Entscheidungsstichwort (Thema)
Einkommensteuer, Lohnsteuer, Kirchensteuer
Leitsatz (amtlich)
Unter besonderen Umständen können auch sehr jugendliche rassisch Verfolgte ihre frühere Erwerbsgrundlage durch Verfolgungsmaßnahmen verloren haben.
Normenkette
EStG § 10a
Tatbestand
Der Bf. ist als Jude ein aus rassischen Gründen Verfolgter im Sinne des § 10 a Abs. 1 Ziff. 2 EStG 1958 in Verbindung mit § 13 Abs. 4 EStDV 1958. Er ist im Jahre 1929 geboren. Bis 1940 lebte er bei seinen Eltern in Deutschland. Unter dem Druck der Judenverfolgung floh seine Familie 1940 nach Jugoslawien. Nach der Besetzung Jugoslawiens durch deutsche Truppen wich die Familie im September 1941 nach Süditalien aus, wo sie im Jahre 1941 interniert wurde. Der Bf. entzog sich durch Trennung von seiner Familie der Internierung. Er fand ein Unterkommen in einem Dorfe in Mittelitalien und verdiente dort durch Arbeit in einer Schreinerei einen dürftigen Lebensunterhalt. Als die Polizeigewalt in Italien überwiegend von deutschen Truppen übernommen wurde, floh der Bf. im Oktober 1943 in die Schweiz. Dort wurde er als Ausländer interniert. Im Jahre 1945 ging er nach Israel, wo er bis zum Jahre 1952 vorwiegend als Schreiner tätig war. Seit dem Jahre 1955 betreibt er ein Großhandelsgeschäft in der Bundesrepublik.
Für die Jahre 1955 bis 1958 erhielt der Bf. auf Antrag die Vergünstigung des nicht entnommenen Gewinns gemäß § 10 a EStG 1958. Für das Jahr 1959 lehnte das Finanzamt dies jedoch ab. Das Finanzgericht folgte dem Finanzamt, weil der Bf. während der Zeit der Verfolgung durch den Nationalsozialismus noch keine eigene Erwerbsgrundlage besessen und deshalb eine solche auch nicht verloren habe.
Entscheidungsgründe
Die Rb., mit der rechtsirrige Auslegung des Begriffs "Verlust der Erwerbsgrundlage" in § 10 a EStG 1958 gerügt wird, führt zur Aufhebung der Vorentscheidungen.
Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, daß dem Bf. die Vergünstigungen des nicht entnommenen Gewinns nach § 10 a EStG 1958 nur zusteht, wenn er durch die Verfolgung eine "Erwerbsgrundlage" verloren hat. Der Bf. muß zur Zeit der Vertreibung eine eigene Erwerbsgrundlage besessen haben, aus der er im wesentlichen seinen Lebensunterhalt bestreiten konnte und auch bestritten hat. (Urteil des Senats VI 147/60 S vom 23. September 1960, BStBl 1960 III S. 462, Slg. Bd. 71 S. 570).
Die Tätigkeit, die der Bf. vom Herbst 1941 bis zum Jahre 1943 in Mittelitalien in einer Schreinerei ausübte, haben die Vorinstanzen nicht als "Erwerbsgrundlage" angesehen, weil der Bf. damals erst 12 bis 14 Jahre alt war und er auch nicht auf die Dauer den Beruf als Schreinereiarbeiter oder als Gelegenheitsarbeiter erstrebt habe. Dabei nimmt das Finanzgericht Bezug auf die Entscheidung VI 61/61 vom 20. Oktober 1961 (vgl. Wetter-Barske, Leitsatzkartei der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, § 10 a EStG Nr. 17; Steuerrechtsprechung in Karteiform, Einkommensteuergesetz, § 10 a, Rechtsspruch 68; Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1962 S. 331), in der der Senat die zeitbedingte und nach dem Zusammenbruch einer Schülerin aufgezwungene Tätigkeit als Textilarbeiterin nicht als Erwerbsgrundlage anerkannt hat. Dabei übersieht das Finanzgericht aber, daß der Fall des Urteils VI 61/61 a. a. O. insofern wesentlich anders lag, als dort die Tätigkeit nach dem Zusammenbruch von einer Behörde erzwungen war. Hier mußte dagegen der Bf. selbst die Arbeit als Schreinereiarbeiter aufnehmen, um während der Verfolgung und des Untertauchens leben zu können. Wenn seine Tätigkeit auch nicht sehr einträglich war, so hat doch der Bf., der schon als Kind ganz auf sich gestellt war, durch diese Arbeit in den Jahren 1941 bis 1943, wenn auch notdürftig, seinen Lebensunterhalt bestritten. Diesen Arbeitsplatz, der seine Erwerbsgrundlage bildete, hat der Bf. durch die im Jahre 1943 in Italien einsetzenden Verfolgungsmaßnahmen verloren. Insoweit ist also eine Voraussetzung des § 10 a EStG 1958 erfüllt. Die weitere Voraussetzung, daß der Bf. zu dem im § 10 a EStG 1958 genannten Personenkreis gehört, ist ebenfalls gegeben. Nicht geprüft ist aber bisher, ob der Bf. auch eine ordnungsmäßige Buchführung gehabt hat.
Wegen der rechtsirrigen Auslegung des Begriffs "Verlust der Erwerbsgrundlage" waren deshalb die angegriffene Entscheidung des Finanzgerichts und die Einspruchsentscheidung des Finanzamts aufzuheben. Die Sache wird an das Finanzamt zurückverwiesen, das unter Beachtung der vorstehenden Ausführungen erneut durch Einspruchsentscheidung über die Sache zu befinden hat.
Fundstellen
Haufe-Index 410795 |
BStBl III 1963, 260 |
BFHE 1963, 712 |
BFHE 76, 712 |