Leitsatz (amtlich)
1. Vorverträge sind Erwerbsvorgänge im Sinne des Grunderwerbsteuerrechts, wenn aus ihnen bereits auf die Erklärung der Auflassung und nicht erst auf den Abschluß eines Verpflichtungsgeschäfts geklagt werden kann.
2. Fehlt es in einem nicht in der Form des § 313 BGB abgeschlossenen Vorvertrag an einer bindenden Verpflichtung des Eigentümers auf Übertragung eines Grundstücks, so steht ein solcher - aufgehobener - Vorvertrag mangels eines Erwerbsvorganges dem "ersten Erwerb" einer eigengenutzten Eigentumswohnung durch einen anderen Kaufanwärter nicht entgegen.
2. Zur Frage, unter welchen Voraussetzungen in solchen Fällen einem Kaufanwärter die Verwertungsbefugnis eingeräumt worden ist.
Normenkette
GrEStG § 1 Abs. 1 Nr. 1; GrEStSWG ND 1966 § 1 Nr. 5
Tatbestand
Der Kläger erwarb durch notariell beurkundeten Vertrag vom 23. Oktober 1961 eine Eigentumswohnung. Die Wohnung war seit ihrer Bezugsfertigkeit - am 1. März 1960 - von einer dritten Person als Kaufanwärterin bewohnt gewesen. Die Kaufanwärterin (Dritte) mußte den bereits 1959 geschlossenen privatschriftlichen Vorvertrag aus persönlichen Gründen im Einvernehmen mit der Verkäuferin lösen. Der Kläger konnte in der 2 1/2-Zimmer-Eigentumswohnung ab dem Zeitpunkt des Abschlusses des Kaufvertrages Ende Oktober 1961 zunächst nur ein Zimmer beziehen und die Wohnung erst nach Auszug der ehemaligen Kaufanwärterin Mitte Februar 1962 allein (ab August 1962 mit seiner Ehefrau) bewohnen.
Entgegen dem in der Kaufurkunde enthaltenen Antrag auf Grunderwerbsteuerbefreiung setzte das FA - Beklagter - Grunderwerbsteuer fest, da es die Voraussetzung für eine Steuerbefreiung gemäß Art. 1 Nr. 4 Buchst. b des Bayerischen Gesetzes über die Grunderwerbsteuerbefreiung für den sozialen Wohnungsbau in der Fassung vom 12. November 1958 - GrESWG 1958 - (GVBl S. 330) nicht für gegeben hielt, daß der Erwerber die Eigentumswohnung erstmalig eigennutze.
Der Kläger meint, er sei als Ersterwerber einer eigengenutzten Eigentumswohnung zu behandeln.
Einspruch und Berufung waren erfolglos.
Das FG verneinte den Erstwerwerb, da die ehemalige Kaufanwärterin bereits die Verwertungsbefugnis im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG an der Wohnung gehabt habe. Es fehle auch am Erwerb einer eigengenutzten Eigentumswohnung, da der Kläger die bis dahin durch den Dritten genutzte Wohnung erst rund zwei Jahre nach Bezugsfertigkeit bezogen habe.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Rechtsbeschwerde - jetzt Revision - ist begründet.
