Entscheidungsstichwort (Thema)
Anspruch auf Erteilung der Zustimmungserklärung nach § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG
Leitsatz (amtlich)
1. Der Anspruch des Unterhaltsleistenden gegenüber dem Unterhaltsempfänger auf Erteilung der Zustimmungserklärung nach § 10 Abs.1 Nr.1 EStG ist ein zivilrechtlicher Anspruch. Ob die Verweigerung einer solchen Willenserklärung rechtsmißbräuchlich ist, haben die Finanzbehörden und Finanzgerichte nicht zu prüfen.
2. Zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 10 Abs.1 Nr.1 und 33a Abs.1 a EStG.
Orientierungssatz
1. § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG ist mit dem GG vereinbar. Auch die Regelung des § 33a Abs. 1a EStG (sog. Besucherfreibetrag) ist nicht verfassungswidrig.
2. Daß eine Gesetzesvorschrift aus systematischen und/oder praktischen Gründen unbefriedigend erscheint, macht sie noch nicht verfassungswidrig (vgl. BVerfG-Rechtsprechung; Literatur). Es ist nicht Sache der Gerichte, zu prüfen, ob ein bestimmtes Rechtsproblem nicht einfacher und (systematisch) besser geregelt werden könnte.
3. Ob und wann ein Recht mißbraucht wird, läßt sich nur im Rahmen eines konkreten Rechtsverhältnisses und am Maßstab der dafür geltenden Rechtsgrundsätze beantworten.
4. Die für den Sonderausgabenabzug von Unterhaltsaufwendungen von § 10 Abs. 1 Nr. 1 EStG zwingend geforderte Zustimmungserklärung des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten kann nicht durch behördliche oder gerichtliche Wertungen und Willensbekundungen ersetzt, sondern allenfalls (zivil-)gerichtlich erzwungen werden.
Normenkette
EStG § 10 Abs. 1 Nr. 1, § 33a Abs. 1a
Tatbestand
Im Streitjahr 1981 zahlte der (seit 1982 wiederverheiratete) Kläger und Revisionskläger (Kläger) Unterhalt an seine (erste) Frau, von der er seit 1979 geschieden ist, in Höhe von insgesamt 1 980 DM und an seine beiden aus dieser Ehe stammenden, 1968 bzw. 1969 geborenen, bei ihrer Mutter lebenden Kinder in Höhe von 5 880 DM (490 DM monatlich).
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) berücksichtigte im (geänderten) Einkommensteuerbescheid für 1981 nur die Unterhaltsaufwendungen für die beiden Kinder, und zwar gemäß § 33a Abs.1 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung in Höhe von zusammen 1 200 DM (2 x 600 DM). Die Unterhaltszahlungen an die geschiedene Ehefrau ließ das FA gänzlich unberücksichtigt, weil ―so ein Aktenvermerk des FA― die Einkünfte der Leistungsempfängerin "zu hoch" seien.
Die hiergegen nach erfolglosem Einspruch gerichtete, allein auf verfassungsrechtliche Einwände gestützte Klage wies das Finanzgericht (FG) als unbegründet ab.
Mit der Revision macht der Kläger weiterhin vor allem verfassungsrechtliche Einwände geltend: Sowohl das Zustimmungserfordernis in § 10 Abs.1 Nr.1 EStG als auch die betragsmäßige Begrenzung der Abziehbarkeit von Unterhaltsaufwendungen in § 33a Abs.1 a EStG seien realitätsfremd und verstießen gegen das Gleichbehandlungsgebot (Art.3 Abs.1 des Grundgesetzes ―GG―). Außerdem habe das FG nicht berücksichtigt, daß im Streitfall die Verweigerung der nach § 10 Abs.1 Nr.1 EStG erforderlichen Zustimmung rechtsmißbräuchlich sei. Als verfahrensrechtlicher Verstoß (gegen § 76 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) wird schließlich gerügt, im angefochtenen Urteil sei dem Umstand nicht Rechnung getragen worden, daß die geschiedene Ehefrau des Klägers 1981 eine Einkommensteuererklärung abgegeben habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache an das FG zurückzuverweisen ―hilfsweise―, die Einkommensteuerschuld 1981 unter Abänderung des angefochtenen Urteils und des angefochtenen Bescheids auf 12 286 DM herabzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist ―sowohl hinsichtlich des hauptsächlich geäußerten Begehrens als auch hinsichtlich des Hilfsantrags― unbegründet. Das angefochtene Urteil verstößt weder gegen einfaches Gesetzesrecht noch gegen Verfassungsrecht.
