Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Auch wenn die Buchhändler die bei ihnen vom Verlag eingelagerten und mit Einwilligung des Verlages im eigenen Namen veräußerten Bücher mit dem Verlag erst im nächsten Jahr abrechnen und auch dann noch die Möglichkeit haben, die verkauften Bücher nachzubeziehen und sich den erhöhten Rabatt von 30 v. H. zu erhalten, muß der Verlag die Forderungen, die sich bei der späteren Abrechnung der bis zum Bilanzstichtag von den Buchhändlern verkauften Bücher ergeben, aktivieren.
Normenkette
EStG §§ 5-6
Tatbestand
Die Revisionsklägerin, eine Kommanditgesellschaft (im folgenden als Verlag bezeichnet), deren Gewinn für 1957 streitig ist, war Inhaberin einer wissenschaftlichen Verlagsbuchhandlung. Bei bestimmten Buchhändlern (Sortimentern) unterhielt der Verlag "Außenlager" an verschiedenen Werken, insbesondere Neuerscheinungen. Diese Lager dienten in erster Linie dazu, die Kunden des Buchhändlers über die Neuerscheinungen des Verlags zu unterrichten und ihnen auf diese Weise einen zusätzlichen Anreiz zum Kauf zu geben. Die eingelagerten Werke blieben zunächst Eigentum des Verlags und gehörten weiter zu seinem mit den Herstellungskosten aktivierten Warenbestand. Der einzelne Buchhändler durfte, um seine Kunden ohne Wartezeit beliefern zu können, die bei ihm eingelagerten Werke, wie es in den Verlagsbedingungen heißt, "im eigenen Namen weiterveräußern". Tat er das auf eigene Rechnung, so war er verpflichtet, entweder unmittelbar nach Veräußerung dem Verlag den Verkauf mitzuteilen und das verkaufte Buch ohne Ergänzung des bei ihm eingelagerten Bestandes "unabhängig von den allgemeinen Abrechnungsfristen", d. h. alsbald zu bezahlen oder aber das Lager auf die ursprüngliche Höhe seines Bestandes dadurch aufzufüllen, daß er ein gleiches Werk "jeweils fest nachbezog". Bei Nachbezug, der den Regelfall bildete, mußte der Buchhändler nach dem Vertrag der Beteiligten halbjährlich abrechnen, "und zwar für die Lieferungen im ersten Halbjahr bis zum 15. Oktober des gleichen Jahres, für die des zweiten Halbjahres bis zum 15. April des nächsten Jahres". Nach dem Prüfungsbericht für 1957 des für den Verlag tätigen Wirtschaftsprüfers fand jedoch die Abrechnung seit dem 1. Januar 1956 nicht mehr halbjährlich, sondern jährlich jeweils am Ende des Folgejahres statt. Rechnete der einzelne Buchhändler vereinbarungsgemäß ab, so erhielt er einen Rabatt von 30 v. H., andernfalls nur einen Rabatt von 25 v. H. Meldete und bezahlte er beispielsweise ein von ihm bis zum Abrechnungsstichtag (31. Dezember) ohne Nachbezug verkauftes Werk erst zum Abrechnungszeitpunkt, so stand ihm nur ein Rabatt von 25 v. H. zu.
Der vom Verlag zu erzielende Veräußerungspreis aller bei den Buchhändlern eingelagerten Bestände belief sich nach der Berechnung des Verlages für 1957 auf 783 700 DM. Die von ihm im Jahre 1958 durchgeführte Endabrechnung mit den Buchhändlern, die auf der Grundlage der von diesen im Jahre 1957 veräußerten und meistens später nachbezogenen Werke durchgeführt wurde, ergab zu seinen Gunsten einen Forderungsbetrag von insgesamt 131 170 DM. Das waren rund 16,7 v. H. des Betrages von 783 700 DM. Der Streit geht darum, wie der bei der Endabrechnung vom Verlag ermittelte Forderungsbetrag von 131 170 DM bei der Gewinnermittlung für 1957 zu behandeln war.
