Leitsatz (amtlich)
1. Abfindungen für den Verzicht auf Rechte aus langfristigen Pachtverträgen über in Frankreich gelegene Grundstücke gehören zu den Einkünften aus der Nutzung unbeweglichen Vermögens; die Besteuerung dieser Einkünfte ist der Französischen Republik zugewiesen.
2. Zur Berechnung des Progressionsvorbehalts.
Normenkette
DBA FRA 1959 Art. 3 Abs. 4 S. 1, Art. 20 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist selbständiger Händler. Etwa ab 1955 hatte er am S in Frankreich gelegene Grundstücke gekauft, andere Grundstücke langfristig gepachtet. Der Kläger nutzte die eigenen und die gepachteten Grundstücke durch langfristige Verpachtung bzw. Weiterverpachtung. Bei einer finanzamtlichen Betriebsprüfung, die im Jahre 1972 begann, stellte der Prüfer fest, daß der Kläger seinem Betrieb erhebliche Geldbeträge als Einlagen zugeführt hatte. Ein Teil dieser Einlagen stammte aus "Abfindungsprovisionen", die dem Kläger gezahlt worden waren, wenn die Eigentümer der am S gelegenen und an den Kläger verpachteten Grundstücke diese verkauften und der Kläger auf seine Rechte aus den langfristigen Pachtverträgen verzichtete, so daß die Erwerber die Grundstücke selbst nutzen konnten. Der Kläger erhielt in den Jahren 1961 bis 1967 insgesamt ... DM derartiger Abfindungen; im Streitjaht 1966 sind ihm 20 000 DM zugeflossen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -) sah die "Abfindungsprovisionen" als sonstige Einkünfte i. S. des § 22 Nr. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an. Das FA erließ am 17. November 1975 einen auf § 222 Abs. 1 Nr. 1 der Reichsabgabenordnung (AO) gestützten Berichtigungsbescheid, in dem es die im Streitjahr dem Kläger zugeflossenen Beträge von 20 000 DM den übrigen inländischen steuerpflichtigen Einkünften hinzurechnete. Die Einkommensteuer wurde unter Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts für nichtstreitige steuerfreie Einkünfte aus Frankreich auf ... DM festgesetzt.
Wegen der Einbeziehung der Abfindungen von 20 000 DM in die Veranlagung erhob der Kläger Sprungklage. Er machte geltend, es handle sich um Einkünfte aus dem in Frankreich belegenen Grundvermögen, deren Besteuerung aufgrund des mit Frankreich bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens (DBA) nicht der Bundesrepublik Deutschland zugewiesen sei.
Das Finanzgericht (FG) wies mit dem in den Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1978, 439 veröffentlichen Urteil die Klage ab. Unter Art. 3 des hier noch anzuwendenden Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern vom 21. Juli 1959 - DBA Frankreich - (BGBl II 1961, 398, BStBl I 1961, 343), der die Besteuerung von Einkünften aus in Frankreich belegenem Grundbesitz dem Belegenheitsstaat (Frankreich) zuweise, seien die hier streitigen Einkünfte nicht einzuordnen. Die Einkünfte aus dem Verzicht auf die schuldrechtlichen Ansprüche auf Nutzung unbeweglichen Vermögens seien keine Einkünfte aus der Nutzung des unbeweglichen Vermögens selbst. Es seien Einkünfte aus der Veräußerung schuldrechtlicher Ansprüche. Unter Art. 3 DBA-Frankreich fielen nur Einkünfte aus der unmittelbaren Nutzung von Grundstükken sowie aus diesen gleichgestellten dinglichen Rechten, weiterhin die Einkünfte aus einer Vermietung oder Verpachtung. Da die Besteuerung der Einkünfte aus dem Verzicht auf schuldrechtliche Nutzungsverträge von Grundstücken im DBA-Frankreich nicht geregelt sei, könnten nach Art. 18 DBA-Frankreich derartige Einkünfte nur im Wohnsitzstaat - hier der Bundesrepublik Deutschland - besteuert werden. Diese Einkünfte gehörten zu den steuerpflichtigen Einkünften aus sonstigen Leistungen i. S. des § 22 Nr. 3 EStG.
Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit der Revision. Er rügt Verletzung materiellen Rechts.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet.
1. Das FG hat zu Unrecht die Abfindung von 20 000 DM nicht unter Art. 3 DBA-Frankreich eingeordnet.
Abfindungen für den Verzicht auf Rechte aus langfristigen Pachtverträgen über Grundstücke sind in Art. 3 DBA-Frankreich nicht ausdrücklich geregelt. Es bedarf deshalb der Auslegung der Vorschrift, die sich in erster Linie an dem Sinn- oder Vorschriftenzusammenhang des Abkommens selbst, in zweiter Linie erst an den Grundsätzen des innerdeutschen Rechts zu orientieren hat. Es muß berücksichtigt werden, was die Vertragschließenden des DBA gewollt haben (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 27. Januar 1972 I R 37/70, BFHE 105, 8, BStBl II 1972, 459; Korn/ Dietz /Debatin, Doppelbesteuerung, Systematik III, Anm. 125). Erst wenn die hiernach vorrangige Frage der Zuweisung der Besteuerung an einen der vertragschließenden Staaten geklärt ist, ist Raum für die weitere Untersuchung, wie die betreffenden Einkünfte nach dem nationalen Steuerrecht einzuordnen sind. Steht z. B. nach der Belegenheitsregel das Besteuerungsrecht der Bundesrepublik Deutschland zu, ist damit noch nicht geklärt, ob eine Einnahme nach deutschem Steuerrecht steuerpflichtig ist oder unter welche Einkunftsart sie einzuordnen ist (Korn/Dietz/Debatin, a. a. O., Systematik IV, Anm. 14). Das DBA-Frankreich geht von der allgemeinen Vertragspraxis aus, daß die Besteuerung der Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen (Grundvermögen) dem Staat zuzuweisen ist, in dem dieses Vermögen liegt (Art. 3 Abs. 1 DBA-Frankreich).
Zur Abgrenzung dessen, was als unbewegliches Vermögen anzusehen ist, verweist Art. 3 Abs. 2 DBA-Frankreich auf das Recht des Belegenheitsstaates. Darüber hinaus enthält Art. 3 des Abkommens eigene Begriffsumschreibungen zur Beseitigung von Abgrenzungsschwierigkeiten, nach denen zum unbeweglichen Vermögen noch zu rechnen sind das Zubehör und das lebende oder tote Inventar der land- und forstwirtschaftlichen Betriebe (Abs. 1), ferner grundstücksgleiche Rechte, Nutzungsrechte, vor allem Nießbrauchsrechte an unbeweglichem Vermögen sowie Vergütungen für die Ausbeutung von Bodenschätzen (Abs. 3).
Des weiteren bringt Art. 3 Abs. 4 DBA-Frankreich eine wichtige Klarstellung insofern, als das Belegenheitsprinzip nicht nur solche Einkünfte ergreift, die aus der unmittelbaren Nutzung des Grundvermögens, grundstücksgleicher Rechte und dinglicher Nutzungsrechte an Grundstücken herrühren. Das Belegenheitsprinzip gilt auch für die Einkünfte aus der Vermietung oder Verpachtung sowie "jeder anderen Art der Nutzung des unbeweglichen Vermögens". Eingeschlossen sind auch die Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft und die Gewinne aus der Veräußerung von unbeweglichem Vermögen. Nicht angesprochen sind die Erträge aus Grundpfandrechten; diese fallen unter die Zinsbesteuerung des Art. 10 des Abkommens. Nach Art. 3 Abs. 5 DBA-Frankreich greift die Belegenheitsregel auch durch, wenn das Grundvermögen einer gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient.
