Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens. Rücktritt vom Kaufvertrag. Nutzungsentschädigungsanspruch. Eigenkapitalersatzregeln. Umfunktionieren des gestundeten Kaufpreisanspruchs in funktionales Eigenkapital
Leitsatz (amtlich)
Der durch den in der Krise der Gesellschaft erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag entstandene Nutzungsentschädigungsanspruch des Gesellschafters teilt das Schicksal des bis dahin gestundeten Kaufpreisanspruchs und ist wie dieser als eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe einzuordnen.
Normenkette
GmbHG §§ 30-31, 32a a.F., § 32b
Verfahrensgang
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 29. Juli 1999 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Der Kläger ist Verwalter in dem am 5. November 1996 eröffneten Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der L. B. GmbH (L.B. GmbH). Deren Alleingesellschafterin ist die Beklagte. Diese verkaufte am 7. September 1992 ihrer Tochtergesellschaft ein ihr bereits eine Woche zuvor zur Nutzung überlassenes Grundstück in L.; der Kaufpreis wurde gestundet und sollte in zehn gleichen Jahresraten von 51.780,– DM beglichen werden. Bezahlt hat die spätere Gesamtvollstreckungsschuldnerin allerdings nur die beiden ersten Raten.
Am 19. Juni 1996 beschloß die Gesellschafterversammlung der L.B. GmbH, Gesamtvollstreckungsantrag zu stellen. Mit an den Geschäftsführer M. der Beklagten gerichteten Schreiben vom folgenden Tage bestätigten die Geschäftsführer M. und S. der L.B. GmbH, mit dem Rücktritt der Beklagten vom Kaufvertrag einverstanden zu sein, da „aufgrund der gegenwärtigen Wirtschaftslage auch weiterhin keine Möglichkeit einer Tilgung der fälligen und rückständigen Raten sowie Zinsen” bestehe. Dementsprechend gehen die Parteien übereinstimmend davon aus, daß der Grundstückskaufvertrag rückabzuwickeln ist. Der Kläger hat deswegen Rückzahlung der beiden Kaufpreisraten von insgesamt 103.560,– DM verlangt, wogegen sich die Beklagte mit der Hauptaufrechnung mit ihr nach ihrer Ansicht zustehenden Nutzungsentschädigungsansprüchen (monatlich 6.680,– DM) verteidigt hat. Der Kläger hat diese Aufrechnung deswegen für unberechtigt gehalten, weil die Gesamtvollstreckungsschuldnerin, wie er mit Rücksicht auf die vielfältigen Kredithilfen der Beklagten näher dargelegt hat, sich seit langem in der Krise befunden und der Nutzungsentschädigungsanspruch deswegen der Durchsetzungssperre nach den Eigenkapitalersatzregeln unterlegen habe.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Oberlandesgericht hat sie abgewiesen. Hiergegen richtet sich die Revision des Klägers, der die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils erreichen will.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet und führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht. Dessen Annahme, die Beklagte habe mit dem Nutzungsentschädigungsanspruch wirksam gegen die unstreitig bestehende Rückzahlungsforderung des Klägers aufgerechnet, weil die Eigenkapitalersatzregeln unanwendbar seien, ist von Rechtsirrtum beeinflußt.
Zugunsten des Klägers ist, nachdem das Berufungsgericht – von seinem Standpunkt aus: folgerichtig – tatsächliche Feststellungen nicht getroffen, sondern lediglich unterstellt hat, daß die L.B. GmbH spätestens am 15. Mai 1996 in die in § 32 a Abs. 1 GmbHG beschriebene Krise geraten ist, auch für das Revisionsverfahren vom Eingreifen der Eigenkapitalersatzregeln zumindest ab diesem Zeitpunkt auszugehen. Als richtig zu unterstellen ist ferner, daß die Beklagte, deren Geschäftsführer M. zugleich Geschäftsführer der späteren Gesamtvollstreckungsschuldnerin war, erst in dieser Situation den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt hat.