Der Verlag ist der Meinung, daß eine Aktivierung des Forderungsbetrages von 131 170 DM zum 31. Dezember 1957 nicht in Betracht komme und deshalb die erst 1958 abgerechneten, aber bereits 1957 verkauften, Bücher mit den Herstellungskosten zum 31. Dezember 1957 zu aktivieren seien. Der Verlag verbuchte daher den Betrag von 131 170 DM unter entsprechender Verminderung des buchmäßig ausgewiesenen Bestandes erst zugunsten des Abrechnungsjahres 1958. Er begründete diese Verbuchung wie folgt. Das vom Buchhändler verkaufte Buch werde zwar aus dem Bestand des Verlages mit dessen allgemein erteilter Genehmigung entnommen. Unmittelbare Rechtsbeziehungen zwischen Verlag und Buchhändler im Sinne eines Kaufvertrages entstünden aber aus diesem Vorgang nur, wenn der Buchhändler bei Entnahme und Verkauf an seinen Kunden dem Verlag gegenüber eine Erklärung abgebe, durch die er den mit der Einlagerung des Buches verbundenen Kaufvertragsantrag des Verlages annehme. Wähle der Buchhändler aber, wie im Buchhandel allgemein üblich ist, den Weg der "Nachbestellung" des verkauften Buches, so komme erst damit ein Kaufvertrag zwischen dem Buchhändler und dem Verlag zustande. Nach den gedruckten Verlagsbedingungen müsse sich der Buchhändler zwar jeweils sofort, jedenfalls bis zum Abrechnungsstichtag (hier dem 31. Dezember 1957) für eine Nachbestellung entscheiden. Nach der im Buchhandel aber schon seit Jahrzehnten bestehenden tatsächlichen, die gedruckten Bedingungen ändernden übung bestehe die Möglichkeit der Nachbestellung unter Inanspruchnahme eines Rabatts von 30 v. H. auch über den Abrechnungsstichtag hinaus bis zum Abrechnungszeitpunkt, ja sogar bis zur Auflösung des Lagers. Von dieser übung der Nachbestellung auch nach dem Abrechnungsstichtag, die die Verleger aus wirtschaftlichen Erfordernissen hinzunehmen gezwungen seien, machten die Buchhändler ganz allgemein Gebrauch, um bei günstigen Rabatt möglichst lange mit dem aus der Weiterveräußerung erzielten und dem Verlag zu vergütenden Betrag zu arbeiten. Es entspreche daher den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung, daß der im Jahre 1958 abgerechnete Endbetrag von 131 170 DM erst als im Jahr 1958 entstandene Forderung behandelt und verbucht wurde.
Das Finanzamt (FA) aktivierte zunächst den Betrag von 131 170 DM zum 31. Dezember 1957 und verminderte den in der Bilanz des Verlages ausgewiesenen Bücherbestand entsprechend. Dabei ging es davon aus, daß für die Buchhändler die Möglichkeit, den Weg der Nachbestellung zu wählen, mit Ablauf des 31. Dezember ende und daß sie nach diesem Zeitpunkt die bereits verkauften und nicht durch Nachbestellung ergänzten Bücher zu bezahlen hätten. Diese Forderungen seien zum Abrechnungsstichtag vom 31. Dezember 1957 zu aktivieren.
Auf den Einspruch des Verlages ermäßigte das FA den aktivierten Betrag auf 12 v. H. von 783 700 DM 94 044 DM und berichtigte entsprechend den aktivierten Bestand an Büchern. Den Satz von 12 v. H. errechnete es aus dem Durchschnitt vergleichbarer Zahlen der Jahre 1953 bis 1957. Es trug damit der Tatsache Rechnung, daß dem Verlag infolge des langen Abrechnungszeitraums und des langwierigen Abrechnungsverfahrens im Zeitpunkt der Bilanzaufstellung (Juni 1958) der genaue, zu aktivierende Abrechnungsbetrag nicht bekannt sein konnte und es ihn deshalb in diesem Zeitpunkt nur im Wege der Schätzung hätte ermitteln können.
Die Berufung des Verlages hatte keinen Erfolg.
Entscheidungsgründe
Die Revision des Verlages ist unbegründet.
Für die Entscheidung hängt es davon ab, von welchem Tatbestand bei der Beurteilung der Rechtslage auszugehen ist. Die Würdigung des Sachverhalts darf nicht am äußeren Bild oder an der von den Beteiligten gewählten bürgerlich-rechtlichen Bezeichnung haften. Für die tatbestandsmäßige Beurteilung ist der wirtschaftliche Gehalt dessen, was vorgegangen ist, maßgebend. Dieses für die Erfassung und Würdigung von Sachverhalten bedeutsame Prinzip ist ein Bestandteil der allgemeinen Rechtslehre und nicht etwa steuerliches Sonderrecht (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - VI 178/62 U vom 22. November 1963, BStBl 1964 III S. 74, Slg. Bd. 78 S. 184).
