Entscheidungsstichwort (Thema)
Berufsrecht
Leitsatz (amtlich)
Zur Frage der "besonderen Bewährung" im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG.
Normenkette
StBerG § 5 Abs. 3 Nr. 1
Tatbestand
Der Kläger übt den Beruf als Helfer in Steuersachen bzw. Steuerbevollmächtigter seit mehr als zehn Jahren hauptberuflich aus. Die Voraussetzung des § 5 Abs. 1 Nr. 1 des Steuerberatungsgesetzes (StBerG) für die Zulassung zur Prüfung als Steuerberater (abgeschlossenes wirtschafts- oder rechtswissenschaftliches Hochschulstudium) erfüllt er nicht, desgleichen nicht die Voraussetzungen des § 5 Abs. 2 StBerG. Streitig ist, ob bei ihm die durch § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG für die Zulassung zur Prüfung als Steuerberater geforderte "besondere Bewährung" gegeben ist.
Mit Schreiben vom 22. Mai 1964 beantragte der Kläger die Zulassung zur Steuerberaterprüfung. Der Kläger trug unwidersprochen vor, in der von ihm aufgebauten Praxis betreue er in vorwiegend beratender Tätigkeit 54 Mandanten, darunter solche mit Umsätzen bis zu 1.300.000 DM und mit Gewinnen bis zu 125.000 DM. Der Vorsteher des Finanzamt (FA) hat erklärt, nach den bei seinem FA gesammelten Erfahrungen gingen die beruflichen Leistungen des Klägers nicht über den Durchschnitt der in seinem FA-Bezirk tätigen Steuerbevollmächtigten hinaus; es könne ihm nicht bescheinigt werden, daß er sich besonders bewährt habe. Der Präsident der zuständigen Steuerberaterkammer hat erklärt, der ihm aus berufsständischer Arbeit bekannte Kläger sei in den Diskussionen durch sein fundiertes Wissen auf den Gebieten des materiellen Steuerrechts und des Steuerverfahrensrechts sowie durch seine logische Denkweise hervorgetreten. Außerdem sei er zeitweise Referent für Ertragsteuerrecht bei einer Volkshochschule gewesen; als solcher habe er seinerzeit auch einen vielbeachteten steuerrechtlichen öffentlichen Vortrag gehalten. Seine Praxis sei angesehen. Sein Selbststudium auf allen steuerrechtlichen Gebieten ergänze er seit fast einem Jahr durch die Absolvierung eines auswärtigen Lehrgangs. Zu Rechtsbehelfseinlegungen bei Steuergerichten durch ihn sei es deshalb nur selten gekommen, weil er durch seine umsichtige und gute Verhandlungsweise sowie seine schlüssige Beweisführung in Schlußbesprechungen und in Einspruchsverfahren Prozesse vermeiden konnte. Dem Kläger sei mithin eine "besondere Bewährung" im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG zuzuerkennen; er erfülle die Voraussetzungen für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung. Der Leiter eines auswärtigen Rechtskundelehrgangs, ein Rechtsanwalt, hat bescheinigt, daß sich der Kläger einen umfassenden überblick über die Grundfragen des Rechts verschafft und insbesondere bei der Besprechung von Fällen auch die Fähigkeit zu logischen Denken unter Beweis gestellt habe; über vertiefte Kenntnisse verfüge er insbesondere auf den Gebieten des Handels- und des Insolvenzrechts. Der Zulassungsausschuß für Steuerberater beim Finanzminister lehnte durch Beschluß vom 10. Juli 1964 den Antrag des Klägers auf Zulassung zur Steuerberaterprüfung ab.
Auch die Berufung (jetzt: Klage) des Klägers blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) hat bei dem Kläger das Vorhandensein der "besonderen Bewährung" verneint. Nach Wortlaut und Sinn des Gesetzes habe sich nur derjenige Steuerbevollmächtigte "besonders" bewährt, der sich vom Kreis der bewährten Steuerbevollmächtigten deutlich abhebe. Im Streitfall ergäben die vom Kläger vorgetragenen oder sonst erkennbaren Umstände nicht ein Gesamtbild, nach dem von einer "besonderen" Bewährung als Steuerbevollmächtigter in diesem Sinne gesprochen werden könne.
