Entscheidungsstichwort (Thema)
(Einkommensteuerrechtliche Behandlung von vergeblichen Vorauszahlungen, Baumängeln, Prozeßkosten, Aufwendungen zur Mängelbeseitigung und Minderungsansprüchen nach Konkurs des Bauunternehmers)
Leitsatz (amtlich)
1. Ein Bauherr kann Vorauszahlungen auf Herstellungskosten, für die er infolge Konkurses des Bauunternehmers keine Bauleistungen erhalten hat und die er auch nicht zurückerlangen kann, als Werbungskosten nach § 9 Abs.1 Satz 1 EStG abziehen (Anschluß an den Beschluß des Großen Senats des BFH vom 4.Juli 1990 GrS 1/89, BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830). Der erkennende Senat hält insoweit nicht mehr an seinem Urteil vom 24.März 1987 IX R 31/84 (BFHE 149, 552, BStBl II 1987, 695) fest.
2. Vorauszahlungen sind insoweit nicht mehr als Werbungskosten abziehbar, sondern zu den Herstellungskosten des Gebäudes zu rechnen, als ihnen Herstellungsleistungen des Bauunternehmers gegenüberstehen, selbst wenn diese mangelhaft sind (Anschluß an den Beschluß des Großen Senats in BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830).
3. Baumängel vor Fertigstellung eines Gebäudes rechtfertigen keine Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung nach § 7 Abs.1 Satz 4 EStG (Anschluß an das Senatsurteil vom 24.März 1987 IX R 17/84, BFHE 149, 548, BStBl II 1987, 694).
4. Aufwendungen zur Beseitigung von Baumängeln vor Fertigstellung des Gebäudes sind keine sofort abziehbaren Werbungskosten, sondern gehören zu den Herstellungskosten des Gebäudes (Anschluß an das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 149, 548, BStBl II 1987, 694).
Orientierungssatz
1. Prozeßkosten teilen als Folgekosten das rechtliche Schicksal der Aufwendungen, um die gestritten wurde (vgl. BFH-Urteil vom 1.12.1987 IX R 134/83).
2. Eine Absetzung für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung setzt entweder eine Substanzeinbuße eines bestehenden Wirtschaftsgutes (technische Abnutzung) oder eine Einschränkung seiner Nutzungsmöglichkeit (wirtschaftliche Abnutzung) voraus (Anschluß an BFH-Rechtsprechung).
3. Ein wegen Zahlungsunfähigkeit des Bauunternehmers nicht durchsetzbarer Minderungsanspruch wegen mangelhafter Bauausführung rechtfertigt keinen Werbungskostenabzug nach § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG und auch keine Absetzung für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung nach § 9 Abs. 1 Nr. 7 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 4 und Abs. 4 Satz 3 EStG.
Normenkette
EStG 1979 § 7 Abs. 1 S. 4, Abs. 4 S. 3, § 9 Abs. 1 Sätze 1, 3 Nr. 7; EStG § 9 Abs. 1 Nr. 7
Tatbestand
Die Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger) vereinbarten im Jahre 1979 mit einem Bauunternehmer die Errichtung eines Zweifamilienhauses zu einem Festpreis von 309 000 DM. Der Werklohn sollte in Teilbeträgen jeweils nach Baufortschritt fällig werden. Die Kläger zahlten die erste Rate von 20 v.H. des Festpreises = 61 800 DM vereinbarungsgemäß nach Fertigstellung der Kellerdecke. Die vor Dacheindeckung zu zahlende zweite Rate von 30 v.H. des Festpreises = 92 700 DM leisteten sie bereits vor Fälligkeit. Nach Erhalt der zweiten Rate stellte der Bauunternehmer seine Bautätigkeit ein. Bis dahin hatte dieser --einem von den Klägern in Auftrag gegebenem Sachverständigengutachten zufolge-- 30 v.H. des Auftragsvolumens erbracht, so daß die Kläger 20 v.H. ihrer Vorauszahlungen = 61 800 DM vergeblich geleistet haben.
