Entscheidungsstichwort (Thema)
Maßgeblichkeit der Prüfungsanordnung für den Umfang der Änderungssperre nach § 173 Abs. 2 AO 1977
Leitsatz (NV)
1. Die Änderungssperre aufgrund einer Außenprüfung nach § 173 Abs. 2 AO 1977 bestimmt sich nach dem Umfang der Prüfungsmaßnahmen, der durch Auslegung der ‐ der Außenprüfung zugrunde liegenden ‐ Prüfungsanordnung in entsprechender Anwendung des§ 133 BGB festzustellen ist (Anschluss an BFH-Urteil vom 11. November 1987 X R 54/82, BFHE 152, 166, BStBl II 1988, 307).
2. Die Auslegung der Prüfungsanordnung durch das FG ist vom BFH darauf hin zu überprüfen, ob sie nach den vom FG festgestellten objektiven Umständen den Auslegungsregeln entspricht und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt.
3. Hat das FG die Prüfungsanordnung rechtsfehlerhaft ausgelegt, kann der BFH die Auslegung selbst vornehmen, wenn das FG-Urteil die dazu notwendigen tatsächlichen Feststellungen enthält (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 29. August 1985 IV R 154/84, BFH/NV 1987, 7).
Normenkette
AO 1977 § 173 Abs. 2; EStG §§ 12, 21
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) sind Gesellschafter eines geschlossenen Immobilienfonds in der Rechtsform einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR), die mit Gesellschaftsvertrag vom 4. September 1995 gegründet wurde und der 25 Gesellschafter angehören. Gesellschaftszweck ist die ―im März 1997 abgeschlossene― Errichtung und anschließende Vermietung einer Wohnanlage in D mit 105 Wohnungen.
Zur Finanzierung der Baumaßnahme nahm die GbR Fremdfinanzierungsmittel in Höhe von über 28 Mio. DM auf. Nach den mit den Banken getroffenen Vereinbarungen wurden zum Zwecke der Tilgung u.a. alle Rechte und Ansprüche aus noch abzuschließenden Lebensversicherungen mit garantierten Ablaufleistungen von mindestens 28 Mio. DM abgetreten. Die Tilgung der Darlehen ist ausgesetzt, solange die Prämien für die Lebensversicherungen planmäßig gezahlt werden. Die GbR schloss bei einer Versicherungsgesellschaft vier Lebensversicherungen als Kollektivversicherungen ab. Versicherte Personen sind zwei ihrer Gesellschafter und deren Ehefrauen. Als Vermittlungsprovision für die Lebensversicherungen erhielt die GbR im Streitjahr 1996 einen Betrag von … DM, den sie erfolgsneutral als Privateinlage gebucht hat.
Nachdem die GbR für das Streitjahr eine Feststellungserklärung über Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung eingereicht hatte, wurde im Mai 1997 eine Betriebsprüfung angeordnet. Diese betraf die "Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung 1995 bis 1996". Die Außenprüfung führte zu keinen Änderungen gegenüber der abgegebenen Erklärung. Die Beiträge zur Kollektivversicherung waren nach Auffassung des Prüfers steuerlich zutreffend behandelt worden. Der Sachverhalt hinsichtlich der Provisionszahlung wurde nicht aufgegriffen.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt ―FA―) stellte daraufhin die Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1996 entsprechend der abgegebenen Feststellungserklärung mit bestandskräftig gewordenem Bescheid vom 27. Januar 1998 fest. Aufgrund einer später eingegangenen Kontrollmitteilung über die Provisionszahlung erließ das FA am 21. Dezember 1998 einen geänderten Feststellungsbescheid für 1996, in dem es die Feststellung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung unverändert ließ, aber die Provision bei den Einkünften aus Leistungen i.S. des § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) erfasste. Der dagegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) statt. Sein Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2001, 192 veröffentlicht.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts.
Es trägt vor, die Kapitallebensversicherungen seien dem Privatvermögen der Gesellschafter mit der Folge zuzuordnen, dass die Prämienzahlungen private Sonderausgaben und die zur Tilgung der Kredite eingesetzten Versicherungsleistungen Einlagen der Gesellschafter in das Gesellschaftsvermögen seien. Danach könnten auch die streitigen Eigenprovisionen nicht den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zugerechnet werden. Vielmehr seien sie den Einkünften i.S. des § 22 Nr. 3 EStG zuzurechnen.
Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist unbegründet.
Im Ergebnis zu Recht hat das FG den angefochtenen Feststellungsänderungsbescheid aufgehoben, weil § 173 Abs. 2 Satz 1 der Abgabenordnung (AO 1977) die vom FA vorgenommenen Änderungen der Besteuerungsgrundlagen für das Streitjahr nicht zulässt. Nach dieser Vorschrift können Steuerbescheide, soweit sie auf Grund einer Außenprüfung ergangen sind, nur aufgehoben oder geändert werden, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt; diese Voraussetzungen sind im Streitfall nicht gegeben.
1. Die angefochtenen Änderungen betreffen einen Steuerbescheid, der nach einer Außenprüfung ergangen ist, nämlich den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für das Jahr 1996 vom 27. Januar 1998. Ob dieser Bescheid auch i.S. von § 173 Abs. 2 AO 1977 "auf Grund" einer Außenprüfung ergangen ist und damit die Sperrwirkung der Vorschrift gegen eine spätere Änderung der Besteuerungsgrundlagen ausgelöst wird, muss nach dem Inhalt der Prüfungsanordnung beurteilt werden (Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 12. Oktober 1994 XI R 75/93, BFHE 176, 208, BStBl II 1995, 289). Denn nach § 194 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 kann eine Außenprüfung mehrere Steuerarten und Besteuerungszeiträume umfassen, sie kann sich aber auch auf bestimmte Sachverhalte beschränken (BFH-Urteil vom 28. Juni 2000 I R 20/99, BFH/NV 2000, 1447); diese Bestimmung des Umfangs der Außenprüfung steht im nur eingeschränkt überprüfbaren Ermessen des zuständigen FA (BFH-Urteil vom 18. Oktober 1994 IX R 128/92, BFHE 176, 298, BStBl II 1995, 291, m.w.N.).
a) Der Zweck des § 173 Abs. 2 AO 1977, dem Rechtsfrieden nach einer Außenprüfung zu dienen, macht die nach der Vorschrift bestehende Änderungssperre davon abhängig, dass die Prüfungsmaßnahmen auf eine umfassende und zusammenhängende Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen angelegt sind oder bei einer Beschränkung auf die wesentlichen Besteuerungsgrundlagen oder bestimmte Sachverhalte von diesem beschränkten Prüfungsumfang umfasst sind (vgl. BFH-Urteil vom 5. April 1984 IV R 244/83, BFHE 140, 518, BStBl II 1984, 790).
Dies erfordert eine Auslegung der ―der Außenprüfung zugrunde liegenden― Prüfungsanordnung in entsprechender Anwendung des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) und damit maßgeblich danach, wie der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen den materiellen Gehalt der Erklärung unter Berücksichtigung von Treu und Glauben verstehen konnte (BFH-Urteil vom 11. November 1987 X R 54/82, BFHE 152, 166, BStBl II 1988, 307 unter Bezugnahme auf BFH-Beschluss vom 25. August 1981 VII B 3/81, BFHE 134, 97, BStBl II 1982, 34, m.w.N.). Die dem FG im Streitfall obliegende Auslegung der Prüfungsanordnung unterliegt der revisionsgerichtlichen Prüfung dahin gehend, ob sie nach den vom FG festgestellten objektiven Umständen den Auslegungsregeln entspricht (vgl. zu diesem Kriterium für die Auslegung von Verwaltungsakten BFH-Urteil vom 18. April 1991 IV R 127/89, BFHE 164, 185, BStBl II 1991, 675) und nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze verstößt; bei einem Verstoß nimmt der BFH nach ständiger Rechtsprechung die Auslegung selbst vor, wenn die dazu notwendigen tatsächlichen Feststellungen dem FG-Urteil zu entnehmen sind (BFH-Urteil vom 29. August 1985 IV R 154/84, BFH/NV 1987, 7; Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 118 FGO Rz. 28, m.w.N.).
