Entscheidungsstichwort (Thema)
Bewertung von Filialgebäuden im Beitrittsgebiet
Leitsatz (NV)
1. Bei der Schätzung des Einheitswerts von im Beitrittsgebiet gelegenen Geschäftsgrundstücken auf den 1. Januar 1935 ist eine Schätzungsmethode, soweit darin die Ermittlung des gemeinen Werts von bebauten Grundstücken auf der Grundlage des Bodenwerts, des Gebäudewerts und des Werts der Außenanlagen vorgesehen ist und jeweils die durchschnittlichen Herstellungskosten für vergleichbare Objekte auf den Stichtag 1. Januar 1935 zugrunde gelegt sind, rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Eine zur Bewertung des Grundbesitzes eines Steuerpflichtigen im Beitrittsgebiet als Erlass der Finanzverwaltung zu Schätzungszwecken ergangene Bewertungsgrundlage, die in Abstimmung mit dem Steuerpflichtigen erarbeitet wurde, ist ihrem Charakter nach einer tatsächlichen Verständigung vergleichbar. Sie entfaltet Bindungswirkung zwischen den Beteiligten und schließt, soweit die Bindungswirkung reicht, eine Bewertung nach anderweitigen Schätzungsgrundlagen aus.
Normenkette
AO 1977 § 162 Abs. 1; BewG § 129; BewG DDR § 10 Abs. 1; RBewDV § 32 Abs. 1 Nr. 2, § 33 Abs. 2 S. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist Eigentümerin eines in den neuen Bundesländern gelegenen Grundstücks, das u.a. mit einem mehrgeschossigen Gebäude nebst Anbau und einem Nebengebäude (Lageplan Nr. 5) bebaut ist. Das Gebäude besteht aus einem Verwaltungsteil und ferner aus Packräumen, deren Anteil am gesamten umbauten Raum 46 v.H. beträgt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) stellte den Einheitswert für das Grundstück durch einen während des Klageverfahrens ergangenen Änderungsbescheid vom 24. Juli 2000 auf den 1. Januar 1996 auf 273 800 DM fest. Der Bewertung legte das FA den Erlass betreffend die Bewertung des Grundbesitzes der Klägerin im Beitrittsgebiet - neue Länder vom 16. September 1997 (Erlass) zugrunde und setzte entsprechend der Anlage 4 des Erlasses einen Raummeterpreis von 24 DM für das Gebäude (Hauptgebäude) und von 12 DM für das Nebengebäude (Lageplan Nr. 5) an. Der Erlass wurde von den Finanzbehörden als einheitliche Bewertungsgrundlage "im Interesse einer vereinfachten Erledigung, der Wahrung der Gleichmäßigkeit der Bewertung und der Vermeidung von Rechtsbehelfen" in Abstimmung mit der Klägerin erarbeitet. Nach den im Erlass für Gebäude aufgeführten Bewertungsmerkmalen ist der Anteil der Packräume --soweit sie sich im Hauptgebäude befinden-- von untergeordneter Bedeutung. Die Klägerin begehrte demgegenüber die Bewertung von Gebäude und Nebengebäude nach Maßgabe des gleichlautenden Ländererlasses der obersten Finanzbehörden der Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen betreffend die Bewertung von Fabrikgrundstücken, Lagerhausgrundstücken, Grundstücken mit Werkstätten und vergleichbaren Grundstücken (Gewerbegrundstücken) im Beitrittsgebiet ab 1. Januar 1991 vom 21. Mai 1993 (BStBl I 1993, 467 --Erlass Gewerbegrundstücke vom 21. Mai 1993--).
Das Finanzgericht (FG) hat der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 118 veröffentlichten Urteil stattgegeben und den Einheitswert antragsgemäß auf 252 500 DM festgestellt. Der Erlass sei zwar eine geeignete Schätzungsgrundlage der durchschnittlichen Herstellungskosten für "Normalbauten" der Klägerin und enthalte im Vergleich zu dem Erlass Gewerbegrundstücke vom 21. Mai 1993 spezifischere Schätzungsgrundlagen. Das fragliche Gebäude sei aber insofern nicht mit den im Erlass genannten Gebäuden vergleichbar, als dort eine untergeordnete Bedeutung der im Hauptgebäude befindlichen Packräume unterstellt werde. Dies treffe auf die Packräume im streitbefangenen Gebäude nicht zu, da sie einen Anteil von 46 v.H. am gesamten umbauten Raum ausmachten. Die Packräume seien deshalb in Anlehnung an den Erlass Gewerbegrundstücke vom 21. Mai 1993 getrennt mit dem von der Klägerin angesetzten Betrag von 15 DM je Raummeter zu bewerten. Das Nebengebäude (Lageplan Nr. 5) sei nach dem Erlass unabhängig von der Geschosszahl als Garage mit 8 DM je Raummeter zu bewerten.
