Entscheidungsstichwort (Thema)
Erlaß der Steuer nach nicht erfülltem steuerbegünstigten Zweck
Leitsatz (NV)
Kann der Käufer einer vermieteten Eigentumswohnung diese wegen Räumungsschutzes für den bisherigen Mieter nicht binnen fünf Jahren ein Jahr lang selbst bewohnen und verliert er dadurch die Steuervergünstigung des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GrEStEigWoG, so braucht das Finanzamt die entstandene Grunderwerbsteuer nicht gemäß § 227 AO zu erlassen.
Normenkette
AO 1977 § 1 Abs. 1 S. 1 Nr. 3; GrEStEigWoG § 227
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
Die Kläger kauften durch notariell beurkundeten Vertrag vom 17. Mai 1977 zu je 1/2 eine Eigentumswohnung. Entsprechend ihrem Antrag stellte das beklagte Finanzamt (FA) den Erwerb gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GrEStEigWoG von der Grunderwerbsteuer frei.
Die betreffende Wohnung war von der Verkäuferin durch Vertrag vom 1. April 1975 auf drei Jahre vermietet worden. Die Kläger kündigten diesen Mietvertrag. Da die Mieter Räumungsschutz in Anspruch nahmen, wurde die Wohnung jedoch erst so spät frei, daß die Kläger sie nicht innerhalb von fünf Jahren seit dem Erwerb ein Jahr lang selbst bewohnen konnten. Deshalb beantragten die Kläger, die anfallende Grunderwerbsteuer zu erlassen.Das FA lehnte den Erlaß der Steuer ab. Die Beschwerden der Kläger blieben ohne Erfolg. Die OFD war der Ansicht, der Erlaß der Steuer sei weder aus persönlichen noch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt.
Das FG wies die Klage ab.
Mit der Revision verfolgen die Kläger weiterhin ihr Klagebegehren. Die Einziehung der Steuer sei sachlich unbillig.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Dem Senat haben die Akten des Amtsgerichts . . . vorgelegen, welche das FG beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht hatte. Die Akten betreffen den Räumungsprozeß, welchen die Kläger gegen die Mieter der Eigentumswohnung geführt haben.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet.
1. Die Grunderwerbsteuer ist nachträglich dadurch entstanden, daß die Kläger die Eigentumswohnung nicht innerhalb von fünf Jahren seit dem Erwerb mindestens ein Jahr lang ununterbrochen bewohnt haben (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 3 Abs. 1 GrEStEigWoG). ,,Erwerb" in diesem Sinne war derjenige Vorgang, der ohne die Steuerbefreiung die Entstehung der Grunderwerbsteuer ausgelöst hätte; das war der Kaufvertrag vom 17. Mai 1977 (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Umstände, welche gemäß Art. 97 § 4 EGAO 1977 die Entstehung der Steuer hinausgeschoben hatten, sind nicht ersichtlich.
2. Die Entscheidung über den Erlaßantrag der Kläger liegt im Ermessen der Finanzbehörden (§ 5 AO 1977); denn diese ,,können" nach § 227 AO 1977 die Grunderwerbsteueransprüche erlassen. Gemäß § 102 FGO hatte das FG zu prüfen, ob FA und OFD bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von diesem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht haben. Das Revisionsgericht hat zu überprüfen, ob die Entscheidung des FG Rechtsfehler enthält.
a) Nach Ansicht des FA und der OFD verstößt es nicht gegen den Sinn des Gesetzes, die gemäß § 3 Abs. 1 GrEStEigWoG entstandene Steuer auch im vorliegenden Fall zu erheben, wo die Kläger die bisherigen Mieter nicht rechtzeitig zur Räumung der gekauften Eigentumswohnung veranlassen und diese daher schuldlos nicht fristgerecht selbst nutzen konnten. Die Erhebung der Steuer sei daher nicht gemäß § 227 AO 1977 (objektiv) unbillig. Das FG sieht in dieser Entscheidung (des FA und der OFD) keinen Rechtsverstoß i. S. des § 102 FGO. Diese Auffassung des FG ist rechtsfehlerfrei.
§ 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GrEStEigWoG förderte den Erwerb von Wohnraum, falls dieser mindestens ein Jahr lang innerhalb einer bestimmten Frist seit dem Erwerb durch bestimmte Personen genutzt wurde (Eigennutzung). Ist aber steuerbegünstigter Zweck die Anschaffung fristgerecht eigengenutzten Wohnraumes, so ist kein Anlaß ersichtlich, die Steuerbefreiung auch ohne diese Voraussetzung zu gewähren, selbst wenn diese ohne Verschulden des Erwerbers nicht erfüllt wird. Der Senat hat schon bisher in ständiger Rechtsprechung zu den Gesetzen der Länder über die Grunderwerbsteuerbefreiung beim Wohnungsbau entschieden, ein Grundstückserwerber trage das Risiko der Steuer auch für den Fall, daß ohne sein Verschulden der steuerbegünstigte Zweck nicht fristgerecht erfüllt werden könne (Urteil des BFH vom 14. Juli 1976 II R 51/73, BFHE 119, 320, BStBl II 1976, 652 m. w. N.).
