Entscheidungsstichwort (Thema)
Wirksamkeit des Verzichts auf mündliche Verhandlung
Leitsatz (NV)
Der Verzicht auf mündliche Verhandlung muß eindeutig und vorbehaltlos sein. Verzichtet der Kläger auf mündliche Verhandlung unter der Voraussetzung, daß das FG eine Beweiserhebung nicht für erforderlich hält, bietet er für seine Behauptungen aber gleichzeitig Beweis an, so ist sein Verzicht jedenfalls nicht eindeutig und damit unwirksam.
Normenkette
FGO § 90 Abs. 2, § 116 Abs. 1 Nr. 3
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) und die Beigeladene, seine geschiedene Ehefrau, sind Eltern der 1971 geborenen Tochter T. T hatte im Streitjahr 1993 eine eigene Wohnung und befand sich in Ausbildung. Nach einem Urteil des Amtsgerichts hatte die Tochter nach Abzug des Kindergeldes einen Unterhaltsbedarf von 750 DM monatlich, von dem der Kläger 510,35 DM zu zahlen hatte.
Den Antrag des Klägers, ihm den vollen Kinderfreibetrag und Ausbildungsfreibetrag zu gewähren, lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) mit der Begründung ab, der Kläger habe im Streitjahr nur 4 464 DM Unterhalt gezahlt (72,89 v. H. seiner Unterhaltspflicht von insgesamt 6 124 DM; 12 x 510,35 DM); er sei damit seiner Unterhaltspflicht nicht im wesentlichen, nämlich nicht zu mindestens 75 v. H., nachgekommen.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ohne mündliche Verhandlung ab. Es folgte dem FA darin, daß der Kläger seine Unterhaltspflicht nicht im wesentlichen erfüllt habe.
Dagegen wendet sich der Kläger mit seiner Revision, mit der er als Verfahrensmangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 3 der Finanz gerichtsordnung (FGO) rügt, das FG habe ohne mündliche Verhandlung entschieden, obwohl er nicht wirksam auf mündliche Verhandlung verzichtet habe. Er habe zunächst auf schriftliche Anfrage des FG Düsseldorf in seinem Schriftsatz vom 2. September 1995 mitgeteilt, er beantrage im Hinblick auf eine eventuell erforderliche Beweiserhebung durch das FG eine mündliche Verhandlung. Im Schriftsatz vom 8. September 1995 habe er dann mitgeteilt, er verzichte auf mündliche Verhandlung, wenn das FG Beweiserhebungen zur Klärung des Sachverhalts nicht für erforderlich halte. Das habe bedeutet, daß er für seine gesamten Darlegungen Beweis angeboten und auf eine mündliche Verhandlung nur dann verzichtet habe, wenn das FG seine Darlegungen anerkannt hätte. Er habe damit weder ausdrücklich noch stillschweigend der Prozeßführung ohne seine Beteiligung zugestimmt. In der Sache rügt der Kläger, daß er seine Unterhaltspflicht bei richtiger Berechnung zu mehr als 100 v. H. erfüllt habe, während die Beigeladene nur unbedeutende Beträge bezahlt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung aufzuheben und ihm unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 1993 in Gestalt der Einspruchsentscheidung den vollen Kinder- und Ausbildungsfreibetrag für seine Tochter T zu gewähren.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das FA hätte nicht ohne mündliche Verhandlung entscheiden dürfen, weil der Kläger nicht sein Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt hat (§90 Abs. 2 FGO). Entscheidet das FG ohne mündliche Verhandlung, obwohl ein Prozeßbeteiligter nicht wirksam auf sie verzichtet hat, so liegt ein Verfahrensmangel i. S. des §116 Abs. 1 Nr. 3 FGO vor, weil dieser Prozeßbeteiligte im Verfahren nicht wirksam vertreten ist (Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 9. Juni 1986 IX B 90/85, BFHE 146, 395, BStBl II 1986, 679; Urteile vom 18. Juli 1990 I R 10/90, BFH/NV 1991, 251; vom 9. August 1996 VI R 37/96, BFHE 181, 115, BStBl II 1997, 77 m. w. N.; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., §119 Anm. 19). Im Streitfall hatte der Kläger nicht wirksam auf eine mündliche Verhandlung verzichtet. Der Verzicht auf die mündliche Verhandlung ist eine Prozeßhandlung, die klar, eindeutig und vorbehaltlos erklärt werden muß (BFH-Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425). Ein nicht eindeutiger Verzicht oder ein Verzicht unter einer echten Bedingung ist unwirksam (BFH-Urteile vom 26. Oktober 1970 III R 122/66, BFHE 101, 49, BStBl II 1971, 201; vom 4. April 1996 I B 96/95, BFH/NV 1996, 698). Allerdings liegt keine echte Bedingung vor, wenn der Prozeßbeteiligte seinen Verzicht von innerprozessualen Voraussetzungen abhängig macht, z. B. davon, daß auch der andere Prozeßbeteiligte auf mündliche Verhandlung verzichtet (BFH-Urteil vom 28. April 1971 I R 100/69, nicht veröffentlicht -- NV --) oder wenn der Verzicht ausgesprochen wird für den Fall, daß auch das Gericht der Ansicht ist, weitere Ermittlungen seien nicht erforderlich (BFH-Beschluß vom 21. August 1974 I B 23/74, NV). Im Streitfall fehlt es jedenfalls an einem eindeutigen Verzicht auf mündliche Verhandlung. Der Kläger hat zwar in seinem Schriftsatz vom 8. September 1995 mitgeteilt, er verzichte -- abweichend von einer vorangegangenen Erklärung -- auf eine mündliche Verhandlung, falls das FG Beweiserhebungen zur Klärung des Sachverhalts nicht für erforderlich halte. Unmittelbar vor dieser Mitteilung hatte er aber im gleichen Schriftsatz "für alle Darlegungen" Beweis angeboten, d. h. eine Beweiserhebung beantragt. Diese Darlegungen betrafen die Höhe der Unterhaltsverpflichtung der Beigeladenen sowie deren Zahlungen auf diese Unterhaltsverpflichtung im Streitfall sowie die Unterhaltsleistung des Klägers und den Aufenthalt der Tochter. Er ging also -- anders als der Antragsteller im Verfahren I B 23/74 -- davon aus, daß eine Beweiserhebung über diese Punkte erforderlich sei. Wenn er dennoch auf mündliche Verhandlung unter der Voraussetzung verzichtete, daß das FG eine Beweiserhebung zur Klärung des Sachverhalts nicht für erforderlich hält, kann der Verzicht mindestens auch dahin verstanden werden, daß der Kläger -- wie er mit der Revision vorträgt -- nur dann auf eine mündliche Verhandlung verzichten wollte, wenn das Gericht seinem Sachvortrag in tatsächlicher Hinsicht folgt. Die Erklärung ist deshalb jedenfalls nicht eindeutig und damit unwirksam.
Die Vorentscheidung ist wegen des Verfahrensfehlers aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Eine Sachentscheidung ist dem Revisionsgericht in einem solchen Fall verwehrt (BFH-Urteile in BFHE 166, 415, BStBl II 1992, 425, und vom 22. Juni 1993 VIII R 16/92, BFH/NV 1994, 250).
Fundstellen
Haufe-Index 66398 |
BFH/NV 1998, 183 |