Entscheidungsstichwort (Thema)
Zum Begriff "alle Anteile an einer Personengesellschaft" i. S. von § 1 Abs. 3 GrEStG
Leitsatz (NV)
Ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf "Übertragung aller Anteile der (Personen-)Gesellschaft" begründet (§ 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG 1983), liegt grundsätzlich nicht vor, wenn neben den übertragenen Personengesellschaftsanteilen mindestens ein weiterer Anteil an der Personengesellschaft in der Hand eines anderen Gesellschafters besteht. Dabei spielt keine Rolle, daß der nicht übertragene, in der Hand eines anderen Gesellschafters zurückbleibende Personengesellschaftsanteil eine kapitalmäßige Beteiligung am Gesellschaftsvermögen nicht vermittelt. Denn unter "Anteil der (Personen-)Gesellschaft" i. S. des § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 ist die gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der Personengesellschaft, d. h. die aus der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft resultierende gesamthänderische Mitberechtigung in bezug auf das (aktive) Gesellschaftsvermögen, zu verstehen.
Normenkette
GrEStG 1983 § 1 Abs. 3 (Nr. 3)
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) erwarb von der A-GmbH jeweils durch Übertragungsverträge vom 20. Dezember 1984 deren Kommanditanteile an den Kommanditgesellschaften 1.--4.
Des weiteren erwarb die Klägerin ebenfalls von der A-GmbH jeweils durch Übertragungsverträge vom 8. November 1994 deren Kommanditanteile an den Kommanditgesellschaften 5.--8.
Die A-GmbH (Veräußerin) war jeweils alleinige Kommanditistin der vorgenannten Kommanditgesellschaften. Komplementäre waren bei den Kommanditgesellschaften zu 1 bis 4 die D-GmbH sowie die Herren S und F, bei den Kommanditgesellschaften zu 5 und 8 die U-GmbH sowie die Herren S und F, bei der KG zu 6 die F-GmbH und bei der KG zu 7 die C-GmbH.
Gegenstand aller Kommanditgesellschaften war der Erwerb von Grundstücken, die Errichtung von Gebäuden und deren Vermietung sowie die Vornahme aller damit zusammenhängenden Geschäfte. Zum Vermögen aller Kommanditgesellschaften gehörten inländische Grundstücke, und zwar:
Gesellschaft Belegenheitsort Einheitswert 140 v. H.
DM DM
KG zu 1 X 254 900 356 800
KG zu 2 X 39 300 55 020
KG zu 3 X 7 667 000 10 733 800
KG zu 4 X 35 100 49 140
KG zu 5 Y 714 300 1 000 020
KG zu 6 Z 1 417 500 1 984 500
KG zu 7 V 1 438 700 2 014 180
KG zu 8 W 9 155 700 12 817 980
Nach den im wesentlichen gleichlautenden Gesellschaftsverträgen der acht Kommanditgesellschaften leisteten die persönlich haftenden Gesellschafter keine Einlagen, wohingegen die Kommanditisten Einlagen mit bestimmten Nominalbeträgen (Kommanditgesellschaften zu 1 bis 5 jeweils 1000 DM, Kommanditgesellschaften zu 6 bis 8 jeweils 10 000 DM) zu erbringen hatten. Am Gewinn und Verlust nahmen die Gesellschafter im Verhältnis der Gesellschaftsanteile bzw. der eingezahlten Einlagen teil. Beim Ausscheiden sollte ein Kommanditist als Abfindung den Nominalbetrag der geleisteten Einlage erhalten und sein Gesellschaftsanteil den verbleibenden Gesellschaftern zuwachsen. Bei den Kommanditgesellschaften zu 6 bis 8 sollte sich das Abfindungsguthaben eines ausscheidenden Kommanditisten um die zwischenzeitlich gutgeschriebenen Gewinnanteile erhöhen bzw. um die ihm zugewiesenen Verlustanteile vermindern. Für den Fall der Auflösung der Kommanditgesellschaften sehen die Gesellschaftsverträge keine Regelungen vor.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) sah in den Erwerben der Kommanditanteile der Grunderwerbsteuer unterliegende Tatbestände i. S. des § 1 Abs. 3 Nr. 3 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG 1983) und erließ demgemäß am 2. Dezember 1988 den angefochtenen (unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden) Bescheid zur gesonderten Feststellung der Besteuerungsgrundlagen für die Grunderwerbsteuer.
Mit der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage begehrte die Klägerin, den angefochtenen Feststellungsbescheid aufzuheben, weil der Erwerb der in Rede stehenden Kommanditanteile nicht der Grunderwerbsteuer unterlegen habe.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt.
