Leitsatz (amtlich)
Der Achtjahreszeitraum nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG beginnt auch dann, wenn für einen Veranlagungszeitraum lediglich Anlauf- oder Vorbereitungskosten vor Betriebseröffnung im Rahmen der Einkunftsart Gewerbebetrieb anzusetzen sind.
Normenkette
EStG 1969 § 10a Abs. 4 S. 1
Tatbestand
Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) kam 1960 in die Bundesrepublik Deutschiand; er ist zur Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen nach dem BVFG berechtigt. Nach seiner Übersiedlung in die Bundesrepublik war der Kläger zunächst Arbeitnehmer. Am 30. Oktober 1961 eröffnete er eine Apotheke. Seinen Gewinn ermittelt er nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr (1. Mai bis 30. April); für die Zeit vom 30. Oktober 1961 bis zum 30. April 1962 wurde ein Rumpfwirtschaftsjahr gebildet. In der Einkommensteuererklärung für 1961 gab er "Kosten vor Eröffnung" in Höhe von 936 DM als Einkünfte aus Gewerbebetrieb an. Dementsprechend wurde in dem bestandskräftigen Einkommensteuerbescheid für dieses Jahr ein gewerblicher Verlust angesetzt.
Bei der Veranlagung für 1969 lehnte der Beklagte und Revisionskläger (FA) einen Abzug des vom Kläger nicht entnommenen Gewinns als Sonderausgabe ab mit der Begründung, der in § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmte Achtjahreszeitraum sei 1969 verstrichen, da der Kläger erstmals in 1961 Einkünfte aus Gewerbebetrieb gehabt habe.
Nach erfolglosem Einspruch gab das FG der Klage mit der in den EFG 1974, 468, veröffentlichten Entscheidung statt und führte dazu im wesentlichen aus:
Der Kläger habe erstmals 1962 Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Das erste Geschäftsjahr im Betrieb des Klägers habe am 30. April 1962 geendet. Gemäß § 2 Abs. 6 Nr. 2 EStG gelte bei Gewerbetreibenden der Gewinn des Wirtschaftsjahres als in dem Kalenderjahr bezogen, in dem das Wirtschaftsjahr ende. Für den Beginn des Achtjahreszeitraums nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG komme es - anders als nach § 7 e Abs. 3 EStG - nicht auf die Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit, sondern darauf an, in welchem Veranlagungszeitraum erstmals Einkünfte aus einer nach § 10 a EStG privilegierten Einkunftsart erzielt worden sind.
Kosten, die vor der Eröffnung des Gewerbebetriebs angefallen seien, könnten nicht als Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. von § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG angesehen werden, weil der Achtjahreszeitraum nicht vor der Betriebseröffnung beginne, sondern mit dem Jahr, in dem der Steuerpflichtige nach Eröffnung des Betriebs erstmals gewerbliche Einkünfte erziele. Hinzu komme im Streitfall, daß der Kläger seinen Gewinn für ein abweichendes Wirtschaftsjahr vom 1. Mai bis 30. April ermittle und es deshalb geboten sein könne, die "Kosten vor Eröffnung" in das vom Kläger gebildete Rumpfwirtschaftsjahr 30. Oktober 1961 bis 30. April 1962 einzubeziehen, womit sie dann den 1962 erzielten Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzurechnen seien.
Habe danach der Kläger erstmals 1962 gewerbliche Einkünfte erzielt, dann stehe ihm die Steuervergünstigung für 1969 noch zu.
Mit der Revision rügt das FA unrichtige Anwendung des § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG. Es macht geltend, für den Beginn des Achtjahreszeitraums komme es nicht darauf an, wann Einkünfte nach § 2 Abs. 6 Nr. 2 EStG als bezogen gelten. Maßgebend sei vielmehr, in welchem Veranlagungszeitraum erstmals Einkünfte erzielt worden sind. Das sei bereits im Veranlagungszeitraum der erstmaligen Aufnahme einer gewerblichen Tätigkeit der Fall. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehörten auch "Kosten vor Eröffnung".
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Klageabweisung.
1. Das FG ist einem Rechtsirrtum unterlegen, wenn es zu dem Ergebnis gelangt ist, den Klägern stehe die Steuervergünstigung des nicht entnommenen Gewinns gemäß § 10 a EStG im Jahr 1969 noch zu, weil im Veranlagungszeitraum 1961 noch keine Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt wurden.
