Leitsatz (amtlich)
Es ist nicht rechtswidrig, wenn die Finanzverwaltungsbehörden es ablehnen, die Kraftfahrzeugsteuer für das Halten eines Personenkraftwagens zu erlassen, der für ein seit seiner Kindheit bewegungsunfählges Kind zugelassen worden ist, von dessen Vater aber arbeitstäglich zu Alleinfahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt wird.
Normenkette
GG Art. 6 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1; FGO § 102; AO 1977 § 227; KraftStG 1972 § 3 Abs. 1 Nr. 2; KraftStG 1979 § 3 Nr. 11
Verfahrensgang
Tatbestand
Die 1961 geborene Klägerin hat infolge eines frühkindlichen Hirnschadens ihre Bewegungsfähigkeit eingebüßt. Sie lebt bei ihren Eltern. Für sie wurde am 29. Juni 1978 ein Kraftfahrzeug (Kfz) der Marke "Volkswagen" zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zugelassen. Sie beantragte, ihr die Kraftfahrzeugsteuer zu erlassen gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 des Kraftfahrzeugsteuergesetzes 1972 (KraftStG). Das Fahrzeug werde von ihrem Vater zu seinen Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzt.
Der Beklagte, das Finanzamt (FA), lehnte den Antrag durch Verwaltungsakt vom 31. Juli 1978 ab. Die Oberfinanzdirektion (OFD) wies die Beschwerde durch Entscheidung vom 22. März 1979 zurück mit der Begründung, die Steuervergünstigung sei personenbezogen, Nichtbehinderte dürften daher grundsätzlich nicht von ihr profitieren. Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gelte dann, wenn das Fahrzeug "im Rahmen der Haushaltsführung des Behinderten" von einem Angehörigen des Behinderten benutzt werde, der in häuslicher Gemeinschaft mit ihm lebe, ihn betreue und als solcher dem FA benannt sei. Ein Sachverhalt dieser Art sei hier nicht gegeben. Der Vater der Klägerin benutze das Kfz arbeitstäglich zu Alleinfahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte, also nicht zur Haushaltsführung, sondern zur Ausübung seines Berufs. Seine Erwerbstätigkeit sei nicht Bestandteil, sondern Vorbedingung für die Führung des Haushalts.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin begehrt, den ablehnenden Verwaltungsakt und die Beschwerdeentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihr für die Zukunft die Kraftfahrzeugsteuer zu erlassen. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. FA und OFD seien zutreffend davon ausgegangen, daß ihnen kein Ermessen eröffnet sei, die Kraftfahrzeugsteuer zu erlassen, weil die gesetzlichen Voraussetzungen hierfür nicht erfüllt seien. Es fehle schon an dem Merkmal, daß das Fahrzeug von einer anerkannten Pflegeperson der Behinderten "im Rahmen seiner Haushaltsführung benutzt" werde (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Buchst. c KraftStG). Ob dieses Merkmal einen eigenen Hausstand des Behinderten voraussetze, oder ob es genüge, daß der Behinderte im Haushalt seiner Eltern lebe, könne offenbleiben. Denn in beiden Fällen werde das Fahrzeug dann nicht mehr im Rahmen der "Haushaltsführung" benutzt, wenn die Pflegeperson es zu Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte verwende. Solche Fahrten dienten "in erster Linie der Erfüllung arbeitsvertraglicher Verpflichtungen des Benützers und damit der Erzielung (Sicherung und Erhaltung) der Einnahmen aus der Berufstätigkeit". Dieser Berufsbezogenheit habe der Gesetzgeber u. a. dadurch Rechnung getragen, daß er die Aufwendungen für derartige Fahrten bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens als Werbungskosten zum Abzug zulasse (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 des Einkommensteuergesetzes -- EStG --), während er im allgemeinen die Aufwendungen für Fahrten zur Versorgung des Haushalts (z. B. Einkauf von Lebensmitteln) zu den einkommensteuerrechtlich nicht abzugsfähigen Kosten der allgemeinen Lebensführung rechne (§ 12 Nr. 1 EStG). Aus der Tatsache, daß die Führung des Haushalts erst durch das aus einem Arbeitsverhältnis erzielte Einkommen ermöglicht werde, dürfe nicht geschlossen werden, daß die Handlungen, welche der Erzielung des Einkommens dienten, sich im Rahmen der "Haushaltsführung" vollzögen. Denn