Leitsatz (amtlich)
Erwerben zwei Personen ein landwirtschaftliches Grundstück als Miteigentümer je zur Hälfte und erfüllt nur einer der Erwerber die Voraussetzungen eines in die Landwirtschaft einzugliedernden Vertriebenen nach § 35 BVFG, so ist nach Art. 1 Nr. 1 des Bayer.EuAGrEStG der Erwerb des gesamten Grundstückes steuerfrei (BFHE 81, 325). Bayerisches Gesetz über die Grunderwerbsteuerfreiheit für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in die Landwirtschaft und für die Aufstockung landwirtschaftlicher Kleinbetriebe vom 10. Februar 1958 - EuAGrEStG - (GVBl 1958, 22) Art. 1 Nr. 1; BVFG i. d. F. des 2. ÄndG vom 27. Februar 1957 (BGBl I 1957, 1207) §§ 35 und 47.
Tatbestand
I. Der Kläger und seine Schwester erwarben mit notariell beurkundetem Vertrag vom 4. April 1961 und Nachtrag vom 19. März 1962 als Miteigentümer je zur Hälfte ein landwirtschaftliches Anwesen in der Größe von etwa 0,82 ha in Bayern für 27 000 DM. Außerdem pachteten sie von der Verkäuferin eine an das gekaufte Grundstück angrenzende "Teilfläche von genau drei Tagwerk".
Der Wohnteil des erworbenen Anwesens wurde vermietet. Im übrigen wurde das erworbene Besitztum zumindest teilweise für Zwecke des landwirtschaftlichen Betriebes genutzt, der den Eltern des Klägers und seiner Schwester gehörte. Die Schwester arbeitete in diesem Betrieb der Eltern mit. Sie heiratete einen Landwirt und pachtete mit diesem gemeinsam am 25. August 1964 das Anwesen ihrer Eltern. Dieses wurde weiterhin im gleichen Umfang wie bis dahin gemeinsam mit den am 14. April 1961 und 19. März 1962 gekauften und gepachteten Flächen bewirtschaftet.
Der Kläger und seine Schwester beantragten als Vertriebene Steuerbefreiung gem. Art. 1 Nr. 1 des Bayer. Gesetzes über die Grunderwerbsteuerfreiheit für die Eingliederung der Vertriebenen und Flüchtlinge in die Landwirtschaft und für die Aufstockung landwirtschaftlicher Kleinbetriebe vom 10. Februar 1958 - EuAGrEStG - (GVBl 1958, 22). Mit Entschließung vom 22. Juli 1962 lehnte es die Regierung von S ab, die nach Art. 1 Nr. 1 Abs. 3 EuAGrEStG notwendige Bescheinigung gem. § 37 BVFG zu erteilen. Daraufhin setzte das beklagte FA mit zwei Bescheiden vom 30. Juli 1962 gegen den Kläger und seine Schwester je 946,50 DM Grunderwerbsteuer fest. Später änderte die Regierung von S ihre Auffassung und stellte auf den Einspruch des Klägers und seiner Schwester die Bescheinigung am 21. August 1962 aus. Das FA hob jedoch die Steuerbescheide nicht auf, weil es die Bescheinigung nicht für zutreffend hielt. Die Einsprüche des Klägers und seiner Schwester gegen die Steuerbescheide hatten keinen Erfolg. Ihren Klagen gab das FG statt und hob die Steuerbescheide auf. Die Revision ließ es zu.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist unbegründet.
Der Erwerb des Miteigentumsanteils durch den Kläger erfüllt die Voraussetzungen des Art. 1 Nr. 1 EuAGrEStG. Nach dieser Vorschrift ist unter anderem der Erwerb eines Grundstückes zur Eingliederung von Vertriebenen in die Landwirtschaft nach Maßgabe der Vorschriften des Zweiten Titels im Dritten Abschn. des Bundesvertriebenengesetzes - das sind die §§ 35 bis 68 - steuerfrei. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger selbst noch als Vertriebener der Eingliederung bedurfte, wie es die Regierung von S bescheinigt und das FA bestritten hat. Es genügt vielmehr, daß die Schwester des Klägers, welche den anderen Miteigentumsanteil erwarb, diese Voraussetzungen nach den vom FA nicht angegriffenen Feststellungen des FG erfüllte. Das FG hat die Vorschrift des Art. 1 Nr. 1 EuAGrEStG in dieser Hinsicht zutreffend ausgelegt. Schon nach dem Wortlaut des Art. 1 Nr. 1 EuAGrEStG ist die Steuervergünstigung nicht auf den Erwerb durch einen wiedereinzugliedernden Vertriebenen beschränkt. Zwar mag zweifelhaft sein, ob dieser Umstand allein eine so weitgehende Auslegung des Gesetzes rechtfertigt. Entscheidend ist aber, daß das Gesetz überhaupt weitgehend auf die Normierung eines selbständigen grunderwerbsteuerrechtlichen Tatbestandes verzichtet und statt dessen auf die Regelung des Bundesvertriebenengesetzes verweist ("... zur Eingliederung von Vertriebenen ... in die Landwirtschaft nach Maßgabe der Vorschriften des Zweiten Titels im Dritten Abschn. des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge ..."). Mit dieser Fassung des Gesetzestextes wurde nach der Begründung des Gesetzentwurfes der Bayerischen Staatsregierung vom 4. Januar 1957 (A Nr. 2) der Zweck verfolgt eine "... auf der Finanzverfassung des Grundgesetzes beruhende Gesetzeslücke zu schließen und die im Bundesvertriebenengesetz vorgesehenen bundesrechtlichen Steuervergünstigungen auch auf den Bereich der Grunderwerbsteuer auszudehnen," (vgl. die Verhandlungen des Bayerischen Landtages III. Wahlperiode 1954/1958 Beilage 2194). Demnach sind die abgabenrechtlichen Regelungen des Zweiten Titels im Dritten Abschnitt des Bundesvertriebenengesetzes sinngemäß auf die Grunderwerbsteuer anzuwenden.
