Leitsatz (amtlich)
1. Zur kraftfahrzeugsteuerrechtlichen Beurteilung eines umgebauten Geländewagens (als PKW).
2. Gibt das FG der Klage ohne vorherige Zustellung der Klageschrift an den Beklagten statt, so wird diesem das rechtliche Gehör versagt. Die Gehörsverletzung kann, wenn die Entscheidung zwar als Gerichtsbescheid, jedoch mit Zulassung der Revision ergangen ist, nur im Wege der Revision gerügt werden.
Normenkette
KraftStG § 8 Nr. 1, § 2 Abs. 2 S. 2; FGO § 119 Nr. 3, § 90 a Abs. 2
Tatbestand
Der Kläger, Revisionskläger und Revisionsbeklagte (Kläger) hält einen Nissan-Geländewagen, der zunächst als Personenkraftwagen, später, nach seiner verkehrsrechtlichen Einstufung als Lastkraftwagen wegen im Herbst 1992 erfolgter Umbauten (Entfernung der hinteren Bank; Einfügung einer Abtrennung), nach dem Gewicht besteuert wurde (Kraftfahrzeugsteuerbescheid vom 29. Dezember 1992). Das beklagte, revisionsbeklagte und revisionsklagende Finanzamt (FA) ließ sich im Rahmen einer 1996 angestellten landesweiten Überprüfung von der Zulassungsstelle nähere technische Daten mitteilen und die Umbauten erläutern. Es behandelte aufgrund dessen das Fahrzeug wieder als hubraumbesteuerten Personenkraftwagen und setzte die Kraftfahrzeugsteuer durch Bescheid vom 13. Mai 1996 (bestätigt durch Einspruchsentscheidung vom 2. September 1996) ab 20. November 1992 entsprechend fest. Die Klage führte zur Aufhebung dieses Bescheides im Umfang der Änderungsfestsetzung für die Zeit vom 20. November 1992 bis 31. März 1996; im übrigen wurde die Klage abgewiesen. Das Finanzgericht (FG) führte in seiner als Gerichtsbescheid ergangenen Entscheidung aus, das Fahrzeug sei kraftfahrzeugsteuerrechtlich, ungeachtet der – nur verkehrsrechtlich relevanten – Umbauten, kein Lastkraftwagen, sondern nach seiner objektiven Beschaffenheit, dem Erscheinungsbild und der Herstellerkonzeption weiter ein Personenkraftwagen, mit der Folge, daß die Änderungsfestsetzung ab dem am 1. April 1996 beginnenden Entrichtungszeitraum rechtmäßig sei. Die im April 1996 gewonnene Erkenntnis berechtige das FA jedoch nicht zu rückwirkender Festsetzung. Das FA habe seine Ermittlungspflicht verletzt, indem es im November 1992 trotz hinreichender Anhaltspunkte die verkehrsrechtliche Zuordnung des Fahrzeugs nicht überprüft habe.
Gegen diese Entscheidung haben beide Beteiligte jeweils Revision eingelegt.
Der Kläger trägt mit seiner Revision (VII R 51/97) vor, grundsätzlich sei an die in den Fahrzeugpapieren eingetragene Fahrzeugart anzuknüpfen. Das FA dürfe zwar eigenständig prüfen, jedoch nicht anhand selbst aufgestellter Kriterien. Soweit das FG ausgesprochen habe, daß lediglich die dem Fahrzeugkonzept innewohnenden Verwandlungsmöglichkeiten ausgenutzt worden seien, fehlten entsprechende Feststellungen.
Der Kläger beantragt, die Vorentscheidung, soweit klageabweisend, und die Änderungsfestsetzung ab 1. April 1996 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision des Klägers zurückzuweisen.
Es trägt zur Begründung seiner eigenen Revision (VII R 52/97) vor, das FG habe entschieden, ohne ihm – FA – die Klageschrift zu übermitteln und Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben, also unter Verweigerung des rechtlichen Gehörs. Im übrigen habe, wie das FA näher ausführt, das FG die rückwirkende Änderung zu Unrecht für ausgeschlossen erachtet.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung, soweit stattgebend, aufzuheben und die Klage auch im übrigen abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision des FA zurückzuweisen.
Er hält den vom FA gerügten Verfahrensfehler nicht für gegeben, da dem FA im Parallelverfahren der Aussetzung der Vollziehung Gelegenheit zur Äußerung geboten worden sei.
