Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtsmittelbelehrung bei wiederholter Urteilszustellung/Grundsteuerfreiheit der Schutz- und Sicherheitszonen eines Truppenübungsplatzes
Leitsatz (NV)
1. Stellt das FG ein Urteil nochmals zu, weil das ursprünglich zugestellte Urteil unwirksam gewesen war, muss es die Rechtsmittelbelehrung konkret auf diese Fallgestaltung beziehen.
2. Die für den Betrieb eines Truppenübungsplatzes zwingend erforderlichen Schutz- und Sicherheitszonen sind von der Grundsteuer befreit.
Normenkette
FGO §§ 55, 120 Abs. 1 S. 1; GrStG §§ 3, 6 Nr. 2, § 7 S. 1, § 8 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines Truppenübungsplatzes im Beitrittsgebiet. Rund 1/3 davon nutzt die Bundesforstverwaltung forstwirtschaftlich.
Die Klägerin reichte im Jahr 2001 eine Erklärung zur Ermittlung des Ersatzwirtschaftswerts und zur Festsetzung des Grundsteuermessbetrags auf den 1. Januar 1997 ein und vertrat dabei die Auffassung, dass alle zu dem Truppenübungsplatz gehörenden Flächen von der Grundsteuer befreit seien. Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) folgte dieser Ansicht nicht und setzte für die forstwirtschaftlich genutzten Flächen gegenüber der zuständigen Standortverwaltung auf den 1. Januar 1997 einen Grundsteuermessbetrag fest.
Das Finanzgericht (FG) gab der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 1539 veröffentlichte Urteil mit der Begründung statt, der Truppenübungsplatz sei einschließlich der von der Bundesforstverwaltung genutzten Flächen nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 i.V.m. § 6 Nr. 2 des Grundsteuergesetzes (GrStG) von der Grundsteuer befreit. Dem stehe nicht entgegen, dass die militärischen Übungen nicht in den Randzonen des Geländes stattfänden und diese Teilflächen daher forstwirtschaftlich genutzt werden könnten. Die Teilflächen seien als Schutz- und Sicherheitszonen für den Betrieb des Truppenübungsplatzes zwingend erforderlich und damit Gelände, dessen Besteuerung die zitierten Befreiungsvorschriften des GrStG verhindern wollten.
Das FG übermittelte den Beteiligten eine Ausfertigung des "Urteils", bevor die Urschrift von allen Richtern unterzeichnet worden war. Das FA legte gegen das "Urteil" Revision ein und begründete sie.
Im Hinblick auf die fehlende Unterschrift eines Richters stellte das FG durch Beschluss fest, dass das den Beteiligten zugestellte Urteil unwirksam sei. Nachdem die fehlende Unterschrift nachgeholt worden war, stellte das FG das Urteil den Beteiligten nochmals zu, und zwar dem FA am 15. Mai 2006. Das FA legte daraufhin mit Schriftsatz vom 9. Juni 2006, der beim Bundesfinanzhof (BFH) am 19. Juni 2006 einging, erneut Revision ein.
Mit der Revision rügt das FA, das FG habe § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und § 6 Nr. 2 GrStG unrichtig angewandt. Die vom angefochtenen Grundsteuermessbescheid erfassten Waldflächen würden von der Bundesforstverwaltung im Auftrag der Bundeswehr uneingeschränkt bewirtschaftet, lägen im Außenbereich des Truppenübungsplatzes, dienten lediglich als Schutzbereich und würden daher nicht unmittelbar für den begünstigten (militärischen) Zweck genutzt. Dies stehe nach § 7 GrStG der Steuerbefreiung entgegen.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist zulässig, aber unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
1. Die Revision ist nicht wegen verspäteter Einlegung unzulässig.
a) Es kann dabei auf sich beruhen, ob die vom FA ursprünglich eingelegte Revision nach der erneuten Urteilszustellung weiterwirkte (vgl. Urteile des Bundesgerichtshofs vom 18. September 1963 V ZR 192/61, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1964, 248, und vom 17. April 1996 VIII ZR 108/95, NJW 1996, 1969), obwohl das FG inzwischen die Unwirksamkeit des zunächst zugestellten Urteils durch Beschluss festgestellt hatte und dadurch möglicherweise das Rechtsschutzbedürfnis für die ursprüngliche Revision entfallen war, oder ob es nach der wirksamen Urteilszustellung einer erneuten Revisionseinlegung bedurfte. Trifft die zuletzt genannte Alternative zu, genügte es nicht, dem Urteil die übliche Rechtsmittelbelehrung beizufügen. Vielmehr hätte das FG in der dem erneut zugestellten Urteil beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung zur Vermeidung von Unklarheiten darüber, auf die Zustellung welchen Urteils es für den Beginn der Revisionsfrist ankam, auf die Erforderlichkeit einer nochmaligen fristgerechten Einlegung und Begründung der Revision hinweisen müssen. Da dies nicht geschehen ist, genügte die Rechtsmittelbelehrung für die hier vorliegende besondere Fallgestaltung nicht den Anforderungen des § 55 Abs. 1 FGO, so dass nicht die Revisionsfrist von einem Monat gemäß § 120 Abs. 1 Satz 1 FGO, sondern die Jahresfrist des § 55 Abs. 2 Satz 1 FGO lief. Diese Frist hat das FA eingehalten.
b) Über den vom FA gestellten Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) braucht danach nicht entschieden zu werden.
