Leitsatz (amtlich)

Ist der Einheitswert eines Grundstücks wegen Kriegssachschadens bereits auf einen Zeitpunkt, der vor dem Währungsstichtag liegt, fortgeschrieben worden und sind dabei Vorschriften des Abschn. 1 des Fortschreibungsgesetzes vom 10. März 1949 entsprechend angewandt worden, so schließt das nicht unbedingt eine erneute Wertfortschreibung auf den Beginn des Währungsstichtages nach den gleichen Vorschriften aus.

Ist bei der ersten Wertfortschreibung angenommen worden, daß die Restgebäude des Grundstücks infolge des erlittenen Kriegssachschadens nicht mehr benutzbar sind, ergibt sich aber später, daß die Restgebäude zwar nicht mehr für ihren ursprünglichen Zweck, wohl aber für andere Zwecke benutzbar sind, so kann der Feststellungsbescheid, der nur den Wert des Grund und Bodens erfaßt hat, durch einen Fortschreibungsbescheid ersetzt werden, der den Wert des Grund und Bodens und den anteiligen Wert des Restgebäudes umfaßt. Gebäudereste sind nicht schon dann als noch benutzbar anzusehen, wenn sie nur für einen ganz ausgefallenen Zweck noch benutzbar wären; als benutzbar können sie nur dann angesehen werden, wenn sie für einen größeren Kreis von Interessenten üblicherweise noch verwendbar sind.

Bei der Ermittlung des Verhältnisses der Jahresrohmieten nach § 3 Abs. 2 Buchstabe a des Fortschreibungsgesetzes kann es notwendig werden, die Jahresrohmieten zu bereinigen. Das muß insbesondere dann geschehen, wenn die erzielten Jahresrohmieten zu einem erheblichen Teil auf Nutzungen entfallen, die keine Gebäudenutzung darstellen.

 

Normenkette

FortschrG Abschn. 1; FortschrG §§ 2-3

 

Tatbestand

Streitig ist die Fortschreibung des Einheitswerts zum 21. Juni 1948 für das gemischtgenutzte Grundstück X-straße 1 in N. Das Grundstück gehörte früher einer Brauhaus AG und wurde 1944 von den Beschwerdeführern (Bf.) käuflich erworben. Das Grundstück ist 3016 qm groß und liegt an einem Hang über einer hohen Stützmauer. Auf dem Grundstück befanden sich ein zweigeschossiges Hauptgebäude mit großen Kellerräumen, ein eingeschossiger Gartensaal und am Fuße der Stützmauer, mit Eingang von dort, zwei große Keller. Im Erdgeschoß des Hauptgebäudes und im Gartensaal wurde eine größere Gastwirtschaft (Brauhauskeller) betrieben; der übrige Teil des Hauptgebäudes diente Wohnzwecken. Bei der Einheitsbewertung 1935 ergab sich ein Einheitswert von 68.000 RM.

Die Gebäude des Grundstücks wurden 1945 bei einem Luftangriff schwer getroffen. Der Saalbau wurde fast völlig zerstört; lediglich der Betonboden und ein kleiner Keller blieben erhalten. Beim Hauptgebäude blieben einigermaßen erhalten: Die Umfassungsmauern und die Innenwände des Erdgeschosses, ferner die darauf ruhende Betondecke, die Fundamente und Keller des Hauptgebäudes sowie die beiden großen Keller. Die Erdgeschoßräume des Hauptgebäudes wurden später zusammen mit umfangreichen Neben- und Kellerräumen um eine Jahresrohmiete von 2.160 DM vermietet. Der Mieter übte in den gemieteten Räumen vom Juli 1947 bis zum September 1950 ein Kunststeingeschäft aus. Im Jahre 1950 wurde das ganze Grundstück von den Bf. um 30.000 DM verkauft. Anschließend wurden die Gebäudereste beseitigt und auf dem Grundstück eine Fabrik errichtet.

Entsprechend einer vom Landesfinanzamt getroffenen Regelung führte das Finanzamt zunächst eine Fortschreibung des Einheitswerts zum 1. Januar 1946 durch. Hierbei nahm es Totalschaden durch Kriegseinwirkung an und ermittelte einen Einheitswert von 25.000 RM. Auf Einspruch und Berufung hin setzte es - unter sinngemäßer Anwendung des inzwischen erlassenen Fortschreibungsgesetzes vom 10. März 1949 - den Einheitswert auf 9.100 RM herab. Diese Feststellung, die nur den Wert des Grund und Bodens umfaßt, ist unanfechtbar geworden.

