Leitsatz (amtlich)
Ein Unternehmer, der Silberzinnlegierungen mit einem Silberanteil von etwa 50 % herstellt und zu Folien, Splittern oder Feilungen verarbeitet, die vom Zahnarzt unter Zusatz etwa der gleichen Menge Quecksilber zu einer knetbaren Masse verrieben werden müssen, ehe sie als Zahnfüllstoff verwendet werden können, überschreitet nicht das Verarbeitungsprivileg des § 30 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB.
Normenkette
UStG § 4 Ziff. 4; UStDB 1951 § 29 Abs. 2 Ziff. 9a, § 30 Abs. 1 Ziff. 5
Tatbestand
Streitig ist, ob die Steuerpflichtige, die Silberzinnlegierungen mit einem Silberanteil von mindestens 50 % herstellt und zu Folien, Splittern oder Feilungen verarbeitet und in etikettierten Glas- oder Kunststoff-Fläschchen abgefüllt im Großhandel an Händler (sog. Dental-Depots) oder auch an Zahnärzte liefert, hierfür Steuerfreiheit nach § 4 Ziff. 4 UStG in Verbindung mit §§ 29 Abs. 2 Ziff. 9 a, 30 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB 1951 beanspruchen kann.
Die Vorinstanz hat die Anwendung der Befreiungsvorschrift deshalb verneint, weil die Liefergegenstände als Zahnfüllstoff nach der zolltariflichen Einordnung eindeutig unter die Zolltarif-Nr. 3005 des Kap. 30 (BGBl 1957 I S. 1477) fielen und nicht unter die Edelmetall-Legierungen des Kap. 71 (vgl. Kap. 71 Vorschriften Ziffer 3b, BGBl 1957 I S. 1572). Die Liefergegenstände könnten deshalb als pharmazeutische Fertigerzeugnisse (fertiges Medikament) nicht begünstigt sein.
Entscheidungsgründe
Die gegen die Versagung der Steuerfreiheit gerichtete Rb. der Steuerpflichtigen ist begründet.
Gerügt wird Verletzung der verfahrensrechtlichen Grundsätze über das rechtliche Gehör. Diese Rüge greift durch. Dem Finanzamt ist zwar zuzugeben, daß über den Austausch von Schriftsätzen, die bei unstreitigem Tatbestand im wesentlichen Rechtsausführungen enthalten, das Finanzgericht grundsätzlich nach seinem pflichtgemäßen Ermessen entscheidet. Im Streitfalle hat aber das Finanzamt seine Rechtsauffassung ausweislich der Akten erstmals in der Berufungserwiderung dargelegt, die der Bfin. nicht zur Kenntnis gebracht worden ist. Aus den Umsatzsteuerakten geht hervor, daß das Finanzamt zunächst nur in einem der Oberfinanzdirektion als Zweifelsfrage vorgelegten Bericht seine Auffassung kurz dargelegt hat. Das Finanzamt ist sodann von der Oberfinanzdirektion angewiesen worden, die Streitfrage im Rechtsmittelverfahren klären zu lassen. Nach der Zulassung des Einspruchs als Sprungberufung hat das Finanzamt sodann seine ablehnende Stellungnahme erstmals ausführlich begründet, die das Finanzgericht sodann -- zum Teil wörtlich -- in seinen Urteilsgründen verwendet hat, ohne der Bfin. auch nur einmal Gelegenheit zu geben, die Rechtsauffassung des Finanzamts, der sich das Finanzgericht angeschlossen hat, anzugreifen oder zu widerlegen. Ein solches Verfahren entspricht nicht rechtsstaatlichen Grundsätzen, zumal nach Lage des Falles durchaus die Möglichkeit besteht, daß das Finanzgericht, wenn es der Bfin. Gelegenheit gegeben hätte, auf die Ausführungen des Finanzamts einzugehen, zu einem anderen Ergebnis gelangt wäre. Die Vorentscheidung ist deshalb schon wegen Verletzung des Grundsatzes des rechtlichen Gehörs aufzuheben.
Nach Aufhebung der Vorentscheidung ist der Senat in der Lage, auch das neue Vorbringen in der Rechtsbeschwerdeinstanz selbst zu würdigen (vgl. § 296 Abs. 3 in Verbindung mit §§ 298 Abs. 1, 270 AO). Hiernach ist die Sache spruchreif.
