Entscheidungsstichwort (Thema)
Benennungsverlangen nach § 160 AO 1977 bei Zinszahlungen auf Inhaberschuldverschreibungen
Leitsatz (amtlich)
Der Emittent von Inhaberschuldverschreibungen (§§ 793 ff. BGB) im Rahmen bankseitig angebotener sog. Commercial Paper Programme ist nicht verpflichtet, dem an ihn gerichteten Verlangen des FA gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 nachzukommen und die Gläubiger der verbrieften Ansprüche und der hierauf zu zahlenden Zinsen zu benennen. Das Benennungsverlangen ist regelmäßig unzumutbar und unverhältnismäßig und damit ermessensfehlerhaft.
Normenkette
AO 1977 § 30a Abs. 1, § 160 Abs. 1 S. 1; BGB § 793 Abs. 1, § 808 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine AG, gab in den Streitjahren 1992 und 1993 im Rahmen eines sog. Commercial Paper Programms Teilschuldverschreibungen i.S. der §§ 793 ff. des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) aus. Der Nennbetrag dieser Teilschuldverschreibungen differierte zwischen 5 Mio. DM und 25 Mio. DM, wobei die Mindeststückelung 500 000 DM betrug. Die Laufzeit der in den Streitjahren insgesamt ausgegebenen 15 Teilschuldverschreibungen bewegte sich zwischen einem und drei Monaten. Die jeweils in einer Sammelurkunde zusammengefassten Teilschuldverschreibungen wurden bei einer Wertpapiersammelbank, der C AG, hinterlegt. Die von der Klägerin auf diskontierter Basis (Abschlag bei Übernahme und Rückzahlung zum Nennbetrag) herausgegebenen Teilschuldverschreibungen wurden zunächst von den beiden als Plazeurbanken eingeschalteten Kreditinstituten, der D-Bank sowie der S-Bank, käuflich erworben und anschließend an die Investoren (Kunden der Plazeur- und anderer Banken) veräußert. Dem jeweiligen Erwerber wurde ein entsprechender Miteigentumsanteil an der Sammelurkunde eingeräumt. Die Gutschriften über die erworbenen Miteigentumsanteile wurden dabei zunächst im Verhältnis zwischen der C AG und den dort als Kontoinhaber geführten Depotbanken der Erwerber vorgenommen. Die Depotbanken verbuchten sodann die Miteigentumsanteile zugunsten der Depots ihrer Kunden. Die bei Abwicklung des Commercial Paper Programms anfallenden Zahlungen ―Vereinnahmung des Kaufpreises, Zahlung des im Papier verbrieften Betrages― wurden über die D-Bank vorgenommen, die insoweit für die Klägerin als Emissions- und Zahlstelle tätig wurde. Die D-Bank überwies die auf die Sammelurkunden zu entrichtenden Beträge bei Fälligkeit an die C AG, die ihrerseits die Gelder an die Depotbanken weiterleitete. Die Depotbanken schrieben wiederum die Einlösungsbeträge den Konten ihrer Kunden gut. Nach erfolgter Tilgung wurde die entwertete Sammelurkunde zurückgegeben.
Im Zusammenhang mit der Kapitalbeschaffung durch diese Teilschuldverschreibungen machte die Klägerin die ihr von der D-Bank berechneten Zinsaufwendungen als Betriebsausgaben geltend, die sich im Jahr 1992 auf 1 840 496 DM und im Jahre 1993 auf 881 144 DM beliefen.
Das für die Konzernbetriebsprüfung bei der Klägerin zuständige Finanzamt forderte die Klägerin unter Hinweis auf § 160 der Abgabenordnung (AO 1977) zur Benennung der Zinszahlungsempfänger auf. Die Klägerin lehnte dies ab. Sie hielt das Benennungsverlangen für unzumutbar und damit für ermessensfehlerhaft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) folgte dem nicht und ging in Höhe des von ihm angenommenen Steuerausfalls von 490 000 DM in 1992 und von 180 000 DM in 1993 von nicht abziehbaren Betriebsausgaben aus. Im Einzelnen ordnete das FA zunächst 40 v.H. der Zinszahlungen institutionellen Anlegern, vom verbleibenden Betrag einen weiteren Anteil von 50 v.H. Personen zu, bei denen die ordnungsmäßige Erfassung der Erträge unterstellt wurde. Bei dem verbleibenden Rest wurde sodann eine durchschnittliche Steuerbelastung der Zahlungsempfänger von 40 v.H. angenommen. Für das Streitjahr 1993 wurde zudem unterstellt, dass auf 30 v.H. der Zinszahlungen ein Zinsabschlag vorgenommen worden sei, so dass insoweit lediglich der Differenzbetrag zu dem angenommenen 40 %igen Individualsteuersatz nicht versteuert worden sei. Auf diese Berechnungsweise ermittelte das FA Steuerausfälle für 1992 in Höhe von 74 016 DM und für 1993 in Höhe von 81 946 DM.
