Leitsatz (amtlich)
Veranlaßt der persönlich haftende Gesellschafter einer Publikumskommanditgesellschaft Anlageinteressenten durch unrichtige Angaben zum Beitritt, so kann dieses Verhalten den Anlagegesellschaftern, die zu einem früheren Zeitpunkt, aber nach Gründung der Gesellschaft beigetreten sind, nicht nach § 278 BGB zugerechnet werden, weil das Vertragswerk und die Beitrittsverhandlungen ihrem Einflußbereich typischerweise entzogen sind. Diese Ausnahmeregelung gilt nicht für Anlagegesellschafter, die selbst durch unrichtige Angaben bewirken, daß Gesellschafter beitreten.
Normenkette
BGB § 278; HGB § 161
Verfahrensgang
OLG München (Urteil vom 20.12.1990) |
LG München |
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 19. Zivilsenats des Oberlandesgerichts München vom 20. Dezember 1990 im Kostenpunkt sowie insoweit aufgehoben, als die Klage gegen den Beklagten zu 2 in Höhe von mehr als 4.500,– DM nebst Zinsen abgewiesen worden ist.
Im Umfange der Aufhebung wird die Sache zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, soweit es den Beklagten zu 2 betrifft, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Am 1. Juli 1979 gründeten die M. (USA) GmbH und E. W. die M. (USA) GmbH & Co Erste Öl- und Gas KG (USA I). Beide Gesellschafter wurden Komplementäre und ermächtigt, Kommanditisten aufzunehmen. Bei dieser Gesellschaft handelte es sich um eine auf den Beitritt einer Vielzahl von Kommanditisten angelegte sogenannte Publikumsgesellschaft, deren Zweck das Aufsuchen, das Fördern und der Verkauf von Erdöl, Erdgas etc. sein sollte. Am 28. November 1979 wurde die E. W. Finanzanlageberatungsgesellschaft mbH & Co KG beauftragt, den Beitritt von Kommanditisten ausschließlich zu vermitteln; ihre Provision betrug 22 % der jeweiligen Zeichnungssumme. Am 24. März 1980 trat H. W., ein Bruder E. W.s, USA I mit einer Kommanditeinlage von 2.000.000,– DM bei; die E. W. Finanz zahlte ihm für diesen Beitritt eine Provision von 300.000,– DM und eine Unterstützungsvergütung von 328.000,– DM. Im Juli 1980 stockten E. und H. W. jeweils ihre Beteiligungen bis 10.000.000,– DM auf, wobei H. W. die Erhöhung von einer noch zu treffenden Sondervereinbarung abhängig machte.
Am 31. Juli 1980 beteiligten sich die Klägerin und ihr Ehemann mit Einlagen in Höhe von jeweils 20.000,– DM an USA I. Mit Schreiben vom 24. September 1980 an die Kommanditgesellschaft wies der Ehemann der Klägerin darauf hin, daß ihm anläßlich eines Besuches mitgeteilt worden sei, daß E. und H. W. sich mit jeweils 10.000.000,– DM beteiligt hätten und daß von deren Beteiligungen seine Entscheidung abhänge, ob er sich mit weiteren 140.000,– DM beteilige; deshalb bitte er um die Beantwortung folgender Fragen:
- „Sind die beiden genannten Zeichnungen unwiderruflich und ohne jegliche Zusatz- oder Sonderkonditionen – also nirgendwo abweichend vom Gesellschaftsvertrag – rechtsverbindlich vollzogen worden?
- In welcher Höhe sind die Einzahlungen der beiden Zeichnungen bereits getätigt bzw. zu welchen Terminen sind diese rechtsverbindlich zugesagt?
- Sind – soweit Einzahlungen bisher noch nicht erfolgten, die Forderungen der Gesellschaft an die Gebrüder W., wie allgemein üblich, an die B. Landesbank oder an eine andere Bank abgetreten …?”
Die Kommanditgesellschaft antwortete mit einem von beiden Beklagten unterzeichneten Schreiben vom 26. September 1980 wie folgt:
„zu 1: Die Zeichnungen der Herren E. und H. W. sind unwiderruflich und ohne jegliche Sonderkonditionen (dies wäre ja auch nach dem für alle Gesellschafter geltenden Kommanditgesellschaftsvertrag unserer Gesellschaft gar nicht möglich).
zu 2: Herr H. W. hat von seiner Beteiligung rund 3.000.000,– DM einbezahlt. Herr E. W. hat die Zusage gegeben, seine Einlage – zumindest im wesentlichen – bis zum Jahresende einzuzahlen. In beiden Fällen laufen, wie Sie sich sicherlich denken können, persönliche Finanzierungsverhandlungen, von deren Ergebnis die Einzahlung der Kapitalbeträge abhängt.