Wie der Senat in seinen Urteilen vom 7. Mai 1974 VIII R 113/73 (BFHE 112, 366, BStBl II 1974, 544) und vom 30. August 1977 VIII R 2/74 (BStBl II 1977, 868) ausgesprochen hat, beginnt der Achtjahreszeitraum nach § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG mit dem Veranlagungszeitraum, in dem der zu dem nach § 10 a EStG begünstigten Personenkreis gehörende Steuerpflichtige erstmals ein positives oder negatives Betriebsergebnis bei den Einkunftsarten Land- und Forstwirtschaft, Gewerbebetrieb oder selbständige Arbeit erzielt hat. Unerheblich ist dabei die Höhe des Betriebsergebnisses, ob es durch eine Haupt- oder Nebentätigkeit erzielt wurde, oder ob es mit einer späteren Existenzgrundlage des Steuerpflichtigen im unmittelbaren Zusammenhang stand. Für die Frage, wann erstmals Einkünfte aus einer der in § 10 a EStG aufgeführten Einkunftsarten erzielt wurden, ist nicht deren Einordnung in einem früheren Steuerbescheid maßgebend; diese Frage ist in jedem Veranlagungszeitraum, für den die Steuervergünstigung in Anspruch genommen wird, zu entscheiden.
Mit dieser von der sprachlichen Bedeutung der Vorschrift ausgehenden sowie deren Sinn und Zweck berücksichtigenden Auslegung des § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG ist die Auffassung des FG, Einkünfte aus Gewerbebetrieb i. S. dieser Vorschrift könnten erstmals nur nach der Eröffnung eines Betriebs anfallen, nicht zu vereinbaren. Da einerseits für den Beginn des Achtjahreszeitraums nur die obenerwähnten Voraussetzungen erforderlich sind und andererseits Einkünfte aus Gewerbebetrieb schon vor der Eröffnung eines Betriebs - z. B. durch Vorbereitungs- oder Anlaufkosten - entstehen können (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, 18. Aufl., Anm. 15 zu § 15 EStG), kommt es für den Beginn des in § 10 a Abs. 4 Satz 1 EStG bestimmten Achtjahreszeitraum in der Regel nicht darauf an, ob ein Betrieb eröffent war. Die Frist wird jedenfalls dann in Gang gesetzt, wenn vor der Betriebseröffnung ein Betriebsergebnis entsteht, das für disen Veranlagungszeitraum abgegrenzt zu ermitteln und in eine der in § 10 a Abs. 1 EStG aufgeführten Einkunftsarten einzuordnen ist.
Geht man von diesen Grundsätzen aus, dann kann im Streitfall offenbleiben, ob für die Frage nach dem Fristbeginn des Achtjahreszeitraums bei Gewerbebetrieben mit Gewinnermittlung nach abweichendem Wirtschaftsjahr auf den Veranlagungszeitraum abzustellen ist, in dem die gewerbliche Tätigkeit aufgenommen wird, oder auf den Veranlagungszeitraum, in dem der Gewinn für das erste Wirtschaftsjahr nach § 2 Abs. 6 Nr. 2 EStG als bezogen gilt. Im Streitfall hatte der Kläger bereits vor der Eröffnung seiner Apotheke ein negatives Betriebsergebnis im Rahmen von Einkünften aus Gewerbebetrieb, das nicht nach einem vom Kalenderjahr abweichenden Wirtschaftsjahr, sondern nach dem Kalenderjahr 1961 zu ermitteln war und deshalb auch in diesem Veranlagungszeitraum erzielt wurde. Entgegen der Hilfsüberlegung des FG durften die vor der Betriebseröffnung angefallenen Betriebsausgaben nicht in die für das abweichende Wirtschaftsjahr vorzunehmende Gewinnermittlung einbezogen werden, weil der Kläger, wie nach § 1 Satz 2 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung zulässig, für die Zeit ab der Betriebseröffnung ein Rumpfwirtschaftsjahr gebildet hatte.
2. Die Vorentscheidung war danach aufzuheben. Der Senat kann selbst entscheiden und weist die Klage ab.
Da der Kläger erstmalig im Veranlagungszeitraum 1961 Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt hat, steht ihm die Steuerbegünstigung des nicht entnommenen Gewinns für 1969 nicht mehr zu.
Fundstellen
Haufe-Index 72494 |
BStBl II 1977, 869 |
BFHE 1978, 186 |