Die Klage gegen die hiernach geänderten Bescheide über Feststellungen gemäß § 47 Abs. 2 des Körperschaftsteuergesetzes (KStG 1991) hatte Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) Köln vom 6. März 2003 13 K 301/01 ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 896 abgedruckt.
Seine Revision stützt das FA auf Verletzung des § 160 AO 1977.
Es beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat die streitigen Zinszahlungen zu Recht zum Abzug zugelassen; die Klägerin war nicht verpflichtet, dem Verlangen des FA nach Benennung der Briefinhaber als der Zinsempfänger nachzukommen.
1. Gemäß § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 sind u.a. Betriebsausgaben steuerlich regelmäßig nicht zu berücksichtigen, wenn der Steuerpflichtige dem Verlangen des FA nicht nachkommt, den Empfänger dieser Ausgaben genau zu benennen. Zweck des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist es, Steuerausfälle zu verhindern. Es soll sichergestellt werden, dass nicht nur die steuermindernden Ausgaben beim Steuerpflichtigen, sondern auch die damit korrespondierenden Einnahmen beim Geschäftspartner erfasst werden (vgl. zuletzt z.B. Senatsurteil vom 1. April 2003 I R 28/02, BFHE 202, 196, Deutsches Steuerrecht ―DStR― 2003, 1340, m.w.N. zur Rechtsprechung).
Die Prüfung der rechtmäßigen Anwendung des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 vollzieht sich in zwei Schritten. Zunächst ist zu prüfen, ob sich das Benennungsverlangen des FA selbst im Rahmen pflichtgemäßen Ermessens gehalten hat, insbesondere ob keine Angaben gefordert wurden, die für den Steuerpflichtigen unzumutbar waren. Sodann ist zu entscheiden, ob im Falle der nicht ordnungsmäßigen Empfängerbenennung die vom FA angesetzte steuerliche Folge pflichtgemäßem Ermessen entspricht (Senatsurteil in BFHE 202, 196, DStR 2003, 1340, m.w.N.).
2. Empfänger i.S. des § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 ist, wem der in der Betriebsausgabe enthaltene wirtschaftliche Wert vom Steuerpflichtigen übertragen wurde und bei dem er sich demzufolge steuerlich auswirkt (Senatsurteil in BFHE 202, 196, DStR 2003, 1340, m.w.N.). Benannt ist ein Empfänger, wenn er (nach Namen und Adresse) ohne Schwierigkeiten und eigene Ermittlungen der Finanzbehörde bestimmt und ermittelt werden kann. Die mit § 160 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 verfolgte Zielsetzung ist erst erreicht, wenn der wirkliche Empfänger der Zahlungen benannt ist und die Finanzbehörde überprüfen kann, ob er seine steuerlichen Pflichten entweder erfüllt hat oder mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im Inland nicht steuerpflichtig ist (Senatsurteil in BFHE 202, 196, DStR 2003, 1340, m.w.N.).
3. Vor diesem Regelungshintergrund hat das FA die Klägerin aufgefordert, die Inhaber der seitens der Klägerin begebenen Teilschuldverschreibungen im Rahmen des bankseitig angebotenen sog. Commercial Paper Programms namhaft zu machen. Die Klägerin ist diesem Benennungsverlangen nicht nachgekommen; sie hat lediglich den unmittelbaren Zahlungsempfänger ―die als Zahlstelle fungierende und zwischengeschaltete D-Bank― benannt. Zu einer weiter gehenden Aufklärung und Benennung der Inhaber der Teilschuldverschreibungen als der Empfänger der geleisteten Zinszahlungen war sie indes auch nicht verpflichtet.
Dabei bedarf es keiner weiteren Überlegungen dazu, ob es der Klägerin in tatsächlicher Hinsicht überhaupt möglich gewesen wäre, die geforderten Angaben von den eingeschalteten Kreditinstituten zu erhalten. Ausschlaggebend ist vielmehr, dass die Benennungsanforderungen und damit das in diesem Zusammenhang auszuübende behördliche Ermessen wegen der rechtlichen Besonderheiten bei Inhaberschuldverschreibungen unter den Gesichtspunkten der Zumutbarkeit und der Verhältnismäßigkeit einzuschränken sind (z.B. Senatsurteile vom 17. Oktober 2001 I R 19/01, BFH/NV 2002, 609; vom 17. Dezember 1980 I R 148/76, BFHE 132, 211, BStBl II 1981, 333; Bundesfinanzhof ―BFH―, Urteil vom 10. März 1999 XI R 10/98, BFHE 188, 280, BStBl II 1999, 434).
a) Das Wesen der Inhaberschuldverschreibungen besteht darin, dass sie ein Forderungsrecht des Urkundeninhabers verbriefen. Dieser kann die Leistung nach Maßgabe des Versprechens verlangen, es sei denn, er ist zur Verfügung über die Urkunde nicht berechtigt. Auch bei Leistung an einen nicht berechtigten Inhaber der Urkunde wird der Aussteller jedoch befreit (sog. Legitimations- oder Liberationswirkung, § 793 Abs. 1 BGB). Wird eine Urkunde, in welcher der Gläubiger benannt ist, mit der Bestimmung ausgegeben, dass die in der Urkunde versprochene Leistung an jeden Inhaber bewirkt werden kann, so wird der Schuldner durch die Leistung an den Inhaber der Urkunde befreit (vgl. § 808 Abs. 1 BGB).
