Leitsatz (amtlich)
Es ist im Regelfall nicht ermessenswidrig, wenn für die im Zollgutversandverfahren entstandene Zollschuld in erster Linie der Hauptverpflichtete in Anspruch genommen wird.
Orientierungssatz
Die Haftung des Hauptverpflichteten nach § 41 Abs. 2 S. 3 ZG ist eine Haftung eigener Art. Bei der Inanspruchnahme des Hauptverpflichteten als Haftungsschuldner ist die Ermessensentscheidung der Zollbehörde so vorgeprägt, daß es nicht darauf ankommt, ob den Gründen des Haftungsbescheids die Ermessenserwägungen zu entnehmen sind, sondern daß davon ausgegangen werden kann, daß die Zollbehörde stillschweigend von ihrem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat (vgl. BFH-Urteil vom 13.4.1978 V R 109/75).
Normenkette
AO 1977 § 191 Abs. 1, § 219; ZG § 41 Abs. 2 Sätze 2-3; EWGV 542/69 Art. 11 Buchst. a, Art. 13
Tatbestand
I. Auf Antrag der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) fertigte das Zollamt (ZA) Antwerpen im November 1976 aus Südamerika stammendes Rindergefrierfleisch zum externen gemeinschaftlichen Versandverfahren nach Italien ab. Unter Mitwirkung des Frachtführers und dreier weiterer Personen wurde die Ware bestimmungswidrig im deutschen Zollgebiet als verzollte und versteuerte Ware verkauft. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Hauptzollamt --HZA--) forderte deswegen im August, September und Oktober 1978 von dem Frachtführer und den anderen beteiligten Personen die Eingangsabgaben an. Mit Steuerhaftungsbescheid vom 25.November 1977 und Änderungsbescheid vom 19.März 1979 nahm das HZA die Klägerin als Hauptverpflichtete ebenfalls wegen der Eingangsabgaben in Anspruch. Einspruch und Klage blieben erfolglos.
Das Finanzgericht (FG) begründete die Vorentscheidung im wesentlichen folgendermaßen: Die Inanspruchnahme der Klägerin als Haftungsschuldnerin sei eine nur beschränkt nachprüfbare Ermessensentscheidung. Die Einspruchsentscheidung vom Februar 1981 mache die Überlegungen deutlich, aufgrund derer die Klägerin in Anspruch genommen worden sei. Die Feststellung fehlender Zahlungen durch die anderen Gesamtschuldner sei eine ausreichende Begründung für die Inanspruchnahme der Klägerin. Ihre Haftung bestehe gemäß § 41 Abs.2 Satz 3 des Zollgesetzes (ZG) ohne Rücksicht auf eigenes Verschulden. Die Inanspruchnahme der Klägerin erfordere gemäß § 219 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nicht die erfolglose Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Abgabenschuldners oder die Aussichtslosigkeit der Vollstreckung. Wegen der drohenden Verjährung des Haftungsanspruchs mit Ablauf des 31.Dezember 1977 habe das HZA sein Ermessen zutreffend ausgeübt.
Zur Begründung der Revision macht die Klägerin geltend, daß das HZA bei Erlaß des Haftungsbescheids sein Ermessen nicht oder zumindest fehlerhaft ausgeübt und seine Überlegungen nicht hinreichend zum Ausdruck gebracht habe. Die Einspruchsentscheidung wäge die sich gegenüberstehenden Belange nicht ab und enthalte eine unzulässigerweise nachgeschobene Begründung.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung sowie den Steuerhaftungsbescheid in der Gestalt der Einspruchsentscheidung aufzuheben.
Das HZA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist nicht begründet.
Das FG ist ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß der angefochtene Haftungsbescheid rechtmäßig ist.
1. Es hat zutreffend entschieden, daß die Klägerin Hauptverpflichtete i.S. des § 41 Abs.2 Satz 2 ZG ist und als solche nach § 41 Abs.2 Satz 3 ZG für die streitbefangenen Eingangsabgaben haftet.
a) Ob die Klägerin Hauptverpflichtete i.S. des § 41 Abs.2 Satz 2 ZG geworden ist, richtet sich nach der Regelung in Art.11 Buchst.a der Verordnung (EWG) Nr.542/69 (VO Nr.542/69) des Rates vom 18.März 1969 über das gemeinschaftliche Versandverfahren (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften --ABlEG-- L 77/1 vom 29.März 1969), wie sich aus dem Klammerhinweis in § 41 Abs.2 Satz 2 ZG ergibt. Danach ist Hauptverpflichteter die Person, die selbst oder durch einen befugten Vertreter durch eine zollamtlich geprüfte Anmeldung die Abfertigung zum gemeinschaftlichen Versandverfahren beantragt und damit gegenüber den zuständigen Behörden die Haftung für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens übernimmt. Da die Klägerin den Antrag auf Abfertigung des Rindergefrierfleisches zum gemeinschaftlichen Versandverfahren gestellt hat, ist sie Hauptverpflichtete im vorgenannten Sinne geworden.
