Einheitliche Betrachtung mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe
Hintergrund: Keine Durchschnittssatzbesteuerung bei Überschreitung der erlaubten Tierbestände
Zu entscheiden war, ob die Umsätze aus seinem Tierhaltungsbetrieb in 2007 bis 2009 (Streitjahre) nach Durchschnittssätzen (§ 24 UStG) zu versteuern sind.
X ist Schweinemäster. Neben der bisher von ihm betriebenen Schweinemast pachtete er in 2007 einen benachbarten Mastbetrieb hinzu.
Das FA behandelte die beiden Betriebe als einheitlichen Betrieb. Aufgrund der Anpachtung des Nachbarbetriebs liege ein sofortiger Strukturwandel von einem land- und forstwirtschaftlichen Betrieb zu einem Gewerbebetrieb vor, da der Tierbestand (708 VE) die zulässigen VE (564 VE) übersteige. Die Umsätze des einheitlichen gewerblichen Mastbetriebs unterlägen damit nicht der Durchschnittssatzbesteuerung nach § 24 UStG, sondern der Regelbesteuerung. Das FG folgte der Auffassung des FA und wies die Klage ab.
Entscheidung: Anwendung der Regelbesteuerung bei Überschreiten der Vieheinheiten-Obergrenze
Die Umsätze des X aus seinen beiden Tierhaltungsbetrieben unterliegen nicht der Besteuerung nach Durchschnittssätzen (§ 24 Abs. 1 UStG), sondern der Regelbesteuerung nach § 12 Abs. 1 UStG.
Unionsrecht
Als Tätigkeiten der landwirtschaftlichen Erzeugung i.S. des Art. 295 Abs. 1 Nr. 4 MwStSystRL nennt Anh. VII Nr. 2 "Tierzucht und Tierhaltung in Verbindung mit der Bodenbewirtschaftung" (Buchst. a "Viehzucht und -haltung"). Die Bindung des Begriffs Landwirtschaft im Bereich der Tierzucht und Tierhaltung durch § 24 UStG i.V.m. § 51 BewG an die eigenbewirtschafteten landwirtschaftlichen Flächen, die die Futtergrundlage für das gehaltene Vieh bereithalten können, entspricht daher dem Unionsrecht. Die in § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 UStG i.V.m. §§ 51, 51a BewG getroffene Regelung steht insoweit im Einklang mit dem Unionsrecht, als sie die Tierzucht und Tierhaltung nur in Verbindung mit der Bodenbewirtschaftung begünstigt. Ebenfalls unionsrechtskonform ist die in § 51 Abs. 1a BewG vorgesehene degressive Festsetzung von VE im Verhältnis zur Ackerfläche, weil das Unionsrecht für die Ermittlung einer VE-Obergrenze keine Vorgaben macht.
Zusammenfassung mehrerer landwirtschaftlicher Betriebe
Das Gebot, bei der Ermittlung der VE-Obergrenze alle Betriebe eines Landwirts zusammenzufassen, folgt nach nationalem Umsatzsteuerrecht bereits aus § 24 Abs. 3 UStG. Danach ist ein land- und forstwirtschaftlicher Betrieb als ein in der Gliederung des Unternehmens gesondert geführter Betrieb zu behandeln, wenn der Unternehmer auch andere Umsätze ausführt. Diese Regelung dient nicht dazu, einzelne landwirtschaftliche Betriebe gegeneinander abzugrenzen, sondern soll die Abgrenzung der landwirtschaftlichen Betriebe gegenüber gewerblichen und anderen Betrieben ermöglichen (BFH v. 23.4.1998, V R 64/96, BStBl II 1998, 494). § 24 Abs. 3 UStG wäre zudem überflüssig, wenn jeder land- und forstwirtschaftliche Betrieb ohnehin gesondert zu betrachten wäre.
Einbeziehung aller Umsätze aus der Landwirtschaft
Außerdem folgt aus § 24 Abs. 1 Satz 1 UStG, dass mit den "im Rahmen eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs ausgeführten Umsätzen" alle Umsätze gemeint sind, die ein Unternehmer aus der Landwirtschaft erzielt, unabhängig davon, wie viele Teilbetriebe er ertragsteuerrechtlich hat (BFH v. 23.4.1998, V R 64/96, BStBl II 1998, 494). Es wäre widersprüchlich, innerhalb derselben Regelung für die Option zur Regelbesteuerung auf alle landwirtschaftlichen Umsätze, also auf die Umsätze aller landwirtschaftlichen Betriebe abzustellen, für Zwecke der VE-Obergrenze aber die einzelnen Betriebe als Maßstab heranzuziehen.
Richtlinienkonforme Auslegung
Bestätigt wird dies durch das Gebot einer an Art. 295 ff. MwStSystRL orientierten richtlinienkonformen Auslegung von § 24 UStG (z.B. BFH v. 8.2.2018, V R 55/16, BStBl II 2021, 538, Rz. 20; BFH v. 21.1.2015, XI R 13/13, BStBl II 2015, 730, Rz. 17). Das gilt auch für die Frage der Zurechnung einer Tierzucht oder Tierhaltung zur Landwirtschaft. Dabei sind die Sonderregelungen der Art. 295 ff. MwStSystRL eng auszulegen und darüber hinaus nur insoweit anzuwenden, als dies zur Erreichung ihres Zieles erforderlich ist (BFH v. 24.1.2013, V R 34/11, BStBl II 2013, 460, Rz. 24). Dieses Ziel besteht darin, die Belastung durch die Steuer auf die von den Landwirten bezogenen Gegenstände und Dienstleistungen dadurch auszugleichen, dass den landwirtschaftlichen Erzeugern ein Pauschalausgleich gezahlt wird, wenn sie landwirtschaftliche Erzeugnisse liefern oder landwirtschaftliche Dienstleistungen erbringen. Das verdeutlicht, dass es für die Sonderregelung auf die Verhältnisse des Landwirts, nicht aber auf die seiner einzelnen landwirtschaftlichen Betriebe ankommt.
Unionsrechtliche Zielsetzung
Zudem gebietet die Zielsetzung sowohl der Art. 295 ff. MwStSystRL als auch des § 24 UStG eine Zusammenrechnung aller Betriebe eines Landwirtes. Andernfalls könnten industrielle Großbetriebe durch eine Aufteilung in eine Vielzahl von Betrieben unterhalb der VE-Obergrenze die landwirtschaftliche Sonderregelung nutzen. Industrielle Großbetriebe sollen nicht von der landwirtschaftlichen Sonderregelung profitieren können.
Hinweis: Abkehr von der ertragsteuerrechtlichen Betrachtung
Die ertragsteuerrechtliche Behandlung, nach der im Streitfall zwei landwirtschaftliche Betriebe vorliegen, ist nicht maßgeblich (BFH v. 10.9.2014, XI R 33/13, BStBl II 2015, 720, Rz. 34; BFH v. 13.1.2011, V R 65/09, BStBl II 2011, 465, Rz 19). Die frühere Rechtsprechung, die bei Zweifeln, ob ein landwirtschaftlicher Betrieb vorliegt, nach den für die ESt und GewSt maßgebenden Grundsätzen zu entschied (BFH v. 9.5.1996, V R 118/92, BStBl II 1996, 550; BFH v. 12.1.1989, V R 129/84, BStBl II 1989, 432, m.w.N.) ist überholt (BFH v. 10.9.2014, XI R 33/13, BStBl II 2015, 720, Rz 34).
BFH Urteil vom 26.05.2021 - V R 11/18 (veröffentlicht am 09.12.2021)
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