Mit der Revision rügt das FA Verletzung der Grundsätze von Treu und Glauben und der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Das FG habe die die Beteiligten bindende Wirkung des Erlasses verkannt. Im Zuge der dem Erlass vorausgegangenen tatsächlichen Verständigung sei ausdrücklich vereinbart worden, dass bei der Bewertung von …filialen den Packräumen unabhängig von ihrem Größenverhältnis zum Hauptgebäude eine untergeordnete Bedeutung zukomme. Das typisierende, die Finanzverwaltung bindende Bewertungsschema des Erlasses schließe eine individuelle Einzelermittlung der Bewertungsmerkmale in der Klägerin ungünstigen Sachverhaltskonstellationen aus; andernfalls würde die im Erlass gefundene gleichmäßige Verteilung der Typisierungsrisiken einseitig zu Lasten der Finanzverwaltung verschoben.
Das FA beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Revision ist teilweise begründet. Sie führt unter Aufhebung der Vorentscheidung zur anderweitigen Feststellung des Einheitswerts. Das erstinstanzliche Urteil ist insoweit zu korrigieren, als das FG der Bewertung des …filialgebäudes einen vom Erlass abweichenden Raummeterpreis zugrunde gelegt hat. Mit seinem weiter gehenden Antrag kann das FA hingegen keinen Erfolg haben.
1. Nach § 129 Abs. 1 des Bewertungsgesetzes (BewG) gelten für die im Beitrittsgebiet liegenden wirtschaftlichen Einheiten des Grundvermögens und für Betriebsgrundstücke die festgestellten oder noch festzustellenden Einheitswerte nach den Wertverhältnissen zum 1. Januar 1935 weiter. Nach Abs. 2 dieser Vorschrift werden --vorbehaltlich der §§ 129a bis 130 BewG-- für die Ermittlung der Einheitswerte 1935 statt der §§ 27, 64 bis 68 BewG im Einzelnen genannte Bestimmungen des Bewertungsgesetzes der Deutschen Demokratischen Republik (BewG DDR) i.d.F. vom 18. September 1970 (Gesetzblatt der DDR --GBl DDR--, Sonderdruck Nr. 674) und der Durchführungsbestimmungen zum Reichsbewertungsgesetz für die Bewertung des Vermögens nach dem Stand vom 1. Januar 1935 (RBewDB 1935) vom 2. Februar 1935 (RGBl I 1935, 81) weiter angewandt. Danach sind Geschäftsgrundstücke (vgl. § 32 Abs. 1 Nr. 2 RBewDB 1935) mit dem gemeinen Wert zu bewerten (§ 33 Abs. 2 Satz 1 RBewDB 1935). Diesen beschreibt § 10 Abs. 1 BewG DDR als den Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre; dabei sind alle Umstände, die den Preis beeinflussen, zu berücksichtigen und ungewöhnliche oder persönliche Verhältnisse nicht zu berücksichtigen. Hinsichtlich der maßgeblichen Wertverhältnisse bestimmt § 3a RBewDB 1935, dass bei Nachfeststellungen der Einheitswerte für Grundbesitz der tatsächliche Zustand des Grundbesitzes (Bestand, bauliche Verhältnisse usw.) vom Nachfeststellungszeitpunkt und die Wertverhältnisse vom 1. Januar 1935 zugrunde zu legen sind.
Im Streitfall kommt die Bewertung des Grundstücks der Klägerin auf der Grundlage von Jahresrohmieten (§ 33 Abs. 2 Satz 2 RBewDB 1935) nicht in Betracht, da tatsächlich gezahlte Jahresrohmieten für …gebäude zum 1. Januar 1935 nicht vorhanden sind oder sonst ermittelt werden können. Da nach den vom FG getroffenen Feststellungen auch Verkäufe auf den Stichtag 1. Januar 1935 nicht vorliegen, kommt in Anwendung der allgemeinen Grundsätze für die Wertermittlung nur eine Schätzung (§ 162 Abs. 1 der Abgabenordnung --AO 1977--) des am freien Markt erzielbaren Einzelveräußerungspreises in Betracht (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. Oktober 1998 II R 37/97, BFHE 187, 99, BStBl II 1999, 51; BFH-Beschluss vom 24. Juli 2002 II B 52/02, BFH/NV 2003, 8). Für die Schätzung des Grundstückswerts kann nur auf das Sachwertverfahren in Anlehnung an die Regelungen der §§ 83 ff. BewG, die gemäß § 129 Abs. 2 BewG nicht unmittelbar anwendbar sind, zurückgegriffen werden.