zu 3: Aufgrund der nach dem Gesellschaftsvertrag gegebenen persönlichen Haftungssituation des Herrn E. W. … ist eine Abtretung der an ihn gerichteten Zahlungsforderung an die Landesbank oder eine andere Bank nicht erfolgt. Bezüglich der Zeichnung des Herrn H. W. bleibt dies – je nach dem weiteren Liquiditätsbedarf unserer Gesellschaft – vorbehalten …”
Der Beklagte zu 1 war Finanzprokurist der Komplementärgesellschaften von USA I und der E. W. Finanz; der Beklagte zu 2 war seit 1979 Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH der E. W. Finanz und wurde am 22. Oktober 1980 als Mitgeschäftsführer der Komplementär-GmbH von USA I ins Handelsregister eingetragen. Beide waren zugleich Kommanditisten von USA I. Der Beklagte zu 1 war am 5. November 1979 mit einer Einlage von 50.000,– DM beigetreten und hatte diese Einlage am 17. September 1980 um 250.000. DM und am 20. November 1980 um weitere 50.000,– DM erhöht. Der Beklagte zu 2 war am 20./21. Februar 1980 mit einer Einlage von 50.000,– DM beigetreten und hatte diese Einlage am 23. September 1980 um 250.000,– DM erhöht.
Die Klägerin und ihr Ehemann erhöhten am 30. September 1980 ihre Einlagen um je 70.000,– DM und am 18. November 1980 um weitere je 35.000,– DM.
Wegen des Zusammenbruchs der Gesellschaft sind die Beteiligungen wertlos. Die Klägerin macht geltend, sie und ihr Ehemann seien im Vertrauen darauf beigetreten, daß die Beklagten ihnen am 26. September 1980 wahrheitsgemäß geantwortet hätten. Die Beklagten hätten jedoch bewußt die Unwahrheit gesagt. Der Klägerin sind von ihrem Ehemann dessen Ersatzansprüche abgetreten worden.
Die Klägerin klagt auf Ersatz der Einlagen, die am 30. September 1980 in Höhe von insgesamt 140.000,– DM gezeichnet worden sind. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. In der Berufungsinstanz hat die Klägerin die Klage wegen der Kosten, die ihr durch die Geltendmachung von Ersatzansprüchen gegen andere Schädiger entstanden sind, um 4.500,– DM erhöht. Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen. Der Senat hat die Revision der Klägerin in Höhe von 140.000. DM nebst Zinsen angenommen; insoweit verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag gegen den Beklagten zu 2 weiter. Der Beklagte zu 1 ist verstorben; das Verfahren ist insoweit auf Antrag des Prozeßbevollmächtigten ausgesetzt worden.
Entscheidungsgründe
Die Revision führt zur Aufhebung des Urteils, soweit es den Beklagten zu 2 betrifft, und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
1. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts war das Antwortschreiben der Beklagten, von dem die Klägerin und ihr Ehemann ihre Anlageentscheidung abhängig machen wollten, inhaltlich unrichtig. Das Berufungsgericht führt aus, daß beide den Einsatz von weiteren 140.000,– DM nur hätten wagen wollen, wenn sichergestellt sei, daß E. und H. W. unwiderruflich und ohne Sonderkonditionen das Risiko trugen, ihre Einlagen in Höhe von je 10.000.000. DM zu verlieren. In Wahrheit seien E. W. 22 % der Zeichnungssumme über die ihm wirtschaftlich allein gehörende E. W. Finanz sowie H. W. für seine Beteiligung vom März 1980 (2.000.000,– DM) 628.000,– DM zugeflossen; ferner habe H. W. seine Beteiligung im Juli 1980 nur unter der Bedingung noch zu vereinbarender Sonderkonditionen auf 10.000.000,– DM erhöht. Aus diesem Grunde hätten E. und H. W. keine Zeichnungsrisiken in Höhe von je 10.000.000,– DM getragen, was beiden Beklagten bekannt gewesen sei.
2. Das Berufungsgericht hat gleichwohl eine Haftung der Beklagten als Kommanditisten und damit als Vertragspartner der Klägerin und ihres Ehemannes verneint. In einer Publikumsgesellschaft – so das Berufungsgericht – hafteten Altkommanditisten den Neubeitretenden wegen der Verletzung vorvertraglicher Verhaltenspflichten nur, wenn sie als Initiatoren und Gestalter der Gesellschaft auf diese einen wesentlichen Einfluß ausüben können und dadurch aus der weitgehend anonymen Masse der Kapitalanleger herausragen. Eine derartige Stellung hätten die Beklagten nicht inne gehabt. Zwar hätten sie in gehobenen Positionen als Angestellte der Komplementär-GmbH von USA I kraft ihrer Sachkompetenz deren Geschicke mitbestimmt; diese Art der Einflußmöglichkeit sei jedoch nicht mit der eines Initiators oder Gestalters der Gesellschaft vergleichbar. Die Revision greift diese Beurteilung mit Erfolg an.
