Leitsatz (amtlich)
Die Weiterverarbeitung von Lecithinschlamm, der beim Schlagen von Ölsaaten und Ölfrüchten entstanden ist, durch Wasserentzug zu Rohlecithin fällt unter die nach Nr. 16 der Anlage 2 zu den UStDB besonders zugelassenen Verarbeitungen.
Normenkette
UStG § 4 Nr. 2; UStDB §§ 20-22; Anlage 2 zu den UStDB Nr. 16
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Stpfl.), eine Ölmühle, führt Ölsaaten und Ölfrüchte aus dem Auslande ein. Beim Schlagen (Pressen, Extrahieren) dieser Produkte wird Lecithin frei, das in dem gewonnenen Rohöl teils gelöst, teils als sichtbarer Trübstoff enthalten ist. Da zur Margarineherstellung nur lecithinfreies Öl verwendet werden kann, muß das Lecithin aus dem Rohöl entfernt werden. Dies geschieht durch Behandlung des Rohöls mit Wasserdampf. Hierdurch entsteht ein Gemisch von Öl einerseits und in Wasser aufgequollenem Lecithin andererseits. Dieses Gemisch wird mechanisch (auf Separatoren) in Rohöl und Lecithinschlamm getrennt. Lecithinschlamm ist keine marktfähige Ware. Er ist infolge des Wassergehalts nicht lagerfähig, sondern zersetzt sich ohne beschleunigte Trocknung in kurzer Zeit unter Freisetzung von Fettsäure von selbst. Deshalb wird das Wasser dem Lecithinschlamm durch Verdampfen entzogen. Es verbleibt Rohlecithin mit 50 bis 65 v. H. Lecithinteilen, 30 bis 45 v. H. Fetteilen und 5 v. H. Verunreinigungsteilen. Streitig ist für den Veranlagungszeitraum 1951, ob die Lieferungen von Rohlecithin im Großhandel durch die Stpfl. gemäß § 4 Nr. 2 UStG in Verbindung mit §§ 20 bis 22 UStDB umsatzsteuerfrei sind.
Die Stpfl. hat die streitigen Lieferungen zunächst mit 4 v. H. versteuert, gelegentlich einer bei ihr durchgeführten Betriebsprüfung jedoch Freistellung von der Umsatzsteuer beantragt. Der Beklagte und Revisionskläger (FA) lehnte diesen Antrag ab. Der Einspruch der Stpfl. wurde als unbegründet zurückgewiesen. Dagegen hatte die Stpfl. im Berufungsverfahren in dem allein noch streitigen Punkte Erfolg.
Die Rb. des FA, die nach dem Inkrafttreten der FGO als Revision zu behandeln ist (vgl. § 184 Abs. 2, §§ 115 ff. FGO), wird auf Verletzung von Bundesrecht gestützt. Das FA ist der Auffassung, durch Nr. 16 des Verzeichnisses der besonders zugelassenen Bearbeitungen und Verarbeitungen nach der Einfuhr (Anlage 2 zu den UStDB) - im folgenden Bearbeitungsverzeichnis genannt - würden nur diejenigen Arbeitsprozesse begünstigt, die auf die Herstellung von rohen und veredelten Ölen, von Fettsäuren oder von Ölkuchenmehl abzielten. Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergebe sich, daß alle Abweichungen von diesen "Wegrichtungen" - wie im Streitfalle die Aufbereitung von Lecithinschlamm zu Rohlecithin - für eine Begünstigung nicht in Betracht kämen, auch dann nicht, wenn die Bearbeitungen technisch einfacher seien als die begünstigten Arbeitsvorgänge. Dies habe der BFH in seinem (amtlich nicht veröffentlichten) Urteil V 41/58 vom 5. November 1959 für das Zerkleinern von Erdnüssen entschieden. Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses gehe - entgegen der Ansicht des FG - im Grundsätzlichen nicht über Nr. 15 (a. a. O.) hinaus. Die Wortfassungen beider Vorschriften stimmten in den entscheidenden Satzteilen überein. Wenn durch Nr. 16 zusätzlich die Herstellung von rohen Ölen und Fetten und von Ölkuchenmehl zugelassen sei, so ergebe sich das zwangsläufig aus der Verschiedenartigkeit der Ausgangsstoffe. Es bestehe kein wirtschaftlich vernünftiger Grund, die Verarbeiter von Ölsaaten und Ölfrüchten in wesentlich weiterem Umfange zu begünstigen als die Verarbeiter von rohen Ölen und Fetten. Träfe die Auslegung des FG zu, so müßte sogar die Herstellung von Reinlecithin und von vorwiegend lecithinhaltigen Arzneimitteln beim gleichen Hersteller begünstigt sein.