Der Kläger hat gegen das Urteil des FG Rb. eingelegt, die nunmehr als Revision zu behandeln ist. Er bekämpft die Auslegung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG durch das FG. Er macht insbesondere geltend: Es komme auch im Interesse der Rechtssicherheit nur eine Auslegung der Vorschrift in Betracht, die eine "exakte Meßbarkeit des jeweiligen Bildungsstandes" bereits im Zulassungsverfahren gewährleiste. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG sei im Zusammenhang mit § 44 Abs. 1 StBerG zu betrachten; § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG wolle auch dem fähigen Nichtakademiker den Zugang zum Beruf des Steuerberaters eröffnen, wenn er sich entsprechend fortgebildet habe. Dieser Zweck des Gesetzes dürfe nicht verhindert werden. Nach Art, Größe und Umfang der Praxis könne die Fähigkeit eines Bewerbers nicht beurteilt werden. Er habe den nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG erforderlichen Nachweis erbracht. Der Beurteilung der Frage seiner Bewährung durch das FA habe das FG zu erhebliche Bedeutung beigemessen. Der Kläger beantragt die Aufhebung der Vorentscheidungen und die Entscheidung, daß er zur Steuerberaterprüfung zuzulassen sei.
Der Finanzminister hält die Auslegung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG durch das FG für zutreffend. "Sich besonders bewähren" heiße: "sich als tüchtig und zuverlässig erweisen". Das Wort "besonders" treffe den Grad der Bewährung. Das FG habe nach dem Gesamtbild den Kläger zutreffend nicht zur Steuerberaterprüfung zugelassen. Der Finanzminister beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen und dem Kläger die Kosten aufzuerlegen.
Entscheidungsgründe
Die Revision hat Erfolg. Grundsätzlich fordert das StBerG in § 5 Abs. 1 Nr. 1 für die Zulassung zur Steuerberaterprüfung, daß der Bewerber ein abgeschlossenes wirtschafts- oder rechtswissenschaftliches Hochschulstudium aufzuweisen hat; davon geht auch der erkennende Senat in ständiger Rechtsprechung aus (vgl. u. a. das Urteil VII 278/63 S vom 30. März 1965, Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bd. 82 S. 398 - BFH 82, 398 -, BStBl III 1965, 391, 394 und II 2 b). Das Gesetz macht aber im § 5 Abs. 2 und in Abs. 3 Nr. 1 StBerG Ausnahmen von diesem Grundsatz. Der Kläger führt mit Recht aus, daß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG auch dem fähigen Nichtakademiker den Zugang zum Beruf des Steuerberaters eröffnen will. Er weist zutreffend auch auf § 44 Abs. 1 StBerG hin, der seinerseits im Satz 3 den § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG zitiert und der dem Ziele eines Zusammenschlusses der beiden Berufsgruppen der Steuerbevollmächtigten und der Steuerberater dient.
Der Begriff der "besonderen Bewährung" in § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG ist ein unbestimmter Rechtsbegriff. Im Wesen eines unbestimmten Rechtsbegriffs liegt es, daß er nicht eine allgemeine bestimmte Abgrenzung für alle Fälle gibt. Daß Gesetze solche unbestimmten Rechtsbegriffe verwenden, liegt im Interesse der gerechten Behandlung der Betroffenen und ermöglicht es, den Besonderheiten des Einzelfalles Rechnung zu tragen; es steht mit dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (GG) durchaus im Einklang (vgl. u. a. den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 10. Oktober 1961 2 BvL 1/59, Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts - BVerfGE - Bd. 13 S. 153, 161/2 unter B II 3 b; Mattern-Messmer, Reichsabgabenordnung, Textziffern 127, 2619). Das Verlangen des Klägers, das Gesetz müsse so ausgelegt werden, daß eine "exakte Meßbarkeit des jeweiligen Bildungsstandes" bereits im Zulassungsverfahren gegeben sei, ist daher nicht berechtigt.
