Leitsatz (amtlich)
Stellt ein Kunsthandwerker von ihm entworfene Gebrauchsgegenstände (Beleuchtungskörper) in grundsätzlich nicht wieder vorkommenden Einzelstücken selbst her, so ist die Tätigkeit als künstlerische zu werten, wenn das Wesen der künstlerischen Gestaltung gerade in der Art der Ausführung der Ideen liegt und der Kunstwert den Gebrauchswert erheblich überwiegt.
Normenkette
EStG 1953/1955 § 15 Nr. 1; EStG 1953/1955 § 18 Abs. 1 Nr. 1; EStG 1955 § 18 Abs. 4; VO vom 22. Oktober 1954, BStBl I 1954, 523
Tatbestand
Streitig ist bei den Einkommensteuer-Veranlagungen 1953 und 1956, ob einem Kunsthandwerker der Pauschbetrag für freie Berufe nach der Verordnung über die Gewährung eines Pauschbetrags für Betriebsausgaben bei Einkünften aus freier Berufstätigkeit vom 22. Oktober 1954 (BStBl I 1954, 523) und der Freibetrag nach § 18 Abs. 4 EStG 1955 zu gewähren sind.
Der Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist Kunsthandwerker. Er stellte u. a. Ziergegenstände verschiedenster Art her, z. B. lederne Urkundenhüllen, Bucheinbände, Pergamenteinbände, vor allem individuell gestaltete Ehrengaben für hochgestellte Persönlichkeiten. Außerdem fertigte er unter Einführung neuer Arbeitsmethoden individuelle Einrichtungsgegenstände, wobei er neue Werkstoffe oder Werkstoffkombinationen verwendete. Er stattete damit Innenräume aus. Vor allem befaßte sich der Steuerpflichtige seit 1954 mit der Herstellung von stilisierten, mit meist geometrischen Ornamenten versehenen Beleuchtungskörpern, wobei es ihm gelang, bisher nicht bekannte Lichtwirkungen hervorzurufen. Abnehmer solcher Beleuchtungsarrangements für große Repräsentationsräume waren prominente in- und ausländische Persönlichkeiten und Firmen.
Das FA behandelte den Steuerpflichtigen zunächst als Freiberufler, ab 1953 nahm es eine gewerbliche Tätigkeit an und versagte ihm bei den Einkommensteuer-Veranlagungen für die Streitjahre den Freibetrag für freie Berufe. Es vertrat die Auffassung, daß der Steuerpflichtige nicht als Angehöriger eines freien Berufes angesehen werden könne, da er nur – wenngleich künstlerisch und geschmackvoll gestaltete – Gebrauchsgegenstände geschaffen habe. Die Einsprüche blieben ohne Erfolg.
Das FG hörte als Sachverständigen den Architekten und ordentlichen Professor X. Dieser führte aus, daß die Gestaltungen des Steuerpflichtigen von Handwerksmeistern nicht ohne weiteres hätten kopiert werden können. Die künstlerischen Aufgaben, die sich der Steuerpflichtige gestellt habe, hätten auf dem Papier nicht gelöst werden können, sondern es sei immer entscheidend auf die Materialwirkung angekommen. Arbeiten, wie sie der Steuerpflichtige für Innenräume durchgeführt habe, hätten bei Staatsbauten als künstlerische Ausgestaltung bezeichnet und mit den dafür haushaltsmäßig vorgesehenen Mitteln finanziert werden können.
Die von der OFD bestellte Gutachterkommission für Kunstgewerbe äußerte sich dahin, daß die kunsthandwerklichen Arbeiten des Steuerpflichtigen eigenschöpferische, individuelle, somit künstlerische Leistungen dargestellt hätten, so daß nach den Richtlinien der Gutachterkommission dem Steuerpflichtigen die Künstlereigenschaft zuzuerkennen sei.
