Entscheidungsstichwort (Thema)
Mitwirkungspflicht bei Aufklärung eines Auslandssachverhalts
Leitsatz (NV)
Ein Kläger verletzt seine erhöhte Mitwirkungspflicht bei Aufklärung eines Auslandssachverhalts nicht dadurch, daß er sich bei einem im Inland lebenden Zeugen darauf beschränkt, dem Gericht die ladungsfähige Anschrift des Zeugen mitzuteilen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1 Sätze 1, 4; AO 1977 § 90 Abs. 2 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin organisierte 1981 und 1982 (Streitjahre) Deutschland-Tourneen mehrerer Musik-Gruppen. Nach einer Fahndungsprüfung entstand zwischen ihr und dem Beklagten (Finanzamt - FA -) Streit darüber, ob die Klägerin gemäß § 50 a Abs. 5 Sätze 2 und 3 EStG 1979/1981 verpflichtet war, von den Vergütungen, die sie für den Auftritt der - beschränkt steuerpflichtigen - Künstler gezahlt hatte, Einkommensteuer einzubehalten und an das FA abzuführen. Das FA bejahte dies und erließ, da die Klägerin keine Einkommensteuer einbehalten und abgeführt hatte, gegen sie einen Haftungsbescheid. Der Einspruch der Klägerin hatte keinen, ihre Klage nur geringen Erfolg. Die Revision der Klägerin führte zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und Zurückverweisung der Sache an das FG.
Entscheidungsgründe
1. Das angefochtene Urteil beruht auf einer Verletzung des § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO.
Das FG war nach § 76 Abs. 1 FGO verpflichtet, den Sachverhalt zumindest noch durch Vernehmung der von der Klägerin im Schriftsatz vom 13. Februar 1987 benannten im Inland lebenden Zeugen A und B weiter aufzuklären. Die Vernehmung dieser Zeugen durfte es nicht mit der Begründung ablehnen, die Klägerin habe die Tatsachen, über die Beweis durch Vernehmung der Zeugen zu erheben sei, nicht genügend substantiiert und ihre Mitwirkungspflicht gemäß § 76 Abs. 1 Satz 4 FGO i. V. m. § 90 Abs. 2 AO 1977 nicht ausreichend erfüllt.
a) Der Beweisantrag, dem das FG nicht entsprochen hat, war vollständig. Er enthielt die Angabe des Beweisthemas und die Namen und ladungsfähigen Anschriften der als Beweismittel bezeichneten Zeugen. Das Beweisthema war ausreichend substantiiert. Die Klägerin hatte angegeben, zu welchen Vertragsabschlüssen die einzelnen Zeugen Angaben machen können. Die Beweisfragen bezogen sich auf Tatsachen. Die Frage, ob Vertragspartner der Klägerin die Musiker oder die ausländischen Agenturen waren, ist sowohl Tat- als auch Rechtsfrage. Sie ist Tatfrage, soweit zu klären ist, ob die ausländischen Agenturen oder Agenten im eigenen Namen oder für die Musiker Erklärungen abgaben. Rechtsfrage ist sie, soweit zu klären ist, welche rechtlichen Folgen die Erklärungen haben, deren tatsächlicher Inhalt zunächst zu ermitteln ist. Ersichtlich benannte die Klägerin die Zeugen zur Klärung des rechtlich erheblichen Sachverhalts. Daß es - für die Streitjahre - rechtserheblich ist, ob Vertragspartner der Klägerin die Musiker oder die Agenturen waren, ergibt sich aus dem Urteil des erkennenden Senats vom 20. Juni 1984 I R 283/81 (BFHE 142, 35, BStBl II 1984, 828).
b) Von der Klägerin darf nicht gefordert werden, daß sie durch Vorlage schriftlicher Verträge nachweist, wer ihre Vertragspartner waren. Die Verträge, deren Inhalt zu klären ist, wurden nicht schriftlich abgeschlossen. Schriftform ist für sie zivilrechtlich nicht vorgeschrieben. Auch das Steuerrecht bestimmt nicht, daß der Inhalt derartiger mit Ausländern geschlossenen Verträge nur durch Urkunden nachgewiesen werden kann.