b) Als Hauptverpflichtete haftet die Klägerin nach § 41 Abs.2 Satz 3 ZG für die streitbefangenen Eingangsabgaben, weil das Zollgut nach den Feststellungen des FG nicht ordnungsgemäß gestellt worden ist. Nach Art.13 der VO Nr.542/69 sind die im Versandverfahren beförderten Waren fristgerecht und unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen. Nach den Feststellungen des FG ist das im Versandverfahren beförderte Rindergefrierfleisch ohne zollamtliche Behandlung verkauft worden. Daraus ist zu entnehmen, daß es die Bestimmungszollstelle nicht erreicht hat.
2. Das FG ist auch ohne Rechtsfehler zu dem Ergebnis gelangt, daß das HZA beim Erlaß des Haftungsbescheids nicht ermessensfehlerhaft gehandelt hat und daß die Rechtswidrigkeit des Haftungsbescheids auch nicht damit begründet werden kann, aus den Gründen dieses Bescheids in der Gestalt der Einspruchsentscheidung sei nicht oder nicht hinreichend zu entnehmen, daß das HZA sein Ermessen sachgerecht ausgeübt habe.
a) Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs.1 AO 1977 grundsätzlich in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist, die den Haftungsbescheid erläßt, mit der Folge, daß die Gerichte grundsätzlich nur prüfen können, ob eine Überschreitung oder Unterschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (§ 102 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
b) Der erkennende Senat geht unter Beachtung der Regelung in § 219 Satz 2 AO 1977 davon aus, daß die Klägerin Haftungsschuldnerin i.S. des § 191 Abs.1 AO 1977 ist und durch Haftungsbescheid im Sinne dieser Vorschrift in Anspruch zu nehmen war.
c) Bedenken dagegen, daß der Haftungsbescheid auf einer Überschreitung oder Unterschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder auf einem Ermessensfehlgebrauch beruht, bestehen jedoch schon deshalb nicht, weil der Finanzbehörde bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach § 41 Abs.2 Satz 3 ZG grundsätzlich zuzugestehen ist, in erster Linie den Hauptverpflichteten in Anspruch zu nehmen, so daß bei dieser Entscheidung im Regelfall nicht berücksichtigt zu werden braucht, ob auch andere Haftungsschuldner oder ein Zollschuldner in Anspruch zu nehmen sind (vgl. Urteil des FG München vom 30.September 1981 III 206/77 Z, Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 1982, 383). Die Haftung des Hauptverpflichteten nach § 41 Abs.2 Satz 3 ZG ist eine Haftung eigener Art. Das folgt aus der zollrechtlichen Stellung des Hauptverpflichteten als Zollbeteiligter nach § 41 Abs.2 Satz 2 ZG und insbesondere aus dessen Pflichten nach Art.13 der VO Nr.542/69, die darin bestehen, daß er die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren und über den Versand in den bei der Beförderung berührten Mitgliedstaaten einzuhalten hat und daß er die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen hat. Dadurch wird der Hauptverpflichtete zum Garanten für die ordnungsgemäße Durchführung des gemeinsamen Versandverfahrens bis hin zur Gestellung der beförderten Waren bei der Bestimmungszollstelle sowie zur Abgabe der Zollanmeldung nach § 12 ZG und zur Erfüllung der Pflichten im Rahmen der Zollbeschau nach § 16 ZG. Aufgrund dieser Garantenstellung hat grundsätzlich der Hauptverpflichtete dafür einzustehen, daß das Versandverfahren ordnungsgemäß beendet wird. Dem entspricht es, daß er grundsätzlich nicht erwarten kann, als Haftender von der Inanspruchnahme verschont zu werden. Aus ähnlichen Erwägungen hat der erkennende Senat bereits für die Fälle der Beförderung von Waren mit Begleitschein entschieden, daß in erster Linie der Begleitscheinnehmer als Haftender in Anspruch genommen werden dürfe, wenn die beförderte Ware nicht ordnungsgemäß wiedergestellt worden sei (Urteil des erkennenden Senats vom 14.Dezember 1960 VII 99/60, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1961, 95, Zeitschrift für Zölle + Verbrauchsteuern 1961, 175).
d) Aufgrund der aufgezeigten besonderen Stellung der Klägerin war es im Streitfall gerechtfertigt, sie als Haftende in Anspruch zu nehmen, ohne daß es darauf ankommt, ob den Gründen des Haftungsbescheids die Ermessenserwägungen zu entnehmen sind. Wegen der besonderen Stellung des Hauptverpflichteten war die Entscheidung so vorgeprägt, daß davon ausgegangen werden kann, daß das HZA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13.April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508).
Fundstellen
Haufe-Index 60934 |
BFHE 143, 187 |
BFHE 1985, 187 |
HFR 1985, 332-333 (ST) |