auf derartige Räume erstreckt.
2. Das Aufstellen von Sonnenkollektoren, die Anbringung einer Werbetafel, die Nutzung einer Garage als Lagerraum sowie die Nutzung von Abstellplätzen durch Mitarbeiter des gewerblich tätigen Mieters (Ingenieurbüro) führen nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Eigenart des Einfamilienhauses.
Normenkette
BewG § 75 Abs. 5-6
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war am Stichtag 1. Januar 19. . Eigentümerin eines 15 Ar großen Hanggrundstücks, das im Jahre 19. . mit einem zweigeschossigen Gebäude mit je einer abgeschlossenen Wohnung im Erdgeschoß sowie im Obergeschoß von 96 qm bzw. 97,6 qm bebaut worden war.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt - FA -) hatte dieses Grundstück auf den 1. Januar 1964 als Zweifamilienhaus bewertet. Im Jahre 19. . wurden auf dem Grundstück zur Straße hin vier Garagen in versetzter Bauweise mit einer darunterliegenden einseitig offenen Gartenhalle errichtet. Unter Umwandlung dieser Gartenhalle in Liege- und Ruheräume wurden 19. . ein eingeschossiger Schwimmhallenanbau sowie ein Zwischenbau mit Sauna und Dusche mit einer anrechenbaren Fläche von insgesamt 64 qm erbaut. Außerdem sind im Untergeschoß des Hauptgebäudes zwei Zimmer mit Vorraum mit einer Fläche von insgesamt 26,73 qm und im Dachgeschoß zwei Zimmer und ein WC mit einer Fläche von insgesamt 56 qm ausgebaut worden. Die Räume im Erdgeschoß sowie die vier Garagen wurden bereits vor dem Stichtag 1. Januar 19. . an ein Ingenieurbüro mit mehr als zehn Mitarbeitern zu gewerblichen Zwecken vermietet. Dabei blieben die notwendigen Einrichtungen für die Küche bestehen; sie wurde von den Mitarbeitern des Mieters als ,,Kaffeeküche" genutzt. Die gewerbliche Nutzung der Erdgeschoß-Räume war von außen nicht erkennbar. Am Dachrand der Garagen neben dem Hofeingang ist ein ca. 140 cm x 58 cm großes Schild mit der Aufschrift ,,Dieses Haus heizt die Sonne" sowie einem Hinweis auf das Solartechnik-Ingenieurbüro des Mieters angebracht worden. Auf dem Flachdach der Garagen sind ferner zu Werbe- und Demonstrationszwecken vier Reihen Sonnenkollektoren mit einer Fläche von insgesamt 38 qm errichtet worden. Eine der vier Garagen wird als Lagerraum genutzt.
Das FA stellte für das Grundstück im Wege der Art- und Wertfortschreibung auf den Stichtag 1. Januar 19. . die Grundstücksart Einfamilienhaus fest.
Die nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage hatte Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) schloß sich der Auffassung der Klägerin an und bewertete das Grundstück als gemischtgenutztes Grundstück.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung von § 75 Abs. 5 des Bewertungsgesetzes (BewG).
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils und zur Abweisung der Klage. Das FA hat das Grundstück der Klägerin im Wege der Artfortschreibung zutreffend als Einfamilienhaus bewertet, weil es an diesem Stichtag nur eine Wohnung enthielt und die Eigenart als Einfamilienhaus durch die gewerbliche Mitbenutzung nicht wesentlich beeinträchtigt wurde.
1. Wohngrundstücke (§ 75 Abs. 1 Nrn. 1, 3 bis 5, Abs. 2, 4 bis 6 BewG) sind dadurch gekennzeichnet, daß sie - wenn auch in unterschiedlichem Umfang - Wohnzwecken dienen. Wohngrundstücke, die eine Wohnung enthalten, sind Einfamilienhäuser (§ 75 Abs. 5 Satz 1 BewG), Wohngrundstücke, die zwei Wohnungen enthalten, sind Zweifamilienhäuser (§ 75 Abs. 6 Satz 1 BewG). Erst wenn ein Wohngrundstück weder ein Einfamilienhaus noch ein Zweifamilienhaus ist, stellt sich kraft des entsprechenden Vorbehalts in § 75 Abs. 2 bzw. 4 BewG die Frage, ob es ein Mietwohngrundstück oder ein gemischtgenutztes Grundstück ist (vgl. zuletzt Senatsurteil vom 9. November 1988 II R 61/87, BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136 m. w. N.).
