Leitsatz (amtlich)
Es verstößt weder gegen Art. 20 GG noch gegen Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG, wenn die Kirchensteuer als Zuschlag zur Einkommensteuer erhoben wird.
Normenkette
GG Art. 140, 105 Abs. 2 Nr. 2, Art. 72 Abs. 1, 20; Verfassung von NW Art. 2, 3 Abs. 1, Art. 19 Abs. 2; KiStG im Land NW vom 30. April 1962 § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a, § 15 Abs. 1, § 16 Abs. 1
Nachgehend
Tatbestand
Das FA hat den Kläger für das Jahr 1964 zur Kirchensteuer veranlagt und die Kirchensteuer mit 2,40 DM berechnet und festgesetzt. Der Kläger legte beim zuständigen bischöflichen Generalvikariat Einspruch ein, weil § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a des Gesetzes über die Erhebung von Kirchensteuer im Land Nordrhein-Westfalen vom 30. April 1962 - KiStG - (BStBl II 1962, 128) verfassungswidrig sei. Der Einspruch und die Klage blieben ohne Erfolg.
Mit der - ausdrücklich zugelassenen - Revision macht der Kläger geltend: § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KiStG sei mit Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG nicht vereinbar. Die Besteuerung werde nach der Leistungsfähigkeit vorgenommen, die sich nach den Leistungsträgern Ertrag, Vermögen und Verbrauch bemesse. Für die Kirchensteuer sei Leistungsträger der Ertrag, nämlich das Einkommen; nicht etwa, wie das FG angenommen habe, der Einkommensteuerbetrag, denn dieser könne kein Leistungsträger sein. Das Land Nordrhein-Westfalen könne keine Steuer vom Einkommen erheben. Nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG stehe dem Bund bei der Steuer vom Einkommen die konkurrierende Gesetzgebung im Sinne des Art. 72 GG zu. Der Bund habe von seiner Gesetzgebungskompetenz Gebrauch gemacht, die sich auf alle Steuern vom Einkommen beziehe. Aus dem Wortlaut des Art. 140 GG sowie dem des Art. 137 Abs. 6 der Deutschen Verfassung vom 11. August 1969 (Weimarer Reichsverfassung - WRV -) ergebe sich nicht, daß für die Kirchensteuer eine ausdrückliche Sonderregelung vorliege und daß für sie die konkurrierende Gesetzgebung nicht gegeben sei. Einer Sonderregelung hätte es nach der Gesetzeslogik auch des Art. 140 GG bedurft, da Art. 137 Abs. 6 WRV unabhängig von seiner früheren Geltung nach Art. 140 GG Teil des GG sei. Außerdem sei § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KiStG mit Art. 20 Abs. 2 GG und Art. 2 und 3 Abs. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen - Verf. NW - vom 6. Juni 1950 (GVBl NW 1950, 127) unvereinbar. Aus diesen Verfassungsartikeln ergebe sich, daß alle Gewalt vom Volke ausgehe. Das Volk habe durch seine allgemein gewählten Vertreter ein Mitspracherecht bei der Steuergesetzgebung und beim Beschluß über den Haushaltsplan. Der Landtag von Nordrhein-Westfalen habe jedoch keinen Einfluß auf den Haushaltsplan der Kirchen. Auch gebe es keine durch alle Mitglieder der Kirche gewählte Vertretung zur Beschlußfassung und Kontrolle über den Haushaltsplan und den Kirchensteuersatz und eine evtl. Kirchensteuersenkung. Bei sonstigen Körperschaften des öffentlichen Rechts wie Ärztekammern, Landesverbänden usw. gebe es eine solche Kontrolle durch sämtliche Mitglieder.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision ist nicht begründet.
§ 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KiStG, auf Grund dessen der Kläger in Form eines Zuschlages zur Einkommensteuer zur Kirchensteuer herangezogen worden ist, ist verfassungskonform. Er verstößt weder gegen Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG noch gegen Art. 20 GG in Verbindung mit den Art. 2 und 3 Abs. 1 Verf. NW. An diesen Vorschriften ist die Erhebung von Kirchensteuern ohnehin nur dann zu messen, wenn man davon ausgeht, daß Kirchensteuern Steuern im Sinne des § 1 Abs. 1 AO und damit (vgl. den Beschluß des BVerfG 2 BvL 31 und 33/56 vom 4. Februar 1958, NJW 1958, 625) auch das GG sind. Das würde voraussetzen, daß Religionsgesellschaften "öffentlich-rechtliche Gemeinwesen" im Sinne jener Vorschrift seien. Diese Frage kann jedoch dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist die in dem KiStG von Nordrhein-Westfalen geregelte Besteuerung durch Art. 140 GG gebilligt. Das Grundrecht des Klägers, nur auf Grund solcher Vorschriften zur Kirchensteuer herangezogen zu werden, die formell und materiell der Verfassung gemäß sind und deshalb zur verfassungsmäßigen Ordnung gehören (vgl. die zu kirchensteuerrechtlichen Fragen ergangenen Urteile des BVerfG 1 BvR 413 und 416/60 vom 14. Dezember 1965, BStBl I 1966, 187; 1 BvR 571/60 vom 14. Dezember 1965, BStBl I 1966, 201), ist nicht verletzt.