Anschließend an die Wertfortschreibung zum 1. Januar 1946 schrieb das Finanzamt den Einheitswert erneut zum 21. Juni 1948 fort. Ausgelöst wurde diese Wertfortschreibung durch die Vermietung eines Teils des Grundstücks an den Kunststeinbetrieb. Das Finanzamt nahm jetzt an, daß der neu festzustellende Wert nunmehr den Grund und Boden und einen anteiligen Wert des kriegszerstörten Gebäudes umfassen müsse. Die Fortschreibung ergab einen Einheitswert von 23.500 DM. Dieser Wert wurde im Einspruchsverfahren auf 26.500 DM erhöht, auf die Berufung hin vom Finanzgericht jedoch auf 21.600 DM herabgesetzt.

Die Bf. vertraten in der Berufung die Auffassung, daß die erneute Fortschreibung des Einheitswerts zum 21. Juni 1948 deswegen unzulässig sei, weil seit der Fortschreibung zum 1. Januar 1946 keine Veränderung am Grundstück eingetreten sei. Dieser Einwand wird in der Rechtsbeschwerde im Hinblick auf die inzwischen bekanntgewordene Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (insbesondere der Urteile III 107/50 S vom 22. November 1951, Bundessteuerblatt - BStBl. - 1952 III S. 1 und III 110/50 S vom 24. Januar 1952, BStBl. 1952 III S. 84) nicht mehr aufrechterhalten; behauptet wird aber, daß eine erneute Fortschreibung aus anderen Gründen nicht zulässig und nicht notwendig sei. Das strittige Grundstück sei durch Kriegseinwirkung so stark beschädigt worden, daß es nicht mehr benutzbar gewesen sei. Das Finanzamt habe daher mit Recht bei der Wertfortschreibung zum 1. Januar 1946 unter sinngemäßer Anwendung des § 2 Abs. 1 des Fortschreibungsgesetzes nur den Wert des Grund und Bodens angesetzt. Die spätere nur 3 1/2 Jahre dauernde Vermietung an den Kunststeinbetrieb dürfe nicht dazu führen, das Grundstück nunmehr als Grundstück mit nur teilweiser Zerstörung der Gebäude nach § 3 Abs. 1 des Fortschreibungsgesetzes zu behandeln; denn das Grundstück sei auch nach seiner teilweisen Vermietung an den Kunststeinbetrieb als "infolge von Kriegsschäden nicht mehr benutzbar" im Sinne des § 2 Abs. 1 des Fortschreibungsgesetzes anzusehen, weil es nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (Urteil III 64/51 U vom 22. November 1951, BStBl. 1952 III S. 3) darauf ankomme, daß das Grundstück für seine ursprüngliche Zweckbestimmung nicht mehr benutzbar sei. Das sei der Fall. Das Grundstück habe vor der Zerstörung dem Betrieb einer Gastwirtschaft gedient. Nach der Zerstörung sei es für diesen Zweck nicht mehr benutzbar gewesen. Der Kunststeinbetrieb habe in den Ruinen ausgeübt werden können. Vor allem seien die großen ebenen Flächen des früheren Saals und des Wirtshausgartens verwendbar gewesen. Bei diesem Gewerbezweig habe es nichts geschadet, daß durch die Decke der Ruine das Wasser gedrungen sei; auch das Fehlen von Türen und Fenstern habe nichts ausgemacht. Im übrigen sei auch der Ansatz einer Jahresrohmiete von 2.160 DM nicht begründet. Einmal habe die Preisbehörde in den Mietpreis von 1.113,80 DM für anteilige Kellerräume Freiland von 2000 qm mit einbezogen. Die Vermietung an den Kunststeinbetrieb sei von Anfang an nur als vorübergehend betrachtet worden. Zudem sei der Mieter ständig mit der Miete im Rückstand gewesen.

 

Entscheidungsgründe

Die Rechtsbeschwerde ist zu einem Teil begründet.