1. Der Kläger ist Ersterwerber im Sinne des Art. 1 Nr. 4 Buchst. b GrESWG 1958.
Der Begriff des "Erwerbs" ist ein Grundbegriff des ganzen Grunderwerbsteuerrechts (vgl. Art. 1 Einleitungssatz GrESWG 1958). Aus ihm ergibt sich auch der Begriff des "ersten Erwerbs" im Sinn des Art. 1 Nr. 4 Buchst. b GrESWG 1958. Dabei kommt als Erwerb grundsätzlich jeder Erwerbs(Rechts-)vorgang im Sinn des § 1 GrEStG in Betracht (Überschrift und Einleitungssatz zu § 1 GrEStG; Entscheidung des BFH II 146/64 vom 20. Februar 1968, BFH 91, 491, 493, BStBl II 1968, 386) also in erster Linie, da das Grunderwerbsteuerrecht grundsätzlich an das schuldrechtliche Geschäft anknüpft, bereits der wirksame endgültig zustande gekommene, den Übereignungsanspruch begründende Vertrag (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG). Das können auch Vorverträge sein, wenn aus ihnen bereits auf die Erklärung der Auflassung und nicht erst auf den Abschluß des Verpflichtungsgeschäfts geklagt werden kann (vgl. Boruttau/Klein, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl., § 1 Tz. 43 mit Nachweisen der Rechtsprechung). Ein solcher Vorvertrag bedarf, wenn er eine wirksam-bindende Verpflichtung des Eigentümers auf Übertragung seines Eigentums an einem Grundstück begründen soll, bereits der Form des § 313 BGB (vgl. Heinrichs bei Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 30. Aufl., § 313 BGB Anm. 2a, auch Entscheidung des BGH V 2 R 53/69, BB 1971, 1340); das gilt nach § 4 Abs. 3 des Wohnungseigentumsgesetzes - WEG - ebenso für den auf die Übertragung von Wohnungseigentum zielenden Vorvertrag (vgl. Degenhart bei Palandt, a. a. O., § 4 WEG Anm. 2 mit Nachweisen der Rechtsprechung).
Deshalb kann in einem nicht in der Form des § 313 BGB abgeschlossenen Vor(Kaufanwartschafts-)vertrag, der dem Anwärter lediglich die Möglichkeit des künftigen Erwerbs von Wohnungseigentum einräumt, aus dem aber mangels einer rechtswirksamen Verpflichtung des Grundstückseigentümers auf Übereignung des Grundstücks noch nicht unmittelbar auf Auflassung (§ 4 Abs. 1, 2 WEG) geklagt werden kann, noch nicht ein der Grunderwerbsteuer unterliegender Erwerbsvorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG erblickt werden (vgl. auch die Entscheidungen des Senats vom 26. Mai 1970 II B 8/70 und II R 184/66, BFH 99, 143, 146 und 410, 412, BStBl II 1970, 552 und 673).
Selbst wenn sich also die Dritte - als ehemalige Kaufanwärterin - verbindlich zum Abschluß des notariellen Kaufvertrags verpflichtet hätte - wie das FG ohne Darlegung dafür sprechender Umstände ausführt -, so könnte in dem privatschriftlichen Vorvertrag allein ein Erwerb im Sinn des § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG durch den Dritten noch nicht liegen. Das hat auch das FG selbst nicht angenommen.
Das FG vertritt jedoch die Auffassung, die Dritte habe mit Bezug der Eigentumswohnung in ihrer Eigenschaft als Kaufanwärterin wirtschaftlich die Verwertungsbefugnis an der Wohnung im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG erhalten. Dieser Auffassung vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Selbst wenn die Kaufanwärterin sich ihrerseits zum Erwerb der Wohnung verpflichtet hätte, schloß dies die Verwertungsbefugnis der Grundstückseigentümerin andererseits nicht zwingend aus. Darauf kommt es im übrigen aber schon deshalb nicht entscheidend an, weil die Entscheidung, ob das Wohnungseigentum veräußert werden soll oder nicht, wegen § 313 BGB, § 4 WEG ohnehin dem Eigentümer verbleiben muß (vgl. BFH-Entscheidung II 72/65 vom 27. Oktober 1970, BFH 101, 126, 129, BStBl II 1971, 278). § 1 Abs. 2 GrEStG will nur solche Vorgänge erfassen, durch die der Berechtigte Einwirkungsmöglichkeiten erhält, die zwar nicht die dem Eigentümer zustehenden Befugnisse erreichen, aber doch über diejenigen eines Pächters oder Mieters hinausgehen. Der Berechtigte muß nicht nur besitz- und nutzungsberechtigt, sondern an der ganzen Substanz des Grundstücks (der Eigentumswohnung) dem Wert nach derart beteiligt sein, daß er ggf. auch die Substanz soll angreifen können, daß ihm jedenfalls aber die Wertsteigerungen und Wertminderungen (im Falle eines Verkaufs z. B. der Mehrwert) zugute kommen, daß er also im Innenverhältnis bereits wie der Eigentümer behandelt wird (BFH-Entscheidung II 60/60 U vom 27. Januar 1965, BFH 82, 51, 56, BStBl III 1965, 265; II R 135/68 vom 10. März 1970, BFH 99, 68, 73, BStBl II 1970, 522; II 72/65 vom 27. Oktober 1970, BFH 101, 126, 129, BStBl II 1971, 278). Davon kann jedoch nicht gesprochen werden, wenn einem Kaufanwärter - dazu noch auf Grund eines nicht in der Form des § 313 BGB abgeschlossenen Vorvertrags - bis zum Abschluß des eigentlichen Kaufvertrags und zur Übereignung lediglich die Nutzung am Grundstück bzw. an einer Eigentumswohnung in einem der Miete vergleichbaren Verhältnis eingeräumt wird. Besondere Umstände, die auf das Vorliegen der für die Bejahung des § 1 Abs. 2 GrEStG sprechenden Einwirkungsmöglichkeiten im obigen Sinne schließen ließen, sind weder dargetan noch ersichtlich.
