Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldschädliche Einkünftegrenze auch im Kalenderjahr 1998 verfassungsgemäß
Leitsatz (NV)
- Der Begriff der "Einkünfte" in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht auch im Streitjahr 1998 der Legaldefinition des § 2 Abs 2 EStG und ist nicht im Sinne des "zu versteuernden Einkommens" zu verstehen (Bestätigung des Senatsurteils vom 21.7.2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566).
- Auch für den Veranlagungszeitraum 1998 entspricht der Jahresgrenzbetrag in dieser Vorschrift mit ‐ kindergeldschädlichen ‐ Einkünften und Bezügen von mehr als 12.360,― DM sowohl nach der Art der gewählten Bemessungsgrundlage, als auch nach der Höhe verfassungsrechtlichen Anforderungen.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2; FGO §§ 76, 126 Abs. 6 S. 1
Verfahrensgang
Hessisches FG (EFG 2000, 132) |
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hat vier Kinder, von denen der älteste Sohn (S) im Jahr 1978 geboren worden ist. S hat am 1. September 1997 eine Berufsausbildung als Verkäufer begonnen. Diesen Sachverhalt teilte der Kläger dem Beklagten und Revisionsbeklagten (Arbeitsamt ―Familienkasse―) erst im März 1998 mit. Aufgrund weiterer Nachforschungen erfuhr die Familienkasse, dass S seine Schulausbildung im Juli 1997 abgebrochen hatte. Da Unterlagen über die Ausbildungsvergütung des S der Familienkasse nicht zeitnah bekannt wurden, hob sie mit Bescheid vom Juli 1998 die Kindergeldfestsetzung für S rückwirkend zum August 1997 auf und forderte vom Kläger das gezahlte Kindergeld in Höhe von 3 850 DM zurück. Im Rahmen des Einspruchsverfahrens legte der Kläger Verdienstbescheinigungen für 1997 und 1998 vor. Daraufhin ermittelte die Familienkasse Einkünfte des S für 1997, die unter der Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Satz 6 und 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG) lagen; für 1998 ergab die Berechnung der Familienkasse dagegen Einkünfte des S (12 646 DM), die diese Grenze (im Streitjahr 1998: 12 360 DM) überschritten. Durch Änderungsbescheid vom August 1998 beschränkte die Familienkasse die Aufhebung der Kindergeldfestsetzung auf den Zeitraum ab Januar 1998 und forderte das gezahlte Kindergeld für Januar bis Juli 1998 in Höhe von insgesamt 2 450 DM zurück.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2000, 132 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
Dagegen wendet sich der Kläger mit der Revision. Zur Begründung trägt er im Wesentlichen vor: Sowohl der Wortlaut, als auch Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung würden es gebieten, im Lichte von Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) den Gesetzestext des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG dahin gehend auszulegen, dass bei der Bestimmung des Einkommens eines Kindes von den Bruttoeinnahmen nicht nur die Werbungskosten in Abzug zu bringen seien. Gehe man davon aus, dass durch den Familienleistungsausgleich gerade die Unterstützung von Familien mit Kindern berücksichtigt werde, sei es gerechtfertigt, auch die Beiträge zur Sozialversicherung bei der Berechnung der für den Unterhalt zur Verfügung stehenden Einkünfte eines Kindes unberücksichtigt zu lassen. Einkünfte in Höhe des in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannten Grenzbetrages seien nach der Einkommensteuertabelle für das Jahr 1998 nicht zu versteuern gewesen. Mit dieser Regelung solle verwirklicht werden, dass der Betrag, der sozialhilferechtlich als Existenzminimum definiert sei, von der Einkommensteuer freigestellt werden solle. Die Tatsache, dass der in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG genannte Grenzbetrag dem Grundfreibetrag des § 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG entspreche, lege es nahe, dass der Gesetzgeber auch für die Frage der Kindergeldberechtigung Einkünfte, die unter dem Existenzminimum lägen, unberücksichtigt habe lassen wollen.
Für den Unterhalt des Sohnes des Klägers hätten im Jahr 1998 nur die nach Abzug der Sozialversicherungsbeiträge und Lohnsteuer verbleibenden Nettoeinkünfte in Höhe von 11 863,27 DM zur Verfügung gestanden. Nur dieses Einkommen könne gemäß § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG zugrunde gelegt werden. Die Beiträge zur Sozialversicherung ―jedenfalls diejenigen für die Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung― stünden für den aktuellen Lebensbedarf des Sohnes des Klägers nicht zur Verfügung. Sie dienten ausschließlich der Absicherung eines zukünftigen Risikos, wobei nicht feststehe, ob sich das Risiko der Arbeitslosigkeit oder Pflegebedürftigkeit in Zukunft realisieren werde.