1. Ein Verfahrensfehler ist nicht erkennbar. Der Kläger hat nicht dargetan, und es ist auch sonst nicht ersichtlich, inwiefern die laut Revisionsbegründung vermißten weiteren Ermittlungen aus der Sicht des FG (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 2.Aufl. 1987, § 115 Rdnr.34) hätten entscheidungserheblich werden können.
2. Materielles Gesetzesrecht ist durch die vom FG bestätigte Nichtberücksichtigung weiterer Unterhaltsleistungen im angefochtenen Einkommensteuerbescheid ebenfalls nicht verletzt. Vor allem haben FA und FG die geltend gemachten Unterhaltsleistungen an die geschiedene Ehefrau zu Recht schon allein wegen der fehlenden Zustimmung unberücksichtigt gelassen.
Zu den als Sonderausgaben abziehbaren Aufwendungen gehören gemäß § 10 Abs.1 Nr.1 EStG unter den dort genannten weiteren Voraussetzungen Unterhaltsleistungen an den geschiedenen, unbeschränkt steuerpflichtigen Ehegatten, wenn der Unterhaltsleistende (Geber) dies mit Zustimmung des Empfängers beantragt.
a) Fehlt die Zustimmungserklärung des Unterhaltsberechtigten, die ―zusammen mit dem Antrag des Unterhaltsverpflichteten― Merkmal des gesetzlichen Tatbestands ist (erkennender Senat, Urteil vom 12.Juli 1989 X R 8/84, BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957, 958 f.), so führt allein dieser Mangel notwendig zur Versagung des vom Unterhalt Leistenden begehrten Sonderausgabenabzugs.
Warum im Einzelfall die Zustimmungserklärung nicht erteilt wurde, ist unbeachtlich. Die Regelung stellt nach ihrem Wortsinn und Zweck (vgl. dazu Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957, 959, unter 1. b) bb) m.w.N.) allein auf das Ergebnis der vom Gesetzgeber vorausgesetzten Einigung zwischen den geschiedenen oder getrennt lebenden Eheleuten ab: Ist die Zustimmung (erwiesenermaßen) erteilt, so ist (bei Vorliegen der übrigen gesetzlichen Voraussetzungen) der Sonderausgabenabzug zu gewähren, fehlt sie (oder kann sie nicht nachgewiesen werden), so ist der Sonderausgabenabzug zu versagen. Weder im einen noch im anderen Fall kommt es auf die Motive und Begleitumstände vor allem darauf an, aus welchen Gründen eine solche Erklärung abgegeben oder verweigert wurde.
Nichts anderes gilt, wenn die Verweigerung der Zustimmungserklärung, wie der Kläger dies für den Streitfall behauptet, rechtsmißbräuchlich ist. Auch dieser Umstand wird nach § 10 Abs.1 Nr.1 EStG (erforderlichenfalls in Verbindung mit § 175 Abs.1 Satz 1 Nr.2 der Abgabenordnung ―AO 1977―; vgl. dazu Urteil in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957) erst dann bedeutsam, wenn er tatsächlich zu einer Erteilung der Zustimmung bzw. zu einer entsprechenden (rechtskräftigen) Verurteilung (§ 894 Abs.1 der Zivilprozeßordnung ―ZPO―; vgl. dazu Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 25.Oktober 1988 IX R 53/84, BFHE 155, 99, BStBl II 1989, 192) geführt hat. Die vom Gesetz zwingend geforderte Zustimmungserklärung des geschiedenen oder getrennt lebenden Ehegatten kann nicht durch behördliche oder gerichtliche Wertungen und Willensbekundungen ersetzt, sondern allenfalls gerichtlich erzwungen werden.
