Entscheidungsstichwort (Thema)
Reihengeschäft: erneute Einschaltung des ersten Unternehmers als Abnehmer - Steuerhinterziehung: Täter, mittelbare Täterschaft, Rechtsprechungsänderung des BGH zum Fortsetzungszusammenhang
Leitsatz (amtlich)
Ein Reihengeschäft ist zu verneinen, wenn der erste Unternehmer erneut als Abnehmer vor dem letzten Abnehmer eingeschaltet ist.
Orientierungssatz
1. Das Wesen des Reihengeschäfts liegt darin, daß die tatsächliche Verfügungsmacht vom ersten Unternehmer dem letzten Abnehmer verschafft wird, sich im übrigen die die Lieferungen begründenden Umsatzgeschäfte aber nur "auf dem Papier" abspielen. An einem Reihengeschäft müssen mindestens drei Personen beteiligt sein --der erste Unternehmer, der letzte Abnehmer und mindestens ein Abnehmer in der Reihe.
2. Täter des Tatbestandes des § 370 Abs.1 Nr.2 AO 1977 kann nur derjenige sein, den eine Erklärungspflicht oder Garantenpflicht trifft.
3. Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft setzt Tatherrschaft des mittelbaren Täters und dessen Vorsatz in bezug auf die Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlungen der Steuerhinterziehung voraus. Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört, daß der Täter den bestehenden Steueranspruch kennt und daß er ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will. Vorsätzlich handelt auch, wer es für möglich hält, daß er den Tatbestand verwirklicht oder das billigt oder doch in Kauf nimmt.
4. Die Rechtsprechungsänderung durch den BGH zum Fortsetzungszusammenhang ist für die Anwendung des § 171 Abs.7 AO 1977 von Bedeutung.
Normenkette
AO 1977 § 171 Abs. 7, § 370 Abs. 1 Nr. 2; UStG 1973 § 3 Abs. 2; UStG 1980 § 3 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) ist umsatzsteuerrechtlich Organträger der Firma A-GmbH (A). Diese betreibt u.a. einen Mischkohlehandel.
Die A unterhielt seit Beginn der 70er Jahre geschäftliche Beziehungen zu Unternehmen der B-Gruppe, und zwar der BX, der BY und der BZ. Im Jahre 1973 gewährte die A der BX ein Darlehen in Höhe von 6 Mio DM, das in der Folge bis auf einen Betrag von 4,5 Mio DM zurückgeführt wurde.
Zur Lösung der akuten Finanzprobleme in der B-Gruppe wurde die A in Streckengeschäfte der B-Gruppe eingebunden. Diese Geschäfte wurden dabei beispielsweise wie folgt gestaltet: BX bezog von dritter Seite Kohle unterschiedlicher Qualität und mischte diese für C, den Endabnehmer. Vor Lieferung an diesen verkaufte BX die Kohle, die in ihrem Lager verblieb, über BY an A und kaufte sie von A zurück, um sie an C zu veräußern. Entsprechende Geschäfte wurden auch mit BY und BZ als erster Unternehmer und Abnehmer der A durchgeführt. Für die B-Gruppe ergab sich durch diese Geschäfte ein Finanzierungsvorteil: A beglich die Kaufpreisforderung mit Scheck, während das jeweilige Unternehmen der B-Gruppe Drei-Monats-Wechsel begab.
Die Klägerin machte die der A von dem jeweiligen Unternehmen der B-Gruppe in Rechnung gestellte Umsatzsteuer als Vorsteuer geltend. Sie unterwarf die Umsätze der A durch die Veräußerung der Kohle an die jeweiligen Unternehmen der B-Gruppe der Umsatzsteuer. Diese Handhabung erfuhr im Rahmen durchgeführter Betriebsprüfungen keine Änderung.