Mit der Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --). Zu Recht hat das FG angenommen, daß die streitigen Erwerbsvorgänge nicht der Grunderwerbsteuer unterlagen.
1. Entgegen der Ansicht der Revision hat die Klägerin durch den rechtsgeschäftlichen Erwerb der Ansprüche auf Übertragung der Kommanditanteile an den Kommanditgesellschaften zu 1 bis 8 den Steuertatbestand des § 1 Abs. 3 Nr. 3 GrEStG 1983 nicht erfüllt.
a) Nach dieser Bestimmung unterliegt ein Rechtsgeschäft, das den Anspruch auf Übertragung aller Anteile der Gesellschaft begründet, der Grunderwerbsteuer, wenn zum Vermögen der Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört. § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 enthält Ergänzungstatbestände zu den vorhergehenden Absätzen des § 1 GrEStG 1983 und soll Steuerumgehungen verhindern (Hofmann, Grunderwerbsteuergesetz, 5. Aufl., § 1 Rdnr. 45; Boruttau/Egly/Sigloch, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 13. Aufl., § 1 Rdnr. 682 m. w. N., und 703).
Unter die "Gesellschaften" i. S. des § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 fallen -- wie die historische Entwicklung der Vorschrift belegt -- nicht nur Kapitalgesellschaften, sondern auch Personengesellschaften (vgl. z. B. Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., § 1 Rdnr. 697 m. w. N.).
Unter "Anteil der (Personen-)Gesellschaft" im Sinne der Tatbestände des § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 ist nach herrschender und zutreffender Auffassung und entgegen der Revision die gesellschaftsrechtliche Beteiligung an der Personengesellschaft zu verstehen (Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., § 1 Rdnr. 697 und 700 m. w. N.; Sosnitza, Deutsche Verkehrsteuer-Rundschau -- DVR -- 1975, 82, 83 f.; Stahl, Steuer und Wirtschaft -- StuW -- 1979, 237, 238; Binz/Freudenberg/Sorg, Deutsches Steuerrecht -- DStR -- 1990, 753 f.), d. h. die aus der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft folgende gesamthänderische Mitberechtigung hinsichtlich des (aktiven) Gesellschaftsvermögens (vgl. auch Sosnitza, DVR 1975, 82, 83). Eine Beteiligung an der Personengesellschaft in diesem Sinne hat auch derjenige Gesellschafter inne, der -- wie im Streitfall die Komplementäre der Kommanditgesellschaften -- keinen Anteil am Gesellschaftskapital hält. Ein solcher Gesellschafter ohne kapitalmäßige Beteiligung ist zwar am Wert des Gesellschaftsvermögens nicht beteiligt, wohl aber ist er gesamthänderischer Mitinhaber der zum (aktiven) Gesellschaftsvermögen gehörenden Sachen, Forderungen und Rechte. Denn die Beteiligung an der Gesamthandsgemeinschaft ist mit der Mitgliedschaft in der Personenhandelsgesellschaft notwendigerweise und untrennbar verbunden, ohne daß es darauf ankommt, ob das Kapitalkonto des betreffenden Gesellschafters positiv oder negativ ist oder ob ein Kapitalkonto mangels kapitalmäßiger Beteiligung des Gesellschafters überhaupt nicht existiert (Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, S. 304 f.; Sosnitza, DVR 1975, 82, 83).
b) Diese Auslegung des in § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 verwendeten Begriffs "Anteile der (Personen-)Gesellschaft" im Sinne einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung und damit im Sinne einer gesamthänderischen Mitberechtigung am (aktiven) Gesellschaftsvermögen (Gesamthandsvermögen) folgt aus dem Sinn und Zweck der in § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 statuierten Steuertatbestände. Diese zielen ebenso wie die übrigen Tatbestände des § 1 GrEStG 1983 darauf ab, Vorgänge zu erfassen, die auf den Erwerb eines bisher einem anderen (Rechtsträger) gehörenden Grundstücks gerichtet sind (vgl. Hofmann, a. a. O., § 1 Rdnr. 3).