3. Zutreffend ist der Ausgangspunkt des Berufungsgerichts, wonach die Klägerin, ihr Ehemann und der Beklagte zu 2 Mitgesellschafter waren, als die Klägerin und ihr Ehemann am 30. September 1980 ihre seit dem 31. Juli 1980 bestehenden Kommanditbeteiligungen in Höhe von je 20.000,– DM um je 70.000,– DM erhöhten. Der Beklagte zu 2 war USA I am 20./21. Februar 1980 mit 50.000,– DM beigetreten und hatte diese Einlage am 23. September 1980 um 250.000,– DM erhöht. Der Beklagte zu 2 hat als Vertragspartner für schuldhaft unrichtige Angaben einzustehen, durch die die Klägerin und ihr Ehemann veranlaßt worden sind, ihre Beteiligungen zu erweitern. Der Senat hat von der Haftung für Erfüllungsgehilfen, denen ein Verschulden bei Vertragsschluß anzulasten ist, Anlagegesellschafter ausgenommen, die schon zu einem früheren Zeitpunkt, aber nach Gründung der Gesellschaft beigetreten sind und denen eine gesellschaftsvertragliche Regelung vorgegeben war, auf die sie keinen Einfluß gehabt haben, die vielmehr alle künftigen Beitrittsverhandlungen und -abschlüsse ihrem Einfluß- und Verantwortungsbereich entzieht, indem sie sie ausschließlich in den der geschäftsführenden Gesellschafter verlagert; bei ihnen hat kein Beitrittsinteressent berechtigten Anlaß, sein Verhandlungsvertrauen neben der persönlich haftenden Gesellschafterin, die dieses Vertrauen für sich in Anspruch nimmt, noch einem anderen Mitglied der Gesellschaft entgegenzubringen (vgl. SenUrt. v. 14. Dezember 1972 – II ZR 82/70, WM 1973, 863, 865 f.). Für diese Ausnahmeregelung ist – entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts – jedoch dann kein Platz, wenn der Mitgesellschafter die Beitrittsverhandlungen nicht durch Erfüllungsgehilfen führt, vielmehr selbst durch unrichtige Auskünfte den Ausschlag für einen Beitritt oder die Erhöhung einer Einlage gibt. Der Mitgesellschafter hebt sich durch die Auskunft aus der weitgehend anonymen Masse der Anlagegesellschafter heraus. Er nimmt das Vertrauen der Anlageinteressenten für die inhaltliche Richtigkeit seiner Auskunft in Anspruch und diese lassen sich bei ihren Anlageentscheidungen von dem Verhandlungsvertrauen leiten, das Vertragspartner nach Treu und Glauben einander entgegenbringen und das deshalb von keinem enttäuscht werden darf. Dabei ist unerheblich, ob der Beklagte zu 2 bei Beantwortung der Fragen als Mitgesellschafter der Klägerin und damit als deren Vertragspartner in Erscheinung getreten ist. Er hat für die unrichtige Beantwortung der Fragen einzustehen, falls die Antwort für die Anlageentscheidung ursächlich war.
4. Eine abschließende Entscheidung ist dem Senat nicht möglich, weil in tatsächlicher Hinsicht Feststellungen dafür fehlen, ob die inhaltlich unrichtigen Antworten ursächlich für die Erhöhung der Einlagen geworden sind. Der Beklagte hat behauptet, die Klägerin und ihr Ehemann seien in der Gesellschafterversammlung vom 10. November 1980 darüber aufgeklärt worden, daß E. und H. W.s Risiken geringer als 20.000.000,– DM gewesen seien, und hätten gleichwohl am 18. November 1980 weitere 70.000,– DM gezeichnet. Sollte sich dieser Vortrag bestätigen, wäre nicht auszuschließen, daß die Klägerin und ihr Ehemann 140.000,– DM am 30. September 1980 auch gezeichnet hätten, wenn das Antwortschreiben vom 26. September 1980 inhaltlich richtig gewesen wäre. Damit das Berufungsgericht diesen Fragen nachgehen kann, wird die Sache zurückverwiesen.
Unterschriften
Boujong, Brandes, Dr. Hesselberger, Röhricht, Stodolkowitz
Fundstellen
BB 1992, 452 |
Nachschlagewerk BGH |
ZIP 1992, 322 |
ZBB 1992, 149 |