Entscheidungsgründe
Aus den Gründen:
Die Revision des FA hat keinen Erfolg.
Nach § 4 Nr. 2 UStG sind von den unter § 1 UStG fallenden Umsätzen steuerfrei:
"a) die auf die Einfuhr in einen Seehafenplatz folgenden Lieferungen notwendiger Rohstoffe, Halberzeugnisse, Lebens- und Futtermittel im Großhandel in Seehafenplätzen,
b) die erste Lieferung von in das Inland eingeführten Gegenständen der unter Buchstabe a genannten Art im Großhandel außerhalb eines Seehafenplatzes."
Voraussetzung für die Umsatzsteuerfreiheit ist u. a. , daß die genannten Gegenstände im Inlande nicht oder nur in einem von der Bundesregierung bestimmten Umfange bearbeitet oder verarbeitet worden sind. Nach Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses wird die Steuerfreiheit nicht ausgeschlossen,
"wenn Ölsaaten und Ölfrüchte geschlagen (gepreßt, extrahiert) werden, und zwar auch dann, wenn die dabei entstandenen Gegenstände vom Hersteller weiterverarbeitet werden, vorausgesetzt, daß diese Verarbeitung nicht über eine Veredelung (Spalten, Mischen, Raffinieren, Härten, Kochen, Bleichen, Desodorisieren) und nicht über die Gewinnung von Fettsäuren und die Herstellung von Ölkuchenmehl hinausgeht".
Bei dem Schlagen der Ölsaaten und Ölfrüchte entsteht außer dem Rohöl - wie oben dargestellt - Lecithinschlamm, der durch Wasserentzug zu Rohlecithin weiterverarbeitet wird. Die erste Voraussetzung für die Gewährung der Steuerfreiheit gemäß Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses, daß die Weiterverarbeitung nicht über eine "Veredelung" hinausgeht, ist unstreitig gegeben. Das Verdampfen des im Lecithinschlamm enthaltenen Wassers ist als Koch vorgang zu beurteilen. Streitig ist nur, ob die zweite Voraussetzung vorliegt, daß nämlich die Weiterverarbeitung "nicht über die Gewinnung von Fettsäure und die Herstellung von Ölkuchenmehl hinausgeht".
Die Ansicht des FA, die Weiterverarbeitung müsse auf dem Wege in Richtung Herstellung von rohen oder veredelten Ölen, von Fettsäuren oder von Ölkuchenmehl erfolgen, findet im Wortlaut der Vorschrift keine Stütze. Auch ihr Sinn und Zweck lassen eine solche Einschränkung nicht geboten erscheinen. Der gesamte Verarbeitungsvorgang nach dem Schlagen der Ölsaaten und Ölfrüchte besteht in der mehr oder weniger intensiven Verwendung von Wasser und Wärme und in der mechanischen Trennung der dabei entstehenden Bestandteile. Es ist wenig sinnvoll, nach der Entstehung des Lecithinschlammes eine Zäsur vorzunehmen und gleichen oder ähnlichen Arbeitsvorgängen, die vorher begünstigt waren, nachher die Begünstigung zu versagen, zumal der Lecithinschlamm keine handelsfähige Ware ist. Es kommt hinzu, daß in Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses nur davon die Rede ist, daß die Weiterverarbeitung "nicht über die Gewinnung von Fettsäuren und die Herstellung von Ölkuchenmehl hinausgehen" darf. Für Ölmühlen sind diese Gegenstände Erzeugnisse, die nebenher anfallen, nicht aber solche, die in der "Wegrichtung" ihrer Produktion liegen. Es wäre dem Verordnungsgeber ein Leichtes gewesen, die vom FA angenommene Einschränkung, hätte er sie gewollt, in Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses zum Ausdruck zu bringen. Der Hinweis des FA auf das Urteil des Senats V 41/58 vom 5. November 1959 geht fehl, weil diesem Urteil ein ganz anderer Sachverhalt zugrunde lag. Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses schied in diesem Falle schon deswegen aus, weil nicht einmal die Grundvoraussetzung dieser Vorschrift, das Schlagen (Pressen, Extrahieren) von Ölfrüchten (Erdnußkernen), erfüllt war.