Entscheidungsgründe
Über die Revisionen wird gemeinsam entschieden (§ 121, § 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung – FGO –). Das Rechtsmittel des Klägers ist nicht begründet. Die Revision des FA führt dagegen zur Aufhebung der Vorentscheidung in ihrem der Klage stattgebenden Teil und zur Zurückverweisung der Sache an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
1. Revision des Klägers
Nicht zu beanstanden ist die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Entscheidung des FG. Zur Begründung verweist der Senat auf sein Urteil vom 29. April 1997 VII R 1/97 – Abschnitt II Nr. 1 Deutsches Steuerrecht, Entscheidungsdienst 1997, 606). Die kraftfahrzeugsteuerrechtliche Einstufung eines umgebauten Geländewagens (PKW) kann, wie auch der Kläger grundsätzlich einzuräumen scheint, von der verkehrsrechtlichen Beurteilung (als LKW) abweichen. Zwar bestimmt sich der kraftfahrzeugsteuerrechtliche Begriff „Personenkraftwagen” (§ 8 Nr. 1 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes – KraftStG –) nach Verkehrsrecht (§ 2 Abs. 2 Satz 2 KraftStG), doch schließt das nicht aus, daß der insoweit maßgebende verkehrsrechtliche Begriffsinhalt von der Finanzbehörde im Zusammenhang mit der Kraftfahrzeugsteuererhebung eigenständig ausgelegt wird (vgl. auch Egly/Mößlang, Kraftfahrzeugsteuer, 3. Aufl. 1981, S. 95). Diese Auslegung ist zulässig; in ihr kann nicht die Heranziehung begriffsfremder Kriterien gesehen werden. Im übrigen ergibt sich aus der verkehrsrechtlichen Einstufung – positiv – nur, daß (nach Einschätzung der Verkehrsbehörde) verkehrsrechtlich ein Lastkraftwagen vorliegt. Der Begriff „Lastkraftwagen” ist jedoch im KraftStG nicht enthalten; insoweit entfällt ohnehin eine Bindung an die verkehrsrechtliche Begriffsbestimmung (in § 4 Abs. 4 Nr. 3 des Personenbeförderungsgesetzes). Die vom FG angewandten Maßstäbe zur Prüfung, ob noch ein Personenkraftwagen vorliegt, entsprechen der Rechtsprechung des Senats (Urteil in VII R 1/97). Soweit der Kläger mangelnde Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) rügt, geht diese Rüge, abgesehen davon, daß sie nicht in der erforderlichen Weise ausgeführt worden ist, fehl. Das FG hat mit den von der Revision angesprochenen Ausführungen eine Folgerung aus festgestellten Tatsachen gezogen. Das Entscheidungsergebnis (Unerheblichkeit der Umbauten) beruht auf den Feststellungen, nicht auf der nur als Bestätigung des Ergebnisses gewerteten Folgerung.
2. Revision des FA
Die Verfahrensrüge des FA greift durch. Da der gerügte Verstoß – Versagung des rechtlichen Gehörs (§ 119 Nr. 3 FGO) – das Gesamtergebnis des Verfahrens betrifft, ist eine Überprüfung der Vorentscheidung in sachlich-rechtlicher Hinsicht – im Umfang der Beschwer des FA – ausgeschlossen (Senat, Urteil vom 5. November 1991 VII R 64/90, BFHE 166, 415, 418, BStBl II 1992, 425). Auf die Sachrüge des FA ist mithin nicht einzugehen.
Die Verfahrensrüge ist, ohne daß es auf den Vortrag dessen ankommt, was ohne Gehörsversagung vorgetragen worden wäre (Senat, a. a. O.), schlüssig erhoben und begründet. Wie sich aus den Akten ergibt, ist die Zustellung der Klageschrift mit der Aufforderung zur Gegenäußerung (§ 71 Abs. 1 FGO) zwar verfügt worden, doch ist sie infolge eines Versehens unterblieben. Erst nach Zustellung des Gerichtsbescheides hat das FA die Klageschrift erhalten. Damit steht fest, daß dem FA das rechtliche Gehör nicht gewährt worden ist. Der Verfahrensverstoß wird nicht dadurch ausgeräumt, daß dem FA die Möglichkeit gegeben war, sich im parallelen Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides vor Ergehen der Vorentscheidung zu äußern. Dies genügt nicht für die Gehörsgewährung im Streitfall – Hauptverfahren –, in dem es nicht um Rechtmäßigkeitszweifel, sondern um die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Steuerfestsetzung geht.
Ein Umstand, aufgrund dessen das FA sein Rügerecht verloren haben könnte, liegt nicht vor. Zwar kann auf einen gehörsverletzenden Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung beantragt werden (nach Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl. 1997, § 119 Anm. 13 mit der Folge, daß die Rüge wegen Versagung des rechtlichen Gehörs unbegründet wäre). Diese Möglichkeit besteht jedoch – zumindest grundsätzlich – dann nicht, wenn in dem Gerichtsbescheid – wie hier – die Revision zugelassen worden ist, denn in diesem Falle ist, wie sich aus § 90 a Abs. 2 Nr. 2 FGO ergibt, nur die Revision statthaft (§ 90 a Abs. 2 Nr. 1 FGO; vgl. Gräber/Koch, a. a. O., § 90 a Anm. 16; Stöcker in Beermann, Steuerrechtliches Verfahrensrecht, FGO § 90 a Rz. 19; Kühn/Hofmann, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 17. Aufl. 1995, FGO § 90 a Bem. 3 a). Einen Antrag auf mündliche Verhandlung mit dem Ziel der Gehörsverschaffung konnte das FA mithin nicht stellen. Ob ein solcher Antrag ausnahmsweise in Betracht kommt, wenn im Falle von § 90 a Abs. 2 Nr. 1 FGO es dem Beteiligten wesentlich auf Tatsachenprüfung und Erörterung in einer mündlichen Verhandlung ankommt (so Gräber/Koch, a. a. O., Anm. 18 m. N.), braucht der Senat nicht zu entscheiden. Es ist nicht ersichtlich, daß das FA sein Verteidigungsvorbringen entsprechend zu beschränken beabsichtigt. Im übrigen kann dem Beteiligten das ihm zustehende Rechtsmittel nicht unter Hinweis auf eine nicht eindeutige Möglichkeit der Gehörsverschaffung abgeschnitten werden.
Unter diesen Umständen kann offen bleiben, ob – was von Amts wegen zu prüfen wäre – auch der absolute Revisionsgrund nach § 119 Nr. 4 FGO vorliegt.
Fundstellen