Im Jahre 1987 stellte das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung in M Ermittlungen gegen den Kaufmann B an. Im Zuge dieser Ermittlungen wurden u.a. die oben beschriebenen Streckengeschäfte den Ermittlungsbehörden bekannt. Der Prüfer war der Auffassung, daß die Klägerin für die Jahre 1977 bis 1983 Vorsteuerbeträge von insgesamt 6 997 137 DM zu Unrecht in Ansatz gebracht habe. Die von A dem jeweiligen Unternehmen der B-Gruppe in Rechnung gestellte Umsatzsteuer schulde sie nach § 14 Abs.3 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) 1973/1980.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) erließ am 26. Mai 1993 für die Jahre 1977 bis 1981 und am 19. Juli 1993 für 1982 geänderte Umsatzsteuerbescheide. Die dagegen eingelegten Einsprüche hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat die Klage abgewiesen. Es führt im wesentlichen aus, das FA habe die ursprünglichen Umsatzsteuerbescheide nach § 173 Abs.2 der Abgabenordnung (AO 1977) ändern können, da keine Festsetzungsverjährung eingetreten gewesen sei. Ein Reihengeschäft i.S. des § 3 Abs.2 UStG 1973/1980, das die Klägerin zum Vorsteuerabzug berechtigt hätte, sei zu verneinen. Die Mehrfacheinschaltung eines Unternehmers in die Lieferkette stelle den Charakter des Liefergeschäfts als Reihengeschäft grundsätzlich nicht in Frage (Urteil des Reichsfinanzhofs --RFH-- vom 14. Januar 1938 V 49/36, RStBl 1938, 399). Trete allerdings der Erstlieferer an späterer Stelle der angeblichen Lieferkette als Erwerber auf, so seien bis zu diesem nach dem Beschluß des Schleswig-Holsteinischen FG vom 19. November 1979 (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 1980, 53) keine Lieferungen und Erwerbe gegeben. Der Senat lasse offen, ob er dieser Auffassung uneingeschränkt folgen würde, wenn der mehrfachen Einschaltung eines Unternehmers tatsächliche Liefervorgänge zugrunde lägen. Er gehe davon aus, daß die Regelung des § 3 Abs.2 UStG 1973/1980 nur dort eingreife, wo die Beteiligten tatsächlich auch einen Wechsel in der Verfügungsmacht eintreten lassen wollten (so auch Beschluß des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 17. Dezember 1981 V S 20/80, BFHE 135, 92, BStBl II 1982, 279). Dies sei im Streitfall nicht anzunehmen. Unabhängig von der Frage, ob die "gelieferte" Kohle gegenständlich überhaupt existiert habe oder nicht, stehe fest, daß der Erstlieferant (BX, BY oder BZ) generell --nach Einschaltung der A-- als Abnehmer fungiert habe, ohne daß insoweit eine Übertragung der Verfügungsmacht festzustellen gewesen wäre. Den an den Kohlelieferungen beteiligten Unternehmen fehle die Absicht, überhaupt dem jeweiligen Abnehmer in der Reihe die Verfügungsmacht an der Kohle zu übertragen. B, der am 26. Juni 1991 von der Staatsanwaltschaft M zu dem Komplex Mischkohle vernommen worden sei, habe eingeräumt, daß entsprechende Lieferungen nur "auf dem Papier" stattgefunden hätten. Nach Überzeugung des Senats habe danach bei den beteiligten Firmengruppen nie die Absicht bestanden, dem jeweiligen Abnehmer in der Kette tatsächlich die Verfügungsmacht zu verschaffen. Eine Lieferung im umsatzsteuerrechtlichen Sinn habe somit nicht vorgelegen. Das FA sei zu einer Änderung der Festsetzungen berechtigt gewesen. Im Streitfall habe B als mittelbarer Täter Steuerhinterziehung begangen. Mittelbarer Täter sei, wer mit Tatherrschaft einen anderen veranlasse, für ihn die zur Verwirklichung des Straftatbestands notwendigen Handlungen als Teil eines von ihm verfolgten Gesamtplans vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 13. Dezember 1989 I R 39/88, BFHE 159, 188, BStBl II 1990, 340). Die Klägerin sei als Werkzeug zu betrachten, da ihre Verantwortlichen offenkundig bei Abgabe der jeweiligen Umsatzsteuervoranmeldungen nichts von den Umständen der hier in Frage stehenden Gestaltung gewußt hätten. B habe die Verantwortlichen der A auf die Idee der "Lieferkette" gebracht. Von daher liege es nahe, daß diese gemeinsam mit B gehandelt hätten und damit als Mittäter der mittelbaren Täterschaft in Betracht kämen. Sie hätten als Darlehensgläubiger ein gewichtiges Interesse an der Rückführung des Darlehens gehabt. Sie seien es gewesen, die B aufgefordert hätten "sich etwas einfallen zu lassen". Indessen könne der genaue Umfang der Tatbeteiligung auf Seiten der Verantwortlichen der A hier dahinstehen, da jedenfalls B als mittelbarer Täter anzusehen sei. Zwar sei die materiell steuerrechtliche Frage (Vorliegen eines Reihengeschäfts) im Streitfall nicht einfach zu beantworten. Allein der Umstand, daß die umsatzsteuerrechtliche Seite nicht einfach zu klären gewesen sei, hindere aber nicht die Annahme des Vorsatzes.