Nach § 4 Ziff. 4 UStG sind die Lieferungen notwendiger Rohstoffe und Halberzeugnisse im Großhandel steuerfrei. Notwendige Rohstoffe und Halberzeugnisse im Sinne dieser Vorschrift sind u. a. Edelmetallegierungen (§ 29 Abs. 2 Ziff. 9a UStDB 1951). Daß es sich bei dem Liefergegenstand des Streitfalles um Edelmetallegierungen im Sinne des § 29 Abs. 2 Ziff. 9a a. a. O. handelt, wird nunmehr auch vom Finanzamt nicht mehr bezweifelt. Es bleibt daher nur noch zu prüfen, ob die Bfin. das Bearbeitungsprivileg des § 30 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB 1951 überschritten hat. Nach dieser Vorschrift gilt als besonders zugelassene Bearbeitung im Sinne des § 29 Abs. 1 Ziff. 4, wenn die in § 29 Abs. 2 Ziff. 9a a. a. O. genannten Edelmetallegierungen zu Gegenständen verarbeitet werden, die weder als fertige Erzeugnisse noch als solche Halberzeugnisse anzusehen sind, die ohne weitere wesentliche Veränderung ihrer Zusammensetzung oder Form dem Fertigerzeugnis oder einem anderen Halberzeugnis eingefügt werden können. Nun ist es unstreitig, daß der Liefergegenstand nicht ohne weiteres vom Zahnarzt als Zahnfüllstoff verwendet wird, sondern unter Zusatz grundsätzlich etwa der gleichen Menge von Quecksilber werden die Splitter usw. in einem Mörser oder Mischgerät beim Zahnarzt verrieben, bis sich das Quecksilber mit den anderen Teilen verbunden hat. Es entsteht dadurch eine knetbare Masse, die erst der Zahnarzt zum Ausfüllen oder Stopfen der Kavitäten benutzen kann. Es entstehen durch das Hinzufügen des Quecksilbers neue Verbindungen, die als wesentliche Veränderung der Zusammensetzung und der Form anzusehen sind. Man wird den Liefergegenstand, der bis zu seiner Verwendung als Zahnfüllstoff hiernach noch wesentliche Veränderungen sowohl hinsichtlich der Form als auch hinsichtlich seiner Zusammensetzung erfahren muß, deshalb auch schwerlich als Fertigerzeugnis ansehen können. Der Vorinstanz, die an sich der gleichen Auffassung zuneigte, hätten sich solchenfalls Zweifel aufdrängen müssen, ob der Zolltarif (ZT) hinsichtlich der Edelmetallegierungen vergleichbare Begriffsabgrenzungen enthält. Unter die Zolltarif-Nr. 3005 fallen sicherlich auch Fertigerzeugnisse, wie z. B. chirurgische Nähseide. Andererseits sind nicht alle Waren, die als Edelmetall oder Edelmetallegierungen nach § 29 Abs. 2 Ziff. 9a UStDB 1951 begünstigt sind, im Kap. 71 ZT enthalten. So gehören Silbernitrat oder Legierungen der Edelmetalle mit Quecksilber unter die Zolltarif-Nr. 2882 des für 1957 gültigen Zolltarifs (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs V 228/57 U vom 4. September 1958, BStBl 1958 III S. 435, Slg. Bd. 67 S. 426). Dem Umstand, daß die Legierungen des Streitfalls nicht unter Kap. 71 ZT fallen, kommt mithin entscheidende Bedeutung nicht zu.
Unter diesen Umständen erscheint es gerechtfertigt, die Verkehrsanschauung über die Frage, ob die in Rede stehenden Legierungen Fertigerzeugnisse sind, besonders zu ermitteln. Die Bfin. hat eine Reihe von Gutachten sämtlicher in Betracht kommenden Verbände vorgelegt. Die Gutachten, insbesondere das des Bundesverbandes der deutschen Zahnärzte als der Abnehmer der gelieferten Erzeugnisse, sind unter Anführung tatsächlicher Umstände schlüssig begründet und kommen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß im Streitfall nicht ein Fertigerzeugnis, sondern ein Werkstoff geliefert worden ist. Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den oben geschilderten Verwendungsmöglichkeiten.
Der erkennende Senat hat in seinem Urteil V 48/59 S vom 24. August 1961 (BStBl 1961 III S. 558, Slg. Bd. 73 S. 804) darauf hingewiesen, daß der Unterschied zwischen steuerfreien Halberzeugnissen und Fertigerzeugnissen technisch und wirtschaftlich nicht immer genau zu bestimmen ist. Der Gesetzgeber hat darum angeordnet, daß die Bundesregierung die Gegenstände bestimmt, die nach § 4 Ziff. 4 UStG steuerfrei geliefert werden können. Grundsätzlich sind deshalb die in dem Verzeichnis des § 29 Abs. 2 UStDB aufgezählten Gegenstände begünstigt, ohne daß überhaupt zu prüfen ist, ob es sich noch um notwendige Rohstoffe oder Halberzeugnisse handelt. Eine Prüfung in dieser Richtung kam im Streitfall nur deshalb in Betracht, weil das Bearbeitungsprivileg für Edelmetalle einerseits in § 30 Abs. 1 Ziff. 5 UStDB eine Grenze zu den fertigen Erzeugnissen zieht. Der Umstand, daß die Legierungen vor ihrer Verwendungsmöglichkeit einer weiteren wesentlichen Verarbeitung unterzogen werden müssen und noch nicht die Endform einer gebrauchsfertigen Zahnfüllung darstellen, spricht jedoch allein schon gegen die Auffassung der Vorinstanz.
Da die sonstigen Voraussetzungen des § 4 Ziff. 4 UStG nicht streitig sind, war die Umsatzsteuer für das Kalenderjahr 1957 unter Aufhebung der Vorentscheidung entsprechend dem Antrage der Bfin. auf . . . . DM festzusetzen.
Fundstellen
BStBl III 1963, 473 |
BFHE 1964, 421 |