Berufstätigkeit und Haushaltsführung seien nur Teilbereiche der gesamten Lebensführung des Steuerpflichtigen. Diese Auslegung des Begriffs "Haushaltsführung" stehe in Einklang mit dem Begriff "Haushalt" in § 1356 Abs. 1 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches und dem Begriff "doppelte Haushaltsführung" in § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG. Auch dort sei jeweils die Erwerbstätigkeit von der Haushaltsführung abgegrenzt. Die gleiche Abgrenzung liege der ab 1. Juni 1979 geltenden Steuerbefreiungsvorschrift des § 3 Nr. 11 KraftStG 1979 zugrunde (vgl. Art. 1 Nr. 3 Buchst. d des Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 22. Dezember 1978, BGBl I, 2063, BStBl I 1979, 65, i. V. m. der Bekanntmachung des Bundesministers der Finanzen vom 1. Februar 1979, BGBl I, 132, BStBl I, 96). Danach entfalle die Steuerbefreiung, wenn das Fahrzeug durch andere Personen als den Behinderten "zu Fahrten benutzt wird, die nicht im Zusammenhang mit der Fortbewegung oder der Haushaltsführung des Behinderten stehen". Die Finanzverwaltungsbehörden und die Gerichte der Finanzgerichtsbarkeit seien nicht befugt, im Billigkeitswege ein Ergebnis herbeizuführen, das der Gesetzgeber erkennbar nicht gewollt habe; denn sie seien an Gesetz und Recht gebunden (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes -- GG --). Das FG hat die Revision zugelassen, weil es der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung beimißt.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin unrichtige Anwendung des § 3 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 KraftStG. Sie beantragt, das Urteil des FG, die Beschwerdeentscheidung der OFD und den ablehnenden Verwaltungsakt des FA aufzuheben und das FA zu verpflichten, ihr die Kraftfahrzeugsteuer zu erlassen.
Der Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --).
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß das Halten des bezeichneten Personenkraftfahrzeugs zum Verkehr auf öffentlichen Straßen der Kraftfahrzeugsteuer unterliegt (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG, jetzt § 1 Abs. 1 Nr. 1 KraftStG 1979), und daß die Klägerin Steuerschuldnerin ist, weil das Fahrzeug für sie zugelassen worden ist (§ 4 Nr. 1 Buchst. a KraftStG). Es hat fehlerfrei dargelegt, daß die Finanzverwaltungsbehörden die von der Klägerin begehrte Steuervergünstigung nicht gewähren dürfen.
Der Hinweis der Klägerin auf das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 GG) und auf das Grundrecht des Schutzes von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung.
Das Sozialstaatsprinzip begründet die Pflicht des Staates, für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen. Bei der Erfüllung dieser Pflicht kommt dem Gesetzgeber ein weiter Gestaltungsspielraum zu. Das Sozialstaatsprinzip stellt also dem Staat eine Aufgabe, sagt aber nichts darüber, wie diese Aufgabe im einzelnen zu verwirklichen ist (Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. Januar 1982 I BvR 848/77 u. a., Neue Juristische Wochenschrift 1982, 1447, 1449). Wegen dieser dem Staat verbleibenden Befugnis, zweckdienliche Mittel selbst auszuwählen, kann dem Sozialstaatsprinzip nicht ein verbindlicher Auftrag entnommen werden, die Kraftfahrzeugsteuer für das Halten eines Personenkraftfahrzeugs allgemein in Fällen der hier zu beurteilenden Art zu erlassen. Auch das an die Adresse des Staates gerichtete Gebot, Ehe und Familie zu schützen (Art. 6 Abs. 1 GG), enthält keinen verbindlichen Auftrag, Ehe und Familie durch Steuervergünstigungen in einem Umfange zu fördern, wie die Klägerin es begehrt. Vielmehr lag es jeweils im Rahmen der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers, den Umfang der Steuervergünstigung zu begrenzen auf die unmittelbar dem Behinderten dienende Benutzung des Kfz und eine Zweckfremde Benutzung von der Steuervergünstigung auszuschließen (vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Kraftfahrzeugsteuergesetzes vom 3. April 1978, BT-Drucks. 8/1679 S. 18 rechte Spalte Mitte).
Fundstellen
Haufe-Index 74553 |
BStBl II 1983, 245 |
BFHE 1982, 373 |