Leitsatz (amtlich)
1. Zwar ist die für die Zulässigkeit der Revision maßgebende Revisionssumme aus der Beschwer jedes einzelnen Klägers zu errechnen, wenn jeder Kläger für sich Revision eingelegt hat (BFH 93, 121, BStBl II 1968, 749). Haben aber mehrere Streitgenossen, die durch dasselbe Urteil beschwert sind, gegen dieses eine einzige Revision eingelegt und begründet, so ist für diese die Revisionssumme aus der Beschwer aller Kläger zu errechnen.
2. Bei einem zunächst gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 badwürtt. II. GrEStWG steuerbefreiten Erwerb entsteht die Steuer, wenn der Erwerber das Grundstück nicht fristgemäß (§ 4 Abs. 1) zu dem begünstigten Zweck verwendet (§ 6 Abs. 1 Satz 1). Zuvor kann die Steuer wegen Aufgabe des begünstigten Zwecks (§ 6 Abs. 2) nacherhoben werden, wenn der Erwerber die Absicht aufgegeben hat, das Grundstück dem begünstigten Zweck zuzuführen.
2. Der Zuschlag gemäß § 6 Abs. 1 Satz 3 badwürtt. II. GrEStWG fällt nur bei einer Nacherhebung der Steuer, nicht aber bei verspäteter Erhebung der ursprünglich geschuldeten Steuer an.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 1, § 59; badwürtt. II. GrEStWG vom 20.7.62 (GBl S. 74) § 6
Tatbestand
Die Kläger sind Eheleute. Sie haben im Jahr 1965 je zur unabgeteilten Hälfte ein unbebautes Grundstück gekauft. Nach der Feststellung des FG ist die "gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1" des baden-württembergischen zweiten Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau II. GrEStWG) vom 20. Juli 1962 (Gesetzblatt S. 74 - GBl 74 -) "erfolgte Freistellung der Erwerber von der GrESt ... wieder rückgängig gemacht" worden. Durch getrennte Bescheide wurden gegen jeden der Kläger 560 DM Grunderwerbsteuer und 56 DM Zuschlag (§ 6 Abs. 1 Satz 3 II. GrEStWG) festgesetzt. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG hat festgestellt, daß das Grundstück nicht innerhalb von fünf Jahren seit dem Erwerb bebaut werden könne, weil es nicht als Bauland ausgewiesen sei und innerhalb dieser Frist auch nicht in das bebauungsfähige Gebiet einbezogen werde. Mit der Revision rügen die Kläger, daß dem FA seit der Freistellung von der Grunderwerbsteuer keine neuen Tatsachen bekanntgeworden seien.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist zulässig.
Wie der Senat in dem Urteil II 155, 156/64 vom 12. Juni 1968 (BFH 93, 121, BStBl II 1968, 749) - dort für Rechtsbeschwerden (Revisionen) gegen Urteile, die gegen jeden der Kläger gesondert ergangen waren - ausgesprochen hat, ist die Revisionssumme auch dann aus der Beschwer jedes einzelnen Klägers zu errechnen, wenn die klagenden Ehegatten je wegen des Erwerbs einer unabgeteilten Hälfte eines Grundstücks zur Grunderwerbsteuer herangezogen wurden, weil jeder Kläger nur durch die Steuer beschwert wird, welche ihn selbst betrifft. An der gegenteiligen Ansicht des Urteils II 248/60 U vom 11. April 1962 (BFH 75, 143, BStBl III 1962, 320) - dort für Rechtsbeschwerden jeder der Ehegatten bei einem bereits vom FG verbundenen Verfahren - konnte nicht festgehalten werden. Demnach wären von den Ehegatten getrennt eingelegte Revisionen unzulässig, da jede von ihnen nur einen Streitwert von 616 DM hätte und das FG die Revision nicht zugelassen hatte (§ 115 Abs. 1 FGO) und die Voraussetzungen einer zulassungsfreien Revision (§ 116 FGO) nicht vorliegen. Im gegebenen Falle handelt es sich aber um eine einheitlich eingelegte und begründete (§ 120 FGO) Revision beider Kläger gegen dasselbe Urteil. In diesem Falle kommt es, obwohl die FGO selbst keine ausdrückliche Vorschrift darüber enthält, auf den Wert des Streitgegenstandes der als Einheit zu sehenden Revision an.