Bei Beachtung dieser Grundsätze kann nicht daran vorbeigegangen werden, daß die von den Buchhändlern im Jahr 1957 veräußerten Bücher in diesem Jahr aus dem Gesamtbestand des Verlages tatsächlich ausschieden. Es steht deshalb mit dem tatsächlichen Sachverhalt in Widerspruch und kann nicht als mit den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung vereinbar angesehen werden, daß der Verlag in seiner Bilanz vom 31. Dezember 1957 einen nicht mehr vorhandenen Bestand ausweist. Damit stellt er die Ordnungsmäßigkeit seiner Buchführung in Frage. Die Auffassung des Verlages, daß die Buchhändler die im Jahre 1957 veräußerten und später nachbezogenen Bücher nicht vom Verlag käuflich "bezogen", sondern dem eingelagerten Bestand im Sinne einer "Entziehung" entnommen oder entliehen hätten und erst in bezug auf die nachbezogenen Bücher rechtliche Beziehungen zwischen Verlag und Buchhändler im Sinn eines Kaufvertrags entstanden seien, muß als sachverhaltsfremde, steuerlich unbeachtliche Konstruktion bezeichnet werden.
Werden die tatsächlichen Verhältnisse nach der ihnen innewohnenden wirtschaftlichen Bedeutung beurteilt, so liegt es umgekehrt. Im Zeitpunkt der Weiterveräußerung im Jahre 1957 bezog der Buchhändler das veräußerte Buch käuflich vom Verlag. Besonderer Erklärungen der Parteien bedurfte es nicht (vgl. §§ 151, 185 BGB). Der spätere Nachbezug hatte den Zweck, das Lagerkontingent "aufzufüllen", woran der Verlag aus Gründen eines möglichst breiten Sortiments bei den Buchhändlern interessiert war und weshalb er dem "nachbeziehenden" Buchhändler einen Rabatt von 30 v. H. statt von nur 25 v. H. (Normalrabatt) gewährte. Das so nachbezogene Buch konnte, wie der Verlag selbst ausführt, vom Buchhändler "remittiert", d. h. an den Verlag zurückgegeben werden. Das kann, wenn man von den tatsächlichen Gegebenheiten ausgeht, nur bedeuten, daß das nachbezogene Buch nicht geliefert, sondern nur eingelagert war. Wenn die Verlagsbedingungen diese Art der Lagerauffüllung als "festen Nachbezug" bezeichnen, so kann das nur dahin verstanden werden, daß der Buchhändler damit dem Verlag gegenüber bindend erklärt, eine entsprechende vom Verlag gelieferte, ihm zu vergütende und nunmehr aufzufüllende Anzahl von Büchern bereits fest verkauft zu haben. Dabei ist es bei der im Steuerrecht gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung, da es sich bei den in Betracht kommenden Büchern um vertretbare Sachen im Sinne des § 91 BGB handelt, unerheblich, ob die vom Buchhändler bereits veräußerten oder, wie der Verlag es ansieht, die nachbezogenen Bücher als geliefert abgerechnet werden.
Hiernach ist die Rechtsauffassung des FA und des Finanzgerichts (FG) zutreffend, daß die der Endabrechnung 1958 zugrunde liegenden Buchverkäufe des Verlages an die Buchhändler das Jahr 1957 betreffen und die sich daraus ergebenden Forderungen des Verlages bilanzmäßig zum 31. Dezember 1957 auszuweisen sind. Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die Buchhändler, wie der Verlag entgegen der in der Vorentscheidung vertretenen Auffassung zutreffend ausführt, nach den durch die tatsächliche übung modifizierten Verlagsbedingungen die diesen Lieferungen entsprechenden "Nachbestellungen" auch nach dem 31. Dezember 1957 durchführen dürfen; denn darin kommt, was der Verlag verkennt, lediglich zum Ausdruck, daß den Buchhändlern vom Verlag die Möglichkeit eingeräumt war, den Lieferpreis des Verlages auf der Basis des für sie günstigeren Rabatts von 30 v. H. auch nach dem Abrechnungsstichtag bis zur Endabrechnung in Anspruch zu nehmen. Mit Rücksicht auf diese Möglichkeit für die Buchhändler sind keine Bedenken dagegen zu erheben, daß der Verlag seine Forderungen zum Bilanzstichtag unter Berücksichtigung eines Rabatts von 30 v. H. ausweist.
Hiernach ist der Vorentscheidung im Ergebnis beizutreten. Soweit sich ihre Ausführungen auf die Notwendigkeit und die Art der Schätzung des FA beziehen, bestehen ebenfalls keine Bedenken.
Fundstellen
Haufe-Index 411961 |
BStBl III 1966, 313 |
BFHE 1966, 282 |
BFHE 85, 282 |
BB 1966, 1049 |
DB 1966, 765 |