Leitsatz (amtlich)
Die Veräußerung eines Grundstücks, das zum Betriebsvermögen eines Landwirts gehört, kann zu einem nach § 23 EStG steuerpflichtigen Spekulationsgewinn führen (Anschluß an BFH-Urteil vom 29. Juni 1962 VI 82/61 U, BFHE 75, 330, BStBl III 1962, 387). Dies gilt auch für ein im Jahre 1969 erfolgtes Spekulationsgeschäft, da durch § 52 Abs. 5 EStG 1971 rechtswirksam die vorübergehend weitere Anwendung des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG 1969 bestimmt ist.
Normenkette
EStG 1969 § 4 Abs. 1 S. 5, § 23; EStG 1971 § 52 Abs. 5
Tatbestand
Streitig ist, ob der Gewinn, der bei der 1969 erfolgten Veräußerung eines im selben Jahre erworbenen landwirtschaftlichen Grundstücks erzielt wurde, als Spekulationsgewinn zu besteuern ist oder ob es sich wegen Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. um Gewinn aus Land- und Forstwirtschaft handelt mit der Folge, daß er auf die Veranlagungszeiträume 1969 und 1970 verteilt werden könnte und die Freibeträge nach § 13 Abs. 3 EStG zu gewähren wären.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger), der von Beruf Landwirt ist, kaufte mit Vertrag vom 19. Mai 1969 ein landwirtschaftliches Grundstück, das von diesem Zeitpunkt an zum Betriebsvermögen seines landwirtschaftlichen Betriebs gehörte. Am 21. Juli 1969 veräußerte er das Grundstück wieder und erzielte hierbei einen Buchgewinn von 74 888 DM. In der Einkommensteuererklärung 1969 wies der Kläger diesen Veräußerungsgewinn bei den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft aus und beantragte hierfür die Steuerermäßigung des § 34 Abs. 1 und 2 EStG. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (FA) behandelte dagegen den Veräußerungsgewinn als Spekulationsgewinn (§ 22 Nr. 2 in Verbindung mit § 23 EStG) und lehnte die Anwendung des § 34 EStG ab. Einspruch und Klage, mit denen der Kläger geltend machte, nach der Entscheidung des BVerfG vom 11. Mai 1970 1 BvL 17/67 (BVerfGE 28, 227, BStBl II 1970, 579) dürfe die für verfassungswidrig erklärte Vorschrift des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. rückwirkend nicht mehr angewandt werden, blieben ohne Erfolg.
Das FG führte mit seiner in EFG 1972, 278 veröffentlichten Entscheidung im wesentlichen aus. Es handle sich um einen Spekulationsgewinn, weil der Wert des veräußerten Grundstücks bei der Ermittlung des Gewinns aus Land- und Forstwirtschaft nach § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. nicht anzusetzen gewesen sei. § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. sei ungeachtet der vom BVerfG festgestellten Verfassungswidrigkeit für den Veranlagungszeitraum 1969 weiterhin anzuwenden. Denn das BVerfG habe die Bestimmung nicht für nichtig erklärt, sondern lediglich festgestellt, daß die unterschiedslose Privilegierung der Landwirte bei der steuerlichen Erfassung der Gewinne aus der Veräußerung von Grund und Boden mit dem Gleichheitssatz nicht vereinbar sei. Das BVerfG habe es dem Gesetzgeber überlassen, eine verfassungsmäßige Regelung zu treffen. Durch das Zweite Steueränderungsgesetz 1971 (BGBl I, 1266, BStBl I 1971, 373) sei § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. erst mit Wirkung vom 1. Juli 1970 aufgehoben worden.
Mit der Revision rügt der Kläger Verletzung materiellen Rechts. Er beantragt, den angefochtenen Steuerbescheid in der Form der Einspruchsentscheidung und die Vorentscheidung aufzuheben und die Einkommensteuer neu festzusetzen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist nicht begründet.
Einnahmen aus der Veräußerung landwirtschaftlichen Grundbesitzes können bis zum Inkrafttreten des Zweiten Steueränderungsgesetzes 1971 nach § 22 in Verbindung mit § 23 EStG der Besteuerung unterliegen. Wie der BFH bereits in dem Urteil vom 29. Juni 1962 VI 82/61 U (BFHE 75, 330, BStBl III 1962, 387) zutreffend ausgesprochen hat, ändert es an der Erzielung eines Spekulationsgewinns nichts, daß das veräußerte Grundstück zu einem landwirtschaftlichen Betriebsvermögen gehörte (zustimmend Vangerow, StuW 1970 Sp. 330, 331 bis 332; Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 23 EStG, Anm. 3). Denn nach § 23 Abs. 3 EStG scheiden Spekulationsgewinne nur dann aus, wenn Wirtschaftsgüter veräußert werden, deren Wert bei Einkünften im Sinne des § 2 Abs. 3 Nrn. 1 bis 6 EStG anzusetzen ist. Das aber war bei der Veräußerung von landwirtschaftlich genutzten Grundstücken gerade nicht der Fall. Denn hier blieb nach § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. der Wert des zum Anlagevermögen gehörenden Grund und Bodens "außer Ansatz". Sinn und Zweck der in § 23 Abs. 3 EStG enthaltenen Subsidiaritätsvorschrift ist es, bestimmte Veräußerungsgewinne zu besteuern, die nicht schon im Rahmen der Einkunftsermittlung erfaßt werden. Es sind keine einleuchtenden Gründe für die Annahme ersichtlich, daß allein die Tatsache der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1 EStG a. F. zur Steuerfreiheit von Bodenspekulationsgewinnen führen sollte.
