Entscheidungsstichwort (Thema)
Schätzung bei Spielcasino; Verzicht auf Unmittelbarkeit der Beweiserhebung
Leitsatz (NV)
1. Auf die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung kann verzichtet werden.
2. Es widerspricht nicht den Grundsätzen einer Umsatz- und Gewinnschätzung, den erhöhten Umsatz als Mehrgewinn anzusehen.
Normenkette
FGO § 155; ZPO § 295; AO 1977 § 162 Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) betrieb in der Zeit vom 1. Mai 1973 bis 29. Februar 1976 ein Spielcasino, in dem auch Getränke ausgeschenkt wurden. Für die Streitjahre 1973 bis 1975 erklärte er folgende Besteuerungsgrundlagen:
1973 1974 1975
DM DM DM
Umsatz ohne Eigenverbrauch . . . . . . . . .
Gewinn lt. berichtigter Gewinn- u. Verlustrechnung . . . . . . . . .
Auf Grund einer Kontrollmitteilung erfuhr der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt - FA -), daß der Kläger dem Eigentümer des Hauses, in dem das Casino betrieben wurde, ein Darlehen von . . . DM gegeben hatte. Darauf ermittelte die Steuerfahndungsstelle (Steufa) im Jahre 1980 beim Kläger. Es ergab sich, daß der Kläger Grundaufzeichnungen wie Kassenberichte, Abrechnungen der Croupiers und der Büfetthilfen nicht aufbewahrt hatte. Die Steufa vernahm 13 Zeugen, darunter 9 frühere Arbeitnehmer des Klägers. Auf der Grundlage der Zeugenaussagen über die täglichen Mindestumsätze, Maximalumsätze und Durchschnittsumsätze führte der Prüfer eine Umsatzverprobung durch. Prüfer und FA folgerten daraus, daß der Kläger wesentlich höhere Betriebseinnahmen erzielt hatte, als in seinen Steuererklärungen angegeben.
Das FA erließ auf der Grundlage des Fahndungsberichts geänderte Steuerbescheide, aus denen sich für die Streitjahre 1973 bis 1975 Nachforderungen von . . . DM für Einkommensteuer, Gewerbesteuer und Umsatzsteuer (ohne Nebensteuern) ergaben.
In dem nach erfolglosem Einspruchsverfahren eingeleiteten Klageverfahren erklärte sich der Kläger mit der Verwertung der Zeugenaussagen aus dem Steuerfahndungsverfahren durch das Finanzgericht (FG) einverstanden. Das FG forderte ihn auf, weitere Zeugen zu benennen. Dieser Aufforderung kam der Kläger jedoch nicht nach.
Das FG setzte die Umsatzsteuer des Veranlagungszeitraums 1975 um . . . DM, die Einkommensteuer der Veranlagungszeiträume 1974 und 1975 um . . . DM und um . . . DM und die Gewerbesteuer der Erhebungszeiträume 1973, 1974 und 1975 um . . . DM, . . . DM und . . . DM herab. Im übrigen wies es die Klage als unbegründet ab.
Mit seiner Revision rügt der Kläger Verletzung von Verfahrensrecht und von materiellem Recht. Die Begründung des angefochtenen Urteils verstoße gegen die allgemeinen Denkgesetze. Er habe keine Einnahmen verkürzt aufgezeichnet. Vielmehr habe er die ihm von seinen Angestellten übergebenen Abrechnungen in seine Steuererklärungen übernommen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unbegründet und war deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO -).
1. Die Beweiserhebung des FG verstieß nicht gegen verfahrensrechtliche Vorschriften.
Zwar sind Zeugen vom Gericht grundsätzlich selbst zu vernehmen, damit das Gericht sich selbst ein Bild von der Glaubwürdigkeit der einzelnen Zeugen machen kann (Urteil des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 13. Dezember 1985 VI R 190/82, BFHE 145, 549, BStBl II 1986, 486; Gräber / Koch, Finanzgerichtsordnung, § 81, Rdnr. 8, Tipke / Kruse, Abgabenordnung - Finanzgerichtsordnung, 13. Aufl., § 81 FGO Tz. 6). Auf die Unmittelbarkeit der Beweiserhebung kann jedoch durch die Beteiligten verzichtet werden (§ 155 FGO i. V. m. § 295 der Zivilprozeßordnung - ZPO -; BFH-Urteil vom 18. November 1971 VIII 21/65, BFHE 104, 409, BStBl II 1972, 399; Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts - BVerwG - vom 17. November 1972 IV C 41.68, BVerwGE 41, 174; Ziemer /Haarmann / Lohse / Beermann, Rechtsschutz in Steuersachen, Rdnr. 8193).
Im Streitfall hat der klägerische Vertreter am 7. Juli 1983 mündlich auf die unmittelbare Vernehmung der vom Steuerfahndungsdienst vernommenen Zeugen verzichtet. Der Kläger hat sich auf die schriftliche Bestätigung dieses Verzichtes durch das FG im Schreiben vom 1. August 1983 nicht geäußert und in der mündlichen Verhandlung am 1. Dezember 1983 keinen Antrag auf Vernehmung der betreffenden Zeugen gestellt. Bei dieser Sachlage liegt ein wirksamer Verzicht auf das Rügerecht vor (BFH-Urteile vom 18. April 1972 VIII R 40/66, BFHE 105, 325, BStBl II 1972, 572; vom 26. Januar 1977 I R 163/74, BFHE 121, 286, BStBl II 1977, 348).
