Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftung beim gemeinschaftlichen Versandverfahren
Leitsatz (NV)
Die Finanzbehörde ist bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners im gemeinschaftlichen Versandverfahren befugt, in erster Linie den Hauptverpflichteten in Anspruch zu nehmen. Sie braucht im Regelfall nicht zu berücksichtigen, ob auch andere Haftungsschuldner oder ein Zollschuldner in Anspruch zu nehmen sind.
Normenkette
EWGV 222/77 Art. 11 Buchst. a; ZG § 41 Abs. 2 Sätze 2-3; AO 1977 § 191 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
Das französische ZA B stellte für die Klägerin als Hauptverpflichtete im Juli 1979 einen Versandschein T 1 für Kleidungsstücke aus der Schweiz aus. Empfänger der Ware war die Firma M in der Bundesrepublik. Das Zollgut wurde innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 15 Tagen weder bei der deutsch-französischen Grenzzollstelle noch bei der für den Warenempfänger zuständigen Zollstelle gestellt. Das HZA erließ gegen die Klägerin einen Haftungsbescheid über 102 152,90 DM Zoll und 91 511,60 DM Einfuhrumsatzsteuer. Zur Begründung wies das HZA auf Art. 11 Buchst. a VO Nr. 222/77 sowie auf § 41 Abs. 2 und § 57 Abs. 1 des Zollgesetzes (ZG) hin. Im September 1980 hob das HZA in einer Einspruchsentscheidung die Festsetzung von Zoll ganz auf und setzte die Einfuhrumsatzsteuer auf 78 231,90 DM herab. In der Einspruchsentscheidung vertrat das HZA die Auffassung, daß vom Haftungsanspruch die Inanspruchnahme des Warenempfängers als weiterer Zollschulnder nach § 57 Abs. 2 Satz 2 ZG nicht berührt werde, sofern dieser zur Zahlung der Abgaben in der Lage und bereit sei. Der Klage gab das FG statt.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage. Das FG ist rechtsirrig zu dem Ergebnis gelangt, daß der angefochtene Haftungsbescheid nicht rechtmäßig sei.
1. Der rechtliche Ausgangspunkt des FG ist zutreffend. Für die Klägerin kommt als gesetzlicher Haftungstatbestand § 41 Abs. 2 ZG in Betracht.
a) Ob die Klägerin Hauptverpflichtete i.S. des § 41 Abs. 2 Satz 2 ZG geworden ist, richtet sich nach der Regelung in Art. 11 Buchst. a VO Nr. 222/77, wie sich aus dem Klammerhinweis in § 41 Abs. 2 Satz 2 ZG ergibt. Danach ist Hauptverpflichteter die Person, die selbst oder durch einen befugten Vertreter mittels einer zollamtlich geprüften Anmeldung die Abfertigung zum gemeinschaftlichen Versandverfahren beantragt und damit gegenüber den zuständigen Behörden die Haftung für die ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens übernimmt. Da die Klägerin am 4. Juli 1979 den Antrag auf Abfertigung der 119 Kartons Kleidungsstücke aus der Schweiz zum gemeinschaftlichen Versandverfahren gestellt hat, ist sie Hauptverpflichtete in diesem Sinn geworden.
b) Als Hauptverpflichtete haftet die Klägerin nach § 41 Abs. 2 Satz 3 ZG für die streitbefangenen Eingangsabgaben, weil das Zollgut nach den Feststellungen des FG nicht ordnungsgemäß erneut gestellt worden ist. Nach Art. 13 VO Nr. 222/77 hat der Hauptverpflichtete die Waren innerhalb der vorgeschriebenen Frist unter Beachtung der von den zuständigen Behörden zur Nämlichkeitssicherung getroffenen Maßnahmen unverändert der Bestimmungszollstelle zu gestellen und die Vorschriften über das gemeinschaftliche Versandverfahren und über den Versand in den bei der Beförderung berührten Mitgliedstaaten einzuhalten. Nach den Feststellungen des FG wurden die im Versandverfahren beförderten Kleidungsstücke weder bei einem Grenzzollamt noch bei der Bestimmungszollstelle innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 15 Tagen gestellt.
2. Das FG ist auch zutreffend davon ausgegangen, daß die Inanspruchnahme des Haftungsschuldners durch Haftungsbescheid nach § 191 Abs. 1 AO 1977 grundsätzlich in das Ermessen der Finanzbehörde gestellt ist, die den Haftungsbescheid erläßt, mit der Folge, daß die Gerichte grundsätzlich nur prüfen können, ob eine Überschreitung oder Unterschreitung der gesetzlichen Grenzen des Ermessens oder ein Ermessensfehlgebrauch vorliegt (§ 102 FGO).
3. Das FG hat aber die rechtliche Bedeutung des Haftungsanspruchs nach § 41 Abs. 2 Satz 3 ZG verkannt. Die Finanzbehörde ist bei der Entscheidung über die Inanspruchnahme eines Haftungsschuldners nach dieser Vorschrift befugt, in erster Linie den Hauptverpflichteten in Anspruch zu nehmen. Sie braucht bei dieser Entscheidung im Regelfall nicht zu berücksichtigen, ob auch andere Haftungsschuldner oder ein Zollschuldner in Anspruch zu nehmen sind. Nach der VO Nr. 222/77 hat der Hauptverpflichtete eine Art Garantenstellung für die ordnungsgemäße Durchführung des gemeinsamen Versandverfahrens bis hin zur Gestellung der beförderten Waren bei der Bestimmungszollstelle sowie zur Abgabe der Zollanmeldung nach § 12 ZG und zur Erfüllung der Pflichten im Rahmen der Zollbeschau nach § 16 ZG. Er kann deshalb grundsätzlich nicht erwarten, als Haftender erst nach einem etwaigen Schuldner in Anspruch genommen oder von der Inanspruchnahme ganz verschont zu werden (vgl. Urteil des erkennenden Senats vom 29. Januar 1985 VII R 115/82, BFHE 143, 187 und Urteil des FG München vom 30. September 1981 III 206/77 Z, Entscheidungen der Finanzgerichte 1982, 383). Wie sich aus der zollrechtlichen Stellung des Hauptverpflichteten als Zollbeteiligter nach § 41 Abs. 2 Satz 2 ZG und aus dessen Pflichten nach Art. 13 der VO Nr. 222/77 ergibt, ist die Haftung des Hauptverpflichteten nach § 41 Abs. 2 Satz 3 ZG nämlich eine Haftung eigener Art, die einen vorrangigen Rückgriff auf den Hauptverpflichteten rechtfertigt.
4. Aufgrund der aufgezeigten besonderen Stellung der Klägerin war es auch im Streitfall gerechtfertigt, sie als Haftende in Anspruch zu nehmen, ohne daß es darauf ankommt, ob den Gründen des Haftungsbescheids Ermessenerwägungen zu entnehmen sind. Wegen der besonderen Stellung des Hauptverpflichteten war die Entscheidung so vorgeprägt, daß davon ausgegangen werden kann, daß das HZA stillschweigend von seinem Ermessen sachgerecht Gebrauch gemacht hat (vgl. auch Urteil des Bundesfinanzhofs vom 13. April 1978 V R 109/75, BFHE 125, 126, BStBl II 1978, 508).
Fundstellen
Haufe-Index 413837 |
BFH/NV 1986, 73 |