Das FG gab der Berufung des Steuerpflichtigen statt. Es sah als entscheidend an, daß der Steuerpflichtige schöpferische Leistungen vollbracht habe, d. h. Leistungen, in denen sich die individuelle Anschauungsweise und die Gestaltungskraft widerspiegele und die neben einer hinreichenden Beherrschung der Technik der Kunstart eine künstlerische Gestaltungshöhe erreicht hätten (Hinweis auf das Urteil des BFH V 96/59 S vom 11. Juli 1960, BFH 71, 549, BStBl III 1960, 453). Der Steuerpflichtige habe selbständig Neues geschaffen, wenngleich bei den Einzelheiten der Formgebung und der Ornamente Zeitströmungen berücksichtigt worden seien. Für das Vorliegen künstlerischer Gestaltungshöhe bilde der Gesichtspunkt, daß solche Arbeiten bei Staatsbauten als künstlerische Gestaltungen haushaltsmäßig finanziert werden könnten, ein brauchbares Kriterium. Der Umstand, daß die hergestellten Beleuchtungsanlagen auch praktischen Zwecken gedient hätten, sei steuerunschädlich. Ohne Einfluß auf die steuerrechtliche Beurteilung sei auch, daß der Steuerpflichtige nicht nur die Entwürfe hergestellt, sondern die Ausführungen selbst vorgenommen habe. Wenn es wie hier wesentlich auf die Wirkung des Materials ankomme, seien die handwerklichen Fertigkeiten die Voraussetzung dafür, daß die künstlerischen Ideen vollendet und in die Wirklichkeit umgesetzt werden könnten. Vor allem handele es sich nicht um Modelle für Serienwaren.
In seiner Rechtsbeschwerde rügt das FA unrichtige Rechtsanwendung. Es führt aus, daß die Grundsätze des BFH-Urteils V 96/59 S nicht auf einen Kunsthandwerker angewendet werden könnten, der Gegenstände des täglichen Gebrauchs nach eigenen Entwürfen selbst herstelle. Es handele sich um Gegenstände, bei denen der Gebrauchswert den Kunstwert überwöge. Bei Erzeugnissen des Kunsthandwerks und Kunstgewerbes könne der Verwendungszweck nicht außer Betracht gelassen werden.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die als Revision zu behandelnde Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
Die Vorentscheidung ging zutreffend davon aus, daß für den Begriff der künstlerischen Tätigkeit unerheblich ist, aus welcher Zielsetzung heraus der Künstler schafft und wozu das von ihm Geschaffene später verwendet wird (vgl. BFH-Urteile V 96/59 S; IV 62/65 vom 8. Juni 1967, BFH 89, 219, BStBl III 1967, 618). Ein Kunstwerk verliert allein dadurch, daß es einem gewerblichen Zweck dient, nicht die Eigenschaft einer künstlerischen Leistung. Allein entscheidend ist, ob der Schaffende schöpferisch tätig ist. Diese Grundsätze gelten auch dann, wenn sich der Steuerpflichtige nicht auf die Herstellung von Entwürfen beschränkt, sondern die Werke selbst ausführt, falls das Wesen der künstlerischen Gestaltung gerade in der Art der Ausführung der Idee liegt. Auch Gegenstände des täglichen Gebrauchs können Ergebnisse künstlerischer Tätigkeit sein. Bei dem Gebrauchsgegenstand muß allerdings der Kunstwert, objektiv gesehen, den Gebrauchswert derart überwiegen, daß der Gegenstand nach wie vor als Einzelkunstwerk anzusehen ist (vgl. Urteil des RFH VI 292/39 vom 24. Mai 1939, RStBl 1939, 941). Die Auffassung der Revision, daß die Zuerkennung der Künstlereigenschaft dann nicht in Betracht komme, wenn der Steuerpflichtige Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens herstellt, trifft in dieser Allgemeinheit somit nicht zu.
Ob im Einzelfall hiernach künstlerische Leistungen vorliegen, ist eine Frage, die tatsächliche Verhältnisse betrifft und über die das FG nach seiner freien Überzeugung entscheidet (§ 96 FGO). Die Tätigkeit des Steuerpflichtigen bewegte sich im Grenzbereich zwischen künstlerischer und nichtkünstlerischer Arbeit. Mit Recht hat das FG daher Sachverständigen-Gutachten eingeholt (vgl. BFH-Urteil I R 25/67 vom 19. Juni 1968, BFH 92, 336, BStBl II 1968, 543). Wenn das FG aufgrund der Darlegungen des Sachverständigen und des Gutachterausschusses der zuständigen OFD die Überzeugung gewann, daß die Tätigkeit des Steuerpflichtigen als künstlerische zu werten sei, ist dies rechtlich nicht zu beanstanden. Bei der Frage, ob der Kunstwert den Gebrauchswert der hergestellten Gegenstände erheblich überwiegt, berücksichtigte das FG zutreffend, daß es sich um individuelle und grundsätzlich nur einmal hergestellte Gegenstände handelte und daß der Steuerpflichtige seine Arbeiten persönlich ausführte (vgl. BFH-Urteil IV 560/56 U vom 20. Februar 1958, BFH 66, 471, BStBl III 1958, 182).
Fundstellen
Haufe-Index 557333 |
BStBl II 1969, 70 |
BFHE 1969, 12 |