Entscheidungsstichwort (Thema)
Schenkungsteuerrechtliche Bewertung von Beteiligungen an Gesellschaften; neue Tatsachen
Leitsatz (NV)
Hat das Schenkungsteuer-FA der Berechnung des Werts einer Beteiligung an einer Gesellschaft den Wert des Betriebsvermögens der Gesellschaft zum vorangegangenen Bewertungsstichtag unverändert zugrunde gelegt, ohne Wertveränderungen bis zum Schenkungsteuerstichtag zu berücksichtigen, und auf dieser Grundlage einen endgültigen Schenkungsteuerbescheid erlassen, so haben zwischen dem Bewertungsstichtag und dem Schenkungsteuerstichtag eingetretene werterhöhende Tatsachen dem Schenkungsteuer-FA als bekannt zu gelten, da es insoweit seiner Ermittlungspflicht nicht genügt hat.
Tatsachen, die zu einer Erhöhung des Werts zum vorangegangenen Bewertungsstichtag führen und die auch dem Betriebs-FA nicht bekannt waren, können jedoch eine Änderung des Schenkungsteuerbescheids rechtfertigen.
Normenkette
AO 1977 §§ 88, 173 Abs. 1 Nr. 1; ErbStG § 12
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der Vater der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) war an einer KG mit einer Kommanditbeteiligung beteiligt. Durch notariell beurkundeten Vertrag vom ... 1988 übertrug er Anteile an dieser Beteiligung auf die Klägerin. Die Übertragung erfolgte -- im Wege der vorweggenommenen Erbfolge -- unentgeltlich und sollte zum 1. Juli 1988 wirksam sein. In derselben Urkunde übertrug der Vater der Klägerin auf diese auch die zu seinem Sonderbetriebsvermögen gehörenden Miteigentumsanteile an den Betriebsgrundstücken und ließ diese an die Klägerin auf.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt -- FA --) erhielt vom beurkundenden Notar eine Ablichtung des Vertrags. Auf Anfrage teilte das Betriebs-FA dem beklagten FA mit, daß der Betriebsvermögensanteil des Schenkers zum 1. Januar 1988 X DM betragen habe. Nach Aufforderung durch das beklagte FA gab die Klägerin am 24. Januar 1989 eine Schenkungsteuererklärung ab. Diese bezeichnete sie als "vorläufig". Den Wert des übertragenen Betriebsvermögens gab sie mit Y DM an. In einer der Erklärung beigefügten "Erläuterung zum Betriebsvermögen" führte sie aus:
"Der Anteil des Herrn ... am Einheitswert der Firma ... auf den 1.1.1988 beträgt lt. Bescheid des Finanzamts M vom 14.12.1988 DM X, -- 90% hiervon = DM Y.
Eine Bewertung auf den 1.1.1988 (gemeint war unstreitig 1989) kann erst nach Erstellung der Bilanz zum 30.6.1988 vorgenommen werden."
Das FA folgte der Erklärung und setzte mit endgültigem Schenkungsteuerbescheid vom 13. Februar 1989 Schenkungsteuer in Höhe von ... DM gegen die Klägerin fest.
Am 7. Februar 1991 teilte das für die Betriebsprüfung der KG zuständige FA dem beklagten FA mit, daß eine bei der KG durchgeführte Betriebsprüfung nach den Wertverhältnissen zum 1. Juli 1988 einen Wert des der Klägerin übertragenen Betriebsvermögens von A DM ergeben habe. In schenkungsteuerrechtlicher Hinsicht sei dieser Wert um die im Einheitswert enthaltenen Einheitswerte der Betriebsgrundstücke zu mindern, an denen die Klägerin bereits Miteigentümerin gewesen sei. Der schenkungsteuerrechtlich relevante Anteil am Betriebsvermögen belaufe sich danach auf B DM. Im Betriebsprüfungsbericht wurde dazu ausgeführt, daß infolge eines Brandschadens am ... 1988 die KG Ansprüche auf Erneuerung bzw. Ersetzung von zerstörten Wirtschaftsgütern gehabt habe. Dieser Vermögenswert sei bei der Ermittlung des Betriebsvermögens auf den 1. Januar 1989 mit insgesamt C DM ermittelt worden.
Durch Bescheid vom 5. Juni 1992 erhöhte das beklagte FA die Schenkungsteuer auf ... DM. Die Änderung erfolgte unter Berufung auf §173 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) wegen des nachträglich bekanntgewordenen Versicherungsanspruchs für den Brandschaden.
Mit dem dagegen gerichteten Einspruch wurde geltend gemacht, daß das FA verfahrensrechtlich nicht zur Änderung des ursprünglichen Bescheids berechtigt gewesen sei.
Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Mit der Einspruchsentscheidung erhöhte es -- nach vorangegangenem Hinweis -- die Schenkungsteuer auf ... DM. Es ging nunmehr von dem von der Betriebsprüfung ermittelten Wert des Erwerbs in Höhe von B DM aus. Für die Wertermittlung könne auf den auf den 1. Januar 1989 festgestellten anteiligen Einheitswert zurückgegriffen werden, dem wegen des abweichenden Wirtschaftsjahrs der KG die Bilanz auf den 30. Juni 1988 zugrunde liege. Da die Schenkung am 1. Juli 1988 ausgeführt worden sei, sei der anteilige Einheitswert mit dem Steuerwert der Schenkung identisch. Durch die Betriebsprüfung habe es erstmals Kenntnis vom zutreffenden Einheitswert auf den 1. Januar 1989 erhalten, der -- anteilig -- dem für die Besteuerung der Schenkung zu ermittelnden Wert entspreche. Im Änderungsbescheid vom 5. Juni 1992 sei dagegen lediglich der durch den Brandschaden ausgelöste Versicherungsanspruch als neue Tatsache angesehen worden. Richtigerweise stelle aber der gesamte auf den 1. Januar 1989 ermittelte anteilige Einheitswert eine neue Tatsache dar.
Mit der dagegen gerichteten Klage wurde (weiterhin) geltend gemacht, daß die Voraussetzungen für eine Änderung des ursprünglichen Schenkungsteuerbescheids nicht vorgelegen hätten. Die möglicherweise unzutreffende ursprüngliche Steuerfestsetzung beruhe auf der Verletzung der dem FA obliegenden Ermittlungspflicht.
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage stattgegeben und den Schenkungsteuerbescheid vom 5. Juni 1992 und die Einspruchsentscheidung vom 15. März 1993 aufgehoben. Der Änderung des Steuerbescheids nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 stehe entgegen, daß die spätere Kenntnis des FA von den werterhöhenden Umständen auf einer Verletzung seiner Ermittlungspflicht beruhe, während der Steuerpflichtige seiner Mitwirkungspflicht voll genügt habe. Das Urteil des FG ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1997, 1124 veröffentlicht.
Hiergegen richtet sich die Revision des FA. Dieses rügt sinngemäß die Verletzung materiellen Rechts. Es beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung die Klage abzuweisen. Der geänderte Bescheid über den Wert des Betriebsvermögens der KG zum 1. Januar 1989 auf der Grundlage der Bilanz zum 30. Juni 1988 sei eine neue Tatsache. Die Klägerin habe nicht darauf vertraut, daß der von ihr selbst als vorläufig angegebene Einheitswert der Festsetzung der Erbschaftsteuer endgültig zugrunde gelegt würde. Die Annahme des FG, das FA habe eine besondere Prüfung des Werts des Betriebsvermögens zum Übergabezeitpunkt veranlassen müssen, sei befremdlich. Dadurch wäre eine unsinnige und doppelte Belastung des Steuerpflichtigen entstanden.
Die Klägerin wendet sich gegen die Revision. Veranlage das FA trotz bekannter Zweifel an der Richtigkeit der Besteuerungsgrundlagen endgültig, sei eine spätere Änderung treuwidrig. Die Klägerin habe deshalb darauf vertrauen können, daß der Bescheid von Bestand sein würde.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung.
1. Das FG hat die Voraussetzungen, unter denen das FA berechtigt ist, wegen nachträglich bekanntgewordener Tatsachen Steuerbescheide nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 zu ändern, verkannt.
Nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 sind Steuerbescheide aufzuheben oder zu ändern, soweit Tatsachen oder Beweismittel nachträglich bekannt werden, die zu einer höheren Steuer führen. Dem FA ist es jedoch verwehrt, solche nachträglich bekanntgewordenen Tatsachen oder Beweismittel zu verwerten, die es bei gehöriger Erfüllung der ihm nach §88 AO 1977 obliegenden Ermittlungspflicht schon vor der Steuerfestsetzung hätte feststellen können (Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 12. Oktober 1994 XI R 75/93, BFHE 176, 208, BStBl II 1995, 289, m.w.N.), sofern der Steuerpflichtige seinerseits seiner Mitwirkungspflicht voll genügt hat (BFH-Urteil vom 3. Mai 1991 V R 36/90, BFH/NV 1992, 221).
a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das FA seinen Ermittlungspflichten nicht genügt hat, soweit es bei seiner (endgültigen) Schenkungsteuerfestsetzung vom 13. Februar 1989 den Wert des auf die Klägerin übertragenen Betriebsvermögens ohne jede weitere Berücksichtigung der Wertveränderungen bis zum maßgeblichen Bewertungsstichtag ( ... 1988) ausschließlich auf der Grundlage des Einheitswerts des Betriebsvermögens zum 1. Januar 1988 ermittelt hat.
