Entscheidungsstichwort (Thema)

Steuerliche Förderungsgesetze

 

Leitsatz (amtlich)

Bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern des unbeweglichen Anlagevermögens in Berlin (West), die nach dem 31. Dezember 1958 angeschafft sind, können die erhöhten Absetzungen (ß 14 BHG) nur dann vorgenommen werden, wenn diese Wirtschaftsgüter auch während des am 1. Januar 1959 beginnenden Begünstigungszeitraumes hergestellt wurden.

Gesetz zur Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) i. d. F. des Gesetzes vom 25. März 1959 -

 

Normenkette

BHG § 14/1; BHG § 14/2

 

Tatbestand

Streitig ist, ob nach § 14 Abs. 1 und 2 des Berlinhilfegesetzes (BHG) in der Fassung des Fünften änderungsgesetzes vom 25. März 1959 (BGBl 1959 I S. 160) - im folgenden BHG 1959 - auch die Anschaffung eines vor dem 1. Januar 1959 hergestellten Betriebsgebäudes steuerbegünstigt ist.

Die Steuerpflichtigen (Stpfl.) erwarben Mitte 1959 ein in Berlin (West) belegenes Einfamilienhaus, das zu 45 v. H. betrieblich genutzt wird. Das Haus war am 4. Dezember 1958 baupolizeilich abgenommen worden. Die Stpfl. machten bei der Einkommensteuerveranlagung 1960 die Sonderabschreibung nach § 14 BHG 1959 in Höhe von 9.927 DM, das sind 37 v. H. der auf den betrieblich genutzten Teil entfallenden Anschaffungskosten von insgesamt 59.623 DM, geltend.

Das Finanzamt versagte die Sonderabschreibung unter Hinweis auf den Erlaß des Senators für Finanzen Fin III A 2 - S 2130 - 43/59 vom 18. Dezember 1959 (Steuer- und Zollblatt für Berlin - StuZBl Bln - 1959 S. 1213) und gewährte nur die normale Absetzung für Abnutzung (AfA) mit 1 v. H., das sind 268 DM. Es vertrat die Auffassung, daß nach § 14 Abs. 2 Ziff. 2 BHG 1959 die Anschaffung oder Herstellung nur solcher Wirtschaftsgüter des unbeweglichen Anlagevermögens begünstigt sei, die nach dem 31. Dezember 1958 in Berlin (West) hergestellt worden seien.

Die Sprungberufung hatte Erfolg. Das Verwaltungsgericht legte die Bestimmung des § 14 BHG 1959 dahin aus, daß die Anschaffungskosten von während des Begünstigungszeitraums angeschafften Wirtschaftsgütern des unbeweglichen Anlagevermögens auch dann erhöht abgesetzt werden dürften, wenn diese Wirtschaftsgüter vor dem 1. Januar 1959, also vor Beginn des Begünstigungszeitraums, in Berlin (West) errichtet worden seien.

 

Entscheidungsgründe

Die Rb. des Vorstehers des Finanzamts ist begründet.

I. Für die Auslegung des § 14 BHG 1959 ist der in der Vorschrift zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzes maßgebend, wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Sinnzusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist (vgl. Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts 2 BvH 2/52 vom 21. Mai 1952, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 1 S. 299; 1 BvL 10/55 vom 15. Dezember 1959, BVerfGE Bd. 10 S. 234 (244); 2 BvL 11/59, 11/60 vom 17. Mai 1960, BVerfGE Bd. 11 S. 126 (130); Bundesfinanzhof unter anderem in den Urteilen VI 162/55 U vom 14. Februar 1958, BStBl 1958 III S. 207, Slg. Bd. 66 S. 539; I 208/60 S vom 27. Februar 1962, BStBl 1962 III S. 244, Slg. Bd. 74 S. 662).