Wird ein Wohngrundstück, das nur eine Wohnung enthält, zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt, so gilt es (auch dann) als Einfamilienhaus, wenn durch diese Mitbenutzung die Eigenart als Einfamilienhaus nicht wesentlich beeinträchtigt wird (§ 75 Abs. 5 Satz 4 BewG). Das Gesetz bietet damit zwei Abgrenzungskriterien, nämlich zum einen den Begriff der ,,Mitbenutzung" und zum anderen die dadurch verursachte wesentliche Beeinträchtigung der Eigenart des (Wohn-)Grundstücks als Einfamilienhaus.
a) ,,Mitbenutzung" im Sinne des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG kann nur dann vorliegen, wenn die Nutzung zu anderen als Wohnzwecken nicht den Umfang der Nutzung zu Wohnzwecken erreicht bzw. übersteigt (vgl. zuletzt Senatsurteil in BFHE 155, 128, 130, BStBl II 1989, 135, 136). Dabei ist allein auf das Verhältnis der Nutzflächen, nicht jedoch auf das Verhältnis der Jahresrohmieten abzustellen (vgl. Senatsurteil vom 23. Oktober 1985 II R 250/81, BFHE 145, 92, BStBl II 1986, 173). Überwiegt die Nutzung zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken, so kommt es nicht mehr darauf an, ob die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Denn eine Mitbenutzung ist dann nicht gegeben. Andererseits beschränkt sich eine Mitbenutzung nicht auf eine Nutzung von untergeordneter Bedeutung. Die Mitbenutzung kann insbesondere einen Anteil von 20 v. H. übersteigen; die in § 75 Abs. 2 und 3 BewG für das Rohmietenverhältnis gezogene Grenze ist insoweit nicht maßgebend (vgl. hierzu das Senatsurteil in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136).
Für die Bestimmung des Flächenverhältnisses der Nutzung zu Wohnzwecken und der Mitbenutzung zu anderen Zwecken sind auch die Räume einzubeziehen, die wie Zubehörräume oder Nebenräume (z. B. Kellerräume oder Garagen) nach der Zweiten Berechnungsverordnung (II. BV) i. d. F. der Bekanntmachung vom 5. April 1984 (BGBl I 1984, 553, BStBl I 1984, 284) nicht in der Wohnflächenberechnung enthalten sind, wenn sich die Mitbenutzung zu anderen als Wohnzwecken auf derartige Räume erstreckt. Unerheblich ist, daß die nicht zu Wohnzwecken genutzten Räume baulich von der Wohnung getrennt sind und innerhalb eines äußerlich einheitlich erscheinenden Gebäudes eine gewisse Selbständigkeit aufweisen (vgl. zuletzt das Senatsurteil in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136 m. w. N.).
b) Ein Grundstück, das derart zu anderen als Wohnzwecken mitbenutzt wird, gilt nur dann nicht als Einfamilienhaus, wenn dadurch die Eigenart als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird. Diese Frage ist in erster Linie nach dem äußeren Erscheinungsbild des Grundstücks unter Berücksichtigung von bewertungsrechtlichen Einfamilienhäusern zu beantworten, die nicht zu öffentlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Zwecken mitbenutzt werden. Da der Begriff des Einfamilienhauses im bewertungsrechtlichen Sinne nicht ein von der Verkehrsanschauung bestimmter Begriff, sondern ein durch die Umschreibung in § 75 Abs. 5 BewG gekennzeichneter Rechtsbegriff ist (vgl. Senatsurteile vom 5. Februar 1986 II R 31/85, BFHE 146, 167, BStBl II 1986, 448, sowie in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136), kann nicht von einer etwa bestehenden allgemeinen Vorstellung vom Erscheinungsbild eines Einfamilienhauses ausgegangen werden. Daraus folgt, daß eine dem Begriff des Einfamilienhauses entgegenstehende Mitbenutzung des (Wohn-) Grundstücks zu anderen als Wohnzwecken nach außen in der Weise hervortreten muß, daß sie die Eigenart des Grundstücks deutlich prägt, also in den Vordergrund treten muß (vgl. auch Senatsurteile vom 23. Oktober 1985 II R 250/81, BFHE 145, 92, BStBl II 1986, 173, vom 12. November 1986 II R 48/85, BFHE 148, 76, BStBl II 1987, 104, und in BFHE 155, 128, 131, BStBl II 1989, 135, 136). An dieser Prüfungssystematik hält der erkennende Senat fest; er teilt insbesondere nicht die von der Vorinstanz geäußerten Bedenken, daß die vorstehend aufgezeigten Abgrenzungsmerkmale zu einer zu starken Einschränkung des Anwendungsbereichs des § 75 Abs. 4 BewG (gemischtgenutzte Grundstücke) führen könnten.