b) Nach diesen Maßstäben ist die Prüfungsanordnung entgegen der Ansicht des FG nicht auf einen Teilbereich der von der GbR erzielten Einkünfte beschränkt. Denn aus der maßgeblichen Sicht der GbR und ihrer Gesellschafter als Adressaten der Prüfungsanordnung konnte diese nur so verstanden werden, dass sie alle einkommensteuerrechtlich erheblichen Sachverhalte im Zusammenhang mit der Vermietung und Verpachtung des von ihnen errichteten Immobilienobjekts erfassen sollte (vgl. zu diesem maßgeblichen Kriterium des Sachverhaltsbezugs BFH-Urteil vom 21. Juni 1989 VI R 31/86, BFHE 157, 377, BStBl II 1989, 909). Dies folgt schon aus dem Zusatz "aus Verm. und Verp." zur Bezeichnung des Prüfungsgegenstandes "Feststellung der Einkünfte" in der Prüfungsanordnung sowie aus der vorher eingereichten und ausschließlich Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung betreffenden Feststellungserklärung der GbR.
Daraus folgt, dass jeder Lebenssachverhalt, der im Streitjahr tatsächlich mit den Einkünften der GbR aus Vermietung und Verpachtung in einem konkreten engen ―wirtschaftlichen― Zusammenhang stand, sowohl aus der Sicht der GbR als auch aus der Sicht des FA von der Prüfungsanordnung als mitumfasst angesehen werden muss.
c) Ein solcher enger wirtschaftlicher Zusammenhang der Provisionszahlungen mit der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung und damit deren Erfassung durch die Prüfungsanordnung liegt im Streitfall nach den für den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG vor. Denn die Provisionszahlungen sind unmittelbar durch den Abschluss der Lebensversicherungen veranlasst, die ihrerseits allein zum Zweck der Finanzierung des von der GbR errichteten Immobilienobjekts abgeschlossen wurden. Hinzu kommt, dass ihr Zufluss zumindest wirtschaftlich die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten der GbR-Gesellschafter für das Objekt mindert.
Dies genügt tatsächlich für die Zurechnung der Provision zum von der Prüfungsanordnung umfassten Lebenssachverhalt "Vermietung und Verpachtung". Ob die Provisionszahlungen rechtlich schon aufgrund dieses engen wirtschaftlichen Zusammenhangs mit dem Immobilienobjekt der GbR bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung i.S. des § 21 EStG zu erfassen sind, weil sie z.B. ebenso wie Provisionsnachlässe auf Eigenkapitalvermittlungsprovisionen nach § 255 Abs. 1 Satz 3 des Handelsgesetzbuchs (HGB) als Anschaffungspreisminderungen angesehen werden könnten (vgl. zu Provisionsnachlässen BFH-Urteil vom 26. Februar 2002 IX R 20/98, BFHE 198, 425, BStBl II 2002, 796), oder ob eine solche Zurechnung deshalb ausscheidet, weil die (Prämien-)Aufwendungen für die Lebensversicherungen aufgrund des Versicherungsgegenstandes (privates Lebensrisiko) trotz ihrer Veranlassung durch die Einkünfteerzielung nach der Rechtsprechung des BFH nicht zu den Betriebsausgaben oder wie im Streitfall zu den Werbungskosten gehören (vgl. BFH-Urteile vom 11. Mai 1989 IV R 56/87, BFHE 157, 152, BStBl II 1989, 657; vom 10. April 1990 VIII R 63/88, BFHE 161, 440, BStBl II 1990, 1017), kann deshalb offen bleiben.
2. Der i.S. des § 173 Abs. 2 AO 1977 aufgrund der Außenprüfung ergangene Feststellungsbescheid beruht nach den tatsächlichen Feststellungen des FG, denen zufolge die Provision als Privateinlage gebucht wurde, ersichtlich nicht auf einer Steuerhinterziehung oder einer leichtfertigen Steuerverkürzung, so dass dessen Änderung durch die Änderungssperre der Vorschrift ausgeschlossen ist.
Fundstellen
Haufe-Index 1050853 |
BFH/NV 2004, 1379 |