Für den Bereich der ZPO wird das entsprechende Ergebnis aus § 5 ZPO abgeleitet. Diese Vorschrift betrifft allerdings zunächst nur die Bestimmung des Wertes des Streitgegenstandes insoweit, als nach dem Gesetz über die Gerichtsverfassung (vgl. § 23 Nr. 1, § 71 Abs. 1 GVG) die Zuständigkeit der Gerichte von dem Wert des Streitgegenstandes abhängt (§ 2 ZPO). § 5 ZPO besagt dazu, daß mehrere in einer Klage geltend gemachte Ansprüche zusammengerechnet werden; dies gilt nicht für den Gegenstand der Klage und Widerklage. Darunter fällt schon dem Wortlaut nach die objektive Anspruchshäufung des § 260 ZPO, wonach mehrere Ansprüche des Klägers gegen denselben Beklagten in einer Klage verbunden werden können, wenn für sämtliche Ansprüche das Prozeßgericht zuständig und dieselbe Prozeßart zulässig ist (vgl. § 43 FGO). Nicht gleich eindeutig gilt das für die subjektive Klagehäufung der §§ 59, 60 ZPO, wonach mehrere Personen als Streitgenossen gemeinschaftlich klagen oder verklagt werden können, wenn sie hinsichtlich des Streitgegenstandes in Rechtsgemeinschaft stehen oder wenn sie aus demselben tatsächlichen und rechtlichen Grunde berechtigt oder verpflichtet sind (§ 59 ZPO) sowie wenn gleichartige und auf einem im wesentlichen gleichartigen tatsächlichen und rechtlichen Grunde beruhende Ansprüche oder Verpflichtungen den Gegenstand des Rechtsstreites bilden (§ 60 ZPO). Denn solche Streitgenossen stehen, soweit sich nicht aus weiteren Vorschriften ein anderes ergibt, dem Gegner dergestalt als einzelne gegenüber, daß die Handlungen des einen Streitgenossen dem anderen weder zum Vorteil noch zum Nachteil gereichen (§ 61 ZPO). Indessen beweist § 147 ZPO, daß das Gesetz auch die subjektive Klagehäufung nicht als eine Summe mehrerer Klagen, sondern als eine einzige Klage ansieht. Denn nach dieser Vorschrift kann das Gericht die Verbindung mehrerer Prozesse auch verschiedener Parteien u. a. dann anordnen, wenn sie "in einer Klage hätten geltend gemacht werden können". Daraus folgt, daß § 5 ZPO für die subjektive Klagehäufung gilt. Da sowohl bei der Berufung (§ 511a Abs. 2 ZPO) als auch bei der Revision (§ 546 Abs. 3 Satz 1 ZPO) für den Wert des Beschwerdegegenstandes die §§ 3 bis 9 ZPO gelten, folgt daraus weiterhin, daß im Zivilprozeß, soweit es für die Zulässigkeit eines Rechtsmittels auf den Wert des Beschwerdegegenstandes ankommt, sich diese gemäß § 5 ZPO bei einem einheitlichen, in demselben Schriftsatz erhobenen Rechtsmittel mehrerer Streitgenossen gegen dasselbe Urteil (oder umgekehrt eines Anfechtungsklägers gegen alle Streitgenossen) nach dem zusammengefaßten Wert der Beschwer aller Streitgenossen richtet (vgl. RGZ 5, 354; 6, 416; 41, 414; 116, 306; 164, 90; BGHZ 23, 333).
Die FGO enthält demgegenüber keine Vorschriften über die Berechnung des in § 115 Abs. 1 FGO für die Zulässigkeit der nicht zugelassenen und nicht zulassungsfreien Revision erforderlichen Werts des Streitgegenstandes von mehr als eintausend Deutsche Mark (Revisionssumme). § 140 Abs. 3 FGO entspricht zwar § 3 ZPO; im übrigen behandelt aber § 140 die Gerichtskosten, und der für diese maßgebende Streitwert ist im Zivilprozeß nicht unbedingt der der §§ 3 bis 9 ZPO (siehe §§ 10 ff. GKG). Abweichend davon scheint § 146 Abs. 1 FGO von der Identität beider Streitwerte auszugehen. Über die Allgemeinverweisung des § 155 FGO unmittelbar zur Anwendung des § 5 ZPO zu kommen, ist deshalb nicht unproblematisch, weil diese Vorschrift in dem Abschnitt über die sachliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte steht, und der Streitwert für die sachliche Zuständigkeit der FG keine Bedeutung hat. Der Weg zu dieser Vorschrift wird jedoch über § 59 FGO eröffnet. Danach sind nämlich die Vorschriften der §§ 59 bis 63 ZPO über die Streitgenossenschaft sinngemäß anzuwenden. Diese sind bereits oben erwähnt; sie betreffen die subjektive Klagehäufung. Da nun der die objektive Anspruchshäufung betreffende § 43 FGO im wesentlichen § 260 ZPO entspricht und § 73 Abs. 1 FGO jedenfalls nicht enger ist als §§ 147, 145, 150 ZPO, muß angenommen werden, daß die FGO die subjektive und objektive Verbindung mehrerer streitiger Gegenstände in einem Verfahren nicht anders behandeln wollte als die ZPO. Da §§ 43, 59, 73 Abs. 1 FGO den §§ 44, 64, 93 VwGO entsprechen und die VwGO keine Streitwertrevision kennt (§ 132 Abs. 1 VwGO), muß angenommen werden, daß in § 115 Abs. 1 FGO eine § 546 Abs. 3 Satz 1 ZPO entsprechende Vorschrift nur versehentlich unterblieben ist. Demzufolge ist die Revision der Kläger zulässig, da die mit ihr bekämpfte Beschwer durch das angefochtene Urteil eintausend Deutsche Mark übersteigt.
