Normenkette
FGO § 100 Abs. 3, § 40 Abs. 1, § 96 Abs. 1-2; GG Art. 103 Abs. 1
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war im Streitjahr 1971 an ihrem Wohnort in A als Studiendirektorin tätig. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) erkannte bei der Einkommensteuerveranlagung der Klägerin für das Streitjahr 1971 u.a. folgende Aufwendungen als Werbungskosten bei ihren Einkünften aus nichtselbständiger Tätigkeit an:
10 % Absetzung für Abnutzung (AfA) auf Einrichtungsgegenstände ihres Arbeitszimmers |
643,90 DM |
dienstliche Ferngespräche vom eigenen Fernsprecher (33 1/3 % wie Vorjahre) |
255,19 DM |
Dienstreisen mit eigenem Kfz nach B (5 × 186 km × 0,25 DM/km) |
232,50 DM. |
Der Einspruch hatte bezüglich der jetzt noch streitigen Aufwendungen keinen Erfolg.
Die Klägerin machte im Klageverfahren folgende Werbungskosten geltend:
- Aufwendungen für Dienstreisen als Fachleiterin an einem Studienseminar innerhalb des Stadtgebietes von A in Höhe von 633,86 DM (37 Wochen × 45 km = 1 665 km × 0,3807 DM/km lt. ADAC-Tabelle),
- Aufwendungen für fünf Dienstreisen nach B von 355,05 DM (a 186 km = 930 km × 0,3807 DM je km) abzüglich vom FA bereits anerkannter 232,50 DM (bei Berechnung mit 0,25 DM je km) = Mehrbetrag von 122,55 DM,
- Anwendung des begünstigten Steuersatzes nach § 34 Abs. 4 des Einkommensteuergesetzes (EStG) für Einkünfte aus selbständiger Arbeit in Höhe von 146 DM.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage teils als unzulässig und teils als unbegründet ab. Es führte u.a. aus:
Die Klage sei insoweit unzulässig, als die Klägerin die Herabsetzung von Kirchensteuer und Ergänzungsabgabe begehre. Denn für die Festsetzung von Kirchensteuer sei das FG nicht zuständig und die Ergänzungsabgabe sei als solche nicht im Streit. Unzulässig sei die Klage auch insoweit, als die Klägerin die Verurteilung des FA zur Zahlung eines Erstattungsbetrages von 314 DM nebst Zinsen beantrage. Für eine Klage auf Zahlung fehle das Rechtsschutzbedürfnis. Ergebe sich nämlich aufgrund des Urteils ein Zahlungsanspruch gegen das FA, so komme die Verwaltung ihrer Erstattungspflicht nach, ohne daß es eines besonderen Ausspruches hierzu im Urteil bedürfe. Die Klage bezüglich des Zinsanspruches sei unzulässig, weil der Zinsanspruch erst als Rechtsfolge einer rechtskräftigen gerichtlichen Entscheidung entstehe, durch die die Abgabenschuld vermindert worden sei.
Im übrigen sei die Klage unbegründet. Sollte der Steuerbescheid aus den drei geltend gemachten Gründen zugunsten der Klägerin fehlerhaft sein, so seien diese Fehler jedenfalls mit folgenden Punkten auszugleichen, in denen die Klägerin Unrecht habe:
Einmal habe das FA im Einkommensteuerbescheid 1971 zu Unrecht eine 10 %ige AfA auf die größeren Einrichtungsgegenstände im Arbeitszimmer der Klägerin in Höhe von 643,90 DM zum Abzug zugelassen. Denn die Klägerin habe die Anschaffungskosten hierfür nicht nachgewiesen.
Zum anderen seien die vom FA anerkannten Kosten für die dienstliche Benutzung des privaten Fernsprechers in Höhe von 255,19 DM nicht abziehbare Kosten der privaten Lebensführung, weil die Klägerin keine Aufzeichnungen über die dienstlich und privat veranlaßten Telefongespräche geführt habe. Entsprechend den Beschlüssen des Großen Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70 (BFHE 100, 309 und 317, BStBl II 1971, 17) und vom 19. Oktober 1970 GrS 3/70 (BFHE 100, 317, BStBl II 1971, 21) sei eine Aufteilung in nicht abziehbare Aufwendungen für die Lebensführung und in Werbungskosten nur zulässig, wenn objektive Merkmale und Unterlagen eine zutreffende und leicht nachprüfbare Trennung ermöglichten.