Bei der Prüfung der Rechtsbeschwerde ist davon auszugehen, daß zum 1. Januar 1946 eine unanfechtbar gewordene Feststellung über den Einheitswert vorliegt. Diese Feststellung, an die der erkennende Senat gebunden ist, bildet auch nicht den Gegenstand des Rechtsstreits. Zu prüfen bleibt jedoch, ob im Anschluß an diese Wertfortschreibung eine weitere Wertfortschreibung auf den 21. Juni 1948 stattzufinden hat und ob hierbei die Vorschriften des Fortschreibungsgesetzes vom 10. März 1949 angewendet werden können. Die Vorinstanz ist der Auffassung, daß eine Wertfortschreibung nach Abschn. 1 des Fortschreibungsgesetzes im vorliegenden Fall nicht in Betracht komme, weil seit dem letzten Feststellungszeitpunkt (1. Januar 1946) Kriegssachschäden oder Sachschäden infolge von Maßnahmen der Besatzungsmächte an dem Grundstück der Bf. nicht entstanden seien. Es könne daher nur eine Fortschreibung nach Abschn. II in Betracht kommen, d. h. es müßten die dort (ß 4 Abs. 2) vorgeschriebenen Wertgrenzen überschritten werden. Dieser Auffassung kann nicht beigetreten werden. Die Wertfortschreibung des kriegsbeschädigten und kriegszerstörten Grundbesitzes ist seinerzeit durch verschiedene Maßnahmen eingeschränkt worden (Erlaß des Reichsministers der Finanzen vom 8. Oktober 1941 L 1137 - 3 III, Reichssteuerblatt 1941 S. 761 und § 6 Abs. 3 der Durchführungsbestimmungen zum Kontrollratgesetz Nr. 13 vom 18. Februar 1947, Steuer- und Zollblatt 1947 S. 18). Die Grundlagen des Erlasses vom 8. Oktober 1941 sind mit dem Zusammenbruch des Reiches weggefallen; die Beschränkung der Wertfortschreibung der Einheitswerte des kriegsbeschädigten und kriegszerstörten Grundbesitzes durch § 6 Abs. 3 der Durchführungsbestimmungen zum Kontrollratgesetz Nr. 13 sind unwirksam (Urteil des Bundesfinanzhofs III 107/50 S vom 22. November 1951, BStBl. 1952 III S. 1). Demgemäß konnte das Finanzamt auch im vorliegenden Fall entsprechend der Verwaltungsanweisung des Landesfinanzamts zu einer Fortschreibung des Einheitswerts auf den 1. Januar 1946 kommen. Die sinngemäße Anwendung der Vorschriften des Abschn. 1 des Fortschreibungsgesetzes hierbei kann aber nicht dazu führen, eine weitere Wertfortschreibung zum 21. Juni 1948 nach den gleichen Vorschriften auszuschließen. Der Zweck des Fortschreibungsgesetzes ist, auf den Währungsstichtag in den Fällen des kriegszerstörten und kriegsbeschädigten Grundbesitzes (Abschn. I) und in den anderen Fällen (Abschnitt II) für den Lastenausgleich zu gleichmäßigen Werten zu kommen. Dieses Ziel würde nicht erreicht werden, wollte man für den kriegsbeschädigten oder kriegszerstörten Grundbesitz, obwohl die Kriegsbeschädigung oder Kriegszerstörung noch vorliegt und noch nicht ganz oder teilweise beseitigt ist, eine erforderlich werdende weitere Wertfortschreibung nach Abschn. 1 des Fortschreibungsgesetzes ausschließen. Das will offenbar auch die Vorinstanz nicht; denn sie hat ebenfalls bei ihrer Entscheidung die Vorschriften des Abschn. 1 des Fortschreibungsgesetzes zugrunde gelegt.

Die weitere Frage ist, ob im vorliegenden Falle überhaupt die Voraussetzungen für eine Wertfortschreibung zum 21. Juni 1948 gegeben sind. Die Bf. bezweifeln dies. Es trifft zu, daß das Finanzamt bei der Wertfortschreibung zum 1. Januar 1946 angenommen hat, die Restgebäude des Grundstücks seien nicht mehr benutzbar (Fall des § 2 Abs. 1 des Fortschreibungsgesetzes). Dies schließt aber nicht aus, auf einen späteren Stichtag davon auszugehen, daß die Restgebäude des Grundstücks noch benutzbar sind (Fall des § 3 Abs. 1 des Fortschreibungsgesetzes). Das müßte z. B. geschehen, wenn die ursprüngliche Annahme, die Restgebäude des Grundstücks seien nicht mehr benutzbar, falsch gewesen ist oder wenn ein bisher nicht zugänglicher und daher nicht benutzbarer Gebäudeteil durch Beseitigung von Schutt zugänglich und benutzbar gemacht wird. Wenn sich im Fall der Bf. herausgestellt hat, daß die Gebäudereste - entgegen der ursprünglichen Annahme des Finanzamts - doch noch benutzbar waren, so bestehen keine Bedenken, hieraus die Folgerungen zu ziehen. Darauf, daß die Gebäude speziell für den Betrieb einer Gastwirtschaft, der sie ursprünglich gedient haben, benutzbar sein müßten, kann es nicht entscheidend ankommen. Es muß genügen, wenn die allgemeine Zweckbestimmung der Gebäude, durch räumliche Umschließung Personen, Tieren oder Sachen Schutz gegen äußere Einflüsse zu gewähren, erfüllt ist. Nur muß die Einschränkung gemacht werden, daß Gebäudereste nicht schon dann als noch benutzbar anzusehen sind, wenn sie nur für einen ganz ausgefallenen Zweck noch benutzbar wären. Als benutzbar können sie nur dann angesehen werden, wenn sie für einen größeren Kreis von Interessenten üblicherweise noch verwendbar sind. Im vorliegenden Fall spricht sehr vieles dafür, daß die vorhandenen Gebäudereste und insbesondere die großen Keller noch benutzbar waren. Das Finanzgericht, an das die Sache zurückverwiesen wird, wird die strittige Frage unter Beachtung obiger Ausführungen nochmals zu prüfen haben.