Für dieses Ergebnis spricht auch der Gedanke der Streitwertrevision, daß ein bestimmtes Maß in Geld ausdrückbarer Beschwer der Nachprüfung auch dann nicht entzogen werden dürfe, wenn ein anderer Zulässigkeitsgrund (§ 115 Abs. 2, § 116 FGO) nicht gegeben ist. Dieses Wertinteresse ist gleichermaßen bei der einheitlichen Revision mehrerer Kläger über kleinere Beträge desselben Rechtsgrundes wie bei der Revision nur eines Klägers über einen gleichhohen Betrag gegeben. Dafür spricht auch, daß in Fällen wie dem vorliegenden bei umgekehrter Entscheidung des FG der Beklagte jedenfalls in einer eintausend Deutsche Mark übersteigenden Höhe beschwert wäre.
Die Revision der Kläger ist begründet.
Nach der eingangs wiedergegebenen Feststellung des FG hat das FA (Beklagter) die ursprüngliche Freistellung von der Grunderwerbsteuer "rückgängig gemacht". Die vorliegenden Grunderwerbsteuer-Akten ergeben aber nur, daß das FA auf den Antrag der Kläger verfügt hat: "Steuerfrei gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 II. GrEStWG", ohne indessen diese Verfügung den Klägern zuzustellen. Denkbar wäre auch eine nicht aktenkundig gemachte mündliche Eröffnung des Bescheids (§ 91 Abs. 2 AO). Dazu kommt, daß auf dem den Klägern übersandten (und von ihnen ausgefüllten) Formular des Beklagten (das übrigens nur nach den Bebauungsabsichten der Kläger fragte) vermerkt ist: "Eine Mitteilung über die Freistellung von der Grunderwerbsteuer erfolgt nicht"; ob demnach eine stillschweigende Erklärung des Beklagten anzunehmen ist, kann nur unter Würdigung aller - aus dem angefochtenen Urteil nicht ersichtlichen - Umstände entschieden werden.
Nach dem bislang ersichtlichen Sachverhalt ist der Tatbestand des § 6 Abs. 2 Satz 1 II. GrEStWG nicht erfüllt. Denn die Kläger hatten offenbar ihre "Absicht", das Grundstück zu dem durch § 1 Abs. 1 Nr. 1 II. GrEStWG begünstigten Zweck der Errichtung eines steuerbegünstigten Gebäudes nicht "aufgegeben"; ob der Verwirklichung dieser Absicht in objektiver Sicht unübersteigbare Hindernisse entgegenstehen, ist für den allein auf die Absicht der Erwerber abstellenden § 6 Abs. 2 Satz 1 II. GrEStWG unerheblich. In einem solchen Falle könnte also die - samt den Zuschlägen des § 6 Abs. 2 Satz 1, Abs. 1 Satz 3 II. GrEStWG - nachzuerhebende Steuer erst nach Ablauf von fünf Jahren (§ 4 Abs. 1 Satz 1 II. GrEStWG) entstehen (§ 6 Abs. 1 Satz 1 II. GrEStWG), es sei denn, daß die Kläger selbst - sei es in der Erkenntnis der Unmöglichkeit ihres Vorhabens, sei es wegen der Höhe der nach Zeitablauf gestaffelten Zuschläge (§ 6 Abs. 1 Satz 3 II. GrEStWG) - ihre Absicht früher aufgeben.
Wäre dagegen davon auszugehen, daß der Beklagte noch frei gewesen wäre, eine ursprünglich auf den Erwerbsfall etwa entstandene Steuer (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes - GrEStG -, § 3 Abs. 1, Abs. 5 StAnpG) erstmals festzusetzen, so wäre allerdings bezüglich der Steuer selbst der Ansicht des FG beizutreten. Denn § 1 Abs. 1 Nr. 1 II. GrEStWG nimmt von der Besteuerung aus den "Erwerb eines unbebauten Grundstücks ... zur Errichtung eines steuerbegünstigten Gebäudes ...". Die Absicht, ein solches Gebäude zu errichten (nach der das von dem Beklagten ausgegebene Formular allein fragt), reicht also nicht aus, sofern es von vornherein unmöglich ist, diese Absicht zu verwirklichen, obschon bei einem noch nicht baureifen Grundstück der Erwerber nicht nachzuweisen braucht, daß es mit Sicherheit innerhalb von fünf Jahren baureif werde. Das FG hat dazu für diesen Rechtszug bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) festgestellt, daß das Grundstück innerhalb von fünf Jahren (§ 4 Abs. 1 Satz 1 II. GrEStWG) nicht bebaut werden könne. Für eine - wenn auch spät erhobene, so doch nicht im Sinne des § 6 II. GrEStWG nacherhobene - Steuer könnte jedoch der in § 6 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 2 II. GrEStWG nur für die Fälle des § 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 II. GrEStWG vorgesehene Zuschlag nicht erhoben werden.
Demzufolge war das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 68558 |
BStBl II 1969, 471 |
BFHE 1969, 512 |