c) Die Klägerin war nicht verpflichtet, die im Inland lebenden Zeugen A und B dem FG während der mündlichen Verhandlung als präsente Beweismittel anzubieten. Zwar muß der Steuerpflichtige im finanzgerichtlichen Verfahren die zum Nachweis seiner Angaben erforderlichen Beweismittel beschaffen, wenn ein Sachverhalt aufzuklären ist, der sich auf Vorgänge im Ausland bezieht - Auslandssachverhalt - (§ 76 Abs. 1 Satz 4 i. V. m. § 90 Abs. 2 Satz 1 AO 1977). Nach dem Urteil des erkennenden Senats vom 1. Juli 1987 I R 284-286/83 (BFH/NV 1988, 12) muß deshalb ein Kläger, der sich zum Beweis eines von ihm vorgetragenen Auslandssachverhalts auf das Zeugnis einer im Ausland lebenden Person beruft, dem Finanzgericht diese Person nicht nur als Zeuge benennen, sondern sie dem Gericht als präsentes Beweismittel im Inland zur Verfügung stellen. Daraus folgt aber nicht, daß ein Kläger seine erhöhte Mitwirkungspflicht bei Aufklärung eines Auslandssachverhalts verletzt, wenn er sich bei einem im Inland lebenden Zeugen darauf beschränkt, dem Gericht die ladungsfähige Anschrift des Zeugen mitzuteilen. Die erhöhte Mitwirkungspflicht soll verhindern, daß die Aufklärung von Auslandssachverhalten an der Beschränkung der Hoheitsrechte der deutschen Gerichte und Behörden auf das Inland scheitert oder durch sie erschwert wird (s. Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 90 Tz. 6 m. w. N.). Kann das Gericht einen Zeugen im Inland laden und sein Erscheinen vor Gericht erzwingen, besteht kein Grund für eine erhöhte Mitwirkungspflicht des Klägers bei der Beschaffung dieses Beweismittels. Nicht selten wird es in derartigen Fällen nur dem Finanzgericht möglich sein, den Zeugen zu einer Aussage vor Gericht zu veranlassen. Das Finanzgericht ist deshalb, wenn es Beweismittel durch Einsatz seiner Hoheitsrechte beschaffen kann, i. d. R. auch verpflichtet, zur Aufklärung des Sachverhalts von diesen Rechten Gebrauch zu machen.
d) Die Klägerin hat nicht das Recht verloren, das Übergehen ihres Beweisantrags zu rügen. Vor Erhalt des FG-Urteils war für sie nicht erkennbar, daß das FG ohne Vernehmung der benannten Zeugen in der Sache entscheiden werde. Noch am 2. Dezember 1988 hatte das FG den Prozeßbevollmächtigten der Klägerin aufgefordert, die Personen zu benennen, die die zum Abschluß der Verträge führenden Erklärungen abgegeben hatten. Der Aufforderung kam die Klägerin mit Schriftsatz vom 20. Dezember 1988 nach. Im Schreiben vom 13. Februar 1989 - mit dem das FG den Antrag der Klägerin ablehnte, den auf den 15. Februar 1989 bestimmten Termin zur mündlichen Verhandlung zu verlegen - gab das FG zu erkennen, daß die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeiten des Sachvortrags ausgeschöpft hätten. Ein Hinweis darauf, daß das FG möglicherweise ohne Vernehmung von Zeugen entscheiden werde, enthält das Schreiben nicht. Auch das Protokoll der mündlichen Verhandlung enthält keinen Hinweis darauf, daß das FG vor Verkündung des Urteils zu erkennen gab, es werde möglicherweise von der Vernehmung von Zeugen absehen.
Fundstellen
Haufe-Index 418310 |
BFH/NV 1992, 581 |