Entscheidungsstichwort (Thema)
Arbeitslohn für Flugzeiten über der ehemaligen DDR
Leitsatz (NV)
1. Zur Wiedereinsetzung in die Revisionsbegründungsfrist.
2. Die Teile des Arbeitslohns einer Flugbegleiterin, die auf Flugzeiten über der ehemaligen DDR entfallen, sind steuerfrei.
Normenkette
EStG 1986 § 3 Nr. 63
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 1986 Flugbegleiterin. Sie flog im Linienflugverkehr auf verschiedenen Routen von und nach Berlin und überflog so regelmäßig das Gebiet der ehemaligen DDR. Sie begehrte, denjenigen Teil ihres Arbeitslohnes steuerfrei zu belassen, der auf die Flugzeiten im Luftkorridor über der DDR entfiel. Dies lehnte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) ab.
Die Klage blieb ohne Erfolg. Zur Begründung seiner Entscheidung führte das Finanzgericht (FG) aus: Bei der Auslegung des § 3 Nr.63 des Einkommensteuergesetzes (EStG) in der für das Streitjahr geltenden Fassung komme es zwar nicht darauf an, wo der Arbeitslohn ausbezahlt, sondern wo die Tätigkeit ausgeübt worden sei; bei der Beurteilung dieser Frage sei in erster Linie auf völkerrechtliche Grundsätze abzustellen. Das bloße Überfliegen eines fremden Staatsgebiets könne nicht als Ausübung einer Tägigkeit in diesem Staat gewertet werden. Wegen der mit der Erfassung von Tätigkeiten im Flugverkehr verbundenen praktischen Schwierigkeiten wiesen zwar die meisten Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) dem Staat, der überflogen werde, inzwischen kein Besteuerungsrecht mehr zu. Aus der Tatsache, daß einige DBA und auch § 3 Nr.63 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung derartige Regelungen noch nicht enthielten, könne jedoch nicht geschlossen werden, daß das Besteuerungsrecht uneingeschränkt der Lufthoheit folge. Es sei vielmehr zu fordern, daß der Staat, dessen Gebiet überflogen werde, auch von dem Besteuerungsrecht Gebrauch mache. Dies sei wie im Streitfall regelmäßig nicht der Fall, wenn sich das Flugpersonal nur wenige Minuten über dem betreffenden Territorium befinde.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 3 Nr.63 EStG in der für das Streitjahr geltenden Fassung. Der Gesetzgeber habe im streitigen Veranlagungszeitraum für die in der DDR bezogenen Einkünfte bewußt die Freistellungsmethode ohne Progressionsvorbehalt gewählt. Dies ergebe sich auch daraus, daß er diese Befreiungsvorschrift später selbst nicht mehr für angemessen hielt und aufgrund der Vorschrift des § 3 Nr.63 EStG in der Fassung des Steuerreformgesetzes 1990 vom 25. Juli 1988 (BGBl I 1988, 1093) entsprechende Einkünfte nur noch dann steuerfrei belassen wollte, wenn sie in der DDR oder Berlin (Ost) bezogen und dort zu einer entsprechenden Steuer tatsächlich herangezogen würden. Diese Änderung sei nicht deklatorisch gewesen, sondern habe den alten Rechtszustand ändern wollen. Es sei nicht zutreffend, auslaufendes Recht bereits für Zeiträume zu korrigieren, für die die neuen Regelungen noch nicht gegolten haben.
Entscheidungsgründe
1. Die Revision ist zulässig.
Zwar ist die Revisionsbegründung der Klägerin erst am 24. Oktober 1990 und damit nach Ablauf der Begründungsfrist am 10. Oktober 1990 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangen. Auf ihren gleichzeitig eingegangenen Antrag wird der Klägerin jedoch nach § 56 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt, da sie ohne Verschulden verhindert war, diese Frist einzuhalten. Ihr Prozeßbevollmächtigter, dessen Verschulden als eigenes Verschulden der Klägerin anzusehen wäre (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), hat glaubhaft dargelegt, daß er einen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist am 8. Oktober 1990 abgefaßt und seinem Umschüler, Herrn . . ., zur Beförderung zur Post mitgegeben hat. In diesem Antrag hat er auf die angespannte Personalsituation in seinem Büro hingewiesen und um Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist bis zum 31. Oktober 1990 gebeten. Er konnte davon ausgehen, daß dieser Antrag bei normalem Postlauf vor Ablauf der für die Revisionsbegründung gesetzten Frist beim BFH eingehen würde.
An der Nichtabsendung dieses Antrags trifft den Bevollmächtigten kein Verschulden. Das Verschulden seines Umschülers als Hilfsperson wäre ihm nur zuzurechnen, wenn er bei dessen Auwahl oder Beaufsichtigung schuldhaft gehandelt hätte (BFH-Urteil vom 11.Januar 1983 VII R 92/80, BFHE 137, 399, BStBl II 1983, 334). Davon kann, wie der Prozeßbevollmächtigte glaubhaft gemacht hat, im Streitfall nicht ausgegangen werden.
Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und die Revisionsbegründung als nachzuholende Rechtshandlung (BFH-Beschluß vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85, BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264) sind am 24. Oktober 1990 rechtzeitig beim BFH eingegangen (§ 56 Abs. 2 Satz 1 und Satz 3 FGO). Der Prozeßbevollmächtigte der Klägerin hat glaubhaft gemacht, daß er von der Nichtbeförderung des Antrags auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist und damit der Verhinderung an ihrer Einhaltung erst am 19. Oktober 1990 Kenntnis erlangt hat.
2. Die Revision ist auch begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Nr.2 FGO).
Nach § 3 Nr.63 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung sind Einkünfte der in § 49 EStG bezeichneten Art steuerfrei zu belassen, wenn sie in der DDR oder Berlin (Ost) bezogen worden sind. Es sind daher in der DDR bezogene Einkünfte freizustellen, die bei einem in der Bundesrepublik Deutschland (Bundesrepublik) beschränkt Steuerpflichtigen zu den inländischen Einkünften i.S. des § 49 EStG gehören würden (vgl. das BFH-Urteil vom 28. September 1990 VI R 98/89, 100/89, BFHE 162, 414, BStBl II 1991, 364, 365 m.w.N.). In § 49 Abs. 1 Nr.4 EStG sind auch Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bezeichnet, die im Inland ausgeübt oder verwertet wird.
Zu den Einkünften der in § 49 Abs. 1 Nr.4 EStG bezeichneten Art gehören auch Einkünfte, die von Flugpersonal für die Zeit bezogen werden, in denen es das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik überfliegt. Denn auch insoweit handelt es sich um Einkünfte aus einer Tätigkeit, die im Inland ausgeübt wird. Die Frage, wo eine nichtselbständige Arbeit ausgeübt wird, ist nach den Regeln des Völkerrechts zu beurteilen (vgl. das BFH-Urteil vom 5. Oktober 1977 I R 250/75, BFHE 123, 341, BStBl II 1978, 50). Völkerrechtlich zählt aber die Luftsäule über der Staatsfläche zum Staatsgebiet des betroffenen Staates. Dies entspricht der einhellig herrschenden und praktizierten Rechtsauffassung (vgl. das BFH-Urteil vom 14. Dezember 1988 I R 148/87, BFHE 155, 374, BStBl II 1989, 319, 320 m.w.N.). Eine nichtselbständige Tätigkeit wird auch dann im betreffenden Staat ausgeübt, wenn dieser ohne Landung auf seinem Territorium lediglich überflogen wird.
Dieser Beurteilung steht nicht entgegen, daß die neueren DBA zumeist eine Sondervorschrift für die Besteuerung der Vergütungen für unselbständige Arbeit in der internationalen Seeschiffahrt und Luftfahrt enthalten, wonach die Vergütungen der Besatzungen von Luftfahrzeugen und Seeschiffen in dem Vertragsstaat besteuert werden können, in dem sich der Ort der Geschäftsleitung des Unternehmens befindet (vgl. z.B. Art.15 Nr.3 des OECD-Musterabkommens). Zwischen der DDR und der Bundesrepublik bestand ein derartiges DBA nicht.
Aus diesen Gründen sind die Einkünfte der Klägerin für die Ausübung ihrer Tätigkeit als Flugbegleiterin über dem Staatsgebiet der DDR auch im Sinne der Vorschrift des § 3 Nr.63 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung in der DDR bezogen worden. Entgegen der Rechtsauffassung der Vorinstanz kann es bei der Anwendung dieser Vorschrift für das Streitjahr nicht darauf ankommen, ob die DDR die für auf ihrem Gebiet ausgeübte Tätigkeit bezogenen Einkünfte auch tatsächlich besteuerte oder zu besteuern vermochte. Wie auch die DBA zum Ziel haben, schon die virtuelle, d.h.die nur denkbare Doppelbesteuerung zu vermeiden (vgl. das BFH-Urteil in BFHE 155, 374, BStBl II 1989, 319), muß dies aufgrund ihres eindeutigen Wortlauts auch für die Vorschrift des § 3 Nr.63 EStG in der für das Streitjahr gültigen Fassung gelten (vgl. das BFH-Urteil vom 28. September 1990 VI R 157/89, BFHE 162, 290, BStBl II 1991, 86). Dafür spricht auch, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, daß der Gesetzgeber die Vorschrift erst später durch das Steuerreformgesetz 1990 in dem Sinne neu gefaßt hat, daß eine Freistellung von in der DDR bezogenen Einkünften in der Bundesrepublik nur möglich ist, wenn sie in der DDR zu einer der deutschen Einkommensteuer entsprechenden Steuer tatsächlich herangezogen werden.
3. Da die Vorentscheidung von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, war sie aufzuheben. Die Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat keine tatsächlichen Feststellungen zur Höhe des freizustellenden Arbeitslohns der Klägerin getroffen. Es wird diese Feststellungen nachzuholen und die Einkommensteuer der Klägerin für das Streitjahr entsprechend neu festzusetzen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 418867 |
BFH/NV 1993, 365 |