b) In Anbetracht dieser zivilrechtlichen Gegebenheiten liegt es bei Inhaberpapieren regelmäßig außerhalb des Kenntnis- und Einflussbereichs der aus den Papieren verpflichteten Emittenten, den Gläubiger der verbrieften Ansprüche zu ermitteln. Sie genügen den (zivilrechtlichen) Anforderungen jedenfalls dann, wenn sie das in die Emission der Papiere eingeschaltete Kreditinstitut als denjenigen benennen, der die Zinsforderungen gegenüber den Leistungsberechtigten aus den Schuldverschreibungen erfüllt. Ihre Benennungsmöglichkeiten sind damit im Allgemeinen erschöpft. Weiter gehende Informationen brauchen sie sich nicht zu verschaffen und werden sie sich in der Mehrzahl der Fälle auch nicht verschaffen können. Folglich zöge ein weiter gehendes behördliches Verlangen Wertungswidersprüche zu der zivilrechtlichen Rechtslage bei Schuldverschreibungen und den daraus abgeleiteten Geschäftsgepflogenheiten im Kreditgewerbe nach sich. Die mit der formellen Inhaberschaft an dem Legitimationspapier verbundenen Wirkungen würden dadurch unterlaufen, was sich auch aus spezifisch steuerrechtlichen Bedürfnissen ohne besondere gesetzliche Anordnung nicht ohne weiteres rechtfertigen lässt.
An einer derartigen Anordnung fehlt es indes. Auch wenn § 160 AO 1977 bezweckt, die Besteuerung der tatsächlichen Leistungsempfänger (im Inland) sicherzustellen, so legitimiert diese Regelung doch nicht dazu, jenseits der Geschäftsusancen im Wirtschaftsleben, insbesondere im Kreditgewerbe, Ausforschung solcher Personen zu betreiben, die sich als potentielle Steuerhinterzieher eben diese Usancen zunutze machen und sich u.U. ungerechtfertigte Steuervorteile verschaffen. Vielmehr verpflichtet § 30a Abs. 1 AO 1977 die Finanzbehörden dazu, bei der Ermittlung des Sachverhaltes auf das Vertrauensverhältnis zwischen den Kreditinstituten und deren Kunden besondere Rücksicht zu nehmen. Diese Verpflichtung muss sich in dem Ermessen, das im Rahmen des § 160 AO 1977 auszuüben ist, niederschlagen (vgl. Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 30a AO Tz. 10). Das gilt auch gegenüber der Klägerin, da sich diese die vom FA angeforderten Informationen nur über die eingeschalteten Plazeurbanken verschaffen könnte; § 30a Abs. 1 AO 1977 würde dadurch aber unterlaufen. Es stellt sich für die beteiligten Unternehmen auch nicht als ernsthafte Handlungsalternative dar, auf solche üblichen und wirtschaftlich sinnvollen Geschäfte zu verzichten, um steuerliche Nachteile in Gestalt der Nichtabzugsfähigkeit geleisteter Betriebsausgaben zu vermeiden. Zumutbar und verhältnismäßig ist es allenfalls, die Benennung des unmittelbaren Leistungsempfängers der betreffenden Zinszahlungen ―hier der eingeschalteten D-Bank― zu verlangen. Die Finanzbehörden sind dann in der Lage, nach deren Benennung entsprechenden Vermutungen von sich aus im Rahmen des ihnen überantworteten Amtsermittlungsauftrages (§ 88 Abs. 1 AO 1977) nachzugehen und die Sachverhalte auf diese Weise (ggf. unter Zuhilfenahme internationaler Amtshilfe und internationalen Informationsaustauschs, vgl. § 93 Abs. 1 AO 1977) aufzuklären (im Ergebnis ebenso Dahm/Hamacher, Deutsche Steuer-Zeitung 1992, 753; dieselben, Zeitschrift für Wirtschafts- und Bankrecht, Wertpapier-Mitteilungen ―WM― 1993, 445; Pyszka/ Pitter, Betriebs-Berater 1999, 2381; Valentin, EFG 2003, 429; einschränkend insoweit auch Kleine, Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 1992/1993, 95 ff., 104 f.; s. auch ―abgrenzend zu § 159 AO 1977― Schön, WM 1998, 2401; bezogen auf Tafelpapiere anders Löwe-Krahl, Praxis Steuerstrafrecht 2003, 90).
Fundstellen
Haufe-Index 1143909 |
BFH/NV 2004, 851 |
BStBl II 2004, 582 |
BFHE 2004, 5 |
BFHE 205, 5 |
BB 2004, 1098 |
DB 2004, 1081 |
DStRE 2004, 657 |
DStZ 2004, 356 |
HFR 2004, 601 |