Darüber hinaus beruhe das angegriffene Urteil auf einem Verfahrensmangel, da das Gericht fehlende Darlegungen des Klägers zur Frage des Verfassungsverstoßes gerügt habe. Es sei nicht auszuschließen, dass das Gericht bei richtiger Anwendung des Amtsermittlungsgrundsatzes und Überprüfung der verfassungsrechtlichen Fragen zu einem für den Kläger sachlich günstigeren Ergebnis gekommen wäre.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung sowie den geänderten Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid und die Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Im Kindergeld- bzw. Kinderfreibetragsrecht gehe es nicht um die einkommensteuerliche Beurteilung der Kinder, sondern darum, ob diese mangels Deckung ihres existenziellen Mindestbedarfs ihre Eltern unterhaltsmäßig belasteten und deshalb bei diesen ein Familienleistungsausgleich angebracht sei. Bei der Gestaltung der Einkommensgrenze für volljährige Kinder habe der Gesetzgeber daher einen größeren Gestaltungsspielraum. Zur Frage, wann das Existenzminimum durch eigene Einnahmen des Kindes gedeckt sei, habe das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) keine konkreten Vorgaben gemacht. Daher habe der Gesetzgeber die Einkommensgrenze für volljährige Kinder in typisierender und verwaltungsvereinfachender Weise durch den Begriff der Einkünfte festlegen können. Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen gehörten zu den Ausgaben privater Art, die nicht unbedingt existenziell zu sehen seien; im Rahmen der gebotenen Typisierung bei einer Massenverwaltung wie dem Kindergeldbereich müssten solche ―auch stark gestaltungsfähigen― Aufwendungen außer Betracht bleiben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
Dem Kläger steht für das Streitjahr 1998 kein Anspruch auf Kindergeld für S zu, weil dessen Einkünfte den Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG (im Streitjahr 12 360 DM) überschreiten.
1. Gemäß § 62 Abs. 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 und 2 i.V.m. § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a EStG besteht ein Anspruch auf Kindergeld für ein Kind, das das 18., aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet hat, wenn es für einen Beruf ausgebildet wird. Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
2. Nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung wird ein über 18 Jahre altes Kind in Berufsausbildung aber nur berücksichtigt, wenn es Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12 360 DM im Kalenderjahr hat.
Der Begriff der "Einkünfte" in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG entspricht im Streitjahr 1998 der Legaldefinition des § 2 Abs. 2 EStG sowie dem Begriff der "Einkünfte" i.S. des § 33a Abs. 1 Satz 4 EStG und des § 33a Abs. 2 Satz 2 EStG. Einkünfte aus nicht selbständiger Arbeit ―wie im Streitfall― sind danach der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten. Der Begriff der "Einkünfte" ist nicht im Sinne des "zu versteuernden Einkommens" zu verstehen. Wegen der näheren Begründung wird auf das Senatsurteil vom 21. Juli 2000 VI R 153/99 (BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566) verwiesen. Entgegen der Auffassung des Klägers können daher bei der Ermittlung der Einkünfte keine Sonderausgaben und außergewöhnliche Belastungen berücksichtigt werden.
§ 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist in dieser Auslegung des Begriffs der Einkünfte auch verfassungsgemäß. Für den Veranlagungszeitraum 1998 entspricht der Grenzbetrag in dieser Vorschrift mit Einkünften und Bezügen von 12 360 DM sowohl nach der Art der gewählten Bemessungsgrundlage, als auch nach der Höhe verfassungsrechtlichen Anforderungen. Auf der Grundlage des Berichts der Bundesregierung über die Höhe des Existenzminimums von Kindern und Familien für das Jahr 1999 (BTDrucks 13/9561) errechnet sich ein existenznotwendiger Bedarf der über 18 Jahre alten, auswärtig untergebrachten Kinder in Höhe von 899 DM im Monat und 10 788 DM im Jahr. Dieser Bedarf ergibt sich anhand der folgenden, für das Jahr 1999 vorgenommenen, auf das Streitjahr 1998 zu übertragenden Berechnung:
- Eckregelsatz für Alleinstehende im Bundesdurchschnitt monatlich |
552,00 DM |
(für 1999) |
- Zuschlag für EinmalbeihilfenEinmalbeihilfen jährlich 996 DM |
83,00 DM |
monatlich |
- Wohnungskosten monatlich(unterste Grenze nach § 8 des Wohngeldgesetzes ―WoGG―) |
220,00 DM |
monatlich |
- Heizungszuschlag (daraus 20 v.H.) |
44,00 DM |
monatlich |
|
899,00 DM |
monatlich |
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10 788,00 DM |
jährlich |
Hiernach entspricht der Jahresgrenzbetrag des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG in der im Streitjahr geltenden Höhe von 12 360 DM auch der Höhe nach verfassungsrechtlichen Anforderungen, da der Bedarf schon für 1999 nur mit 11 812 DM oder mit 12 188 DM anzusetzen ist (vgl. zur alternativen Berechnungsmethode im Einzelnen das Senatsurteil in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566).
3. Der vom Kläger gerügte Verfahrensverstoß im erstinstanzlichen Verfahren wegen Verletzung der Amtsermittlungspflicht (vgl. § 76 der Finanzgerichtsordnung ―FGO―) ist nicht erkennbar. Abgesehen davon, dass das FG auf die allgemein gehaltenen verfassungsrechtlichen Bedenken des Klägers eingegangen ist, hat der Kläger trotz der zweimaligen schriftlichen Aufforderung des FG seine verfassungsrechtlichen Bedenken nicht näher begründet. Der Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung ab (§ 126 Abs. 6 Satz 1 FGO).
4. Da die Einkünfte des S nach den vom FG in Bezug genommenen Feststellungen der Familienkasse 12 646 DM betragen haben und damit der Jahresgrenzbetrag überschritten war, lagen die Voraussetzungen für die Kindergeldgewährung im Streitjahr nicht vor.
Fundstellen
Haufe-Index 642311 |
BFH/NV 2001, 1559 |