Die bei der Einkommensteuerveranlagung zum Abzug zugelassenen Beträge von insgesamt 899,09 DM (643,90 DM und 255,19 DM) überstiegen die Klageforderung von 633,86 DM und 122,55 DM = 756,51 DM auch unter Einbeziehung des Antrages der Klägerin nach § 34 Abs. 4 EStG.
Zu dem von der Klägerin geltend gemachten Aufwand für die Benutzung des eigenen PKW auf Dienstreisen in Höhe von 0,3807 DM je km bemerkte das Gericht noch vorsorglich, daß die Klägerin die Kfz-Kosten im einzelnen nicht nachgewiesen habe. Das FA habe daher zu Recht diese Kosten mit einem Pauschbetrag von 0,25 DM/km nach Abschn. 21 Abs. 12 der Lohnsteuer-Richtlinien (LStR) angesetzt. Werde, wie die Klägerin beantragt, ein Sachverständiger hierzu vernommen, so könne dieser den Aufwand ebenfalls nur frei schätzen. Nach der Rechtsprechung des BFH könnten jedoch vom Sachverständigen anderweitig geschätzte Kosten nicht zum Ansatz eines höheren Pauschbetrages führen.
Die Klägerin rügt mit der Revision die Verletzung formellen und materiellen Rechts. Sie führt u.a. aus:
Durch die Abweisung ihres Zahlungsanspruches habe das FG § 100 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt. Es habe sich mit der Verneinung des Rechtsschutzbedürfnisses zur einhelligen Rechtsprechung und Literatur zum gleichlautenden § 113 Abs. 3 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und zum BFH-Urteil vom 29. Juni 1971 VII K 31/67 (BFHE 103, 28, BStBl II 1971, 740) in Widerspruch gesetzt. Die Ablehnung ihres Zinsanspruches verletze nach dem vorgenannten BFH-Urteil ebenfalls § 100 Abs. 3 FGO.
Das FG habe mit der Nichtanerkennung der AfA für die Einrichtungsgegenstände ihres Arbeitszimmers und der Ablehnung der beruflich entstandenen Telefonkosten ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Diese vom FA anerkannten Aufwendungen seien zwischen den Beteiligten im Verlaufe dieses Verfahrens nie streitig gewesen. Das Verfahren sei auch nicht deshalb ordnungsgemäß, weil das Gericht die Akten eines anderen, von ihr angestrengten Klageverfahrens gegen ein anderes FA beigezogen habe und das Gericht ihr in jenem Verfahren zu diesem Punkte rechtliches Gehör gewährt habe.
Das angefochtene Urteil verletze zudem § 9 Abs. 1 EStG, da das FG ihre Fernsprechkosten nicht als Werbungskosten anerkannt habe. Ebenso wie bei jedem Geschäftsmann müsse auch beim Arbeitnehmer der private Anteil an den Telefonkosten im Wege der Schätzung ermittelt werden. Insoweit verstoße die Vorentscheidung auch gegen Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG).
Dadurch, daß das FG nicht den von ihr angetretenen Sachverständigenbeweis für ihre Behauptung erhoben habe, die Kfz-Kosten hätten für ihre beruflich veranlaßten Fahrten 0,3807 DM/km betragen, habe das FG seine Amtsermittlungspflicht nach § 76 Abs. 1 FGO sowie § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO verletzt. Das FG habe hiermit zugleich gegen das Verbot der Willkür verstoßen. Es sei verpflichtet gewesen, alle im Gesetz vorgesehenen Beweismittel für ihre Behauptungen auszuschöpfen und die angebotenen Beweise zu erheben. Die Ansicht des FG, es sei nur ein Urkundenbeweis zulässig, sei mit § 96 FGO nicht vereinbar.
Die Klägerin beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG.
1. Unbegründet ist allerdings die Rüge der Klägerin, das FG habe § 100 Abs. 3 FGO verletzt, weil es ihren Antrag, das FA zur Erstattung von 314 DM zu verurteilen, als unzulässig abgelehnt habe.