Der umstrittene letzte Teil des ersten Satzes der Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses ist dahin zu verstehen, daß durch ihn die Grenze abgesteckt werden soll, bis zu der die Weiterverarbeitung der beim Schlagen der Ölsaaten und Ölfrüchte entstehenden Gegenstände umsatzsteuerlich besonders zugelassen sein soll. Das ergibt sich zwanglos aus der Wortfassung "nicht über ... hinaausgeht". Hieraus folgt, daß die Lieferungen von Produkten, die innerhalb dieser Grenzen liegen - bei Erfüllung der anderen Voraussetzungen des § 4 Nr. 2 UStG in Verbindung mit den §§ 20 bis 22 UStDB - umsatzsteuerfrei, die Lieferungen von Produkten, die außerhalb dieser Grenzen liegen, umsatzsteuerpflichtig sind. Die Befürchtung des FA, es könnte durch diese Auslegung der Kreis der steuerfreien Gegenstände unangemessen erweitert werden, ist unbegründet, weil dieser Kreis weiter dadurch eingeengt wird, daß die Gegenstände durch genau bezeichnete Veredelungsvorgänge entstanden sein müssen (und keine Fertigerzeugnisse sein dürfen).
Die Frage, ob Rohlecithin innerhalb oder außerhalb der erwähnten Grenze einzustufen ist, betrifft das Gebiet der Tatsachenwürdigung. Der BFH ist gemäß § 118 Abs. 2 FGO an die in dem angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen und die daraus gezogenen Schlußfolgerungen gebunden, sofern sie nicht den Denkgesetzen oder den Erfahrungssätzen widersprechen. Es ist nicht zu beanstanden, daß das FG auf Grund des Gutachtens der Zolltechnischen Prüfungs- und Lehranstalt in ... vom ... und der Darlegungen des Sachverständigen dieser Behörde im Erörterungstermin vor dem FG am ... zu dem Ergebnis gelangt ist, daß auch der Lecithinschlamm noch einer Spaltung zwecks Gewinnung von Fettsäure unterworfen werden kann und infolgedessen die Entfernung des Wassers aus dem Lecithinschlamm durch Verdampfen über die in Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses ausdrücklich zugelassene Gewinnung von Fettsäure nicht hinausgeht (vgl. auch das Urteil des Senats V 145/64 vom 27. April 1967, BFH 89 S. 361, BStBl III 1967, 641).
Der Senat vermag dem FG allerdings insoweit nicht zu folgen, als es annimmt, Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses gehe durch Zulassung der Weiterverarbeitung der bei der Bearbeitung der Grundstoffe (Ölsaaten und Ölfrüchte) entstandenen Nebenerzeugnisse über die Begünstigung der Nr. 15 des Bearbeitungsverzeichnisses hinaus. Die insoweit abweichende Wortfassung in Nr. 16 dürfte lediglich darauf zurückzuführen sein, daß diese Vorschrift eine der Bearbeitung gemäß Nr. 15 vorangehende Arbeitsstufe (Schlagen von Ölsaaten und Ölfrüchten) mitumfaßt. Diese Frage ist jedoch nicht entscheidungserheblich.
Da nach den obigen Ausführungen die Weiterverarbeitung des Lecithinschlammes zu Rohlecithin einen durch Nr. 16 des Bearbeitungsverzeichnisses zugelassenen steuerlich unschädlichen Vorgang darstellt, war die Revision des FA mit der Kostenfolge aus § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 412782 |
BStBl II 1968, 25 |
BFHE 1968, 146 |