Aus Art. 3 Abs. 4 Satz 1 des Abkommens, der die Besteuerung der Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung sowie aus "jeder anderen Art der Nutzung des unbeweglichen Vermögens" dem Belegenheitsstaat zuweist, folgt, daß neben der unmittelbaren auch die mittelbare Nutzung eingeschlossen ist, weiterhin aber auch, daß es nicht darauf ankommt, wie dieses Nutzungsrecht ausgestaltet ist, ob es sich insbesondere um ein dingliches oder ein obligatorisches Nutzungsrecht handelt. Die Auffassung des FG, die streitigen Pachtabfindungen oder Pachtabstandszahlungen seien Zahlungen für den Verzicht auf obligatorische Rechte an unbeweglichem Vermögen und deshalb keine Einkünfte aus der Nutzung des unbeweglichen Vermögens selbst, erweist sich in Anbetracht der Fassung des Art. 3 Abs. 4 DBA-Frankreich als zu eng. Der Kläger hätte die Abfindungen nicht erhalten, wenn er nicht langfristiger Pächter der Grundstücke gewesen wäre. Die Abfindungen sollten das Entgelt dafür sein, daß er seine Pachtverhältnisse und damit die Nutzung der Grundstücke vorzeitig aufgab. Die Grundstückserwerber sahen die auf sie übergegangenen Pachtverträge mit dem Kläger offenbar als lästig an und haben ihn durch Abfindungen zur Aufgabe der Pachtverhältnisse veranlaßt. Die erhaltenen Abfindungen erweisen sich demzufolge wirtschaftlich gesehen noch als Einkünfte aus der Nutzung von Grundbesitz.
Die Besteuerung der streitigen Abfindungen von insgesamt 20 000 DM ist damit der Französischen Republik zugewiesen. Ob diese von ihrem Besteuerungsrecht nach ihren eigenen Steuergesetzen Gebrauch macht, ist unerheblich (vgl. hierzu und zur Auslegung des vergleichbaren Art. 2 des DBA-Italien i. V. m. Nr. 2 des Schlußprotokolls zu diesem Abkommen das Urteil des Senats vom 23. März 1972 I R 128/70, BFHE 106, 501, BStBl II 1972, 948). Der streitige Betrag ist somit bei der Ermittlung des Gesamtbetrages der Einkünfte nicht anzusetzen. Er ist steuerfrei (§ 3 Nr. 41 EStG 1965).
Das FG ist von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen und hat den streitigen Betrag unter den im Inland steuerpflichtigen Einkünften angesetzt. Die Vorentscheidung ist daher aufzuheben.
2. Die Sache ist spruchreif. Bei der Neufestsetzung der Steuer ist der Progressionsvorbehalt nach Art. 20 Abs. 1 DBA-Frankreich zu berücksichtigen. Danach wird das Recht eines Vertragstaates, also auch das Recht der Bundesrepublik Deutschland, nicht beschränkt, die Steuern von den ihm zur Besteuerung überlassenen Einkünften nach dem Satze zu erheben, der dem Gesamteinkommen dieser Person entspricht. Eine derartige Ermächtigung war schon für die Zeit vor Einfügung des § 32 b EStG durch das Einkommensteuerreformgesetz (EStRG) vom 5. August 1974 (BGBl I, 1769, BStBl I 1974, 530) als unmittelbar wirksames materielles Recht zu beachten (BFH-Urteil vom 25. Mai 1970 I R 109/68, BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660, mit Rechtsprechungsnachweis). Aufgrund der Steuerbefreiung mit Progressionsvorbehalt ist der Steuersatz für die im Wohnsitzstaat zu besteuernden Einkünfte so zu bemessen, daß die der deutschen Besteuerung verbleibenden Einkünfte der prozentualen Steuerbelastung unterworfen werden, die sich ergäbe, wenn ein DBA nicht vorhanden wäre (BFH-Urteil vom 25. Mai 1970 I R 146/68, BFHE 99, 572, BStBl II 1970, 755).