Die Klägerin kann zwar nach § 100 Abs. 3 FGO bei einer Klage auf Anfechtung eines Einkommensteuerbescheids begehren, das FA bei Stattgabe der Klage zur Erstattung der insoweit zu Unrecht auf die Einkommensteuerschuld angerechneten Lohnsteuern zu verurteilen. Das FG hat jedoch zu Recht betont, daß eine solche mit der Anfechtungsklage verbundene Leistungsklage ein von der Klägerin näher darzulegendes Rechtsschutzbedürfnis voraussetzt. Sieht das FG einen Einkommensteuerbescheid nämlich als rechtswidrig an, so hat es nach pflichtgemäßen Ermessen den nach seiner Überzeugung richtigen Einkommensteuerbetrag grundsätzlich selbst festzusetzen (vgl. Beschluß des Großen Senats des BFH vom 16. Dezember 1968 GrS 3/68, BFHE 94, 436, BStBl II 1969, 192), sofern nicht die Voraussetzungen des Art. 3 § 4 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 –VGFGEntlG– (BGBl I 1978, 446) gegeben sind. Durch das Urteil des FG wird mithin die Verpflichtung der Behörde zur Auszahlung des vom FG errechneten Erstattungsbetrages festgestellt oder es wird durch das Urteil der aufgehobene Teil des Bescheides durch Angabe der zu Unrecht berücksichtigten oder nicht berücksichtigten tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnisse zumindest so deutlich bestimmt, daß das FA den Betrag aufgrund der Entscheidung ohne weiteres selbst errechnen kann. Da die Verwaltungsbehörden gemäß Art. 20 Abs. 3 GG an Gesetz und Recht gebunden sind, ist erfahrungsgemäß davon auszugehen, daß die Behörde von sich aus alle sich aus der Aufhebung eines Einkommensteuerbescheids ergebenden Konsequenzen zieht und einen im Urteil festgesetzten oder hinreichend deutlich bestimmten Erstattungsbetrag berechnet und auszahlt. Die Verurteilung der Behörde zur Auszahlung dieses Betrages kann daher nur verlangt werden, wenn Gründe dafür vorliegen, das FA werde dem Urteil nicht unverzüglich Folge leisten. Sind solche Gründe –wie im Streitfall– nicht dargetan und auch aus den Akten nicht ersichtlich, so fehlt es an dem für eine zusätzliche Leistungsklage erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis (vgl. BFH-Urteil vom 16. Juli 1980 VII R 24/77, BFHE 131, 158, BStBl II 1980, 632; Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 100 Anm. 10; v. Wallis/List in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung, 7. Aufl., § 100 Anm. 59; Gräber, Deutsche Steuerzeitung, 1981 S. 94).
Dieser Ansicht steht das von der Klägerin zitierte Urteil des BFH in BFHE 103, 28, BStBl II 1971, 740 nicht entgegen, da sich diese Entscheidung mit einem anderen Sachverhalt, nämlich gemäß den nachstehenden Ausführungen zu 3. mit der Zahlung von Prozeßzinsen befaßt. Soweit ersichtlich, widerspricht die Rechtsprechung des BFH auch nicht der verwaltungsgerichtlichen Literatur und Rechtsprechung.
2. Begründet ist hingegen die Rüge der Klägerin, das FG habe § 100 Abs. 3 FGO verletzt, weil es ihren Anspruch, das FA zur Zahlung von Zinsen zu verurteilen, als unzulässig abgelehnt habe. Denn nach der Rechtsprechung des BFH konnte die Klägerin die Klage auf Zahlung von Prozeßzinsen mit der Anfechtungsklage gegen den Steuerbescheid nach § 100 Abs. 3 FGO verbinden, um so das außergerichtliche Vorverfahren hinsichtlich der Zinsen entbehrlich zu machen (vgl. BFH-Urteile vom 26. März 1974 VII R 133/71, BFHE 112, 324, 331, und BFHE 103, 28, BStBl II 1971, 740). Für diesen Anspruch ist das Rechtsschutzbedürfnis zu bejahen, da er sich nicht unmittelbar aus der Entscheidung über den angefochtenen Einkommensteuerbescheid ergibt. Die Erhebung der Erstattungszinsen richtet sich im vorliegenden Verfahren, das durch Klageerhebung am 13. Mai 1974 rechtshängig war, bis zum Ablauf des 30. September 1975 nach den bis dahin geltenden Vorschriften des § 111 FGO (vgl. Art. 11 § 6 i.V.m. Art. 14 Abs. 1 des Dritten Gesetzes zur Änderung des Steuerberatungsgesetzes vom 24. Juni 1975 –3. StBerÄndG–, BGBl I 1975, 1509, BStBl I 1975, 733), im übrigen nach § 4b des Steuersäumnisgesetzes (StSäumG) i.d.F. des Art. 3 i.V.m. Art. 11, § 6 und Art. 14 Abs. 1 des 3. StBerÄndG bzw. ab 1. Januar 1977 nach dem gleichlautenden § 236 der Abgabenordnung (AO 1977).