Demnach war die ehemalige Kaufanwärterin weder Erwerberin im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 noch im Sinne des § 1 Abs. 2 GrEStG. Ersterwerber im Sinne des § 1 Nr. 4 Buchst. b GrESWG 1958 ist vielmehr der Kläger.
Bei dieser Sachlage war auf das Problem nicht einzugehen, ob unter gewissen Voraussetzungen ein Ersterwerb trotz eines Vorerwerbs, der vor Eigentumsübergang rückgängig gemacht worden ist, noch bejaht werden kann (vgl. die Beschlüsse des Senats II B 17/67 vom 24. Oktober 1967, BFH 90, 532, BStBl II 1968, 229 und II B 9/68 vom 9. Juli 1968, BFH 92, 293, BStBl II 1968, 590).
2. Für die Steuerfreiheit des Erwerbs vom 23. Oktober 1961 war gemäß Art. 1 Nr. 4 Buchst. b GrESWG 1958 mangels Eingreifens der Übergangsregelung des § 6 Abs. 2 des Gesetzes zur Änderung der Grunderwerbsteuer vom 24. Juni 1969 (Art. 6 GrESWG i. d. F. der Bekanntmachung vom 16. Juli 1969, GVBl. 176) der Erwerb der Eigentumswohnung zur Eigennutzung erforderlich. Das FG hat das Vorliegen dieser Voraussetzung verneint, da der Kläger die Wohnung erst rund zwei Jahre nach Bezugsfertigkeit bezogen habe und nicht - wie nach Meinung des FG erforderlich - von Anfang an, d. h. ab Bezugsfertigkeit. Abgesehen davon jedoch, daß der Kläger bereits im Anschluß an seinen notariell beurkundeten Kaufvertrag vom 23. Oktober 1961 wenigstens ein Zimmer der Eigentumswohnung bezogen hat, mußte es genügen, daß er im Zeitpunkt der Verwirklichung seines Erwerbsvorgangs ernstlich gewillt war, die Eigentumswohnung bestimmungsgemäß zu verwenden und daß dies innerhalb von fünf Jahren geschehen ist (BFH-Entscheidung II 156/63 und II 108/65 vom 1. August 1967, BFH 89, 540 und 548, BStBl III 1967, 706 und 711). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.
Andererseits hat das FG, was bei seiner Beurteilung nicht geboten war, nicht festgestellt, ob die Eigentumswohnung grundsteuerbegünstigt ist und ob die Grundsteuervergünstigung tatsächlich beansprucht und gewährt worden ist (BFH-Entscheidung II 92/65 vom 1. August 1967, BFH 89, 545, BStBl III 1967, 709).
Demgemäß war die Sache unter Aufhebung der Vorentscheidung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Satz 2 FGO).
Fundstellen
Haufe-Index 413126 |
BStBl II 1972, 496 |
BFHE 1972, 168 |