b) Eine Verurteilung zur Abgabe der Zustimmungserklärung nach § 10 Abs.1 Nr.1 Satz 1 EStG kann nicht auf abgabenrechtlichem Wege erreicht werden, weil ―unabhängig von der Rechtsnatur der Zustimmungserklärung― der Anspruch auf ihre Erteilung ein rein zivilrechtlicher, notfalls mit Hilfe des § 894 ZPO durchsetzbarer Anspruch ist (im Ergebnis ebenso BFH in BFHE 155, 99, BStBl II 1989, 192 und die dortigen Nachweise).
Die Eigenart der Zustimmungserklärung besteht darin, daß ihre Wirkung im Bereich des Abgabenrechts liegt, ihre Voraussetzungen dagegen zivilrechtlicher Natur sind: Das Zustimmungserfordernis im Rahmen der unterhaltsrechtlichen Leistungsbeziehung zwischen geschiedenen oder dauernd getrennt lebenden Ehegatten soll dem Schutz des regelmäßig sozial schwächeren Unterhaltsberechtigten dienen. Dieser soll die Möglichkeit haben, sich vor steuerlichen und außersteuerlichen Nachteilen zu schützen und zu diesem Zweck seine Zustimmung zur Inanspruchnahme des Sonderausgabenabzugs durch den Unterhaltsverpflichteten z.B. auch davon abhängig machen dürfen, daß dieser beim Unterhaltsempfänger infolge der Unterhaltsleistung anfallende Steuern übernimmt (vgl. erkennender Senat in BFHE 157, 484, BStBl II 1989, 957, 959 und die dortigen Nachweise). Dabei sind Bemessung und Verwirklichung der geschuldeten Unterhaltsleistung die bestimmenden Gesichtspunkte, und zwar auch insoweit, als es um die Berücksichtigung von steuerlichen Auswirkungen beim Empfänger wie beim Leistenden geht. Demgemäß erfordert die Beantwortung der Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen der Unterhaltspflichtige vom Unterhaltsberechtigten Erteilung der in § 10 Abs.1 Nr.1 EStG vorgesehenen Zustimmungserklärung beanspruchen kann, eine Gesamtwürdigung dieser Leistungsbeziehung nach rein unterhaltsrechtlichen Kriterien, wobei sich Steuervorteile auf der einen und Steuernachteile auf der anderen Seite nur in ihrer rechnerischen Auswirkung auf die Unterhaltsleistung als bedeutsam erweisen.
Die privatrechtliche Natur des Anspruchs auf Erteilung der Zustimmung ist auch entscheidend für die Zuordnung der Mißbrauchsprüfung: Ob und wann ein Recht mißbraucht wird, läßt sich nur im Rahmen eines konkreten Rechtsverhältnisses und am Maßstab der dafür geltenden Rechtsgrundsätze beantworten (ebenso ganz allgemein für die Grundsätze von Treu und Glauben: Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 13.Aufl., § 4 AO 1977 Tz.56 m.w.N.).
Es ist daher nicht Sache der Finanzbehörden und Finanzgerichte zu beurteilen, ob die Verweigerung einer für den Sonderausgabenabzug gemäß § 10 Abs.1 Nr.1 EStG erforderlichen Zustimmung rechtsmißbräuchlich ist (im Ergebnis ebenso FG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.Juni 1982 IX 66/81 ―IV 107/80―, Entscheidungen der Finanzgerichte ―EFG― 1983, 19; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, 9.Aufl. 1990, § 10 Anm.10 Buchst.b cc; Söhn in Kirchhof/Söhn, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr.C 95 ff.; Stephan in Littmann/Bitz/Meincke, Das Einkommensteuerrecht, 15.Aufl. 1990, § 10 EStG Tz.25b ―jeweils m.w.N.―).