Die Ermittlung aller für die Bewertung des Erwerbs der Klägerin (§12 des Erbschaftsteuergesetzes -- ErbStG --) maßgeblichen Tatsachen, insbesondere der Bestand und der Wert des Betriebsvermögens der KG (§12 Abs. 5 ErbStG), fällt in die Zuständigkeit des Schenkungsteuer-FA. Dieses ist nach §88 AO 1977 zur Ermittlung des für die Schenkungsteuer relevanten Sachverhalts von Amts wegen verpflichtet. Der Senat hat es aus Praktikabilitätsgründen für rechtlich zulässig erachtet, daß der Wert eines erworbenen Gesellschaftsanteils zum Schenkung- oder Erbschaftsteuerstichtag durch Ableitung vom Einheitswert des Betriebsvermögens der Gesellschaft auf den vorangegangenen Bewertungsstichtag geschätzt wird (vgl. BFH-Urteil vom 2. April 1989 II R 46/86, BFH/NV 1990, 373). Im Streitfall war das FA daher gehalten, entweder den Wert der übertragenen Kommanditbeteiligung zum für die Schenkungsteuer maßgeblichen Stichtag nach den Vorschriften des Bewertungsgesetzes (BewG) selbst zu ermitteln oder ihn aus dem Einheitswert des Betriebsvermögens der KG auf den 1. Januar 1988 abzuleiten. Das FA hat jedoch im Streitfall von keiner dieser beiden Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Es hat seiner (endgültigen) Steuerfestsetzung vielmehr -- rechtlich unzutreffend -- den Einheitswert des Betriebsvermögens auf den vorangegangenen Bewertungsstichtag ohne weiteres und unverändert zugrunde gelegt und damit Wertveränderungen zwischen dem vorangegangenen Bewertungsstichtag und dem Schenkungsteuerstichtag nicht berücksichtigt.
Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Klägerin ihre Mitwirkungspflicht nicht verletzt hat, soweit sie in ihrer Schenkungsteuererklärung den anteiligen Einheitswert auf den 1. Januar 1988 angegeben hat. Zwar kann das FA den Angaben in einer Steuererklärung grundsätzlich vertrauen, liegt jedoch -- wie im Streitfall -- eine offenkundige Zweifelsfrage vor, so hätte das FA dieser nachgehen müssen (vgl. BFH-Urteil vom 10. Dezember 1991 VII R 10/90, BFHE 166, 395, BStBl II 1992, 324, 326).
Die zwischen dem vorangegangenen Bewertungsstichtag (30. Juni 1987; vgl. §106 Abs. 3 BewG) und dem Schenkungsteuerstichtag ( ... 1988) eingetretenen werterhöhenden Tatsachen haben demnach dem Schenkungsteuer-FA als bekannt zu gelten, weil es diese Tatsachen bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Ermittlungspflichten hätte feststellen müssen und können und der Klägerin insoweit keine Mitwirkungsverletzung vorzuwerfen ist. Das nachträgliche Bekanntwerden dieser Tatsachen berechtigte das beklagte FA somit nicht mehr zu einer Änderung der Steuerfestsetzung nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977.
b) Das FG hat jedoch nicht beachtet, daß das Schenkungsteuer-FA hinsichtlich solcher Tatsachen eine Änderung des Schenkungsteuerbescheids nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 vornehmen durfte, die zu einer Erhöhung des -- von ihm zugrunde gelegten -- Einheitswerts auf den 1. Januar 1988 geführt haben und die auch dem Betriebs-FA bei Erlaß des Einheitswertbescheids auf den 1. Januar 1988 vom 14. Dezember 1988 nicht bekannt waren. Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 14. Januar 1988 II R 9/97 (BFHE 185, 117, BStBl II 1998, 371) insoweit ausgeführt, daß ein (Schenkungsteuer-)FA, welches den Wert des Betriebsvermögens zum Schenkung- oder Erbschaftsteuerstichtag aus einem (von einem anderen FA -- Betriebs-FA -- erlassenen) Bescheid über den Einheitswert des Betriebsvermögens ableitet, sich damit die Kenntnis der Tatsachen zu eigen macht, die dem Betriebs-FA bei Erlaß des Einheitswertbescheids bekannt waren. Die diesem bekannten Tatsachen sind deshalb auch dem Schenkungsteuer-FA als bekannt zuzurechnen. Umgekehrt haben alle diejenigen den Einheitswert beeinflussenden Tatsachen dem Schenkungsteuer-FA als nicht bekannt zu gelten, die auch dem Betriebs-FA im Zeitpunkt des Erlasses des Einheitswertbescheids nicht bekannt waren.
Da das FG diesen rechtlichen Gesichtspunkt nicht berücksichtigt hat, war die Vorentscheidung aufzuheben.
2. Die Sache ist nicht spruchreif.
Das FG hat auf der Grundlage seiner Rechtsauffassung nicht geprüft und deswegen auch keine Feststellungen getroffen, welche Umstände zu einer Erhöhung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1988 geführt haben und ob diese das Betriebs-FA zu einer Änderung nach §173 Abs. 1 Nr. 1 AO 1977 berechtigt hätten, insbesondere ihm schon bei Erlaß des Einheitswertbescheides vom 14. Dezember 1988 bekannt waren. Dies wird das FG im zweiten Rechtsgang nachzuholen haben.
Fundstellen
Haufe-Index 55412 |
BFH/NV 1999, 586 |