Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Der Teilwert ist ein objektiver Wert, der nicht auf der persönlichen Auffassung des einzelnen Kaufmanns über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung, sondern auf der allgemeinen Auffassung, wie sie in der Marktlage am Bilanzstichtag ihren Ausdruck findet, beruht.
Normenkette
EStG § 6 Ziff. 2
Tatbestand
Der Steuerpflichtige (Stpfl.) betreibt den Tuchgroßversand. Streitig ist ein als Rückstellung bezeichneter Passivposten in der Bilanz in Höhe von 38 000 DM, den das Finanzamt für das Streitjahr (1950) nicht anerkannt hat.
Der Stpfl. hat den Passivposten für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften mit der Begründung gebildet, daß die am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnisse ein starkes Sinken der Preise bei bestellten Waren hätten befürchten lassen. In Auswirkung der Korea-Krise hätten die Preise im Jahre 1950 eine stark steigende Tendenz auf dem Rohstoffmarkt gehabt; sie seien gegenüber den vorhergehenden Jahren teilweise auf das Fünffache gestiegen. Da reine Wollstoffe nicht in genügender Menge vorhanden gewesen seien, habe der Stpfl. 1950 für etwa 300 000 DM Ware, zum größten Teil Mischware, in Auftrag gegeben. Er habe damit rechnen müssen, daß er die Ware zu teuer eingekauft habe. Die durch die Korea-Krise ausgelöste Kaufsucht und die für den erfahrenen Kaufmann erkennbare Beschränkung der flüssigen Mittel für Einkäufe habe ihn zu der Auffassung gebracht, daß die bestellte Ware nur mit Verlust abzustoßen sei, zumal die nachlassende Kauflust schon am Bilanzstichtage in ihren Anfängen erkennbar gewesen sei. Sie habe sich ab Februar 1951 zu einem regelrechten Käuferstreik entwickelt. Der Stpfl. verweist zur Begründung des Passivpostens auch auf die Grundsätze der Entscheidung des Reichsfinanzhofs VI 281/41 vom 22. Oktober 1941, Reichssteuerblatt (RStBl) 1941 S. 894.
Das Finanzamt lehnte den Passivposten ab, da eine Wertminderung der Waren am 31. Dezember 1950 noch nicht eingetreten sei. Die Preise für Wollgewebe hätten sogar noch eine steigende Tendenz gezeigt. Eine von dem Stpfl. vorgelegte Aufstellung über die Einkaufs- und Verkaufspreise zeige, daß er die Ware bis auf geringe Ausnahmen, zum Teil noch zwei Jahre nach dem Stichtage, zu Preisen verkauft habe, die über den Einkaufspreisen gelegen hätten.
Das Finanzgericht gab der Berufung statt und begründete dies unter anderem wie folgt:
Der Stpfl. kaufe seine Frühjahrsware im August / September zur Lieferung in den Monaten Februar / März des folgenden Jahres an seine Kunden. Er verkaufe sie jedoch nicht gleich nach Kaufabschluß, sondern gebe seinen Kunden - meistens Schneidermeistern - im Februar eine sogenannte Musterkollektion; erst dann beginne der Verkauf, der sich bis in den Sommer hinziehe. Er habe also ein Verlustrisiko für sechs und mehr Monate. Der Stpfl. habe 1950 für 300 000 DM Ware, insbesondere auch Mischware in Auftrag gegeben. Im Jahre 1951 habe sich die Absatzlage verschlechtert. Es seien Preissenkungen bis zu 40 % eingetreten. Auch der Stpfl. habe bei einem Teil der Bestellungen Verluste erlitten. Unter diesen Verhältnissen sei dem Stpfl. der Passivposten in Höhe von 38 000 DM zuzubilligen.
Die Rechtsbeschwerde (Rb.) des Vorstehers des Finanzamts, hält die Passivierung für nicht begründet. Sie ist der Auffassung, daß die Verhältnisse am 31. Dezember 1950 keine Veranlassung gegeben hätten, ein starkes Absinken der Konjunktur für die nächste Zeit anzunehmen. Am Neujahrstag 1951 hätten die Kommunisten in Korea eine Großoffensive mit 300 000 Soldaten eingeleitet. Unter diesen Umständen sei noch mit einer Fortdauer der durch den Krieg in Korea bedingten Gegebenheiten zu rechnen gewesen. Der Bewertung seien die Grundsätze der Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs I 5/47 U vom 17. Juli 1947 (Amtsblatt des Bayerischen Staatsministeriums der Finanzen - Bay. FMBl - 1948 S. 123, Steuerrechtsprechung in Karteiform - StRK - Reichsabgabenordnung § 174, Rechtsspruch I) zugrunde zu legen. Hiernach komme es nicht auf die subjektive Betrachtung eines Steuerpflichtigen, sondern auf die objektiven am Bilanzstichtag gegebenen Verhältnisse an.
Entscheidungsgründe
Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.
Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs und des Obersten Finanzgerichtshofs, der auch der Bundesfinanzhof gefolgt ist, soll wohl bei der Bewertung des Betriebsvermögens der eigenen Auffassung des Kaufmanns über die Verhältnisse am Bilanzstichtag Rechnung getragen werden. Die Bewertung muß aber einer objektiven Nachprüfung der gesamten Tatbestände nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung standhalten (Entscheidungen des Reichsfinanzhofs VI A 128 - 129/35 vom 6. Mai 1936, RStBl 1936 S. 849; VI 715/38 vom 7. Dezember 1938, RStBl 1939 S. 258). Es werden hier gleiche Grundsätze ausgesprochen, wie sie auch in der Entscheidung des Obersten Finanzgerichtshofs I 5/47 U vom 17. Juli 1947 zum Ausdruck gekommen sind. Der Teilwert ist hiernach ein objektiver Wert, der nicht auf der persönlichen Auffassung des einzelnen Kaufmanns über die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung, sondern auf der allgemeinen Auffassung beruht, wie sie in der Marktlage am Bilanzstichtag ihren Ausdruck findet (ß 6 des Einkommensteuergesetzes - EStG - 1934).
Im Streitfall handelt es sich um ein schwebendes Geschäft. Schwebende, beiderseits noch nicht erfüllte Geschäfte werden nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung in der Regel nicht ausgewiesen, weil sich Anspruch und Verpflichtung ausgleichen (siehe hierzu auch Entscheidung des Bundesfinanzhofs IV 403/51 U vom 8. Mai 1952, Slg. Bd. 56 S. 449, Bundessteuerblatt - BStBl - 1952 III S. 173). Wo Leistung und Gegenleistung nicht ausgeglichen sind, kann die Möglichkeit der Bilanzierung gegeben sein. Wie der Reichsfinanzhofs in seiner Entscheidung VI A 491/25 vom 4. November 1925, Slg. Bd. 17 S. 332, ausgeführt hat, liegt bei schwebenden Anschaffungsgeschäften über Gegenstände des Betriebsvermögens regelmäßig ein bei der Aufstellung der Bilanz zu berücksichtigender Verlust vor, wenn der Teilwert des Gegenstandes am Bilanzstichtag niedriger ist als die Kaufpreisschuld. Die Korea-Krise mag dazu geführt haben, daß die Preisgestaltung bei den Rohstoffen einen spekulativen Einschlag bekam. Dies berechtigt aber nicht, einen Wertberichtigungsposten in die Bilanz mit der Begründung einzusetzen, daß die Verhältnisse möglicherweise zu einem Absinken der Preise führen können. Dieses Risiko birgt jedes spekulative Geschäft in sich. Der Stpfl. hat die Waren zu Preisen gekauft, bei denen er angenommen hat, daß sie einen Gewinn ermöglichen. Zum mindestens hat er kein Absinken der Preise in einem Umfang angenommen, der zu Verlusten führte. Die Verhältnisse am Bilanzstichtage haben sich gegenüber dem Zeitpunkt der Anschaffung der Wirtschaftsgüter nicht verändert. Der spekulative Charakter, der bereits bei Anschaffung der Gegenstände gegeben war, bestand weiter. Der Bundesfinanzhof hat wohl in der Entscheidung IV 119/52 S vom 16. April 1953, Slg. Bd. 57 S.496, BStBl 1953 III S. 192, anerkannt, daß der Kaufmann bei starken Preisschwankungen berechtigt ist, einen mittleren Wert einzusetzen, insbesondere wenn am Bilanzstichtag ein Börsenpreis gegeben ist, der der Preisentwicklung 6 Wochen vor und nach dem Stichtag widerspricht. Nach der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs, der der Senat beitritt, kann der Kaufmann auch einen Preissturz kurz nach dem Bilanzstichtag berücksichtigen, der sich am Stichtage schon in seinen Umrissen abgezeichnet hat. Diese Voraussetzungen sind aber im Streitfall nicht erfüllt. Der Stpfl. hat nicht darzutun vermocht, daß die Wiederbeschaffungskosten für die Waren kurz nach dem Bilanzstichtage auf die Dauer betrachtet abgesunken sind. Nach der Darstellung des Finanzamts hat er bei den umstrittenen Waren (in ihrer Gesamtheit betrachtet) keinen Verlust erlitten. Auch der Stpfl. hat keine Unterlagen einreichen können, die das Gegenteil dartun. Wie in der Entscheidung VI A 491/25 vom 4. Dezember 1925 zum Ausdruck kommt, wäre es allerdings nicht entscheidend, ob es dem Stpfl. gelungen ist, das Geschäft ohne Verlust abzuwickeln. Der Passivposten wäre auch dann gerechtfertigt, wenn die Waren, die Gegenstand des schwebendes Vertrages waren, in ihren Wiederbeschaffungskosten am Bilanzstichtage nachhaltig abgesunken wären. Aber auch hierfür fehlen die entsprechenden Unterlagen.
Die Vorentscheidung wird aufgehoben und die Berufung gegen die Einspruchsentscheidung als unbegründet zurückgewiesen.
Fundstellen
Haufe-Index 408398 |
BStBl III 1956, 113 |
BFHE 1956, 305 |
BFHE 62, 305 |
BB 1956, 328 |
DB 1956, 342 |