Leitsatz (amtlich)
Eine Klage ist schriftlich erhoben, wenn zwar nicht die "Erstschrift", aber das an demselben Tag beim FG eingegangene, als "Zweitschrift" bezeichnete Schriftstück die eigenhändige Unterschrift des Prozeßbevollmächtigten des Klägers trägt.
Normenkette
FGO § 64 Abs. 1 S. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) wendet sich im Rechtsbehelfsverfahren gegen geänderte Körperschaftsteuerbescheide für die Jahre 1965 bis 1968 und gegen den endgültigen Körperschaftsteuerbescheid für das Jahr 1969. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das FA) hat den Einspruch der Klägerin durch Einspruchsentscheidung vom 26. Juli 1972 abgewiesen, die dem Prozeßbevollmächtigten der Klägerin mit Postzustellungsurkunde (PZU) am 28. Juli 1972 zugestellt wurde. Am 16. August 1972 ging beim FG die Klage in Sachen Körperschaftsteuer 1965 bis 1969 ein, die auf dem Kopfbogen den Namen des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin auswies. Der Klageschriftsatz trug jedoch keine eigenhändige Unterschrift, sondern nur den maschinengeschriebenen, in Klammern gesetzten Namen des Prozeßbevollmächtigten. Im Verfahren vor dem FG reichte das FA eine vom Prozeßbevollmächtigten unterschriebene Zweitschrift der Klage ein, die am 15. August 1972 beim FA eingegangen war.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab, da die Klageschrift mangels eigenhändiger Unterzeichnung durch den Prozeßbevollmächtigten den Anforderungen der Schriftform nicht genüge. Die unterschriebene Zweitschrift könne nicht als beim FA angebracht angesehen werden; denn aus dem Anschreiben des Prozeßbevollmächtigten der Klägerin an das beklagte FA vom 15. August 1972 ergebe sich, daß er mit Einreichung der Zweitschrift der Klage dem FA nur davon habe Kenntnis geben wollen, daß er beim FG Klage erhoben habe bzw. erheben werde. Eine "Anbringung" der Klage beim FA sei damit nicht beabsichtigt gewesen.
Mit ihrer Revision wendet sich die Klägerin gegen die Rechtsauffassung des FG, ihre Klage sei nicht innerhalb der Klagefrist beim FA "angebracht" worden. Eine fehlende Unterschrift könne dann nicht als prozeßhinderlich angesehen werden, wenn kein Zweifel darüber bestehe, daß der Prozeßbevollmächtigte die Verantwortung für den Inhalt der Klage übernommen habe. Diese Voraussetzungen lägen im Streitfall vor.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Das FA schließt sich diesem Antrag an.
Es hat dem BFH die Zweitschrift der vom Prozeßbevollmächtigten eigenhändig unterschriebenen, an das FG gerichteten Klageschrift vorgelegt. Diese trägt den Eingangsstempel des FG vom 16. August 1972. Gleichzeitig hat das FA ein Schreiben des FG vom 25. August 1972 vorgelegt, mit dem die Zweitschrift als am 16. August 1972 beim FG eingegangen bezeichnet und nach § 71 FGO dem FA zugestellt wurde.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Die Klägerin hat ihre Klage im Gegensatz zur Auffassung des FG "schriftlich" erhoben (§ 64 Abs. 1 FGO).
Dem FG ist darin beizutreten, daß die dem FG zugegangene Erstschrift der Klage - für sich genommen - nicht der Schriftform genügt, weil sie vom Prozeßbevollmächtigten der Klägerin nicht unterzeichnet worden ist. Daraus folgt indessen nicht schon die Unzulässigkeit der Klage. Es kann dahingestellt bleiben, ob im vorliegenden Fall nicht das als "Zweitschrift" bezeichnete Schriftstück als die eigentliche Klage anzusehen ist. Denn die Zulässigkeit der Klage folgt schon aus einer anderen Überlegung. Die nach § 64 Abs. 1 FGO vorgeschriebene Schriftform dient - wie das FG zu Recht ausführt - dem Zweck, im Interesse des Rechtsverkehrs sicherzustellen, daß die Klage mit Wissen und Wollen des Unterzeichners, der die Verantwortung für die Klageschrift trägt, dem Gericht zugegangen ist. Ob dies der Fall ist, muß sich aber nicht notwendig aus der Klageschrift selbst, sondern kann sich vielmehr auch aus einem zusammen mit der Klageschrift beim FG eingegangenen Schreiben des Klägers oder seines Bevollmächtigten ergeben (vgl. für die Revisionsbegründungsschrift BFH-Beschluß vom 5. November 1973 GrS 2/72, BFHE 111, 278, BStBl II 1974, 242). Die obersten Gerichtshöfe des Bundes haben es wiederholt als ausreichend angesehen, wenn der nicht unterzeichneten Urschrift einer Rechtsbehelfsschrift eine vom Prozeßbevollmächtigten eigenhändig und handschriftlich beglaubigte Abschrift beigefügt war (vgl. Beschluß des BGH vom 3. Mai 1957 VIII ZB 7/57, NJW 1957, 990; Urteil des BAG vom 21. März 1973 4 AZR 225/72, HFR 1974, 27).
Im Streitfall ist dem FG am 16. August 1972 nicht nur die nicht handschriftlich unterzeichnete Klageschrift, sondern auch die ordnungsgemäß unterschriebene Zweitschrift zugegangen. Das hat das FG zwar nicht festgestellt, sondern sich auf die Aussage beschränkt, die Zweitschrift sei beim FA am 15. August 1972 eingegangen. Da das Revisionsgericht indessen insoweit Tatsacheninstanz ist, als es die Sachurteilsvoraussetzungen und damit auch die formgerechte Klageerhebung von Amts wegen zu überprüfen hat (BFH-Urteile vom 9. September 1970 I R 113/69, BFHE 100, 179, BStBl II 1971, 9; vom 8. Dezember 1976 I R 240/74, BFHE 121, 142, BStBl II 1977, 321, unter III 1 c, aa), ist der erkennende Senat nicht gehindert, den unbestrittenen Vortrag des FA im Revisionsverfahren über die Tatsache und den Zeitpunkt des Zugangs der Zweitschrift beim FG seiner Entscheidung zugrunde zu legen. Aus dieser Zweitschrift ergab sich für das FG in einer jeden vernünftigen Zweifel ausschließenden Form, daß die Klage mit Wissen und Willen des Bevollmächtigten erhoben wurde und damit nicht lediglich ein noch unverbindlicher Entwurf war.
Die Vorentscheidung, die auf einer abweichenden Beurteilung beruht, ist aufzuheben. Die Sache ist, da nicht spruchreif, an das FG zurückzuverweisen. Sofern die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen gegeben sind, wird das FG über die Klage sachlich entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 72588 |
BStBl II 1978, 11 |
BFHE 1978, 286 |