2. Das FA und das FG waren berechtigt, die Umsätze und Gewinne des Klägers für die Streitjahre zu schätzen.
Eine Schätzung der Besteuerungsgrundlagen ist gemäß § 162 Abs. 2 Satz 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geboten, wenn der Steuerpflichtige Bücher oder Aufzeichnungen nicht vorlegen kann, die er nach den Steuergesetzen zu führen hat, oder wenn die Buchführung oder die Aufzeichnungen der Besteuerung nicht nach § 158 AO 1977 zugrunde zu legen sind.
Beide Voraussetzungen liegen im Streitfall vor.
Nach den für das Revisionsgericht bindenden (§ 118 Abs. 2 FGO) und auch vom Kläger nicht bestrittenen Feststellungen des FG bewahrte der Kläger die Kassenberichte und die Abrechnungen der Croupiers und Büfetthilfen nicht auf. Diese Aufzeichnungen sind jedoch in einem fast ausschließlich Bargeschäfte tätigenden Gewerbebetrieb unerläßliche Grundlage der Umsatz- und Gewinnermittlung (vgl. BFH-Urteil vom 20. Oktober 1971 I R 63/70, BFHE 104, 154, BStBl II 1972, 273; BFH-Urteil vom 20. Juni 1985 IV R 41/82, BFH/NV 1985, 12).
3. Die Würdigung der Zeugenaussagen durch das FG ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beweiswürdigung bindet das Revisionsgericht, soweit nicht Verstöße gegen die Verfahrensordnung, gegen die Denkgesetze oder gegen allgemeine Erfahrungssätze vorgekommen sind (BFH-Urteil vom 16. März 1982 VI R 25/80, BFHE 133, 479, BStBl II 1982, 422; Gräber / Ruban, a. a. O., § 118 Rdnr. 20, 21).
Derartige Verstöße liegen weder in der Umsatz- noch in der Gewinnschätzung des FG.
a) Es verstößt nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze, wenn das FG aus den Zeugenaussagen abgeleitet hat, daß das sog. Kartengeld durchschnittlich mindestens 1 200 DM pro Spieltag betrug. Nachdem die Aussagen der Zeugen A, B und C einen durchschnittlichen Dreischichtenumsatz von 1 200 DM bis 1 500 DM bekundeten und die Zeugen D und E sich an einzelne Schichten ohne Umsatz, aber auch an Schichten in Spitzenzeiten mit Umsätzen von 800 DM bis 1 300 DM erinnerten, verstieß die Schätzung des FG mit durchschnittlich 1 200 DM für drei Schichten weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze. Es entspricht auch Denkgesetzen und Erfahrungssätzen, diese durchschnittlichen Umsätze mit der Zahl der tatsächlichen Spieltage zu vervielfachen, um den Jahresumsatz zu ermitteln. Mit dem vom FG vorgenommenen Abschlag von 10 v. H. zur Berücksichtigung des verzögerten Anlaufs des Betriebs nach behördlicher Schließung hielt sich das FG ebenfalls im Rahmen anerkannter Denkgesetze und Erfahrungssätze.
Gleiches gilt für die Getränkeumsätze. Nachdem die Aussagen von drei Zeugen über den durchschnittlichen täglichen Getränkeumsatz nur zwischen 225 DM und 300 DM schwankten, konnte das Gericht ohne Rechtsfehler von einem durchschnittlichen Umsatz von 250 DM ausgehen. Auch insoweit hat das Gericht den durchschnittlichen Tagesumsatz zutreffend mit der Zahl der tatsächlichen Spieltage multipliziert.
b) Auch die Gewinnschätzung auf der Grundlage der Zeugenaussagen verstößt weder gegen Denkgesetze noch gegen Erfahrungssätze.
Es entspricht den Grundsätzen einer Umsatz- und Gewinnschätzung, den erhöhten Umsatz als Mehrgewinn anzusetzen, da davon auszugehen ist, daß die tatsächlich entstandenen Ausgaben bereits in den Steuererklärungen berücksichtigt sind. Es kann im Streitfall dahingestellt bleiben, ob es diesen Grundsätzen entsprach, Kartengeldprovisionen für Croupiers in Höhe von 10 v. H. des Kartengelds als zusätzliche Betriebsausgaben zu berücksichtigen. Die Nichtanerkennung dieser vom FG berücksichtigten Ausgaben würde zu einer Erhöhung der festgesetzten Ertragsteuern führen und deshalb gegen das in ständiger Rechtsprechung anerkannte ,,Verböserungsverbot" verstoßen (BFH-Urteil vom 18. Dezember 1970 VI R 313/68, BFHE 102, 202, BStBl II 1971, 591; Tipke / Kruse, a. a. O., § 118 FGO Tz. 64; Gräber /von Groll, a. a. O., § 96 Rdnr. 5).
Gleiches gilt für die vom FG überhöht berücksichtigten Gewerbesteuerrückstellungen für 1973 und 1974. Eine Kürzung auf die tatsächlich ermittelten Gewerbesteuerbeträge würde zu einer Erhöhung der Bemessungsgrundlage der Einkommensteuer und damit zu einer unzulässigen Verböserung führen.
Fundstellen
Haufe-Index 62515 |
BFH/NV 1991, 356 |