1.
Nach Art. 105 Abs. 2 Nr. 2 GG hat der Bund, wie dem Kläger zuzugeben ist, die konkurrierende Gesetzgebung über die Steuern vom Einkommen. Von dieser konkurrierenden Gesetzgebung hat der Bund Gebrauch gemacht. Nach Art. 72 Abs. 1 GG haben die Länder somit keine Gesetzgebungsbefugnis für den Bereich der Einkommensteuer.
Die Kirchensteuer fällt aber nicht in den Bereich dieser ausschließlichen konkurrierenden Gesetzgebung. Für die Kirchensteuer ist vielmehr eine Sonderregelung gegeben. In Art. 137 Abs. 6 WRV, der nach Art. 140 GG Bestandteil des GG ist, ist den Religionsgesellschaften, die Körperschaften des öffentlichen Rechts sind, das Recht der Steuererhebung "nach Maßgabe der landesrechtlichen Bestimmungen" zuerkannt. Dieser Art. 137 Abs. 6 WRV ist vollgültiges Verfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland geworden und steht gegenüber den anderen Artikeln des GG nicht etwa auf einer Stufe minderen Ranges (BVerfG-Entscheidung 1 BvR 413 und 416/60, A. A. O.). Danach ist für die Kirchensteuer kraft ausdrücklicher Anordnung der Verfassung ausschließlich die Landesgesetzgebung zuständig. Der Bundesgesetzgeber kann in den Bereich der ausschließlichen Landesgesetzgebung nicht einwirken und die Erhebung von den Bundessteuern gleichartigen Landessteuern nicht verhindern (Maunz-Dürig, Grundgesetz, Art. 105 Rdnr. 49); vielmehr machen die Länder nur von dieser ihnen vom GG verliehenen Gesetzgebungsbefugnis Gebrauch, wenn sie in ihren Kirchensteuergesetzen die Besteuerung an das Einkommen der Kirchenangehörigen knüpfen, wie es auch in § 4 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a KiStG geschehen ist.
Die Zulässigkeit der Anknüpfung an das Einkommen ergibt sich zudem unmittelbar aus dem in Art. 137 Abs. 6 WRV verankerten Recht der Religionsgesellschaften, Kirchensteuern "auf Grund der bürgerlichen Steuerlisten" zu erheben. "Bürgerliche Steuerlisten" im Sinne dieser Bestimmung sind die amtlichen Zusammenstellungen der Ergebnisse der Veranlagung zu den Bundes-, Landes- und Gemeindesteuern (vgl. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs vom 11. August 1919, 14. Aufl., Art. 137 Anm. 11). Derartige Listen werden insbesondere für die Einkommensteuer geführt. Indem der Grundgesetzgeber den Religionsgesellschaften den Gebrauch der bürgerlichen Steuerlisten uneingeschränkt zuerkannt hat, hat er ihnen das Recht zugebilligt, Kirchensteuer als Zuschlag zu der Einkommensteuer zu erheben - eine Möglichkeit, von der übrigens auch die Regelung des § 18 AO ausgeht.
Art. 105 GG, der nur das Verhältnis zwischen Bund und Ländern regelt, ist unter dem Vorbehalt der Art. 140 GG, Art. 137 WRV geschaffen worden. Im übrigen steht die Kirchensteuer auch insoweit außerhalb der vom GG vorgesehenen Steuerordnung, als ihr Aufkommen nicht wie das der anderen in Art. 105 GG genannten Steuern dem Bund, den Ländern oder Gemeinden zufließt, sondern den Religionsgesellschaften.
Auch das BVerfG hat, worauf der Beklagte zu Recht hinweist, bisher keine verfassungsrechtlichen Bedenken darin gefunden, daß der Landesgesetzgeber die Kirchensteuer nach der Einkommensteuer bemißt. In dem Beschluß 1 BvR 16/66 vom 20. April 1966 (BStBl I 1966, 694) heißt es wiederholt, die Kirchensteuer werde aus dem Einkommen berechnet. Wenngleich das BVerfG nicht wegen dieser Frage angerufen worden ist, hat es doch incidenter die Verfassungsmäßigkeit der Verknüpfung von Einkommen- und Kirchensteuer bejaht.
2.