Mit der vom FG zugelassenen Revision rügt die Klägerin Verletzung des § 3 Abs.2 UStG 1973/1980 und des § 370 AO 1977.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des FG sowie die Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 1977 bis 1982 vom 26. Mai 1993 bzw. 19. Juli 1993, jeweils in Form der Einspruchsentscheidung vom 15. Februar 1994, aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs.3 Nr.2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
Im Ergebnis zutreffend hat das FG zwar einen Vorsteueranspruch der Klägerin deshalb verneint, weil ihrer Organgesellschaft A die Kohle nicht im Rahmen eines Reihengeschäfts geliefert wurde. Die tatsächlichen Feststellungen des FG tragen aber nicht seine Annahme, B habe eine Steuerhinterziehung begangen.
1. Nach § 15 Abs.1 Nr.1 UStG 1973/1980 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind als Vorsteuer abziehen. Lieferungen eines Unternehmers sind gemäß § 3 Abs.1 UStG 1973/1980 Leistungen, durch die er oder in seinem Auftrag ein Dritter den Abnehmer oder in dessen Auftrag einen Dritten befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Nach § 3 Abs.2 UStG 1973/1980 ist ein Reihengeschäft gegeben, wenn mehrere Unternehmer über denselben Gegenstand Umsatzgeschäfte abschließen und diese Geschäfte dadurch erfüllen, daß der erste Unternehmer dem letzten Abnehmer in der Reihe unmittelbar die Verfügungsmacht über den Gegenstand verschafft; dann gilt die Lieferung an den letzten Abnehmer gleichzeitig als Lieferung eines jeden Unternehmers in der Reihe.
An einem Reihengeschäft müssen mindestens drei Personen beteiligt sein --der erste Unternehmer, der letzte Abnehmer und mindestens ein Abnehmer in der Reihe-- (BFH-Beschluß in BFHE 135, 92, BStBl II 1982, 279). Der erste Unternehmer verschafft dem letzten Abnehmer tatsächlich die Verfügungsmacht, indem er ihm wirtschaftlich Wert, Substanz und Ertrag des Gegenstands zuwendet. Die Folge, daß durch diese eine Warenbewegung gleichzeitig Lieferungen zwischen dem ersten Unternehmer und dessen Abnehmer --möglicherweise weiteren Abnehmern in der Reihe-- und dem letzten Abnehmer als ausgeführt gelten, setzt auf diesen Erfolg gerichtete Umsatzgeschäfte über den Gegenstand voraus. Das Umsatzgeschäft umfaßt den Sachverhalt, der dem als Lieferung geltenden Vorgang zugrunde liegt, einschließlich des Verpflichtungsgeschäfts. Der Abnehmer in der Reihe muß zur Annahme einer Lieferung an ihn aus dem Umsatzgeschäft berechtigt und verpflichtet sein (BFH-Urteil vom 14. September 1989 V R 76/84, BFHE 158, 172, BStBl II 1989, 999).
Der Auffassung des FG, wonach im Streitfall ein Reihengeschäft mangels tatsächlicher Liefervorgänge zwischen der A und den Unternehmen der B-Gruppe zu verneinen sei, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Er geht für seine Beurteilung davon aus, daß die Kohle tatsächlich vorhanden war. Anderenfalls wäre ein Reihengeschäft schon mangels eines Gegenstandes der Lieferung zu verneinen.
Das Wesen des Reihengeschäfts liegt darin, daß die tatsächliche Verfügungsmacht vom ersten Unternehmer dem letzten Abnehmer verschafft wird, sich im übrigen die die Lieferungen begründenden Umsatzgeschäfte aber nur "auf dem Papier" abspielen. Daß die A aus den Umsatzgeschäften verpflichtet und berechtigt sein sollte, ergibt sich daraus, daß sie die Kohle zu einem höheren Preis weiterveräußerte.