c) Die zur Behandlung eines mißbräuchlich gestellten Antrags auf getrennte Veranlagung (§ 26 Abs.2 Satz 1 EStG) entwickelten Grundsätze (vgl. BFH-Urteil vom 12.August 1977 VI R 61/75, BFHE 123, 172, BStBl II 1977, 870; Schmidt/Seeger, a.a.O., § 26 Anm.9) geben für die Problematik grundloser Zustimmungsverweigerung im Rahmen des § 10 Abs.1 Nr.1 EStG nichts her. Denn hier geht es nicht nur darum, eine rechtsgrundlos abgegebene Willenserklärung unbeachtet zu lassen, sondern darum, eine rechtsgrundlos verweigerte Willenserklärung zu ersetzen. Vor allem aber sind beim Antrag auf getrennte Veranlagung im Gegensatz zur Zustimmung beim "Realsplitting" rein abgabenrechtliche Erwägungen (betreffend die Wahl der günstigsten Veranlagungsart) anzustellen (ebenso Söhn, a.a.O., Rdnr.C 97 f.; Stephan, a.a.O. ―jeweils m.w.N.).
3. Die dem angefochtenen Steuerbescheid und dem FG-Urteil zugrunde liegenden Gesetzesnormen sind mit dem GG vereinbar.
a) Der Umstand, daß der Sonderausgabenabzug in § 10 Abs.1 Nr.1 EStG u.a. von der Zustimmung des Unterhaltsempfängers abhängt, läßt einen Verfahrensverstoß nicht erkennen. Für die ―in der Revisionsbegründung nicht näher konkretisierte― Behauptung, Art.3 GG sei verletzt, fehlt schon die für eine solche rechtliche Wertung erforderliche vergleichbare Ausgangslage.
Daß im übrigen eine Gesetzesvorschrift aus systematischen und/oder praktischen Gründen unbefriedigend erscheint (vgl. Tipke/Lang, Steuerrecht, 12.Aufl. 1989, 374 m.w.N., Fußnote 32), macht sie noch nicht verfassungswidrig (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts ―BVerfG― vom 19.Oktober 1982 1 BvL 39/80, BVerfGE 61, 138, 143, und vom 10.November 1981 1 BvL 18, 19/77, BVerfGE 59, 36, 49 m.w.N.). Es ist nicht Sache der Gerichte, zu prüfen, ob ein bestimmtes Rechtsproblem nicht einfacher und (systematisch) besser geregelt werden könnte. Dies gilt auch für den in diesem Zusammenhang herangezogenen Gesichtspunkt der Zumutbarkeit (Tipke/Lang, a.a.O.). Im übrigen hat die Kompliziertheit der Vorschrift ihren Grund vor allem in den besonderen Schwierigkeiten der zu regelnden Sach- und Interessenlage, nicht in der Art der hierzu unternommenen gesetzgeberischen Lösungsversuche: Nicht nur im Rahmen des § 10 Abs.1 Nr.1 EStG stellt sich dem Gesetzgeber das Problem, widerstreitende Interessen im Rahmen einer fortwirkenden Dauerrechtsbeziehung, deren konstitutive Elemente entfallen sind, auszugleichen.
b) Auch die Regelung des § 33a Abs.1 a EStG ist nicht verfassungswidrig.
Die vom Kläger angegriffene betragsmäßige Begrenzung ist nicht als Unterhaltsfreibetrag anzusehen (BFH-Beschluß vom 4.Februar 1987 III B 151/86, BFHE 148, 530, BStBl II 1987, 339). Da es für die Gewährung des "Besucherfreibetrags" nicht darauf ankommt, ob und in welchem Umfang tatsächlich Unterhalt geleistet wurde, geht die Frage, ob bestimmte Unterhaltsleistungen realitätsgerecht berücksichtigt sind, am Kern der Steuervergünstigungsregelung vorbei (BFHE 148, 530, BStBl II 1987, 339).
Fundstellen
Haufe-Index 63468 |
BFH/NV 1990, 83 |
BStBl II 1990, 1022 |
BFHE 161, 517 |
BFHE 1991, 517 |
BB 1990, 2180 (L) |
DB 1990, 2401-2402 (LT) |
DStR 1990, 710 (KT) |
DStZ 1991, 248 (KT) |
HFR 1991, 22 (LT) |
StE 1990, 402 (K) |