Der Staat hat die "Autonomie" der Kirchen in Art. 140 GG in Verbindung mit Art. 137 WRV verfassungsrechtlich garantiert. Nach Art. 137 Abs. 3 WRV ordnet und verwaltet jede Religionsgesellschaft "ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes". Damit sind die Eigenständigkeit und grundsätzliche Unabhängigkeit vom Staat und die Befugnis der Kirchen, ihre eigenen Angelegenheiten in den Schranken des für alle geltenden Gesetzes selbständig und eigenverantwortlich zu regeln, anerkannt (Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bd. 22 S. 387).
Den Gegenstand dieses Selbstbestimmungsrechts bilden die eigenen ("ihre") Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften, d. h. die ihrer Natur nach innerkirchlichen Angelegenheiten, die aber nicht auf den rein geistlichen Bereich beschränkt sind. Zu den eigenen Angelegenheiten wird auch die kirchliche Vermögensverwaltung, einschließlich der Vermögensbildung (Erwerb, Erhaltung, Verwendung) gerechnet, weil die kirchliche Selbstbestimmung nur dann wirksam gewährleistet ist, wenn sie auch die Selbstbestimmung in Fragen der Vermögensbildung umfaßt (vgl. Geller-Kleinrahm-Fleck, Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 2. Aufl., S. 143, mit weiteren Hinweisen; Marré in Gedächtnisschrift Hans Peters, 1967, S. 309, 317). Dies wird selbst im Hinblick darauf bejaht, daß die Erhebung der Kirchensteuer in einigen Ländern - wie auch Nordrhein-Westfalen - von den FÄ übernommen worden ist und dann dort eine staatliche Angelegenheit bildet.
Inwieweit das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen durch Staatsaufsicht beschränkt ist, braucht hier nicht geprüft zu werden. Hinsichtlich der Besteuerung durch die Kirchen besteht jedenfalls eine Beschränkung insofern, als der Staat eine Kontrolle über die Höhe des Steuersatzes ausübt. In Nordrhein-Westfalen bedürfen die die Hebesätze enthaltenden Kirchensteuer-Ordnungen der staatlichen Anerkennung, die von dem Kultusminister und dem Finanzminister ausgesprochen wird (vgl. § 15 Abs. 1 und § 16 Abs. 1 KiStG).
Diese Kontrolle ist entgegen der Ansicht des Beklagten auch im Hinblick auf die demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ausreichend, weil einerseits die Minister der Verantwortung des Parlaments unterliegen und andererseits das Landes-KiStG nur über die parlamentarischen Organe des Landes zustande gekommen ist und auch nur von diesen geändert werden kann. Wenn der Kläger meint, daß die Religionsgesellschaft, der er angehört, weder nach demokratischen Prinzipien noch im Sinne der Gewaltenteilung organisiert sei, so mag das für sein Verhältnis zu der Religionsgemeinschaft bedeutsam sein. Dabei kann jedoch nicht außer acht gelassen werden, daß die Gestaltung der Grundordnung der Religionsgesellschaften deren eigene Angelegenheit ist. Inwieweit der - seiner Religionsgemeinschaft übrigens freiwillig angehörende - Beklagte auf eine vermeintlich bessere Gestaltung der Grundordnung hinzuwirken gewillt, berechtigt oder in der Lage ist, kann hier dahingestellt bleiben. Denn jedenfalls ist es, auch soweit eine Staatsaufsicht anzuerkennen wäre, nicht Sache der Steuergerichte, über den Weg der Prüfung der Kirchensteuern die Grundordnung der Religionsgesellschaften zu kontrollieren.
Bei seinem Hinweis auf Art. 20 GG übersieht der Kläger, daß sich diese Vorschrift ausdrücklich auf die vom Volke ausgehende Staatsgewalt beschränkt. Auf öffentlich-rechtliche Körperschaften und Anstalten des öffentlichen Rechts wirkt sich diese Verfassungsbestimmung nicht aus. Wenn dennoch die vom Kläger aufgeführten Berufsverbände eine demokratische Organisation aufweisen, so ist dies keine unmittelbare Auswirkung des Art. 20 GG.
Für die vom Kläger aufgeführten Art. 2 und Art. 3 Abs. 1 Verf. NW gilt nichts anderes. Auch hier ist nur der staatliche Bereich geregelt. Den Religionsgesellschaften hat die Landesverfassung, wie das GG in Verbindung mit der WRV, das Selbstbestimmungsrecht gewährleistet. Art. 19 Abs. 2 Verf. NW bestimmt ausdrücklich: "Die Kirchen und Religionsgesellschaften ordnen und verwalten ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes." Dieser Selbstverwaltung und Selbstbestimmung trägt das KiStG Rechnung.
Fundstellen
Haufe-Index 68530 |
BStBl II 1969, 419 |
BFHE 1969, 310 |