Der für die Entscheidung maßgebende Teil des § 14 BHG 1959 hat folgenden Wortlaut:

"(1) Steuerpflichtige, die den Gewinn auf Grund ordnungsmäßiger Buchführung ermitteln, können bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens, bei denen die in Absatz 2 bezeichneten Voraussetzungen vorliegen und die nach dem 31. Dezember 1958 und vor dem 1. Januar 1962 angeschafft oder hergestellt worden sind, im Wirtschaftsjahr der Anschaffung oder Herstellung und den beiden folgenden Wirtschaftsjahren an Stelle der nach § 7 des Einkommensteuergesetzes zu bemessenden Absetzungen für Abnutzung erhöhte Absetzungen ... der Anschaffungs- oder Herstellungskosten vornehmen ...

Voraussetzung für die Anwendung des Absatzes 1 ist, daß die Wirtschaftsgüter

Zum Anlagevermögen einer in Berlin (West) belegenen Betriebstätte gehören und,

soweit sie zum beweglichen Anlagevermögen gehören, mindestens drei Jahre nach ihrer Anschaffung oder Herstellung in einer in Berlin (West) belegenen Betriebstätte verbleiben und, soweit sie zum unbeweglichen Anlagevermögen gehören, in Berlin (West) errichtet werden".

II. Die Auslegung des § 14 BHG 1959 ergibt folgendes.

Absatz 1 dieser Vorschrift regelt allgemein den persönlichen, sachlichen und zeitlichen Geltungsbereich sowie das Ausmaß der Vergünstigung. Zum sachlichen Anwendungsbereich verweist die Bestimmung auf den Absatz 2. Nach Ziffer 2 des Absatzes 2 kommt die erhöhte Absetzung bei Wirtschaftsgütern des unbeweglichen Anlagevermögens, die während des Begünstigungszeitraumes vom 1. Januar 1959 bis 31. Dezember 1961 (ß 14 Abs. 1 BHG) angeschafft oder hergestellt worden sind, nur in Betracht, soweit sie in "Berlin (West) errichtet werden". Ihrem Wortlaut nach kann diese Vorschrift nur so verstanden werden, daß die Steuervergünstigung nur auf solche Wirtschaftsgüter des unbeweglichen Anlagevermögens angewandt werden soll, die nach dem 31. Dezember 1958 errichtet, d. h. hergestellt werden. Bei wörtlicher Auslegung kann die Vorschrift jedenfalls nicht für Wirtschaftsgüter des unbeweglichen Anlagevermögens gelten, die vor dem 1. Januar 1959 errichtet worden sind. Der Vorinstanz kann nicht darin beigetreten werden, daß durch diese Auslegung des Absatzes 2 die Vorschrift des Absatzes 1 über den Begünstigungszeitraum unzulässig eingeschränkt werde, da Absatz 2 nur die Anwendungsvoraussetzungen in örtlicher Hinsicht festlege. Absatz 2 bringt vielmehr zum Ausdruck, daß die Wirtschaftsgüter sowohl in örtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht qualifiziert sein müssen. Durch Absatz 2 wird nicht der zeitliche Anwendungsbereich der Begünstigung, der in Absatz 1 geregelt ist, sondern nur der Bereich der begünstigungsfähigen Objekte begrenzt. Diese Begrenzung stellt ihrerseits keine Einschränkung der in Absatz 1 aufgestellten Voraussetzungen dar, da dort ausdrücklich auf die in Absatz 2 bezeichneten Voraussetzungen verwiesen ist.

Während die wörtliche Auslegung der Bestimmung für die Auffassung der Finanzverwaltung spricht, läßt die Auslegung nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift im Rahmen des Gesamtgesetzes zwei verschiedene Auslegungen zu.

a. Die Vorschrift des § 14 Abs. 2 Ziff. 1 kann dahin verstanden werden, daß nur diejenigen Wirtschaftsgüter begünstigt sind, die bilanzmäßig, d. h. im rechtlichen Sinne zum Anlagevermögen einer in Berlin (West) belegenen Betriebstätte gehören. Hiernach könnte, wenn die Vorschrift der Ziffer 2 nicht bestünde, beispielsweise die Herstellung oder Anschaffung von Wirtschaftsgütern durch ein Berliner Unternehmen begünstigt sein, wenn die Wirtschaftsgüter in Westdeutschland verblieben, ohne daß dort eine Betriebstätte begründet würde. Erst die Vorschrift der Ziffer 2 schließt eine so weitreichende Begünstigung dadurch aus, daß sie gewisse Erfordernisse in tatsächlicher Hinsicht, vor allem für die örtliche Bindung der Wirtschaftsgüter, aufstellt. Die Worte "in Berlin (West) errichtet werden" sind dann folgerichtig als eine solche örtliche Bestimmung aufzufassen. Dabei muß allerdings die vom Gesetzgeber gewählte Gegenwarts- oder Zukunftsform ("errichtet werden") insofern als eine redaktionelle Ungenauigkeit verstanden werden, als auch solche Wirtschaftsgüter begünstigt werden sollen, die schon vor Beginn des Begünstigungszeitraumes errichtet waren.