Die Annahme einer Lieferung an sie im Rahmen eines Reihengeschäfts scheitert gleichwohl, weil sie die Kohle an den ersten Unternehmer in der Reihe veräußert hat. Der Senat braucht nicht zu entscheiden, ob er sich zur Begründung dieser Rechtsfolge der Auffassung von Birkenfeld (UR 1991, 1, 3), wonach der erste Unternehmer nicht als Abnehmer in der Reihe auftreten kann, weil er umsatzsteuerrechtlich nicht die Auslieferung des Gegenstands der Lieferung an sich selbst verlangen kann, oder der Meinung von Giesberts in Rau/Dürrwächter/Flick/Geist (Umsatzsteuergesetz, § 3 Rdnr.199) und Schöll in Sölch/ Ringleb/List (Umsatzsteuergesetz, § 3 Rdnr.75), daß ein und derselbe Lieferungsvorgang nicht eine Lieferung desselben Unternehmers an verschiedene Abnehmer sein könne, oder dem Beschluß des Schleswig-Holsteinischen FG in UR 1980, 53, wonach der erste Unternehmer als Abnehmer innerhalb der Reihe die Ware aus eigenem Recht und nicht mehr auf Veranlassung des Vorlieferanten übertrage, anschließt. Gleich welcher Rechtsauffassung man folgt, ist ein Reihengeschäft jedenfalls bis zu dem Abnehmer in der Reihe, der erster Unternehmer ist, zu verneinen (so auch im Ergebnis Kraeusel in Schwarze/Reiß/ Kraeusel, Umsatzsteuergesetz, Kommentar, § 3 Rdnr.300; Schüle/Teske/Wendt, Kommentar zur Umsatzsteuer, § 3 Rdnr.56).
Mangels Lieferung der Kohle an die A bestand für die Klägerin als Organträger (§ 2 Abs.2 Nr.2 UStG 1973/1980) kein Anspruch auf Abzug der A in Rechnung gestellten Steuer als Vorsteuer. Dadurch, daß der Klägerin der Abzug der Vorsteuer gewährt wurde, hat sie einen ungerechtfertigten Steuervorteil i.S. des § 370 Abs.1, Abs.4 Satz 2 AO 1977 erlangt (vgl. Beschluß des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 22. März 1994 5 StR 91/94, Steuerrechtsprechung in Karteiform --StRK--, Abgabenordnung, § 370, Rechtsspruch 221).
2. Nach § 173 Abs.2 AO 1977 ist die Änderung von Steuerbescheiden, soweit sie aufgrund einer Außenprüfung ergangen sind, nur zulässig, wenn eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung vorliegt. § 169 Abs.1 Satz 1 AO 1977 schließt die Änderung aus, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Soweit eine Steuer hinterzogen ist, beträgt die Festsetzungsfrist 10 Jahre (§ 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977); dies gilt auch dann, wenn ein Dritter die Hinterziehung begangen hat (§ 169 Abs.2 Satz 2 AO 1977; vgl. auch Senatsurteil vom 14. Dezember 1994 XI R 80/92, BFHE 176, 308, BStBl II 1995, 293).
Die Entscheidung des FG zur Änderungsbefugnis des FA hält der revisionsrechtlichen Überprüfung nicht stand. Abgesehen davon, daß nicht nachvollziehbar ist, weshalb bei Annahme einer 10jährigen Verjährungsfrist die Festsetzungsfrist für die Steueransprüche der ersten Streitjahre noch nicht abgelaufen war, tragen die tatsächlichen Feststellungen des FG nicht seine Entscheidung, daß B als mittelbarer Täter vorsätzlich gehandelt hat.
Nach § 370 Abs.1 AO 1977 begeht u.a. eine Steuerhinterziehung, wer 1. den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben macht, oder 2. die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis läßt und dadurch Steuern verkürzt oder für sich oder einen anderen nicht gerechtfertigte Steuervorteile erlangt. In Betracht kommt im Streitfall die Verwirklichung des Tatbestands des § 370 Abs.1 Nr.1 AO 1977 durch B; denn Täter des Tatbestands des § 370 Abs.1 Nr.2 AO 1977 kann nur derjenige sein, den eine Erklärungs- oder Garantenpflicht trifft (vgl. Franzen/Gast/Samson, Steuerstrafrecht, § 370 AO 1977 Rdnr.12 ff., und Kohlmann, Steuerstrafrecht, Kommentar, § 370 AO 1977 Rdnr.74). Eine solche Stellung hatte B in bezug auf die A oder die Klägerin nicht inne.
Steuerhinterziehung in mittelbarer Täterschaft setzt nach dem Urteil des BFH in BFHE 159, 188, BStBl II 1990, 340, auf das der erkennende Senat Bezug nimmt, Tatherrschaft des mittelbaren Täters und dessen Vorsatz in bezug auf die Vornahme der tatbestandsmäßigen Handlungen der Steuerhinterziehung voraus. Er muß den Willen haben, den (Straf-)Tatbestand in Kenntnis aller seiner Tatmerkmale zu erfüllen. Dem FG ist insoweit zuzustimmen, als B --vorausgesetzt er handelte vorsätzlich-- (mittelbarer) Täter, nicht bloßer Gehilfe einer Steuerhinterziehung war. Im Unterschied zu Spendenbelegen, bei denen die Verwendung gegenüber dem FA zweifelhaft sein kann (vgl. BFH-Urteil in BFHE 159, 188, BStBl II 1990, 340), werden Rechnungen mit offenem Umsatzsteuerausweis in der Regel beim FA zur Geltendmachung des Vorsteuerabzugs eingereicht.