Nach diesen Grundsätzen ist die dem Erlass --und ebenso dem Erlass Gewerbegrundstücke vom 21. Mai 1993-- zugrunde liegende Schätzungsmethode, soweit darin die Ermittlung des gemeinen Werts von bebauten Grundstücken auf der Grundlage des Bodenwerts, des Gebäudewerts und des Werts der Außenanlagen vorgesehen ist und jeweils die durchschnittlichen Herstellungskosten für vergleichbare Objekte auf den Stichtag 1. Januar 1935 zugrunde gelegt sind, rechtlich nicht zu beanstanden.
2. Bei der Feststellung des Gebäudewerts des …filialgebäudes ist das FG zu Unrecht von dem im Erlass für mehrgeschossige Gebäude angesetzten einheitlichen Raummeterpreis abgewichen. Das FG hat nicht beachtet, dass die im Erlass festgelegten Raummeterpreise nicht nur für "Normalbauten", sondern aufgrund einer typisierenden Betrachtung für sämtliche …filialgebäude anzuwenden waren.
a) Der Erlass ist eine zu Schätzungszwecken ergangene einheitliche Bewertungsgrundlage der Finanzverwaltung. Er beruht nach den Feststellungen des FG auf einer auf Initiative der Klägerin veranlassten Untersuchung der für die Bewertung in Betracht kommenden Grundstücke der Klägerin und wurde in Abstimmung mit dieser erarbeitet. Diese Bewertungsgrundlage ist ihrem Charakter nach einer tatsächlichen Verständigung vergleichbar. Eine solche ist wirksam, sofern sie nicht zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis führt (BFH-Urteil vom 31. Juli 1996 XI R 78/95, BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625) und entfaltet Bindungswirkung zwischen den Beteiligten nach dem Grundsatz von Treu und Glauben oder als öffentlich-rechtlicher Vertrag (vgl. BFH-Urteile vom 9. August 1989 I R 181/85, BFHE 158, 31, BStBl II 1989, 990; in BFHE 181, 103, BStBl II 1996, 625; vom 24. Januar 2002 III R 49/00, BFHE 198, 12, BStBl II 2002, 408). Soweit diese Bindungswirkung reicht, scheidet eine davon abweichende Bewertung nach einer anderweitigen --etwa einer von der Klägerin selbst gewählten-- Schätzungsgrundlage aus.
b) Entgegen der Auffassung des FG rechtfertigt der Umstand, dass der Anteil der Packräume am gesamten umbauten Raum des fraglichen …filialgebäudes 46 v.H. beträgt, nicht die Annahme, dass das Gebäude mit den in der Anlage 4 des Erlasses genannten Gebäuden --d.h. …filialen und Niederlassungen-- nicht ausreichend vergleichbar ist. Für den Ansatz eines abweichenden (niedrigeren) Raummeterpreises ist im Streitfall kein Raum.
Den im Erlass für Gebäude (Hauptgebäude) angesetzten Raummeterpreisen liegt als Bewertungsmerkmal zugrunde, dass der Anteil der Packräume --soweit sie sich im Hauptgebäude befinden-- von untergeordneter Bedeutung ist. Nach seinem objektiven Wortlaut beschränkt der Erlass die Anwendung dieses Bewertungsmerkmals nicht auf "Normalbauten", sondern erfasst --typisierend-- sämtliche Hauptgebäude mit darin befindlichen Packräumen. Demgemäß ist auch ein Gebäude, dessen umbauter Raum --wie im Streitfall-- nahezu zur Hälfte auf Packräume entfällt, ein im Sinne des Erlasses typisches …filialgebäude. Der ohne weitere Quantifizierung auf den "Anteil der Packräume" abstellende Wortlaut des Erlasses schließt die gesonderte Bewertung der Packräume ohne Rücksicht darauf aus, in welchem Umfang sich durch den Anteil der Packräume bedingte Veränderungen der durchschnittlichen Herstellungskosten ergeben.
Die Anwendung des Erlasses führt nicht deshalb zu einem offensichtlich unzutreffenden Ergebnis, weil sich nach dem Vorbringen der Klägerin die im Erlass fingierte ungeordnete Bedeutung der Packräume im Nachhinein in einer nicht unbedeutenden Zahl von Fällen als unzutreffend erwiesen hat. Derartige Abweichungen sind einer nach Durchschnittssätzen typisierenden Bewertungsgrundlage immanent und liegen im Streitfall innerhalb einer noch vertretbaren Toleranz.
3. Im Übrigen ist die Revision unbegründet. Soweit das FG dem gemeinen Wert des Nebengebäudes (Lageplan Nr. 5) den im Erlass für Garagengebäude angesetzten Raummeterpreis zugrunde gelegt hat, ist die Revision weder den dazu vom FG getroffenen tatsächlichen Feststellungen noch den angewendeten Rechtsgrundlagen entgegengetreten.
Fundstellen
Haufe-Index 1244320 |
BFH/NV 2004, 1626 |