Bezüglich der Feststellung des Einheitswerts kann der Vorinstanz nicht in allen Punkten gefolgt werden. Zutreffend ist der Wert aus der Summe des Bodenwertanteils und des anteiligen Wertes der Gebäude in ihrem Zustand am 21. Juni 1948 ermittelt worden (ß 3 Abs. 1 des Fortschreibungsgesetzes). Der Wertanteil, mit dem der Grund und Boden in dem früheren Einheitswert von 68.000 RM enthalten ist, beträgt 12.920 DM. Dieser Wertanteil ist nicht bestritten. Die Vorinstanz hat noch einen Abschlag wegen starker Belastung des Grundstücks mit Trümmern zuerkannt. Den Abschlag hat sie mit 10 v. H. bemessen, so daß sich ein Betrag von 11.630 DM für den Grund und Boden ergab. Die Bemessung des Abschlags ist eine Tatsachenwürdigung, die für den Bundesfinanzhof bindend ist. Bei der Berechnung des anteiligen Wertes der kriegsbeschädigten Gebäude hat die Vorinstanz den Grad der Beschädigung auf Grund der Jahresrohmieten ermittelt. Sie hat dabei das Verhältnis der Jahresrohmiete nach dem Stand vom 21. Juni 1948 (2.160 DM eigentliche Jahresrohmiete + 54 DM städtische Gebühren = 2.214 DM) zur Jahresrohmiete vom 1. Januar 1935 (8.505 RM) zugrunde gelegt und den Grad der Zerstörung auf 26 v. H. festgestellt. Danach ergab sich ein Wert von 14.320 DM (26 v. H. von 55.080 DM). Von diesem Wert hat sie noch einen Abschlag von 30 v. H. (4.296 DM) zugelassen, so daß ein Gebäuderestwert von 10.024 DM verblieb. Diese Berechnungsmethode, die der Vorschrift des § 3 Abs. 3 und 4 des Fortschreibungsgesetzes entspricht und regelmäßig auch bei Mietwohngrundstücken und gemischtgenutzten Grundstücken das Richtige trifft, wird den vorliegenden, besonders gelagerten Verhältnissen nicht gerecht. Das ergibt sich daraus, daß bei dem strittigen Grundstück die Grundfläche unverhältnismäßig groß ist und die nach dem Stand vom 21. Juni 1948 festgestellte Jahresrohmiete sich ganz offensichtlich nur zu einem Teil auf eine Gebäudenutzung (Erdgeschoß des Hauptgebäudes und Keller), zum anderen Teil aber auf eine Nutzung von Grundflächen (ehemaliger Gartensaal und Garten) bezieht. Die Bf. haben mit Recht auf diesen Punkt hingewiesen und hervorgehoben, daß der Zerstörungsgrad eines bebauten Grundstücks nicht ohne weiteres mit der Restnutzbarkeit übereinstimmt. Die Sache ist nicht spruchreif. Die Vorinstanz, an die die Sache zur nochmaligen Prüfung zurückverwiesen wird, wird zu ermitteln haben, in welchem Verhältnis die auf Gebäudenutzung entfallende Jahresrohmiete nach dem Stand vom 21. Juni 1948 (unter Berücksichtigung der Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935) zu der auf die Gebäude treffende Jahresrohmiete vom 1. Januar 1935 steht. Auf den nicht vollständigen Eingang der Miete, den die Bf. noch geltend machen, kann es nicht ankommen; denn die der Bewertung zugrunde liegenden Jahresrohmieten sind "Sollmieten" und keine "Istmieten".

 

Fundstellen

Haufe-Index 407791

BStBl III 1954, 2

BFHE 1954, 226

BFHE 58, 226

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