Wegen dieses Anspruchs erließ das Amtsgericht im Streitjahr 1980 einen Mahn- und sodann einen Vollstreckungsbescheid. Der hiergegen gerichtete Einspruch wurde durch rechtskräftiges Versäumnisurteil des Landgerichts verworfen. Die von den Klägern eingeleiteten Vollstreckungsmaßnahmen scheiterten am Konkurs des Bauunternehmers. Die den Klägern durch diese Rechtsverfolgung entstandenen Kosten beliefen sich auf 4 066 DM. Da der Bauunternehmer bei den von ihm durchgeführten Bauarbeiten gegen die Regeln der Statik verstoßen hatte, entstanden den Klägern weitere Kosten für Reparaturarbeiten von 16 627,06 DM.
Die Kläger beauftragten einen zweiten Bauunternehmer damit, das Bauvorhaben fertigzustellen. Gegen diesen machten sie wegen mangelhafter Bauausführung einen Minderungsanspruch von 14 509 DM geltend, konnten ihn aber wegen dessen Zahlungsunfähigkeit nicht durchsetzen. Das Gebäude wurde im Mai 1980 fertiggestellt. Das Grundstück wurde auf den 1.Januar 1980 als Zweifamilienhaus bewertet.
Die Kläger machten die ausgefallenen Vorauszahlungen von 61 800 DM nebst Kosten der Rechtsverfolgung von 4 066 DM, die Aufwendungen von 16 627 DM zur Beseitigung der statischen Mängel sowie den ausgefallenen Minderungsanspruch von 14 509 DM bei ihrer Einkommensteuerveranlagung für das Streitjahr 1980 vergeblich als Werbungskosten geltend.
Das Finanzgericht (FG) gab ihrer Klage statt und setzte die Einkommensteuer auf 0 DM herab.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) rügt mit seiner vom Bundesfinanzhof (BFH) zugelassenen Revision Verletzung von § 9 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Das FA beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.
Die Kläger beantragen, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Das FA hat während des Revisionsverfahrens wegen der Höhe des Grundfreibetrages und des allgemeinen Tariffreibetrages einen vorläufigen Änderungsbescheid erlassen, den die Kläger zum Gegenstand des Verfahrens gemacht haben (§ 68 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Entscheidungsgründe
Die Revision des FA ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Entscheidung in der Sache selbst (§ 126 Abs.3 Nr.1 FGO).
1. Das FG hat zutreffend die infolge des Konkurses des ersten Bauunternehmers verlorenen Vorauszahlungen der Kläger von 61 800 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gemäß § 9 Abs.1 Satz 1 EStG zum Abzug zugelassen.
a) Vorauszahlungen für Bauleistungen gehören zu den Herstellungskosten erst und insoweit, als der Zahlungsempfänger die geschuldete Herstellungsleistung erbracht hat. Sie gehen nach dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 4.Juli 1990 GrS 1/89 (BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830) hingegen insoweit nicht in die Herstellungskosten ein, als für sie Bauleistungen infolge Konkurses des Bauunternehmers nicht erbracht worden sind. Sie sind als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung abziehbar, soweit die erwartete Gegenleistung ausgeblieben ist und sich die Forderung aus der Vorauszahlung nicht realisieren läßt.
Der erkennende Senat wendet diese Rechtsgrundsätze des Großen Senats unter Aufgabe seiner entgegenstehenden Rechtsprechung lt. Urteil vom 24.März 1987 IX R 31/84 (BFHE 149, 552, BStBl II 1987, 695) an.
b) Danach sind Vorauszahlungen der Kläger in Höhe eines Teilbetrages von 61 800 DM als Werbungskosten abziehbar. Insoweit blieben ihre Vorauszahlungen ohne Gegenleistung; eine Rückzahlung war nicht zu erlangen. Als der erste Bauunternehmer seine Bautätigkeit einstellte, hatten die Kläger bereits 50 v.H. der Bausumme = 154 500 DM auf den vereinbarten Festpreis von 309 000 DM vorausgezahlt. Der Bauunternehmer hatte bis zu diesem Zeitpunkt nach den den Senat bindenden tatsächlichen Feststellungen des FG jedoch nur 30 v.H. der vereinbarten Bauleistungen den Klägern erbracht, so daß sie für 20 v.H. = 61 800 DM ihrer Vorauszahlungen keine Gegenleistung erhielten.
c) Die vergeblichen Vorauszahlungen von 61 800 DM sind nach den Grundsätzen des Beschlusses des Großen Senats in BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 als Werbungskosten im Streitjahr abziehbar.