b. Die Vorschrift des Absatzes 2 kann jedoch auch so verstanden werden, daß bereits Ziffer 1 die örtliche Beziehung der begünstigten Wirtschaftsgüter festlegen will. Dafür spricht die Verwendung des Begriffes "Betriebstätte" statt "Unternehmen" oder "Betrieb". Daraus ergibt sich für Wirtschaftsgüter des unbeweglichen Anlagevermögens, daß sie begriffsnotwendig in Berlin (West) belegen sein müssen. Einer besonderen Vorschrift, daß solche Wirtschaftsgüter in Berlin (West) errichtet werden, hätte es nach dieser Auslegung nicht bedurft. Die Worte "in Berlin (West) errichtet werden" können so gesehen nur den Sinn haben, daß die Wirtschaftsgüter während des begünstigten Zeitraums hergestellt (errichtet) werden müssen.

Der Sinn und Zweck des § 14 BHG 1959 und des BHG im ganzen, wie sie bei der Beratung des Gesetzes zum Ausdruck gekommen sind (vgl. Deutscher Bundestag, 3. Wahlperiode, Bd. 61 Drucksache 949; Bundesrat, Drucksache 91/59 und 95/59), schließen keine der beiden Auslegungsmöglichkeiten aus. Es ist dem Verwaltungsgericht zuzugeben, daß eine Förderung der Wirtschaft von Berlin (West) auch dadurch bewirkt werden kann, daß die Abschreibungsvergünstigung in gleicher Weise bei dem Erwerb älterer Gebäude, die für betriebliche Zwecke verwendet werden, gewährt wird. Andererseits bestehen Bedenken gegen die Annahme, daß eine so weitgehende Vergünstigung in der Absicht des Gesetzgebers gelegen habe. Denn sie würde auch spekulative Bewegungen auf dem Berliner Grundstücksmarkt begünstigen, die durch den Zweck des Gesetzes, die Wettbewerbsfähigkeit und die Beschäftigungslage der Berliner Wirtschaft zu sichern, kaum mehr gedeckt wären. Der wirtschaftspolitische Zweck des BHG im ganzen und des § 14 im besonderen spricht nach Auffassung des Senates mehr für die von der Finanzverwaltung vertretene engere Auslegung.

Da somit die Auslegung nach dem Sinn und Zweck des Gesetzes nicht zu einem völlig eindeutigen Ergebnis führt, kommt dem Gesetzeswortlaut erhöhte Bedeutung zu. Eine Bestätigung dafür, daß die engere Auslegung des § 14 BHG 1959 dem Willen des Gesetzgebers entspricht, kann darin gesehen werden, daß der Wortlaut mit Ausnahme des Teils der Vorschrift, in der die Dauer des Begünstigungszeitraums geregelt ist, unverändert in das BHG 1962 übernommen wurde. Angesichts der Auslegung, die der Senator für Finanzen in dem Erlaß vom 18. Dezember 1959 (a. a. O.) der Vorschrift des § 14 BHG 1959 gegeben hat, wäre, wenn der Gesetzgeber diese Auffassung nicht billigte, zu erwarten gewesen, daß er den Wortlaut bei der Neufassung des BHG durch das Gesetz vom 26. Juli 1962 (BGBl 1962 I S. 493) entsprechend geändert hätte.

 

Fundstellen

Haufe-Index 411159

BStBl III 1964, 296

BFHE 1964, 175

BFHE 79, 175

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