2. Die Revision ist unbegründet. Das FG hat auf der Grundlage der von ihm getroffenen Feststellungen zu Recht die Grundsteuerbefreiung der zum Truppenübungsplatz gehörenden Waldflächen bejaht.
a) Grundbesitz, der von einer inländischen juristischen Person des öffentlichen Rechts für einen öffentlichen Dienst oder Gebrauch genutzt wird, ist nach § 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 GrStG von der Grundsteuer befreit. Öffentlicher Dienst oder Gebrauch in diesem Sinn ist die hoheitliche Tätigkeit oder der bestimmungsgemäße Gebrauch durch die Allgemeinheit (§ 3 Abs. 2 Satz 1 GrStG). Die Befreiung nach § 3 GrStG tritt gemäß § 7 Satz 1 GrStG nur ein, wenn der Steuergegenstand für den steuerbegünstigten Zweck unmittelbar genutzt wird. Wird Grundbesitz, der für steuerbegünstigte Zwecke (§§ 3 und 4 GrStG) genutzt wird, zugleich land- und forstwirtschaftlich genutzt, so gilt die Befreiung gemäß § 6 Nr. 2 GrStG u.a. für Grundbesitz, der von der Bundeswehr als Übungsplatz oder Flugplatz genutzt wird. Es handelt sich dabei um die gegenüber § 8 Abs. 2 GrStG speziellere Vorschrift. Es kommt deshalb nicht darauf an, welche der Nutzungen überwiegt (Troll/Eisele, Grundsteuergesetz, Kommentar, 9. Aufl., § 6 Rz 2).
b) Die streitgegenständlichen Waldflächen sind danach zum Stichtag 1. Januar 1997 von der Grundsteuer befreit. Sie waren nach den vom FG getroffenen Feststellungen als Schutz- und Sicherheitszonen für den Betrieb des Truppenübungsplatzes zwingend erforderlich und wurden somit i.S. des § 7 Satz 1 GrStG unmittelbar für dessen Zwecke genutzt. Die gleichzeitige forstwirtschaftliche Nutzung steht nach § 6 Nr. 2 GrStG der Steuerbefreiung nicht entgegen.
Die vom FG getroffenen Feststellungen sind für den BFH nach § 118 Abs. 2 FGO bindend. Das FA hat in Bezug auf diese Feststellungen keine zulässigen und begründeten Revisionsgründe vorgetragen. Zu den der Bindung unterliegenden Feststellungen gehören auch die Schlussfolgerungen tatsächlicher Art, soweit sie nicht mit Denkgesetzen oder Erfahrungssätzen unvereinbar sind. Die Schlussfolgerungen brauchen nicht zwingend, sondern nur möglich zu sein (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 27. August 1991 VIII R 84/89, BFHE 165, 330, BStBl II 1992, 9; vom 13. Februar 2008 I R 63/06, BFH/NV 2008, 1250; vom 28. Februar 2008 V R 44/06, BFH/NV 2008, 1088, und vom 6. März 2008 IV R 72/05, BFH/NV 2008, 1311).
Ein Verstoß gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze ist im Streitfall nicht ersichtlich. Wie der BFH bereits mit Urteil vom 15. März 1957 III 17/57 S (BFHE 64, 492, BStBl III 1957, 183) entschieden hat, sind Grundstücksflächen, die innerhalb eines in Betrieb befindlichen Militärflugplatzes liegen, auch dann grundsteuerfrei, wenn sie zwecks eingeschränkter landwirtschaftlicher Nutzung verpachtet sind. Nach dieser Entscheidung wäre es eine dem Sinn und Zweck der Grundsteuerbefreiung widersprechende Einengung, wenn man unentbehrliche Hilfsmaßnahmen und Hilfsmittel vom Kreise der Aufgaben einer steuerbegünstigten Person ausschließen würde (ebenso schon BFH-Urteil vom 22. Oktober 1954 III 74/54 S, BFHE 59, 413, BStBl III 1954, 369). Eine Verfahrensrüge (§ 120 Abs. 3 Nr. 2 Buchst. b FGO) hat das FA nicht erhoben.
Soweit sich das FA in der Revisionsbegründung auf Tatsachen stützt, die das FG nicht festgestellt hat, steht § 118 Abs. 2 FGO deren Berücksichtigung entgegen. Von den tatsächlichen, den BFH bindenden Feststellungen des FG abweichendes tatsächliches Vorbringen zur materiell-rechtlichen Beurteilung einer Streitsache ist im Revisionsverfahren, von hier nicht gegebenen Ausnahmen abgesehen, nicht zu berücksichtigen (BFH-Urteile vom 17. Dezember 1997 X R 88/95, BFHE 185, 40, BStBl II 1998, 343, und vom 5. Oktober 1999 VII R 152/97, BFHE 191, 140, BStBl II 2000, 93).
Fundstellen
Haufe-Index 2064762 |
BFH/NV 2008, 2056 |
DStRE 2009, 158 |
HFR 2009, 65 |