"Sich bewähren" bedeutet sprachlich: "sich erproben", "sich als tüchtig erweisen", "sich bewährt haben" also: "sich erprobt haben", "sich als tüchtig erwiesen haben" (vgl. u. a. Trübners Deutsches Wörterbuch 1939 1. Bd. S. 318), auch in charakterlicher Hinsicht (vgl. Grimms Deutsches Wörterbuch 1854 1. Bd. Sp. 1764 mit Nachweisen). Das Wort "besonders" ("sich besonders bewährt haben") bezeichnet den Grad der Bewährung. Die Worte "sich besonders bewährt haben" bedeuten also: "sich als sehr tüchtig und zuverlässig erwiesen haben". Das entspricht auch dem Sinn und Zweck des Gesetzes. Dementsprechend hat auch der erkennende Senat im Urteil VII 107/65 U vom 11. August 1965 (BFH 83, 117, BStBl III 1965, 542/3) ausgesprochen: Die besondere Bewährung in § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG erfordert, daß der Bewerber sich nach dem Gesamtbild seiner Persönlichkeit aus dem Kreis der Steuerbevollmächtigten heraushebt; dazu gehören erheblich über dem Durchschnitt liegende fachliche Leistungen, gewissenhafte Erfüllung seiner Aufgaben bei der Hilfeleistung in Steuersachen und seiner eigenen steuerrechtlichen Pflichten sowie ein rechtlich und charakterlich einwandfreies Verhalten. An dieser Auffassung hält der Senat fest. Allerdings dürfen diese Anforderungen bei der Prüfung der Frage, ob sie im Einzelfall gegeben sind, nicht überspannt werden. Es kann u. a. nicht verlangt werden, daß die niveaumäßig gute fachliche Arbeit sich auf Rechtsmittel beziehen müsse; sie kann sich vielmehr durchaus auch in guten Begründungen von Einsprüchen erweisen, die zu dem gewünschten Erfolg führten; auch sonstige gute Bearbeitung schwieriger Steuersachen kann den erforderlichen Nachweis erbringen. Es ist dem Kläger auch zuzugeben, daß nach Größe und Umfang einer Praxis die Fähigkeit eines Bewerbers um die Zulassung zur Steuerberaterprüfung nicht beurteilt werden kann. Wohl aber kommt es auf die Art der Praxis und die qualifizierte Bearbeitung der Sachen an.
Auch das FG ist bei der Auslegung des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG davon ausgegangen, daß der Bewerber um die Zulassung zur Steuerberaterprüfung, um das Tatbestandsmerkmal der "besonderen Bewährung" zu erfüllen, sich vom Kreis der Steuerbevollmächtigten abheben muß. Nicht beigetreten werden kann jedoch der Ansicht des FG, die Umstände des Falles ergäben nicht ein Gesamtbild, nach dem bei dem Kläger von einer "besonderen Bewährung" gesprochen werden könne. Wenn auch der äußerung des FA, wie daraus hervorgeht, daß es nach § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG "vorher gehört werden" soll, eine besondere Bedeutung zukommt, so hätte doch das FG im Streitfall dieser äußerung des FA, die in keiner Weise substantiiert ist, gegenüber den ausführlich begründeten und im einzelnen mit Tatsachen belegten Stellungnahmen des Präsidenten der Steuerberaterkammer und des einen Fortbildungslehrgang leitenden Rechtsanwalt nicht die größere Bedeutung beilegen dürfen. Die beiden Bescheinigungen des Präsidenten der Steuerberaterkammer und des Rechtsanwalts, an dessen auswärtigem Lehrgang über Rechtskunde der Kläger teilgenommen hat, sind für ihn sehr günstig und sehr positiv ausgefallen. Ihm sind keineswegs nur Bemühungen um eine geeignete Fortbildung bescheinigt worden, sondern umfassende Kenntnisse auch auf anderen als steuerrechtlichen Gebieten, die Fähigkeit zu logischem Denken, umsichtige und gute Verhandlungsweise sowie schlüssige, gerichtliche Rechtsbehelfe erübrigende Beweisführung, ferner ein "vielbeachteter öffentlicher Vortrag" auf dem Gebiet des Steuerrechts in einer Volkshochschule. Das sind bereits gewichtige Umstände, die für eine "besondere Bewährung" des Klägers sprechen, dessen Zuverlässigkeit, auch Gewissenhaftigkeit, im übrigen nicht in Zweifel gezogen worden ist. Für den Kläger sprach auch, daß er Mandanten mit Umsätzen bis 1.300.000 DM und Gewinnen bis 125.000 DM betreut; bei derartigen Firmen entstehen erfahrungsgemäß nicht selten schwierige Rechtsfragen. Weiter hat das FG die Art der Abfassung der Schriftsätze durch den Kläger im finanzgerichtlichen Verfahren, die ein beachtliches Niveau zeigten, nicht zu seinen Gunsten gewertet. Die das Begehren des Klägers ablehnenden Vorentscheidungen konnten somit nicht aufrechterhalten werden. Die Sache ist spruchreif. Der Kläger hat sich im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StBerG "besonders bewährt". Er ist zur Steuerberaterprüfung zuzulassen.
Fundstellen
Haufe-Index 412331 |
BStBl III 1966, 661 |
BFHE 1967, 24 |
BFHE 87, 24 |