Die deutsche Steuerverwaltung hatte vor Inkrafttreten des § 32 b EStG in Abschn. 185 der Einkommensteuer-Richtlinien (EStR) Grundsätze aufgestellt, wie der unter Berücksichtigung eines Progressionsvorbehalts zu ermittelnde Steuersatz zu berechnen ist. Diese Grundsätze hat der Senat in der Entscheidung in BFHE 99, 367, BStBl II 1970, 660 für zutreffend erachtet. Wie aus dieser Entscheidung hervorgeht, kann die Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts im einzelnen sogar zur Anwendung eines Steuersatzes von 0 v. H. führen. In Abschn. 185 EStR 1967 ist eine Ergänzung hinsichtlich außerordentlicher Einkünfte i. S. des § 34 Abs. 2 und 4, § 34 b EStG, die aber nach einem DBA steuerfrei sind, aufgenommen worden. Diese außerordentlichen Einkünfte scheiden bei der Anwendung des Progressionsvorbehalts und damit bei der Errechnung des Steuersatzes aus.
Nach diesen Grundsätzen ist in die Berechnung des Steuersatzes wie schon im angefochtenen Berichtigungsbescheid der aufgrund des DBA-Frankreich steuerfrei gebliebene Betrag von ... DM einzubeziehen. Hinsichtlich der Einbeziehung des nach Auffassung des Senats steuerfreien Betrags von 20 000 DM in die Berechnungsgrundlage ergibt sich folgendes:
Die Pachtabfindungen oder Pachtabstandszahlungen müssen einer der sieben Einkunftsarten des § 2 Abs. 3 EStG zugeordnet werden können. Das FG hat die Zahlung von 20 000 DM als Entgelt für den Verzicht auf Rechte aus langfristigen Pachtverträgen und damit als sonstige Einkünfte i. S. des § 2 Abs. 3 Nr. 7 i. V. m. § 22 Nr. 3 EStG (Einkünfte aus sonstigen Leistungen) angesehen. Diese Auffassung entspricht nicht der neueren Rechtsprechung. Nach dem BFH-Urteil vom 5. August 1976 VIII R 117/75 (BFHE 120, 182, BStBl II 1977, 27) gehört das Entgelt für die Minderung oder den Verlust eines Mietrechts als veräußerungsähnlicher Vorgang nicht zu den Einkünften aus sonstigen Leistungen nach § 22 Nr. 3 EStG. Gleiches muß für den Verlust oder die Minderung eines Pachtrechts gelten.
Es kann aber auch sein, daß der Kläger die 20 000 DM als Entschädigung für die ihm künftig entgehenden Einnahmen aus der Weiterverpachtung erhalten hat (§ 24 Nr. 1 a EStG). Eine als Schadensersatzleistung zu qualifizierende Einnahme kann nach dem BFH-Urteil vom 20. Juli 1978 IV R 43/74 (BFHE 125, 271, BStBl II 1979, 9) schon vorliegen, wenn der Geschädigte unter Druck seitens eines Dritten gehandelt hat. Hiervon ist im Streitfall auszugehen. Der Kläger ist zur Aufgabe der Pachtverhältnisse durch die Erwerber der Grundstücke veranlaßt worden; damit entfiel die Möglichkeit, künftig Einnahmen aus der Weiterverpachtung zu erzielen. Für den Ausfall dieser Einnahmen wurde er entschädigt. Derartige Entschädigungen gehören zu den Einkünften nach § 2 Abs. 3 EStG, hier zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung (§ 2 Abs. 3 Nr. 6 EStG). Weil die Entschädigungen für den Ausfall der Einnahmen künftiger Jahre jeweils in einem Betrag gezahlt worden sind, gehören sie zu den außerordentlichen Einkünften i. S. des § 34 Abs. 2 Nr. 2 EStG.
Wären demnach unter Außerachtlassung des DBA-Frankreich die streitigen Einnahmen von 20 000 DM nach deutschem Einkommensteuerrecht entweder unter keiner Einkunftsart anzusetzen oder als außerordentliche Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nur mit dem ermäßigten Steuersatz des § 34 Abs. 1 EStG zu versteuern, entfällt die Einbeziehung in die Berechnungsgrundlage zur Ermittlung des anzuwendenden Steuersatzes.
Die Einkommensteuer ist demnach wie folgt zu berechnen: ...
Fundstellen
Haufe-Index 74319 |
BStBl II 1982, 566 |
BFHE 1982, 526 |