Es besteht kein Anlaß, die gesetzliche Regelung des GrEStEigWoG anders zu beurteilen. Dieses Gesetz hat, was die Eigennutzung anbetrifft, im Vergleich zu manchen bis dahin geltenden Ländergesetzen eine Verschärfung gebracht. Genügte z. B. nach § 1 Nr. 5 des Gesetzes über Grunderwerbsteuerbefreiung für den Wohnungsbau Nordrhein-Westfalen (GrEStWoBauG) die Absicht der Eigennutzung, so war jetzt nach dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 GrEStEigWoG Voraussetzung, daß die Wohnung oder das Haus fristgerecht tatsächlich ,,ein Jahr lang ununterbrochen bewohnt wird". Daß dieser Wortlaut bewußt im Sinne der genannten Verschärfung gebraucht wurde, ergibt sich aus der Begründung zum Entwurf des GrEStEigWoG (BTDrucks 8/286), wo zu Art. 3 unter B zu § 1 im 2. Absatz ausdrücklich vermerkt wird, daß ,,verhältnismäßig strenge Anforderungen . . . hinsichtlich der Eigennutzung" gelten sollen und nicht auf eine nur beabsichtigte Eigennutzung abgestellt werde. Damit war auf das GrEStEigWoG nicht die bisherige Rechtsprechung des BFH anwendbar, wonach eine vom Gesetz nur geforderte beabsichtigte Eigennutzung nicht die spätere tatsächliche Eigennutzung voraussetze (vgl. das Urteil vom 23. Juli 1975 II R 117/74, BFHE 117, 92, BStBl II 1976, 28).
Die Kläger wenden ein, der BFH lasse es auch genügen, wenn ein Gebäude erst nach Abschluß des Kaufvertrages in ein Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus i. S. des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 GrEStEigWoG umgewandelt werde (Urteil vom 25. Juni 1980 II R 21/79, BFHE 131, 93, BStBl II 1980, 728). Deshalb sei zu prüfen, ob auch im vorliegenden Fall die Absicht der Eigennutzung ausreiche.
Dieser Einwand ist unbegründet. Auch die vorgenannte Rechtsprechung setzt für die materiell endgültige Steuerbefreiung voraus, daß das Gebäude fristgerecht tatsächlich ein Jahr lang ununterbrochen als Einfamilienhaus oder Zweifamilienhaus genutzt worden ist.
b) Wollte nach den vorstehenden Ausführungen der Gesetzgeber erkennbar die endgültige Steuerbefreiung nur von der tatsächlichen Eigennutzung des Hauses oder der Wohnung abhängig machen, so ist auch der Schluß gerechtfertigt, daß im vorliegenden Fall ein Erlaß der Steuer gemäß § 227 AO 1977 nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprechen würde.
Zwar ist bei der Beratung des Entwurfes zum GrEStEigWoG im Finanzausschuß des Bundestages erörtert worden, ob es dem Erwerber eines Hauses oder einer Wohnung wegen der Kündigungsschutzvorschriften des Bürgerlichen Rechts stets möglich sein werde, innerhalb von fünf Jahren das Kaufobjekt ein Jahr lang selbst zu nutzen. Ein Vorschlag, die Fünfjahresfrist auf zehn Jahre zu verlängern, wurde aber abgelehnt. ,,Nicht aufgegriffen" wurde auch der Vorschlag, die Frist zumindest dann angemessen zu verlängern, wenn sie wegen der Kündigungsschutzvorschriften schuldlos nicht eingehalten werden kann. Die Ausschußmehrheit hielt die Fünfjahresfrist für ausreichend (BTDrucks 8/463, Seite 3 unter I 2g, bb). Diesem Vorgang läßt sich nach Ansicht des Senates nicht entnehmen, daß bei schuldlosem Überschreiten der Frist wegen der Kündigungsschutzvorschriften die Steuer erlassen werden sollte. Die Rechtsprechung des BFH, wonach auch die schuldlose Überschreitung einer Frist zur Erfüllung eines steuerbegünstigten Zweckes steuerschädlich ist (BFHE 119, 320) war bekannt. Es hätte nahegelegen, in irgendeiner Form zu erkennen zu geben, daß man in Zukunft diese Rechtsprechung vermeiden wollte; das gilt um so mehr, als ausdrücklich die tatsächliche Eigennutzung des Kaufobjektes vorausgesetzt wurde, so daß die steuermildernde Rechtsprechung des Senates zur beabsichtigten Eigennutzung (BFHE 117, 92) nicht anwendbar war.
c) Auch Art. 3 GG gibt keinen Anlaß zu einer Korrektur der FG-Entscheidung.
Die Kläger wenden ein, das Wohnungseigentum sei erst nach Abschluß des Mietvertrages vom 1. April 1975 begründet worden. Gemäß § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB sei daher ,,die Zeitdauer für Räumungsmaßnahmen von vornherein um drei Jahre verkürzt" gewesen. Sie seien somit willkürlich schlechtergestellt worden als andere Käufer einer Eigentumswohnung. Erst der Beschluß des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 17. Oktober 1983 RE-Miet VI/83 (NJW 1984, 1560, MDR 1984, 146) habe hier eine Änderung gebracht. Nach dieser Entscheidung begründe der drohende Wegfall einer Grunderwerbsteuervergünstigung nach dem GrEStEigWoG das berechtigte Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses gemäß § 564b Abs. 1 BGB.
Dieser Einwand hat keinen Erfolg.
Offen kann bleiben, ob im vorliegenden Fall für die Mieter der Eigentumswohnung die Dreijahresfrist des § 564b Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 BGB galt. Mit dieser Frist war die Umwandlung von Mietwohnungen in Eigentumswohnungen erschwert worden. Es wäre inkonsequent gewesen, solche Fälle andererseits durch eine Verlängerung der Fünfjahresfrist des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 GrEStEigWoG grunderwerbsteuerrechtlich zu begünstigen. Daß dies nicht geschah, war demnach systemgerecht und nicht willkürlich. Deshalb hat ein Steuerpflichtiger keinen Anspruch darauf, durch einen Erlaß der Steuer nach § 227 AO 1977 so gestellt zu werden, als sei die Fünfjahresfrist in den Fällen des § 564b Abs. 2 Nr. 2 BGB verlängert worden.
Fundstellen
Haufe-Index 423340 |
BFH/NV 1987, 672 |