Zum Vorsatz der Steuerhinterziehung gehört, daß der Täter den bestehenden Steueranspruch kennt und daß er ihn trotz dieser Kenntnis gegenüber der Steuerbehörde verkürzen will (vgl. BGH-Beschluß vom 19. Mai 1989 3 StR 590/88, StRK, Abgabenordnung, § 370, Rechtsspruch 154). Vorsätzlich handelt auch, wer es für möglich hält, daß er den Tatbestand verwirklicht oder das billigt oder doch in Kauf nimmt (bedingter Vorsatz, vgl. BGH-Urteil vom 7. Dezember 1979 2 StR 315/79, StRK, Abgabenordnung, § 370, Rechtsspruch 21). Die Ausführungen des FG sprechen dafür, daß es bei B den bedingten Vorsatz bejaht hat: B müsse die steuerliche Problematik der gewählten Gestaltung zumindest ansatzweise klar gewesen sein, wenn auch bei ihm der Finanzierungseffekt im Vordergrund gestanden haben dürfte. Es reiche aus, wenn der Täter bei einer Parallelwertung in der Laiensphäre erkenne, daß ein Steueranspruch existiere, auf den er einwirkt. B hätte ohne weiteres erkennen können, daß die rein "papiermäßigen Warenbewegungen" umsatzsteuerrechtliche Konsequenzen haben würden. Er hätte insoweit notwendige Zweifel mit dem FA abklären müssen. B seien die tatsächlichen Voraussetzungen, insbesondere sämtliche Komponenten des Rechnungskreislaufs bekannt gewesen.
Abgesehen davon, daß das FG keine Abgrenzung des bedingten Vorsatzes gegenüber der bloßen Leichtfertigkeit vorgenommen hat (vgl. Kohlmann, a.a.O., § 370 AO 1977 Rdnr.201), decken seine tatsächlichen Feststellungen diese Schlußfolgerungen nicht. Ob und inwieweit B die umsatzsteuerrechtliche Problematik des Reihengeschäfts bewußt geworden ist, läßt sich seiner vom FG in Bezug genommenen Aussage vom 26. Juni 1991, auf die allein sich das FG stützt, nicht entnehmen. B hat damals u.a. auch ausgesagt, daß er der Meinung gewesen sei, es habe sich um ein ganz normales Streckengeschäft gehandelt, das in Ordnung gewesen sei.
Die Sache ist nicht spruchreif. Die Feststellungen des FG lassen keine Entscheidung darüber zu, ob B den subjektiven Tatbestand einer Steuerhinterziehung verwirklicht hat. Die Sache geht zur Nachholung der entsprechenden Feststellungen an das FG zurück. Bei der erneuten Entscheidung wird das FG außer der Frage, ob B nur bewußt fahrlässig gehandelt hat, der weiteren Frage nachzugehen haben, ob er sich in einem den Vorsatz ausschließenden Irrtum befunden hat. Sollte das FG die Steuerhinterziehung durch B bejahen, so wird es auch die Frage der Festsetzungsverjährung zu überprüfen haben. Der Senat weist in diesem Zusammenhang darauf hin, daß eine Steuerfahndung nur dann verjährungshemmende Wirkung hat, wenn sie bei dem Steuerpflichtigen durchgeführt wird (§ 171 Abs.5 AO 1977), und daß der BGH seine Rechtsprechung zum Fortsetzungszusammenhang geändert hat. Die Rechtsprechungsänderung durch den BGH ist für die Anwendung des § 171 Abs.7 AO 1977 von Bedeutung (vgl. BFH-Urteil vom 22. Juni 1995 IV R 26/94, BFHE 177, 354, BStBl II 1995, 575).
Fundstellen
Haufe-Index 65842 |
BFH/NV 1997, 96 |
BStBl II 1997, 157 |
BFHE 181, 230 |
BFHE 1997, 230 |
BB 1997, 297-298 (LT) |
DB 1997, 142-144 (LT) |
DStR 1997, 154-156 (LT) |
DStRE 1997, 116 (L) |
DStZ 1997, 418-419 (LT) |
HFR 1997, 240-241 (L) |