§ 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. ist im Streitjahr 1969 gemäß § 52 Abs. 5 EStG 1971 uneingeschränkt anzuwenden. Die Regelung des Zweiten Steueränderungsgesetzes 1971 ist geltendes Recht. Aus der BVerfG-Entscheidung 1 BvL 17/67 ergibt sich nichts anderes. Das BVerfG hat ausdrücklich davon abgesehen, die Bestimmung des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. für nichtig zu erklären. Hieran ist der BFH gebunden. Die Feststellung des BVerfG, die Privilegierung der Landwirte hinsichtlich der Behandlung des Grund und Bodens sei verfassungswidrig, bedeutete nur mehr ein Gebot an den Gesetzgeber, diese Verfassungswidrigkeit im Rahmen seiner weitreichenden Gestaltungsfreiheit zu beseitigen (ebenso Behrle, Die Information 1970 S. 512; Flume, DB 1970, 1507; Herrmann-Heuer, a. a. O., § 4 EStG, Anm. 20 [2]; Hoffmann-Riem, Deutsches Steuerrecht 1971 S. 3; Kleeberg, BB 1970, 964, 1172; Peinemann, BB 1971, 169, und Spanner, StRK, Anm. zu Einkommensteuergesetz, § 4 GewVerw., Rechtsspruch 22; a. A. Barske, DB 1970, 1904; Hartz, DB 1970, 2090; Leibholz-Rupprecht, Gesetz über das Bundesverfassungsgericht, Kommentar, Nachtrag, § 31, Anm. 3; Runge, BB 1970, 956, 1971, 120; Schmidt-Bleibtreu, BB 1970, 1172; Söffing, DStZ, A, 1970, 261 f.). Das ist mit der durch § 52 Abs. 5 EStG 1971 angeordneten Streichung des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. zu einem bestimmten Zeitpunkt sowie der Anordnung, die Vorschrift bis dahin anzuwenden, geschehen. Es entspricht auch ständiger Praxis des BVerfG, dem Gesetzgeber zur Änderung als verfassungswidrig erkannter Verhältnisse eine bestimmte Zeitspanne einzuräumen; vgl. noch das Urteil vom 20. Dezember 1966 1 BvR 320/57, 70/63 (BVerfGE 21, 12 [39 ff.], BStBl III 1967, 7) zum Umsatzsteuergesetz 1951. Insbesondere aus Gründen der Rechtssicherheit, hier namentlich des Vertrauensschutzes für den Steuerbürger, kann sich eine Übergangsregelung als erforderlich erweisen, die eine kurzfristige Weitergeltung verfassungswidriger Normen enthält. Unter diesem Blickwinkel begegnet es keinen Bedenken, daß der Gesetzgeber als Zeitpunkt der Rechtsänderung den des Bekanntwerdens der BVerfG-Entscheidung gewählt hat.
Aus ähnlichen Erwägungen hat auch der IV. Senat des BFH für zeitlich lang zurückliegende Veräußerungsfälle die vorläufige Weitergeltung des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F., die durch auf § 131 Abs. 2 AO gestützte Übergangserlasse der obersten Finanzbehörden (BStBl I 1970, 933) angeordnet war, gebilligt (Urteile vom 20. August 1970 IV 143/64, BFHE 100, 97, BStBl II 1970, 807; vom 17. Dezember 1970 IV R 286/66, BFHE 101, 520, BStBl II 1971, 456, und vom 21. Januar 1971 IV 123/65, BFHE 102, 464, BStBl II 1971, 682).
Die Grundsätze des Vertrauensschutzes spielen im vorliegenden Fall keine Rolle. Denn die Besteuerung von Spekulationsgewinnen aus landwirtschaftlichem Grundbesitz war seit der BFH-Entscheidung VI 82/61 U allgemeine Praxis, wie sich aus der Verwaltungsanweisung in Abschn. 169 Abs. 3 EStR 1963 f. ergibt.
Daß sich die Anwendung des § 52 Abs. 5 EStG 1971 im Streitfall zuungunsten des Klägers auswirkt, ändert an der Gültigkeit der Vorschrift nichts. Es liegt im Wesen einer solchen Übergangsregelung, daß in Einzelfällen gewisse Härten auftreten können. Für den hier zu beurteilenden Fragenkreis weist die Vorinstanz mit Recht auf die Vorteile hin, die sich durch die zeitlich begrenzte Weitergeltung des § 4 Abs. 1 Satz 5 EStG a. F. im allgemeinen für Landwirte ergeben haben.
Fundstellen
Haufe-Index 70704 |
BStBl II 1974, 55 |
BFHE 1974, 411 |