Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei längerer Postlaufzeit als gewöhnlich; ausreichende Legitimation bei Blankovollmacht über ungewöhnlich langen Zeitraum (15 Jahre)
Normenkette
FGO § 62 Abs. 3 S. 1, § 56 Abs. 1
Tatbestand
I. Im Namen der Kläger und Revisionskläger (Kläger) hatte der Prozeßbevollmächtigte formularmäßig Klage gegen den Einkommensteuerbescheid für 1990 erhoben und zu seiner Legitimation auf die in einer anderen Sache ("ESt 1992") eingereichte Vollmacht verwiesen. Nachdem eine formlose Aufforderung zur Nachreichung einer Prozeßvollmacht erfolglos geblieben war, setzte der Senatsvorsitzende dem Prozeßbevollmächtigten zur Nachreichung einer wirksamen Prozeßvollmacht am 3. März 1997 unter Berufung auf § 62 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) eine Ausschlußfrist bis zum 27. März 1997, wobei er darauf hinwies, daß der mit der Sache befaßte Senat in Fällen der streitigen Art eine Prozeßvollmacht als wirksam nur anerkenne, wenn sie erkennen lasse, daß die Mandanten "die Erhebung der konkreten Klage … tatsächlich wünschen", und über die Folgen der Fristversäumnis belehrte.
Daraufhin ging beim Finanzgericht (FG) ―nach Ablauf der Ausschlußfrist― eine undatierte, von den Klägern unterschriebene Vollmacht ein, die sich in ihrem vorgedruckten Text u.a. auch darauf erstreckt, die Kläger in Steuerangelegenheiten zu vertreten sowie gerichtliche Rechtsbehelfe einzulegen und zurückzunehmen. Ergänzt ist die formularmäßige Umschreibung des Mandats durch einen Stempelaufdruck "für Einkommensteuer, Lohnsteuer-Jahresausgleich, Solidaritätszuschlag" sowie durch die handschriftliche, offensichtlich nicht von den Klägern stammende Eintragung "1983 bis 1997". Wegen der Fristversäumnis beantragte der Prozeßbevollmächtigte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Zur Begründung trug er vor, die Postsendung sei, weil von einer Bürokraft weisungswidrig nicht ausreichend frankiert, zunächst an ihn zurückgegangen.
Das FG wies die Klage aus formellen Gründen mit der Begründung ab, es sei keine wirksame Prozeßvollmacht vorgelegt und darum auch die Frist des § 56 Abs. 2 FGO nicht gewahrt worden. Die vom Prozeßbevollmächtigten eingereichte Vollmacht genüge den Wirksamkeitserfordernissen nicht. Es bestünden nach wie vor "erhebliche Zweifel" an der konkreten Prozeßführungsbefugnis des Prozeßbevollmächtigten - wegen der Textfassung, der offensichtlich nicht von den Klägern stammenden zeitlichen Erstreckung auf fünfzehn Jahre, aus der Erfahrung in einer Reihe von anderen Verfahren und schließlich auch "aus dem Verfahren selbst": Die Rechtsposition der Kläger könne sich im Hinblick auf die Vorläufigkeit des angefochtenen Bescheids durch den Prozeß kaum verbessern.
Mit der (vom FG zugelassenen) Revision rügen die Kläger Verletzung von Bundesrecht (Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 19 Abs. 4 und 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ―GG― sowie der §§ 62 Abs. 3 und 76 Abs. 2 FGO). Wegen der Einzelheiten wird auf den Schriftsatz vom 26. Januar 1998 Bezug genommen. - Dieser Schriftsatz ist allerdings, nachdem die Revisionsbegründungsfrist letztmals bis zum 2. Februar 1998 verlängert worden war, erst am 3. Februar 1998 hier eingegangen, in Briefumschlägen, die jeweils den Poststempel des Briefzentrums A vom 1. Februar 1998 (einem Sonntag), 15.00 Uhr, tragen. -
Die Kläger beantragen unter Hinweis auf die gewöhnliche Postlaufzeit von einem Tag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und in sachlicher Hinsicht sinngemäß, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen.
Die Direktion München der Deutschen Post AG hat auf entsprechende Anfrage mitgeteilt, daß 94,5 % aller Sendungen von A nach München am jeweils nächsten Werktag beim Empfänger eingetroffen seien.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt ―FA―) beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. 1. Das Rechtsmittel ist zulässig. Wegen der Versäumung der Revisionsbegründungsfrist (§ 120 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 FGO) wird im Hinblick auf die Postauskunft Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt (§ 56 FGO; näher dazu: Gräber, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., 1997, § 56 Rz. 29, m.w.N.).
2. Die Revision ist auch begründet. Das Urteil verletzt formelles Bundesrecht (§ 118 Abs. 1 Satz 1 FGO) und war daher aufzuheben; die Sache war ―wegen fehlender Spruchreife― zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückzuverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Zu Unrecht hat das FG die Klage mangels wirksamer Bevollmächtigung ohne Sachentscheidung abgewiesen.
a) Die nachgereichte Prozeßvollmacht genügte den Anforderungen, die gemäß § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO an den Nachweis der Bevollmächtigung zu stellen sind (s. dazu näher Urteil des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 27. Februar 1998 VI R 88/97, BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445), so daß die Nachholung der Rechtshandlung (§ 56 Abs. 2 Satz 3 FGO) wirksam war und es deshalb darauf ankommt, ob die Ausschlußfrist wirksam gesetzt worden war und die Fristversäumnis nach § 56 FGO geheilt werden kann.
b) Die Einwände des FG gegen die im Klageverfahren eingereichte Vollmacht greifen nicht durch.
aa) Die Vollmacht genügt der Schriftform und läßt mit hinreichender Bestimmtheit und in konkretem Bezug zur Streitsache erkennen, wer wen wozu bevollmächtigt (BFH in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445, m.w.N.).
bb) Berechtigte Zweifel an der Legitimation des Prozeßbevollmächtigten, in diesem Verfahren für die Kläger aufzutreten, lassen sich weder aus der langen Geltungsdauer (von hier fünfzehn Jahren) herleiten noch aus der Ergänzung des Vollmacht-Textes durch den Stempelaufdruck bzw. durch den handschriftlichen Eintrag oder daraus, daß beide Hinzufügungen wahrscheinlich nachträglich und nicht von den Klägern auf der Vollmachtsurkunde angebracht wurden (BFH in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445).
cc) Schließlich ergeben sich für dieses Verfahren keine ausreichenden konkreten Anhaltspunkte dafür, daß der rechtsirksam erbrachte Nachweis der Bevollmächtigung (ausnahmsweise) wegen Rechtsmißbrauchs unbeachtlich sein könnte (s. dazu näher BFH in BFHE 185, 126, BStBl II 1998, 445 unter 2. b) dd) und ee), nebst den dortigen Nachweisen), weil die Kläger Gelegenheit hatten, sich selbst in das Klageverfahren einzuschalten, und von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht haben.
3. Im zweiten Rechtsgang wird das FG die bisher ―aus seiner Sicht zu Recht― unterlassene Prüfung nachzuholen haben, ob die Ausschlußfrist wirksam gesetzt wurde bzw. ob die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegeben sind.
Fundstellen