2. Im Streitfall enthält das Grundstück der Klägerin nur eine einzige Wohnung. Das Grundstück wird auch nicht überwiegend zu anderen als Wohnzwecken genutzt. Dies folgt aus den Feststellungen des FG, wonach am Stichtag lediglich die Räume im Erdgeschoß und vier Garagen zur gewerblichen Nutzung vermietet waren. Dem stehen die Wohnung im Obergeschoß (96 qm), der Schwimmhallenanbau und der Zwischenbau mit Sauna und Dusche sowie die im Untergeschoß und im Dachgeschoß ausgebauten Räume gegenüber. Damit überwiegt offensichtlich die zu Wohnzwecken dienende Nutzfläche, so daß eine ,,Mitbenutzung" im Sinne des § 75 Abs. 5 Satz 4 BewG gegeben ist. Davon ist auch die Vorinstanz zutreffend ausgegangen.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz beeinträchtigt die Mitbenutzung zu gewerblichen Zwecken die Eigenart des Grundstücks als Einfamilienhaus nicht wesentlich.
Nach den Feststellungen des FG läßt sich im Streitfall ,,allein nach dem äußeren Erscheinungsbild des Gebäudes nicht entnehmen, daß es auch zu gewerblichen Zwecken mitbenutzt worden ist"; vielmehr stelle es sich - darüber seien sich die Beteiligten einig - ,,dem Betrachter als ein typisches Zweifamilienhaus" dar. Hieraus kann aber nur geschlossen werden, daß die gewerbliche Mitbenutzung die Eigenart des Grundstücks als Wohngebäude am Stichtag nicht beeinträchtigt hat. Dabei ist unbeachtlich, daß das Gebäude den Eindruck eines typischen Zweifamilienhauses vermittelt; denn die Zahl der abgeschlossenen Wohnungen, die für die Einordnung in die Grundstücksart maßgebend ist, läßt sich von außen in aller Regel nicht erkennen. Entscheidend ist vielmehr, daß der Wohncharakter insgesamt nicht beeinträchtigt wird.
Entgegen der Auffassung der Vorinstanz geschieht dies auch nicht durch das Anbringen einer Werbetafel an einer Garage mit dem Hinweis auf das Ingenieurbüro des Mieters. Derartige Werbemaßnahmen sind bei Wohngebäuden nicht ungewöhnlich.
Auch das Aufstellen der Sonnenkollektoren auf den Garagen weist nach Auffassung des erkennenden Senats nicht auf eine gewerbliche Nutzung des Grundstücks hin. Derartige Anlagen zur Ausnutzung der Sonnenenergie finden sich seit vielen Jahren vermehrt auf zahlreichen Gebäuden. Auf eine bestimmte Nutzung des Grundstücks kann hieraus nicht geschlossen werden. Daß deartige Anlagen dem Wohncharakter eines Gebäudes nicht entgegenstehen, ergibt sich insbesondere auch daraus, daß ihr Einbau in Wohngebäude und selbstgenutzte Einfamilienhäuser einkommensteuerlich gefördert wird (vgl. § 82 a Abs. 1 Nr. 2 der Einkommensteuer - Durchführungsverordnung 1986 i. d. F. der Bekanntmachung vom 24. Juli 1986, BGBl I 1986, 1239, BStBl I 1986, 399, geändert durch die Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer - Durchführungsverordnung vom 19. Dezember 1988, BGBl I 1988, 2301, BStBl I 1988, 550).
Die Überlassung der Garagen an das Ingenieurbüro des Mieters, das eine Garage als Lagerraum nutzt, und die Nutzung der vor den Garagen befindlichen Abstellplätze für die Kundendienstfahrzeuge führen ebenfalls nicht zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Eigenart des Einfamilienhauses. Zum einen ist die Nutzung einer Garage als Lagerraum nach außen nur bei geöffnetem Garagentor erkennbar; sie ist außerdem nicht typisch für eine gewerbliche Nutzung. Zum anderen berühren das Vorhandensein mehrerer Abstellplätze und deren Nutzung durch Mitarbeiter des gewerblich tätigen Mieters den Charakter des Wohngebäudes ebensowenig wie die für Mandanten oder Patienten errichteten Stellplätze beim Einfamilienhaus eines Steuerberaters oder Arztes.
Auch die Zusammenfassung aller vorstehend genannten Merkmale, auf die die Vorinstanz abgestellt hat, rechtfertigt nicht die Schlußfolgerung, daß die Eigenart des streitbefangenen Grundstücks als Einfamilienhaus wesentlich beeinträchtigt wird.
Die vom FA zum 1. Januar 19. . durchgeführte Artfortschreibung erweist sich damit als zutreffend. Die Sache ist spruchreif. Die Entscheidung des FG ist daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 417410 |
BFH/NV 1991, 801 |