Gemäß § 47 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 BVFG in der Fassung, welche diese Vorschrift durch Art. I Nr. 21 Buchst. b des Zweiten Änderungsgesetzes vom 27. Juli 1957 (BGBl I 1957, 1207) erhalten hat, wird beim Erwerb eines mindestens 50 %igen Miteigentumsanteils an einem Betrieb durch einen einzugliedernden Vertriebenen die Steuervergünstigung auch für den anderen Miteigentumsanteil gewährt. Hier soll die Übertragung von Miteigentumsanteilen auf Vertriebene steuerrechtlich gefördert werden. Dabei sind für die Grunderwerbsteuer keine Gesichtspunkte erkennbar, welche zwingend voraussetzen, daß der Landabgeber die andere Miteigentumshälfte selbst behält. Er kann sie ebenfalls verkaufen, und auch dieser Verkauf ist grunderwerbsteuerrechtlich förderungswürdig; das hat der BFH schon in dem Urteil vom 9. Dezember 1964 II 209/60 U (BFHE 81, 325, BStBl III 1965, 117) zu § 31 Abs. 4 des Schleswig-Holsteinischen Gesetzes zur Ergänzung bundesrechtlicher Bestimmungen über die Angelegenheiten der Vertriebenen, Flüchtlinge und Kriegsgeschädigten vom 28. April 1954 ausgeführt. Diese Vorschrift stimmt - was die Verweisung auf Vorschriften des Bundesvertriebenengesetzes anbetrifft - sinngemäß mit Art. 1 Nr. 1 EuAGrEStG überein. Diese Auslegung erscheint dem Senat auch bei nochmaliger Überprüfung sinnvoll. Es sind Fälle denkbar, in denen ein Betriebsinhaber aus Altersgründen den gesamten Betrieb - und nicht nur einen Miteigentumsanteil - abgeben möchte, der Vertriebene andererseits wegen beschränkter finanzieller Möglichkeiten oder aus sonstigen Gründen aber nur einen Miteigentumsanteil erwerben kann und deshalb darauf angewiesen ist, daß sich außer ihm noch ein weiterer Erwerber findet. Der Erwerb der anderen ideellen Hälfte ermöglicht erst die Eingliederung des Vertriebenen und ist daher zwangsläufig ebenfalls förderungswürdig.
Die abgabenrechtlichen Vorschriften der §§ 48 bis 56 BVFG begünstigen zwar nach der Überschrift zu § 47 den Landabgeber. Im Grunderwerbsteuerrecht ist jedoch neben dem Landabgeber der Erwerber Steuerschuldner (§ 15 Nr. 1 GrEStG). Eine sinngemäße Anwendung der genannten Vorschriften im Bereich der Grunderwerbsteuer gebietet daher die Ausdehnung auf den Grundstückserwerber.
Im Revisionsverfahren hat das FA mit Schriftsatz vom 24. Januar 1972 vorgetragen, das erworbene Anwesen sei seit 16 Monaten verpachtet. Dieser neue Tatsachenvortrag kann im Revisionsverfahren nicht berücksichtigt werden. Überdies kommt es für die Steuervergünstigung des Art. 1 Nr. 1 EuAGrEStG nur auf die Verhältnisse im Zeitpunkt des Erwerbes an. Das Gesetz enthält keine Nachversteuerungsvorschriften bei etwaiger Aufgabe des begünstigten Zweckes innerhalb eines bestimmten Zeitraumes.
Fundstellen
Haufe-Index 71405 |
BStBl II 1975, 552 |
BFHE 1975, 397 |