3. Begründet ist auch die Rüge der Klägerin, das FG habe bezüglich der von ihm gegengerechneten AfA auf die Einrichtungsgegenstände in ihrem Arbeitszimmer in Höhe von 643,90 DM und der ebenfalls gegengerechneten Fernsprechkosten von 255,19 DM das rechtliche Gehör verletzt. Die Klägerin beruft sich zu Recht darauf, daß das FA die AfA und die Fernsprechkosten in der genannten Höhe im angefochtenen Einkommensteuerbescheid 1971 zum Abzug zugelassen hat und daß diese Aufwendungen weder im Einspruchsverfahren noch im Klageverfahren zwischen den Beteiligten streitig waren. Das FG konnte zwar gemäß dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 17. Juli 1967 GrS 1/66 (BFHE 91, 393, BStBl II 1968, 344) von dem umfassenden Begriff des Streitgegenstandes ausgehen, wonach Gegenstand des steuergerichtlichen Verfahrens nicht das einzelne Besteuerungsmerkmal, sondern die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheids ist. Es war aus diesen Gründen an sich auch berechtigt, von ihm als Fehler des FA angesehene Punkte des Veranlagungsverfahrens zu Lasten der Klägerin aufzugreifen und sie gegen andere, zu deren Gunsten sprechende Umstände bis zur Grenze des Verböserungsverbots aufzurechnen (siehe auch Urteil des Senats vom 22. November 1968 VI R 52/67, BFHE 94, 310, BStBl II 1969, 169). Der in § 96 Abs. 2 FGO, Art. 103 Abs. 1 GG geschützte Anspruch auf rechtliches Gehör ist jedoch verletzt, wenn das Gericht, wie im Streitfall, seine Entscheidung auf rechtliche Erwägungen stützt, die bisher noch von keinem der Beteiligten erörtert waren und die auch nicht offen auf der Hand liegen (vgl. Gräber, a.a.O., § 119 Anm. 6 D und die dort erwähnte Rechtsprechung). Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs wird auch dann zu Unrecht nicht beachtet, wenn die im Streitfall bisher nicht streitige AfA und die Fernsprechkosten erstmals in der mündlichen Verhandlung vor dem FG am 16. Juni 1976 erörtert sein sollten, weil die (zu diesem Termin ordnungsgemäß geladene) Klägerin dort nicht erschienen war und das FG in der Ladungsschrift nicht auf diese neuen Gesichtspunkte hingewiesen hatte (vgl. auch Urteil des Bundesverwaltungsgerichts –BVerwG– vom 11. November 1970 VI C 49/68, Monatsschrift für Deutsches Recht 1971 S. 420 –MDR 1971, 420–). Es kommt ebenfalls nicht darauf an, daß die gleichen Fragen in einem weiteren von der Klägerin und ihrem Ehemann angestrengten Klageverfahren beim selben FG in Rede standen. Denn einmal richtete sich die Klage dort gegen ein anderes FA und zum anderen konnte die Klägerin aus der Entscheidung jenes Rechtsstreits durch Urteil des FG vom 16. Juni 1976 keine Folgerungen für das vorliegende Klageverfahren ziehen, da derselbe Senat des FG über beide Klagen am selben Tage befunden hat.
4. Der Senat hebt aus den beiden vorgenannten Gründen zu 2. und 3. die Vorentscheidung auf und verweist die Sache an das FG zurück, damit es der Klägerin zur Frage der Telefonkosten und der 10 %igen AfA auf die Einrichtungsgegenstände nunmehr rechtliches Gehör gewährt und die Höhe der zu erstattenden Zinsen feststellt. Bezüglich der Abziehbarkeit von dienstlich veranlaßten Telefonkosten vom Privatanschluß der Klägerin aus und zur Höhe der bei Dienstreisen zu gewährenden Kraftfahrzeugkosten bei fehlendem Nachweis der angefallenen PKW-Aufwendungen wird auf das Urteil des Senats im Parallelverfahren vom 30. April 1981 VI R 53/77 verwiesen. Zur Frage der Zulässigkeit des Klageantrags, die Ergänzungsabgabe herabzusetzen, wird auf das BFH-Urteil vom 30. November 1979 VI R 159/76 Bezug genommen.
Fundstellen