So geht es auch in § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 nicht darum, gesellschaftsrechtliche Vorgänge zu besteuern, sondern fingierte Grundstückserwerbe. Mit dem vollständigen Erwerb aller Anteile an einer Gesellschaft wird der Inhaber dieser Anteile so behandelt, als habe er die zum (Aktiv-)Vermögen der Gesellschaft gehörenden Grundstücke von der Gesellschaft erworben (vgl. z. B. Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., § 1 Rdnr. 687; Hofmann, a. a. O., § 1 Rdnr. 45). Dabei geht das Gesetz von der Vorstellung aus, wer "Alleinherrscher" über eine Gesellschaft sei, habe auch die alleinige -- dem Eigentum (vgl. § 903 Bürgerlichen Gesetzbuches -- BGB --) vergleichbare -- Herrschaft über ihre Grundstücke (Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., Vorbem. Rdnr. 410, Binz/Freudenberg/Sorg, DStR 1990, 753, 754). Eine derartige Alleinherrschaft über die Gesellschaft und damit auch über das Gesamthandsvermögen hat ein Personengesellschafter aber grundsätzlich solange nicht, als neben ihm ein weiterer, notwendigerweise ebenfalls zur gesamten Hand am Gesellschaftsvermögen mitberechtigter Gesellschafter vorhanden ist, gleichviel ob dieser Mitgesamthänder über eine Kapitaleinlage wertmäßig an der Gesellschaft beteiligt ist oder nicht. In einem solchen Fall ist der einzelne Gesellschafter (Gesamthänder) eben nicht "Alleinherrscher" über das Gesamthandsvermögen (Grundstück), sondern nur Mitberechtigter. Dem einzelnen Gesellschafter ist es gemäß § 719 Abs. 1 BGB verwehrt, über seinen Anteil am Gesamthandsvermögen und an den einzelnen dazu gehörenden Gegenständen zu verfügen. Die Gesellschafter können vielmehr nur gemeinsam -- "zur gesamten Hand" -- solche Verfügungen treffen.
c) Das von der Revision vertretene gegenteilige Ergebnis läßt sich nicht auf eine sinngemäße Heranziehung der in den §§ 5 und 6 GrEStG 1983 enthaltenen Wertungen stützen. Dem steht bereits der klare und unterschiedliche Wortlaut des § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 und der §§ 5 und 6 GrEStG 1983 entgegen. In den beiden letztgenannten Bestimmungen ist vom Anteil bzw. der Beteiligung des einzelnen Gesellschafters "am Vermögen der Gesamthand" die Rede, wohingegen § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 nur vom "Anteil der Gesellschaft" spricht. § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 einerseits und die §§ 5 und 6 GrEStG 1983 andererseits verfolgen unterschiedliche Zwecke und knüpfen daher an die Beschaffenheit der Beteiligung des Gesamthänders verschiedene Voraussetzungen. § 1 Abs. 3 GrEStG 1983 statuiert -- in Ergänzung zu § 1 Abs. 1 und Abs. 2 GrEStG 1983 -- steuerbegründende Tatbestände, während die §§ 5 und 6 GrEStG 1983 bestimmte Vorgänge, die zu einem Rechtsträgerwechsel führen und daher einen steuerbegründenden Tatbestand erfüllen, aus Billigkeitsgründen (vgl. z. B. Senatsurteil vom 2. Oktober 1974 II R 62/68, BFHE 114, 122, BStBl II 1975, 150) ganz oder teilweise von der Steuer freistellen, in dem sie dem für die Anwendung des § 1 (Abs. 3) GrEStG 1983 irrelevanten wirtschaftlichen Gesichtspunkt (vgl. Gesetzesbegründung zum GrEStG 1940, RStBl 1940, 387, 398) Rechnung tragen, daß das (Rein-)Vermögen der Gesamthand den an diesem Vermögen wertmäßig beteiligten Gesamthändern zusteht (vgl. Boruttau/Egly/Sigloch, a. a. O., § 5 Rdnr. 4).
d) Im Einklang mit der hier vertretenen Auffassung hat der erkennende Senat auch für die Verwirklichung des Tatbestandes des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 i. V. m. § 42 der Abgabenordnung (AO 1977) beim Wechsel der Gesellschafter einer nur Grundbesitz haltenden Personengesellschaft verlangt, daß alle Altgesellschafter -- also auch diejenigen, die nicht kapitalmäßig an der Gesellschaft beteiligt sind -- aus der Gesellschaft ausscheiden (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 31. Juli 1991 II R 17/88, BFHE 165, 297, BStBl II 1991, 891; ferner auch BFH-Urteil vom 4. Dezember 1991 II R 18/89, BFH/NV 1992, 338).
2. Da das FG den angefochtenen Grunderwerbsteuer-Feststellungsbescheid bereits aus den dargestellten materiell-rechtlichen Gründen zu Recht aufgehoben hat, kann der erkennende Senat -- ebenso wie es schon die Vorinstanz getan hat -- offenlassen, ob der Bescheid auch wegen formaler Mängel keinen Bestand haben könnte.
Fundstellen
Haufe-Index 420873 |
BFH/NV 1996, 171 |