Der durch den in der Krise erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag entstandene Nutzungsentschädigungsanspruch (§ 346 Satz 2 BGB) der Beklagten teilt das Schicksal des bis dahin gestundeten Kaufpreisanspruchs und ist wie dieser als eigenkapitalersetzende Gesellschafterhilfe zu qualifizieren. Der Kaufpreisanspruch ist, soweit die weiteren Jahresraten fällig geworden waren, durch Stehenlassen in der jedenfalls spätestens ab 15. Mai 1996 bestehenden Krise in funktionales Eigenkapital mit der Folge umqualifiziert worden, daß die Beklagte gehindert war, während der Dauer dieser Situation diese Raten selbst und darauf entfallende Verzugszinsen einzufordern. Das Festhalten an dem 1992 geschlossenen Kaufvertrag führte außerdem zur Erstreckung der Wirkung der Eigenkapitalersatzregeln auch auf die weiteren Kaufpreisraten. Hätte die Beklagte den Rücktritt vom Kaufvertrag nicht kurz vor dem Antrag auf Einleitung des Gesamtvollstreckungsverfahrens gestellt, hätte sie ihren Kaufpreisanspruch in dem Insolvenzverfahren nur als nachrangige Gläubigerin verfolgen können, ohne für die unentgeltliche Überlassung des Grundstücks Ersatz fordern zu können. Könnte sie – wie das Berufungsgericht angenommen hat – diesen Konsequenzen ihres den „Todeskampf” (vgl. Lutter/Hommelhoff, GmbHG 15. Aufl. §§ 32 a, 32 b Rdn. 36) der L.B. GmbH verlängernden Verhaltens dadurch ausweichen, daß sie nach Eintritt der Krise, aber vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und dadurch einen nicht den Eigenkapitalersatzregeln unterstehenden Nutzungsentschädigungsanspruch erwirbt, würde der Zweck der von der Rechtsprechung entwickelten und der sog. Novellenregeln des Eigenkapitalersatzrechts verfehlt (arg. § 32 a Abs. 3 Satz 1 GmbHG). Vielmehr muß sich die Beklagte an ihrem Verhalten festhalten lassen, der L.B. GmbH unentgeltlich und nach Eintritt der Krise das Grundstück auch ohne Bezahlung der fälligen Kaufpreisraten belassen zu haben.
Damit das Berufungsgericht die danach gebotenen tatsächlichen Feststellungen zu dem streitigen Vortrag der Parteien treffen kann, ob und wann die L.B. GmbH in die Krise geraten und ob der Rücktritt vom Kaufvertrag vor oder nach diesem Zeitpunkt erklärt worden ist, ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuverweisen. Für das weitere Verfahren weist der Senat vorsorglich darauf hin, daß nach dem Vorbringen des Klägers einiges dafür spricht, daß diese Krise nicht erst überraschend am 15. Mai 1996 eingetreten ist, sondern daß sie mit Rücksicht auf die verschiedenen Hilfeleistungen der Beklagten an die L.B. GmbH – neben der Stundung des Kaufpreises geht es um die Nichteinforderung des Mietzinses für ein zweites Grundstück und um die Gewährung von Darlehen – bereits viel länger bestanden hat; bei der Überschuldungsprüfung sind diese ggfs. als funktionales Eigenkapital einzustufenden Gesellschafterhilfen mangels qualifizierten Rangrücktritts zu passivieren (Sen. Urt. v. 8. Januar 2001 – II ZR 88/99, ZIP 2001, 235).
Unterschriften
Röhricht, Hesselberger, Goette, Kurzwelly, Kraemer
Veröffentlichung
Veröffentlicht am 02.07.2001 durch Vondrasek Justizangestellte als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
Fundstellen
Haufe-Index 625190 |
BB 2001, 1599 |
DB 2001, 1772 |
DStR 2001, 1577 |
DStZ 2001, 647 |
NWB 2001, 2982 |
BGHR 2001, 642 |
GmbH-StB 2001, 251 |
NJW-RR 2002, 691 |
EWiR 2001, 815 |
KTS 2001, 599 |
NZG 2001, 895 |
Nachschlagewerk BGH |
WM 2001, 1522 |
WuB 2001, 1053 |
ZIP 2001, 1366 |
MDR 2001, 1067 |
NJ 2001, 652 |
NZI 2001, 548 |
ZInsO 2001, 907 |
GmbHR 2001, 725 |
ZNotP 2001, 356 |