Eine Vorauszahlung ist nach der Rechtsauffassung des Großen Senats in dem Zeitpunkt als verausgabt i.S. von § 11 Abs.2 EStG anzusehen, in dem deutlich wird, daß sie ohne Gegenleistung bleibt und eine Rückzahlung nicht zu erlangen ist. Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG stand für die Kläger im Jahre 1980 endgültig fest, daß die erwartete Gegenleistung ausbleiben werde und sich ihre Forderung aus der Vorauszahlung nicht realisieren lasse. Sie machten im Streitjahr den Teilbetrag von 61 800 DM vergeblich gegen den Bauunternehmer geltend. Von ihnen eingeleitete Vollstreckungsmaßnahmen scheiterten am Konkurs des Bauunternehmers.
2. Das FG hat zutreffend als Werbungskosten nach § 9 Abs.1 Satz 1 EStG auch die Prozeßkosten von 4 066 DM zum Abzug zugelassen, die den Klägern durch die gerichtliche Geltendmachung ihrer ohne Gegenleistung gebliebenen Vorauszahlungen von 61 800 DM entstanden waren. Denn Prozeßkosten teilen als Folgekosten das rechtliche Schicksal der Aufwendungen, um die gestritten wurde (Senatsentscheidung vom 1.Dezember 1987 IX R 134/83, BFHE 152, 237, BStBl II 1988, 431).
3. Die Vorentscheidung ist jedoch deswegen aufzuheben, weil das FG auch die Kosten in Höhe von 16 627 DM, die den Klägern infolge der fehlerhaften Statik entstanden, als Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung zum Abzug zugelassen hat. Insoweit können die Kläger weder Vorauszahlungen als Werbungskosten nach § 9 Abs.1 Satz 1 EStG abziehen (a), noch Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung gemäß § 7 Abs.1 Satz 4 EStG in Anspruch nehmen (b). Schließlich können sie auch die Reparaturkosten von 16 627 DM nicht als Erhaltungsaufwand geltend machen (c).
a) Vorauszahlungen sind insoweit nicht mehr als Werbungskosten gemäß § 9 Abs.1 Satz 1 EStG abziehbar, sondern zu den Herstellungskosten des Gebäudes zu rechnen, als ihnen Herstellungsleistungen des Bauunternehmers gegenüberstehen. Dies gilt auch dann, wenn der Bauunternehmer schlecht geleistet hat. Nach dem Beschluß des Großen Senats in BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 Abschn.C III 1 c, aa, cc der Gründe, läßt ein Ungleichgewicht zwischen Leistung und Gegenleistung den Charakter der Aufwendungen als Herstellungskosten unberührt. Entscheidend ist danach nur, daß eine dem Herstellungsvorgang zuzurechnende Leistung tatsächlich erbracht worden ist. Hingegen ist es ohne Bedeutung, ob diese vertragsgemäß oder mangelhaft ist.
Nach diesen Grundsätzen können die Kläger von den geleisteten Vorauszahlungen in Höhe von 50 v.H. der Bausumme = 154 500 DM --außer den bereits oben unter Abschn.1 als Werbungskosten erkannten 20 v.H. = 61 800 DM-- nicht noch zusätzlich 16 627 DM im Hinblick auf die mangelhafte Statik als Werbungskosten nach § 9 Abs.1 Satz 1 EStG abziehen; denn der Bauunternehmer hat Herstellungsleistungen in Höhe von 30 v.H. des Gesamtbauvolumens tatsächlich erbracht. Es ist unerheblich, daß seine Bauarbeiten mangelhaft waren.
b) Die mangelhafte Leistung des Bauunternehmers während der Bauausführung rechtfertigt auch keine Absetzungen für außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Abnutzung (AfaA) gemäß § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.7 i.V.m. § 7 Abs.1 Satz 4 und Abs.4 Satz 3 EStG.
Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH, der sich der erkennende Senat angeschlossen hat, setzt eine AfaA entweder eine Substanzeinbuße eines bestehenden Wirtschaftsgutes (technische Abnutzung) oder eine Einschränkung seiner Nutzungsmöglichkeit (wirtschaftliche Abnutzung) voraus (vgl. zuletzt BFH-Urteil vom 31.Januar 1992 VI R 57/88, BFHE 166, 502, BStBl II 1992, 401, zum merkantilen Minderwert eines unfallbeschädigten PKW; Urteile des erkennenden Senats in BFHE 149, 552, BStBl II 1987, 695; vom 24.März 1987 IX R 17/84, BFHE 149, 548, BStBl II 1987, 694, und vom 24.März 1987 IX R 39/86, BFH/NV 1987, 763). Außerdem hat der VIII.Senat des BFH in seinem unveröffentlichten Urteil vom 24.Februar 1976 VIII R 83/71 eine AfaA nur unter der Voraussetzung anerkannt, daß ein von außen kommendes Ereignis unmittelbar körperlich auf das Wirtschaftsgut einwirkt. Diese Voraussetzungen sind bei mangelhaften Bauleistungen an einem noch nicht fertiggestellten Gebäude nicht erfüllt.
c) Die Kläger können ihre Aufwendungen von 16 627 DM zur Ausbesserung der mangelhaften Statik auch nicht als sofort abziehbaren Erhaltungsaufwand geltend machen. Wie der erkennende Senat in seinem Urteil in BFHE 149, 548, BStBl II 1987, 694 im einzelnen ausgeführt hat, bilden Aufwendungen zur Beseitigung von Baumängeln, die bereits vor Fertigstellung des Gebäudes aufgetreten sind, keine als Erhaltungsaufwand sofort abziehbaren Werbungskosten bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung, sondern gehören zu den Herstellungskosten des Gebäudes. Hieran hält der erkennende Senat fest. Seine Entscheidung wird durch den Beschluß des Großen Senats in BFHE 160, 466, BStBl II 1990, 830 nicht berührt; denn der Große Senat hatte nicht über die steuerliche Behandlung von Reparaturaufwendungen vor Fertigstellung des Gebäudes, sondern die Frage entschieden, ob vom Besteller geleistete Vorauszahlungen insoweit als Werbungskosten abziehbar sind, als ihnen keine Herstellungsleistungen des Bauunternehmers gegenüberstehen.
4. Die Kläger können schließlich auch nicht den wegen Zahlungsunfähigkeit des zweiten Bauunternehmers nicht durchsetzbaren Minderungsanspruch von 14 509 DM als Werbungskosten gemäß § 9 Abs.1 Satz 1 EStG abziehen. Insoweit gelten die Ausführungen zu Abschn.3 entsprechend. Das Ungleichgewicht von Leistung und Gegenleistung läßt den Charakter der Aufwendungen als Herstellungskosten nach den vorstehenden Ausführungen unberührt. Die dem Minderungsanspruch zugrunde liegenden Baumängel rechtfertigen auch keine AfaA nach § 9 Abs.1 Satz 3 Nr.7 i.V.m. § 7 Abs.1 Satz 4 und Abs.4 Satz 3 EStG.
Nach allem war die Vorentscheidung aufzuheben, da sie teilweise von anderen Rechtsgrundsätzen ausgegangen war.
5. Die Sache ist spruchreif. Nach den vorstehenden Ausführungen sind entgegen der Auffassung des FA weitere Werbungskosten der Kläger aus Vermietung und Verpachtung von 61 800 DM und 4 066 DM nach § 9 Abs.1 Satz 1 EStG abziehbar. Im übrigen ist die Klage als unbegründet abzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 64332 |
BFH/NV 1992, 68 |
BStBl II 1992, 805 |
BFHE 168, 104 |
BFHE 1993, 104 |
BB 1992, 1707 (L) |
DB 1992, 1861-1863 (LT) |
DStR 1992, 1200 (KT) |
HFR 1992, 689 (LT) |
StE 1992, 487 (K) |